»Sie wollen uns in den Krieg führen«
Über das von westlichen Staaten verursachte Chaos im Sahel und die
Interessen der internationalen Oligarchie. Ein Gespräch mit Aminata
Dramane Traoré
Von Raphaël Schmeller
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RichardxMazzella/DJAW/Starface/imago
Haben genug von Macron und Co.: Demonstration gegen die französische Militärpräsenz in Mali (Bamako, Januar 2022)
Aminata Dramane Traoré ist Autorin, Menschenrechtsaktivistin und
ehemalige Kulturministerin von Mali. Sie wird als Referentin auf der
kommenden »Internationalen Rosa Luxemburg Konferenz« Gast sein
Der Ukraine-Krieg wird in den Medien täglich thematisiert. Der
Standpunkt des afrikanischen Kontinents spielt dabei kaum eine Rolle.
Wie blicken Sie auf diesen Konflikt?
Der Krieg verschärft unsere Probleme erheblich. Man könnte sagen: Er ist
das eine Übel zuviel für Afrika. Das Bittere ist, dass man am Anfang
noch Lösungen hätte finden können, um eine Eskalation zu verhindern.
Daran hatte aber wohl niemand ein Interesse. Und auch aktuell habe ich
den Eindruck, dass niemand die Absicht hat, den tieferen Ursachen des
Kriegs auf den Grund zu gehen.
Was sind ihrer Meinung nach die tieferen Ursachen?
Es geht um die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der
verschiedenen Akteure. Es sind diese Fragen, die aus meiner Sicht den
Umwälzungen, die in der Ukraine im Gange sind, zugrunde liegen. Aus
afrikanischer Perspektive hängt der Krieg also auch mit der
Wirtschaftspolitik zusammen, die unseren Staaten aufgezwungen wird.
Können Sie das etwas näher erläutern?
Wir wollten in den 1960er Jahren aus der Dominanz und einem Modell
ausbrechen, das auf dem Export einiger weniger Rohstoffe beruht, ohne
dass diese jemals lokal verbraucht würden und es möglich würde,
Arbeitsplätze zu schaffen und unsere Landwirtschaft und unseren eigenen
Nahrungsmittelbedarf umzugestalten. Unsere Wirtschaft besteht bis heute
darin, für die internationale Nachfrage und die Bedürfnisse anderer zu
produzieren. Massenerwerbslosigkeit, Massenarmut, Abwanderung und das,
was man Dschihadismus nennt, stehen in direktem Zusammenhang mit diesen
wirtschaftlichen Fragen.
Im Westen wird vor allem Russland für Probleme wie Hungerkrisen verantwortlich gemacht. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein. Es ist doch der Westen und nicht Moskau, der mit seiner Politik
und seinen militärischen Interventionen in den vergangenen Jahren
gescheitert ist und alles verschlimmert hat. So im Irak oder in
Afghanistan. Und als das britisch-französische Paar und die NATO
beschlossen haben, Muammar Al-Ghaddafi anzugreifen und Libyen zu
zerstören, war Russland auch nicht dabei. Der Westen sollte damit
aufhören, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.
Können Sie erklären, welche Folgen die westlichen Sanktionen gegen Russland für Ihren Kontinent haben?
Russland und die Ukraine haben ein erhebliches Gewicht bei der
Versorgung mit Weizen, der jetzt unter anderem wegen der Sanktionen
fehlt. Das führt zu Hunger, und damit kommen wir auf meine vorige
Antwort zurück: Wenn wir unsere Volkswirtschaften so strukturieren
könnten, dass wir nach unserem eigenen Bedarf produzieren, wären wir
heute nicht in dieser Lage. Die Ukraine ist also ein weiteres Problem
für uns, nicht aber das grundlegende.
Russland und Mali haben vergangene Woche ein Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus unterzeichnet. Worum geht es dabei?
Es geht nicht darum, den Westen systematisch herauszufordern. Es geht
darum, dass wir das Recht haben wollen, unsere militärische
Partnerschaft zu diversifizieren. Denn bei der Terrorismusbekämpfung ist
der Westen unfähig. Die französische Militäroperation »Barkhane« hat es
in einem Zeitraum von gut zehn Jahren nicht geschafft, den
Dschihadismus einzudämmen und wirksam zu bekämpfen. Im Gegenteil: Die
Zahl der Dschihadisten lag 2013 in Mali bei rund 400, mittlerweile sind
es Tausende in mehreren Ländern des Sahel. Das liegt daran, dass die
Dschihadisten lokal rekrutieren können, weil jedes Jahr Hunderttausende
junge Männer und Frauen in diesen Ländern auf den Arbeitsmarkt kommen,
wobei es aber keine Arbeit gibt. Das herrschende Wirtschaftsmodell hat
keine Antwort auf die Armut.
Jetzt sind die französischen Truppen aus Mali abgezogen. Das hatten Sie schon vor zehn Jahren gefordert. Warum?
Der wirkliche Grund für die militärische Intervention war nie der
Terrorismus. Dieser ist ja umgekehrt eine Folge der expansionistischen
Politik des kapitalistischen Systems. Länder wie Mali treffen nicht die
Entscheidungen, wenn es um ihre Wirtschaftspolitik geht, der
Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben längst die Macht
übernommen. Der Kern der Debatte ist also, dass nichts getan wurde, um
die Grundbedürfnisse der Afrikaner unter Wahrung ihrer Menschenrechte
und einer intakten Umwelt einschließlich des Klimas zu befriedigen. Noch
mal: Frankreich und seine Verbündeten, darunter Deutschland, sind gar
nicht in der Lage, den Dschihadismus erfolgreich zu bekämpfen. Diese
Länder sind hier, weil sie uns in einen Krieg führen wollen, damit sie
ihre Interessen verteidigen können.
Wird sich diese Situation nun, da Frankreich Mali den Rücken kehrt, ändern?
Frankreich will das Land in Wirklichkeit nicht verlassen, es wird nur so
getan, als würde man gerade gehen. Und das gilt nicht nur für
Frankreich. Die deutsche Außenministerin beispielsweise sagt, dass es
nicht in Frage komme, dass man jetzt Russland das Land überlasse. Ich
finde dieses Russland-Argument, das gerade ständig für alles in allen
möglichen Variationen serviert wird, unglaublich. Der Westen war vor
Russland da – er war es, der das Problem nicht gelöst hat. Und jetzt
soll sich trotzdem alles um Russland drehen? Die große Mehrheit der
Malier will schon lange, dass mit den malischen Dschihadisten verhandelt
wird. Doch Frankreich und Deutschland sagen, dass ein Dialog zwischen
Maliern, das heißt zwischen den Dschihadisten, den Behörden und der
Zivilgesellschaft, nicht in Frage komme. Sie haben solche Verhandlungen
in den vergangenen Jahren immer wieder verhindert.
Warum wurden diese Verhandlungen nicht zugelassen?
Weil der Westen nicht gehen will. Denn wenn die Afrikaner das Problem
selbst lösen können, werden sie gezwungen sein zu gehen. Die
Militäreinsätze, der CFA-Franc (an den Euro gebundene Währung der
ehemaligen französischen Kolonien, jW), die Handelsabkommen zwischen dem
Westen und Afrika sind doch alle nur dazu da, die Interessen der
internationalen Oligarchie zu verteidigen.
Zu den bestehenden Problemen in Afrika kommt nun zunehmend noch ein weiteres dazu: die Klimakrise.
Ja, das ist ein großes Problem. Afrika, das gerade einmal vier Prozent
der Treibhausgase produziert, ist die Region der Welt, die die Folgen
der Klimakrise bereits jetzt am stärksten zu spüren bekommt. Wenn wir
sehen, wie wenig Fortschritte seit der Pariser Klimakonferenz 2015
erzielt wurden, wie um kleine Reparationszahlungen gestritten wird und
wie jetzt auch noch Milliarden für Krieg ausgegeben werden, dann fühlen
wir uns im globalen Süden wirklich verspottet. Die Mittel sind da, um
dafür zu sorgen, dass weder Afrika noch andere Teile der Welt so sehr
unter den Folgen der Klimakrise leiden müssen. Doch es wird kaum etwas
im Kampf dagegen getan, weil auch das nicht im Interesse des
Kapitalismus liegt.
Trägt das Klimathema dazu bei, dass der Widerstand gegen den Westen größer wird?
Ich denke, schon. Es gibt heute eine neue Generation von Afrikanern, die
diese Zusammenhänge verstanden hat. Macron spricht in diesem Kontext
von antifranzösischer Stimmung, die angeblich auf dem Vormarsch sei.
Doch darum geht es nicht. Die Menschen sind sich einfach der kulturellen
und rassischen Verachtung bewusst geworden und wollen sich
emanzipieren. Es ist dieser Widerstand, der im Mittelpunkt des Konflikts
in Mali steht – nicht Russland oder der Dschihadismus.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Die Zeiten sind hart, und jeder weiß, worum es geht. Es liegt also an
uns, die Verhältnisse zu verändern. Dabei sollten wir aber nicht
vergessen, dass alle afrikanischen Anführer, die in der Vergangenheit
versucht haben, die Interessen ihrer Völker zu vertreten, getötet, ihre
Regierungen destabilisiert oder auf die eine oder andere Art und Weise
marginalisiert wurden. Es wird in Afrika also keine Demokratie geben
können, solange die Demokratie in den angeblich entwickelten Ländern,
die heute mit denselben Schwierigkeiten wie die sogenannte dritte Welt
konfrontiert sind, in der Krise steckt. Tatsächlich sind im Westen
aktuell große demokratische Rückschritte zu beobachten. Man könnte
sagen, diese Staaten befinden sich jetzt selbst auf dem Weg Richtung
»dritte Welt«. Vielleicht können wir ja dann auf Augenhöhe miteinander
sprechen
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