Montag, 5. Dezember 2022

Recht statt Willkür - Arnold Schölzel - RotFuchs Dezember 2022

 

Entnommen: https://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2022/RF-299-12-22.pdf


RotFuchs, Dezember 2022


Recht statt Willkür

Das Ende der Sowjetunion zog eine historische Phase nach sich, in der sich der
Imperialismus unter Führung der USA, der „einzigen Weltmacht“, nicht mehr ans Völkerrecht gebunden fühlte. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zogen seit 1991 zumeist ohne UN-Mandat, also illegal, in einen kolonialen Krieg nach dem anderen und richteten unermeßliches Leid an. Sie haben 30 Jahre lang angedeutet, wozu sie fähig sind – die Drohung mit Atomwaffen eingeschlossen.

In der Ukraine stieß der Westen 2014 erstmals seit 1991 auf ernsthaften Widerstand und konnte das Recht des Stärkeren nicht wie gewohnt durchsetzen. Nach dem Putsch von Nationalisten und Faschisten in Kiew erhoben sich die Arbeiter im Donbass und bewaffneten sich. Seither führt Kiew gegen sie Krieg, den der Westen finanziert, läßt seit acht Jahren Nazibataillone in Wohngebiete, auf Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser schießen und kann darauf vertrauen, daß das in westlichen Medien ignoriert wird. Der längste Krieg in Europa nach 1945, der nach Kiewer Angaben etwa 15 000 Tote gekostet hat, ist im Bewußtsein der Westeuropäer nicht vorhanden. Die Aufständischen erreichten auf Grund militärischer Siege die Abkommen Minsk I und Minsk II – USA und NATO taten alles, um sie zu torpedieren. Als Kiew im Frühjahr 2021 eine Art Blitzkrieg gegen den Donbass beginnen wollte, konnten die russischen Streitkräfte das unterbinden. Sie legten die Führung der Kiewer Armee funkelektronisch lahm. Im Februar 2022 unternahm Kiew einen zweiten Anlauf, verdoppelte und verdreifachte den Beschuß des Donbass. Hunderttausende mußten fliehen, Wolodymyr Selenski stellte sich in München vor die Sicherheitskonferenz und drohte indirekt mit eigenen ukrainischen Atomwaffen. All das war Bruch des Völkerrechts. Der Westen verfiel aber – einschließlich der Führung der deutschen Linkspartei – in Hysterie wegen „Völkerrechtsbruchs“, als die russischen Streitkräfte ab dem 24. Februar in den achtjährigen Krieg auf seiten der Donbass-Republiken eingriffen. Deren Krieg ist jedoch ein antifaschistischer Verteidigungskrieg. Wie 2014 gelang es dem Westen und Kiew nicht, die Ukraine in kurzer Zeit einzunehmen. Im Gegenteil. Die russischen Streitkräfte kontrollieren hinter einer 900 Kilometer langen Front mit 70 bis 80 Kilometer Tiefe rund 20 Prozent des Territoriums der Ukraine. US-Generalstabschef Mark Milley urteilte am 16. November, die Wahrscheinlichkeit eines militärischen ukrainischen Sieges sei „nicht sehr hoch“.

Es wäre vorschnell, das als Eingeständnis des militärischen Scheiterns zu bezeichnen, aber da der oberste US-General gleichzeitig und bereits zum zweiten Mal in einer Woche auf eine politische Lösung drängte, läßt sich feststellen: Den westlichen Scharfmachern vom Schlage Annalena Baerbock („Unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten“) und der Kiewer Machtclique wurden Grenzen gesetzt.

Wladimir Putin ordnete am 27. Oktober bei seinem mehrstündigen Auftritt im WaldaiKlub das Geschehen in der Ukraine in einen großen historischen Zusammenhang ein. Aus seiner Sicht geht die „historische Periode grenzenloser Dominanz des Westens in der Weltpolitik zu Ende“. Vor uns liege wahrscheinlich „das gefährlichste, am wenigsten vorhersehbare und gleichzeitig wichtigste Jahrzehnt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“. Der Westen sei unfähig, die Menschheit allein zu leiten, obwohl er es verzweifelt versuche. Die Mehrheit der Völker der Welt wolle diese Vorherrschaft schon nicht mehr hinnehmen. Wörtlich: „Das ist der Hauptwiderspruch unserer Epoche. Wie der Klassiker Lenin sagte: die Situation ist in gewissem Maße revolutionär: Die Oberen können und die Unteren wollen nicht mehr so leben wie bisher.“

Träfe das zu, hätte die Menschheit die Chance, das – wie der verstorbene italienische Philosoph Domenico Losurdo schrieb – „kolumbianische Zeitalter“, das von kapitalistischem Kolonialismus und dem Recht des Stärkeren geprägt war, nach mehr als 500 Jahren hinter sich zu lassen. Losurdo formulierte als Ziel: „Tatsache ist, daß die Sache des Friedens nicht von der Sache der Demokratisierung der internationalen Beziehungen trennbar ist.“ Voraussetzung dafür ist der Umgang aller Staaten miteinander nach den Maßstäben des Rechts, nicht nach denen der Macht. Die Länder des ausgeplünderten Südens fordern das, gestützt auf China und Rußland, stärker denn je. Freiwillig aber gibt der Westen sein Machtprivileg nicht auf. Daher sind – auch das zeigt die Ukraine – die Gefahren so groß wie nie.

Arnold Schölzel


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