Steinmeier sorgt sich um die Lage
in China und der Ukraine
Von Wolfgang Bittner
Den deutschen Bundespräsidenten erfüllt „die Lage in China mit tiefer
Sorge“ und ebenfalls die Lage in der Ukraine – so Frank-Walter
Steinmeier am 28. November in einem Interview mit der Deutschen
Welle.[1] Ob er sich um die Lage in Deutschland sorgt, ist unbekannt.
Bekannt ist allerdings, dass Steinmeier sich als Atlantiker versteht und
ein NATO-Propagandist ist.[2]
Insofern reagierte er mit Verständnis auf die Proteste in China gegen
die dortige Corona-Politik, worüber viel berichtet wurde, und erklärte:
„Die Bilder, die uns aus Peking und mehreren chinesischen Städten
erreichen, bewegen mich.“ Als Demokrat könne er nur sagen: „Die Freiheit
der Meinungsäußerung ist ein wichtiges Gut. Und ich kann das, was wir
sehen, nur mit der Hoffnung verbinden, dass die staatlichen Behörden in
China dieses Recht der Meinungsäußerung, der Demonstrationsfreiheit
achten." Dass Steinmeier die zunehmende Unterdrückung der Meinungs-,
Presse- und Demonstrationsfreiheit in Deutschland bewegt, kann freilich
bezweifelt werden.
Auch die Sorge um die ukrainische Bevölkerung treibt den
Bundespräsidenten um: "Wir haben gesehen, was auf die Menschen in der
Ukraine zukommen könnte: Not, Dunkelheit und Kälte". Er verurteilte die
Angriffe Russlands auf Zivilisten und auf die Gas- und Stromversorgung
in der Ukraine und sagte: "Ich glaube, das ist ein Teil der
Kriegsstrategie, die wir hier sehen. Wir haben nicht nur einen brutalen
Angriffskrieg, der militärisch geführt wird gegen die ukrainische Armee.
Sondern wir haben – und das wird sichtbarer, je näher wir dem Winter
kommen – einen brutalen Angriff auf kritische Infrastruktur und damit
natürlich auf die Zivilbevölkerung.“
Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Kiew und Moskau hält Steinmeier
trotz der Eskalation des Krieges mit zigtausend Toten derzeit für „wenig
sinnvoll“: „Alle Empfehlungen, jetzt einen Waffenstillstand zu machen,
sind natürlich leichtfertig, weil ein Waffenstillstand zu diesem
Zeitpunkt das absegnen würde, was an Unrecht schon stattgefunden hat.
Ein Waffenstillstand jetzt würde bedeuten, dass Russland besetztes
Gebiet für sich behält. Und damit die Grenzverletzungen, die Missachtung
des Völkerechtes und der Landraub auch noch abgesegnet wird.“ Damit
befindet sich Steinmeier im Einvernehmen mit Washington und
dementsprechend mit der ukrainischen Regierung. Ihn erfüllt tiefe Sorge
„über die Lage der Menschen im Kriegsgebiet“, aber die Zeit für
Gespräche ist nach seiner Meinung noch nicht gekommen.
In demselben Interview begrüßte der Bundespräsident die Absicht des
Deutschen Bundestages, den sogenannten Holodomor in der Ukraine als
Völkermord anzuerkennen. Danach hat die Sowjetführung Anfang der
1930er-Jahre Millionen Menschen systematisch verhungern lassen. Dass
weite Teile der Sowjetunion , also nicht nur die Ukraine, von einer
Hungersnot betroffen waren und die von der ukrainischen Regierung
propagierte Sichtweise geschichtswissenschaftlich höchst umstritten ist,
scheint Steinmeier nicht zu interessieren.
Offensichtlich ist dem Bundespräsidenten alles recht, was Russland
provoziert und dessen Ansehen in der Welt schädigt. Zum „Holodomor“
(einem Begriff, der Assoziationen an den Holocaust auslösen soll) hat
Steinmeier eine eigene Interpretation: „Es war die bewusste Strategie in
den Jahren 1932 und 1933 des Stalin-Regimes, Teile der Bevölkerung der
damaligen Sowjetunion hungern zu lassen.“ Er sei „sehr, sehr dankbar“,
so betonte er, dass sich das deutsche Parlament – im Sinne der
ukrainischen Geschichtsauslegung – mit dieser Sache befasse.
Der Ukraine-Krieg kann also sowohl auf dem Schlachtfeld als auch
propagandistisch weitergehen, Diplomatie ist für den früheren
Außenminister, aber auch für die Atlantiker im Bundestag und in den
EU-Gremien, nicht angesagt. Im Gegenteil, es wird gewissenlos gehetzt,
provoziert und Kriegspropaganda betrieben. Dabei wirken die deutschen
Medien kräftig mit, indem sie tagtäglich berichten, das russische
Militär greife erbarmungslos Einrichtungen der zivilen Infrastruktur der
Ukraine an, wodurch die Bevölkerung in eine „grausame Notlage“ gebracht
werde.
Am 23. November 2022 hat deswegen das EU-Parlament Russland mit einer
Mehrheit von 494 (von 705) Abgeordneten wegen „vorsätzlichen Angriffen
und Gräueltaten“ gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu einem
„Terrorstaat“ erklärt[3] – ein weiterer Schritt in die Eskalation.
Wie scheinheilig und verfehlt diese Politik und Medienpropaganda ist,
wird schlaglichtartig deutlich, wenn man dazu eine Stellungnahme des
ehemaligen Pentagon-Beraters Colonel Douglas Macgregor zur Kenntnis
nimmt. In einem beachtenswerten Interview sagte er unter anderem: „Wir
reden immer von ziviler Infrastruktur. Aber wenn du im Krieg bist und
das Stromnetz versorgt deine Armee, und du [die russische Armee]
zerstörst das Stromnetz, dann nicht, weil du der Bevölkerung schaden
willst. Sondern du versuchst, das Militär vom Zugang zu Energie
abzuschneiden. Also sollten wir eines verstehen: die Russen haben nicht
absichtlich Zivilisten als Ziel ausgewählt – umgekehrt jedoch gibt es
eine Menge Beweise, dass der amerikanische HIMARS-Raketenwerfer von den
Ukrainern wissentlich zum Angriff auf Zivilisten in Donezk, Luhansk, der
Krim und anderen Orten eingesetzt wurde. Darüber redet keiner, weil ja
die Ukraine immer makellos, demokratisch und perfekt ist, und Russland
böse, autoritär und fürchterlich. Aber in Wahrheit bietet die
ukrainische Seite keinen schönen Anblick.“[4]
In den deutschen Medien wurde darüber nicht berichtet. Auch nicht über
den Paradigmenwechsel in der Einschätzung des Ukrainekrieges auf
westlicher Seite, den kein Geringerer als der Vorsitzende des
Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der USA, General Mark Milley,
einleitete, als er am 10. November 2022 in einem Interview in der New
York Times – entgegen der Politik Joseph Bidens – zu Verhandlungen mit
Russland aufrief.[5] Die NachDenkSeiten kommentierten: „Mehr als die
Russen fürchtet er offenbar die Inkompetenz und Hybris der Bidens,
Blinkens, Nulands, Selenskis und Baerbocks dieser Welt.“[6] [ Ob Milley
sich letztlich durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten.
Von Wolfgang Bittner ist 2019 „Der neue West-Ostkonflikt“ erschienen und 2021 „Deutschland – verraten und verkauft“.
Quellen
[1] Siehe: Deutsche Welle, 28.11.2022; www.dw.com/de/steinmeier-lage-in-china-erfüllt-mich-mit-tiefer-sorge/a-63915679
[2] Dazu im Einzelnen Wolfgang Bittner, „Der neue West-Ost-Konflikt“, zeitgeist Verlag 2019, S. 273 ff.
[3] ARD Tagesschau, 23.11.2022; www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-russland-terrorismus-101.html
[4] NachDenkSeiten, 26.11.2022; www.nachdenkseiten.de/?p=90830
[5] Ebd. Siehe auch: www.nytimes.com/2022/11/10/us/politics/biden-ukraine-russia-diplomacy.html
[6] Ebd.
Erstveröffentlichung: www.nachdenkseiten.de/?p=90995
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