Entnommen: https://www.freidenker.org/?p=14899
Ein soziales Problem in der historischen Auseinandersetzung
29. Dezember 2022 Webredaktion DDR, Eigentum, Fortschritt,
Kapitalismus, Menschenrechte, Mietendeckel, Profit, Sozialer
Wohnungsbau, Wohnungspolitik
Aus: „FREIDENKER“ Nr. 4-22, Dezember 2022, S. 28-34, 81. Jahrgang
von Thomas Loch
Wohnen, ein Recht auf Wohnen, gar als ein Menschenrecht – um dieses ist
es in der Gegenwart nicht gut bestellt, jedenfalls nicht hierzulande.
Rechte werden heute gebogen, verwoben, entstellt, instrumentalisiert,
sentimentalisiert, es wird an der Oberfläche operiert, Rechte werden
verkündet, versprochen und gebrochen. Letztlich gibt es eine
Wohnungspolitik, allerdings auch sie hat einem Zwecke zu dienen, im
System das einst als Kapitalismus bezeichnet wurde, heute als
Marktwirtschaft vorgeführt wird und sich als Imperialismus entfaltet.
Es geht um Profit und Profimaximierung, und so kommt die Wohnung in der
Regel als Ware daher, welche gekauft, verkauft, gemietet, vermietet,
gepfändet, verschwendet werden kann. Ja, wie es in einem
imperialistischen Staatswesen wohl anders nicht sein kann, da sein
bestimmender Grundzug die uneingeschränkte ökonomische und politische
Herrschaft des Monopols zur Gewinnung und Sicherung von Monopolprofit
ist. Und womit lässt sich am besten Geld verdienen? Letztlich mit den
Dingen, welche der Mensch braucht und zwar beständig, um seine
Grundbedürfnisse zu befriedigen!
Die DDR ging einen anderen Weg
Aber es gab in der deutschen Geschichte eine andere Wohnungspolitik,
welche nicht dem Streben nach Profit verpflichtet war, sondern das
Bedürfnis der Menschen nach Wohnen in den Mittelpunkt stellte. Die
Wohnungspolitik umfasste die „Gesamtheit von politischen, materiellen
und sozialen Maßnahmen, die darauf gerichtet waren, in der DDR die
Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen.
Dem dienten alle aufeinander abgestimmten Bau- und
Bewirtschaftungsmaßnahmen zur Erneuerung der Städte und Siedlungen sowie
zur rationalen Wohnungsbewirtschaftung und -nutzung.“[1] Nun wäre zu
fragen, wurde die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 gelöst?
Die DDR hörte 1990 auf zu existieren, entscheiden durften die Bürger
darüber nicht und so änderte sich die Wohnungspolitik. Es dauerte nicht
lange und vielerorts gab es einen Überschuss an Wohnungen, allerdings
nicht, weil nun richtig viel gebaut wurde, auch wenn es mancherorts
danach aussah, sondern weil eine Volkswirtschaft abgewickelt und mit den
Arbeitsplätzen nicht nur soziale Strukturen vernichtet, sondern viele
Menschen gezwungen wurden, auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat zu
verlassen.
Erst pendelten die Menschen von Ost nach West, später verlegten Sie
ihren Lebensmittelpunkt dorthin, wo sie in der Lage waren ihre Existenz
zu sichern, also ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Viele Regionen
verloren einen großen Teil ihrer Bevölkerung und damit kam es relativ
schnell dazu, dass es viel freien Wohnraum gab. Für den kapitalistisch
organisierten Wohnungsmarkt war das nicht gut, die Mieten waren zwar
schon erheblich gestiegen, bewegten sich allerdings in vielen Gegenden
noch unterhalb westdeutschen Niveaus; dies gilt bis heute.
Der Mietpreis in der DDR lag zwischen 0,80 und 1,25 Mark, der im Westen
gern als wertlos bezeichnete „Alu-Chip“ hatte nicht nur im Fall von
Mieten eine Kaufkraft, an welche die DM nicht einmal im Traum
heranreichte. Während in der BRD ca. 30% des Familieneinkommens für die
Miete aufgewendet werden musste, waren es in der DDR ca. 3%. Heute gibt
es diesen Unterschied nicht mehr, es gibt ja die DDR nicht mehr und
wenn die Mieten im Osten gegebenenfalls noch niedriger als im Westen
sind, gleicht das Einkommensgefälle zwischen West und Ost dies ohne
Probleme aus.
Die Wohnungsfrage sollte als soziales Problem gelöst werden, jedem eine
Wohnung war das Ziel in der DDR, jedem seine Wohnung wäre ein weiterer
Schritt gewesen. Von dem einen wie von dem anderen sind wir heute im
Allgemeinen weit entfernt, und auch wenn es in vielen Gegenden keinen
Wohnungsmangel gibt, so können sich immer mehr Menschen diese Wohnungen
oft nicht leisten, sind gezwungen Wohngeld zu beantragen, oder leben
in Obdachlosenunterkünften, gelegentlich auch auf der Straße.
Meine ersten Obdachlosen habe ich 1992 in Essen gesehen, heute gibt es
diese sogar in Quedlinburg, wo ich lebe. Mit der Bundesrepublik kam
auch der gesellschaftliche Rückschritt über die Menschen der neuen
Bundesländer.
Die Stadt Quedlinburg ist ein gutes Beispiel, auch wenn sie in mancher
Beziehung eine Sonderstellung einnimmt: sie gehört zum Weltkulturerbe
aufgrund ihrer mittelalterlichen Stadtstruktur und einer historischen
Vielfalt an Bausubstanz, welche in dieser Fülle nur sehr selten so
konzentriert zu finden ist. Die Bandbreite der Architektur reicht von
der Präromanik bis in die Gegenwart und jede Zeit hat Spuren
hinterlassen. Viele Menschen besuchen Jahr für Jahr diese Stadt, weil
Vieles noch vorhanden ist, was andernorts längst abgerissen wurde. Gern
wird fabuliert, dass für diese Stadt die „Wende“ gerade zur rechten Zeit
gekommen sei und so historische Bausubstanz gerettet wurde. Ich sage,
die „Wende“ ist gekommen, aber ohne DDR würde es diese Vielfalt an
Bausubstanz heute nicht mehr gegeben.
Ein Blick in manche Stadt in den alten Bundesländern reicht aus, um zu
erfahren, wo mehr historisches Kulturgut während der Phase der
unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklung abgerissen wurde. So
kommen Menschen hierher, weil sie noch etwas vorfinden, was in ihrer
Heimat oft verloren ist. Gerade diesbezügliche Gespräche mit älteren
Menschen bestätigen es immer wieder.
Kulturgut versus neue Bedürfnisse?
Nun mag diese Stadt eine Ausnahme sein und anderen Ortes hat es
vielleicht anders ausgesehen, und das hat es auch, denn es ist nicht
einfach, ein solch umfassendes historisches Erbe allerorten zu
bewahren. Auch wurde oft spät begonnen, sich alter Bausubstanz
zuzuwenden, eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum stand im
Vordergrund und – machen wir uns nichts vor – die Sanierung alter
Substanz ist erheblich aufwändiger als die Errichtung neuer Bauten.
Dazu kommt, dass die Bedürfnisse der Menschen sich wandeln, Ansprüche
steigen und viel alte Bausubstanz entsprach den sich entwickelnden
Bedürfnissen nicht mehr. Das Wohnen in einem alten Fachwerkhaus zum
Beispiel, besonders wenn es nicht zu den herausragenden Bürgerhäusern
gehörte und eher für die einfache Stadtbevölkerung errichtet worden
war, entsprach nicht unbedingt den Vorstellungen modernen Wohnens,
sodass die Menschen bestrebt waren, diese Quartiere zu verlassen und
sich in modernerem Wohnraum niederzulassen.
Oft wurden leerstehende Quartiere abgerissen, vielerorts kam es zu
Flächenabrissen und es wurden neue, der Zeit entsprechende moderne
Gebäude errichtet. Das gab es in der alten BRD und das gab es in der
DDR, nur wenn zwei das Gleiche tun, ist es lange noch nicht dasselbe.
Und so wird gern der Teufel in Form der unchristlichen DDR an die Wand
gemalt, auch wenn viele Menschen mehr und mehr den Osten der Republik
entdecken und das auch auf Grund der vielen historischen Kulturgüter,
die dank der Politik in der DDR erhalten geblieben sind. Aber was nicht
sein darf, soll nicht sein und so ist jeder alte Stein, welcher in der
DDR abgerissen wurde, selbst wenn es Ruinen aus dem zweiten Weltkrieg
waren, ein Politikum ersten Ranges. In der BRD war es normal, es war
Entwicklung, gern durch das Attribut fortschrittlich ergänzt.
Nur – was ist Fortschritt? Ist das eine Frage der Definition, eine Frage
der Mode, oder Ausdruck praktischen Lebens, geschichtliche
Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft bzw. einzelner Bereiche
des gesellschaftlichen Lebens? Um dieses geht es. Der Mensch ist in
erster Linie praktisch, wie auch die Praxis Prüfstein jeder Theorie ist.
Folglich: Wessen Interesse dient das praktische Sein eines Menschen?
Ist er Objekt, oder Subjekt, geht es um sein Wohl, oder ist sein
vorgebliches Wohl nur Mittel zum Zweck?
Es ist eine Auseinandersetzung um den Umgang mit der Geschichte, denn in
der DDR lief in Fragen „Wohnen“ vieles anders als in der BRD, aber
nicht nur da, auch was andere Bausubstanz betraf. Objekte wie zum
Beispiel Schlösser wurden umgenutzt, oft dienten sie zu Bildungszwecken
und mit der Nutzung war ihre Erhaltung garantiert. Zum Beispiel
Produktionsbetriebe: Es war üblich, bestehende Substanz weiter zu
nutzen. Wenn neue Maschinen alte ersetzten, wurden sie an bestehende
Bausubstanz angepasst und nicht umgekehrt, für neue Maschinen auch neue
Hallen auf der „grünen Wiese“ errichtet.
Und was wurde nicht alles nach 1990 abgerissen im Osten, ganze
Betriebsanlagen verschwanden! Im Gegenzug hat jeder kleine Ort seine
Gewerbe- oder/und Industriegebiete ausgewiesen, was nicht nur zur
Versiegelung immer größerer Flächen führte, sondern dem angedachten
Zweck oft nicht gerecht wurde. Viele dieser Flächen wurden erst zu
beleuchteten Weiden für Tiere und später mit Solaranlagen gepflastert.
Mit dem Wohnungsproblem, mit der Wohnungsfrage hat das vordergründig
nichts zu tun, allerdings mit dem Lebensumfeld der Menschen.
Für Quedlinburg wurde Anfang der 1970er Jahre beschlossen, die Stadt in
ihrer historischen Struktur zu erhalten und bis zur „Wende“ war ca. 1/3
der historischen Substanz gerettet, ein weiteres Drittel bis heute und
fast 1/3 wartet noch auf Rettung.
Heute leben in der Altstadt mehr Menschen als zum Ende der DDR, es gibt
einen großen Bestand an Ferienwohnungen, nicht unbedingt förderlich für
eine urbane Wohnstruktur, aber nicht wenige Objekte werden so
zumindest einer Nutzung zugeführt, auch unter dem Gesichtspunkt besserer
Verwertbarkeit. dingt förderlich für eine urbane Wohnstruktur, aber
nicht wenige Objekte werden so zumindest einer Nutzung zugeführt, auch
unter dem Gesichtspunkt besserer Verwertbarkeit. Denn es ist das eine,
alte Gebäude zu sanieren, nur ohne Nutzung würde dieses nicht geschehen
und Kapital muss schließlich akkumuliert werden.
Ein Bürgermeister verkündete vor Jahren, dass die Stadt gesund von außen
nach innen schrumpft, und so wurde viel abgerissen, nicht die alte
historische Substanz aus längst vergangenen Jahrhunderten, auch wenn
diese gelegentlich zerfällt, sondern Wohnbestand aus der
DDR-Vergangenheit. 1989 hatte die Stadt noch ca. 28.500 Einwohner, heute
sind es um die 20.000 in der vergleichbaren Kernstadt.
Da mit dem Verlust an Einwohnern der Bedarf an Wohnraum zurückging,
wurde kräftig abgerissen und dieser Abriss über weite Strecken vom Staat
gefördert. Wurde in der DDR der Wohnungsbau gefördert, so war es nach
1990 der Abriss von Wohnungen. Wurde in der DDR die Arbeit zu den
Menschen gebracht, müssen heute die Menschen der Arbeit hinterherrennen.
Wo sie diese finden, mangelt es oft am nötigen und/oder
erschwinglichen Wohnraum. In der Regel ziehen sie in Ballungszentren,
die fortschreitende Konzentration und Zentralisation des Kapitals macht
dies nicht nur möglich, sondern sie bedingt dieses zwingend.
Hier in dieser kleinen, beschaulichen Stadt haben Investoren andere
Probleme – wenn genügend Wohnraum vorhanden ist, braucht es weniger
neuen und mit der Ware Wohnung kann nicht optimal, bzw. maximal verdient
werden. Doch wo ein Wille ist, findet sich in der Regel auch ein
Gebüsch, und wenn neuer, teurerer Wohnraum verkauft oder vermietet
werden soll, muss der preiswerte weg. Also wird auf der einen Seite neu
gebaut und auf der anderen Seite abgerissen, was der Profitmaximierung
im Wege steht. Oft gehören Häuser dazu, welche nach 1990 noch saniert
wurden, in der Regel Plattenbauten, oder wie in einem Vorort die Gebäude
einer Kaserne, welche lange Wohnzwecken dienten.
Das Wohnungsproblem als soziale Frage spielt heute nur in Sonntagsreden
eine Rolle, Wohnungen wurden versprochen, allerdings bilden „versprochen
und gebrochen“ in der bundesdeutschen Politik oft eine Einheit. So
können die aktuell versprochenen Wohnungen nicht geschaffenen werden,
denn „es ist Krieg“, es gibt wichtigeres, 100 Milliarden zusätzlich für
die Bundeswehr und 200 Milliarden für einen „Doppelwumms“ – herrlich wie
es die gegenwärtige Regierung versteht, die Taschen der großen Konzerne
zu füllen: Erst wurden die Taschen der Pharmaindustrie gefüllt, jetzt
die der Rüstungs- und Energiekonzerne.
Wer braucht da schon Wohnungen zu erschwinglichen Preisen, knapper
Wohnraum und Luxussanierung steigern die Gewinne. Über alten, vorgeblich
überschüssigen Wohnraum wird nicht lange nachgedacht, ob Entwicklung
oder Umnutzung möglich ist, spielt keine Rolle, Abriss soll die Lösung
sein.
In der Vergangenheit spielte das Thema öfter eine Rolle, gerade wenn es
um die Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR und der sozialen
Frage geht.
*
Der folgende Text vom Mai 2018 befasst sich mit dem nicht so seltenen
Problem, dass Menschen abwandern und „überschüssiger“ Wohnraum
abgerissen wird. Wenn Wohnungen „freigezogen“, die Menschen aus ihren
Quartieren verdrängt werden sollen, scheinen der Fantasie keine Grenze
gesetzt.
Als Gründe werden oft Leerstand und Kostendruck angegeben, auch wenn
dieser künstlich geschaffen wurde und Verluste öffentlicher
Wohnungsunternehmen ganz andere Ursachen haben, als die vorgeschobenen.
Der geschilderte Vorgang liegt in der Vergangenheit, die Wohngebäude
sind heute weitestgehend abgerissen, der Widerstand gegen den Abriss
konnte geschickt gespalten werden, und wo einst die Häuser standen,
finden sich heute freie Flächen, was einmal daraus werden wird, bleibt
abzuwarten, vielleicht werden einmal Häuser drauf gebaut.
Quarmbeck[2]
Heute hatte ich Besuch von einem Bekannten, er erzählte mir, dass ihm in
Quarmbeck auf seiner morgendlichen Radtour eine Reihe hochgerüsteter
Polizisten über den Weg gelaufen sind. Von der Polizeischule in
Aschersleben, welche in letzter Zeit mit Drogendelikten[3] und
zumindest einem Einbrecher[4] in ihren Reihen für Schlagzeilen gesorgt
hat, sollen sie sein, welche wahrscheinlich zum Training in dieses
leerzuziehende Wohngebiet eingerückt sind.
Dass in den verschiedenen Häusern noch Menschen wohnen, spielt keine
Rolle, der Krieg gegen das eigene Volk muss geübt werden und der
Repressionsapparat des Staates gestärkt. Da kommt so ein Abrissgebiet
gerade recht, es kann unter Umständen wilde Sau gespielt werden, Türen
eingetreten, Fenster zerbrochen, mit Platzpatronen geschossen usw.,
kommt nicht drauf an, wird eh abgerissen!
Im Nebeneffekt werden die Bewohner terrorisiert und so zum schnelleren
Umzug motiviert, nur ist es nicht so einfach eine vergleichbare Wohnung
zu finden. Zum einen wohnt ein Teil der Bewohner schon sehr lange in
diesem Viertel, verfügt also noch über alte Mietverträge aus Zeiten der
DDR, welche wesentlich humaner abgefasst sind als aktuelle Verträge. Und
wenn ein Bewohner z. B. auf Hartz IV angewiesen, oder mit einer
niedrigen Rente zurechtkommen muss, wird es sicher nicht leichtfallen,
eine geforderte Kaution zusätzlich aufzubringen. Und lassen sich die
alten Möbel in der neuen Wohnung alle unterbringen?
Alles Fragen, die diejenigen nicht interessieren, welche für den
„Leerzug“ und den darauf folgenden Beschluss des Abrisses des
Wohnungsbestandes der städtischen Wohnungsgesellschaft in Quarmbeck
verantwortlich zeichnen. Der Geschäftsführer der städtischen
Wohnungsgesellschaft hatte im Jahr 2016 schon sinngemäß verkündet[5],
dass das alles „mit den Menschen nichts zu tun hat“. Der Mensch spielt
keine Rolle, er ist nur Spielball machtpolitischer Interessen. Und nun
auch Spielball polizeilicher Übungen, was ebenfalls mit dergleichen
Interessen zu tun hat, denn wo kämen wir hin, wenn das Volk hierzulande
mitbekommt, wie seine Möglichkeiten immer weiter beschnitten werden.
Die Menschen als Spielball politischen Seins, als Ausdruck spezifischer
ökonomischer Interessen.
Dabei wäre es sicher auch anders gegangen. Quedlinburg gehört zum
Welterbe, da müssten sich doch Möglichkeiten finden, auch für ein
Wohngebiet wie Quarmbeck. So könnten die Wohnungen international
angeboten und preiswert an Künstler vermietet werden, denn wo ist so
viel kulturelles Erbe so geballt zu finden, wie in Quedlinburg?
Architektonische Spuren finden sich z. B. aus der Zeit der Präromanik
bis in die Gegenwart. Von der daran festzumachenden Geschichte ganz zu
schweigen, Welterbe eben! Da wären Arbeit, künstlerisch-kultureller
Austausch und vieles mehr möglich, allerdings möchte davon die in
Quedlinburg regierende Einfalt nichts wissen: Hauptsache das
Schützenhaus in Quarmbeck, Ausdruck der Hochkultur kleinbürgerlichen
Seins, bleibt erhalten.
Auch hat es einmal anders ausgesehen, als um das Jahr 2000 herum nach
Alternativen und Entwicklungsmöglichkeiten für diesen Ortsteil gesucht
wurde. Da gab es ein Struktur- und Entwicklungskonzept für diesen
Ortsteil, es wurde beraten, die Bewohner des Ortsteils mit einbezogen
und Vorschläge erarbeitet. Von diesem Projekt hatte ich bis dato nur
gehört und einige Seiten der damals erstellten Unterlagen gesehen.
Allerdings fand ich vor einiger Zeit einen prall gefüllten Briefumschlag
im Briefkasten, welcher diese Unterlagen enthielt und einen
interessanten Einblick in die damaligen Bestrebungen gewährte.
Als dann allerdings der Geschäftsführer der städtischen
Wohnungsgesellschaft in den Ruhestand ging und von der Stadt ein neuer
bestellt wurde, wurde dieses Vorhaben aufgegeben und kurze Zeit später
ein Zuzugsstopp verhängt. Es wurde begonnen, das Viertel zu entvölkern
und für den Abriss vorzubereiten. An dieser Stelle sei darauf
hingewiesen, dass große Teile der Wohnungen in den 1990iger Jahren noch
teil- oder komplettsaniert wurden.
Auch ist die Entwicklung der Bevölkerung des Ortsteils interessant, im
erwähnten Entwicklungskonzept finden sich auf Seite 6 entsprechende
Aussagen. Es werden die Zahlen der Stadt Quedlinburg und des Ortsteils
genannt. Diese unterlagen im Laufe der Zeit erheblichen Schwankungen,
allerdings ist für die Stadt seit 1990 ein kontinuierlicher Rückgang
der Bevölkerung zu verzeichnen, in Quarmbeck verhält es sich bis 2000
etwas anders. 1990 hatte die Stadt 27.870 Einwohner, in Quarmbeck waren
es 569, im Jahr 2000 hatte die Stadt noch 24.057 Einwohner und davon
lebten in Quarmbeck 784, 1997 waren es sogar 920.
Zwar hatte der Ortsteil wieder Einwohner verloren, allerdings entsprach
dies in etwa dem städtischen Durchschnitt. Aus diesem Grund wurde ein
umfassendes Konzept in Angriff genommen, was allerdings später
eingestampft wurde. Dass nach Verhängung des Zuzugstopps die
Einwohnerentwicklung rückläufig sein würde, dürfte den Verantwortlichen
klar gewesen sein, dieser Ortsteil sollte nun nicht mehr aufgewertet,
sondern für den Abriss vorbereitet werden.
Quedlinburg hat weiter Einwohner verloren, heute wohnen in der
Kernstadt um die 21.000 Menschen, mit Gernrode und Bad Suderode hatte
Quedlinburg 2016 24.411 Einwohner, also setzt sich dieser Abwärtstrend
fort, was auch mit der Politik in dieser Stadt zu tun hat.
Zwar fabuliert der eine und andere Politiker von einem
Industriegebiet,[6] welches zu planen ist und die Karawane der blinden
Investoren anlocken soll, allerdings sind dieses Wunschträume, wenn die
allgemeine wirtschaftliche Entwicklung betrachtet wird.
Das Pfund, mit dem Quedlinburg wuchern kann, wird von diesen Politikern
eher stiefmütterlich behandelt und mit kulturellem und sozialem
Kahlschlag in dieser Stadt bedacht.
Allgemeine neoliberale Heilslehren werden gepredigt und den Vorgaben
wirtschaftlicher Egozentrik gefolgt. Dabei wird nicht davor
zurückgeschreckt, Arbeitsplätze weiterhin zu vernichten, wie vor einigen
Jahren mit der Schließung des Kurzentrums in Bad Suderode geschehen.[7]
Nach einigem hin und her wurde dieses privatisiert, wobei seit dem auch
nichts weiter passiert ist, außer dass gelegentlich verkündet wurde,
dass etwas passieren solle.
Also statt auf Tourismus, Kultur, Natur und Gesundheit zu setzen, werden
alte Rezepte ausgebuddelt, mit neuem Lack versehen und den Menschen als
erstrebenswerte Alternative gepriesen. Dazu werden Gutachten erstellt,
Projekte entwickelt, Landschaft versiegelt, kulturelle Einrichtungen
geschleift und öffentliche Mittel mit vollen Händen zum Fenster
rausgeworfen. Dabei wird genau darauf geachtet, wer vor dem Fenster
steht und seine Hände aufhält!
Die Menschen in dieser Stadt spielen keine, oder eine untergeordnete
Rolle, sie haben zu dienen und sich dem politischen Gebaren zu fügen.
Leider erkennen die meisten Menschen erst, dass sie Spielball
verschiedener Interessen sind, dass ihnen die Hose längst runtergezogen
wurde, wenn ihnen die rosarote Brille von der Nase gerutscht ist.
Eine Meisterleistung bürgerlicher Ideologie ist es, den Menschen, welche
die ihnen zugeteilte Arschkarte gezogen haben, einzureden, dass es der
Joker sei, welchen sie auf der Hand haben. So werden die meisten erst
wach, wenn es längst zu spät ist!
Thomas Loch ist gelernter Maschinen- und Anlagenmonteur, arbeitet als
Reisebegleiter in Quedlinburg und ist stellvertretender
Landesvorsitzender der Freidenker in Sachsen-Anhalt
Quellen:
[1] Kleines Politisches Wörterbuch, Dietz Verlag Berlin 1986, Seite 1088
[2] https://kucaf.blogspot.com/2018/05/quarmbeck.html
[3] https://www.mz-web.de/aschersleben/affaere-weitet-sich-aus-polizeischueler-sollen-mit-drogen-gehandelt-haben-29972660
[4]
https://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/landespolitik/sturz-nach-einbruch-tod-eines-polizeischuelers-beschaeftigt-den-innenausschuss-30115834
[5] http://kucaf.blogspot.com/2016/09/der-geschaftsfuhrer-der-wowi-bringt-es.html
[6] https://kucaf.blogspot.com/2017/02/gestern-schon-im-internet-heute-in-der.html
[7] https://kucaf.blogspot.com/2012/11/fur-investoren-schoner-gemacht-wurde.html
Download
Der Artikel kann auch als PDF-Dokument angesehen und heruntergeladen werden:
Thomas Loch: Ein soziales Problem in der historischen Auseinandersetzung (Auszug aus FREIDENKER 4-22, ca. 435 KB)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen