MORGENROT
LEBENS-TRÄUME
IN
TITANIC-ZEITEN
Unter
diesem Titel veröffentlichte der Autor Harry Popow im
veröffentlichte der Autor Harry Popow im Juni 2022 aus aktuellem
Anlass sein neues Buch.
Sprache: Deutsch
Format: DIN
A5 hoch
Seiten: 482
Altersempfehlung: Erwachsene (18 -
99)
Erscheiungsdatum: 18.06.2022
ISBN: 9783756506316
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Leseproben
10.
Folge
S.112
Posten auf dem Damm
Hochwasser im Norden der DDR. Die Deiche an der Oder/Neiße könnten brechen. Oder mutwillig zerstört werden. Die Armee muss sie schützen. Auch Henrys Zug muss ran. Henry hebt manches Schriftstück auf, so z. B. Briefe der Einsatzleitung der KKK-Schwedt/Oder an ihn, den Vorgesetzten: „An die Genossen Abschnittsleiter. Mit Kurier erfolgte die Auslieferung von 20 Fackeln für die Ausleuchtung des Deiches bei der Feststellung von Gefahrenstellen. Die Fackeln sind so im Abschnitt zu lagern, dass die Verwendung bei Gefahr sofort möglich ist. Die trockene Lagerung ist dabei zu berücksichtigen. Im Zuge der Information ist über die Lagerungsorte zu berichten.“ 2. Brief: „Gemäß gegebener Weisung war bis zum 13.7.58 ein Plan über die im Abschnitt vorhandenen Materialien für die Deichverteidigung zu erarbeiten ... Welche Reservekräfte stehen den Abschnittsleitern zur Verfügung? (Insassen von Internaten, Lehrlingsheime, Erntehelfer, Bevölkerungsteile usw.) (...) Die gegenwärtige Kampfaufgabe, Schutz unseres Kreises vor den Wassermassen der Oder, fällt in der Zeit der Durchführung des V. Parteitages der SED. Die Lösung der schweren Aufgabe zur Abwendung einer Katastrophe muss verbunden werden mit der Information über die großen Perspektiven des sozialistischen Aufbaus in der DDR. Das Studium der Dokumente des V. Parteitages muss deshalb durch die rechtzeitige Bereitstellung der Parteipresse gewährleistet sein. B., Oberleutnant der VP.“
Ein Brief von seiner Mutter, der Henry wieder einmal traurig stimmt: „Immer noch keine Post von Dir. (...) Meine Arbeit ist nicht schwer, aber die Menschen um mich machen es mir unerträglich schwer. Ich werde schief angeguckt, viele grüßen mich nicht - man gibt mir zu verstehen, dass ich eine ‚Fremdkörper‘ bin. Nur der Kaderleiter sagt mir ‚durchhalten, Kopf hoch‘. Seelisch leide ich aber sehr, da ich, welche seiner Zeit in Pommern im Jahre 1943-44 ohne Zögern Kriegsgefangenen Nachrichten aus Moskau hören ließ, und am Rande der Vergasungsbunker in einem KZ nur durch Zufall vorbeigegangen bin - alles um eine neu, besseres Deutschlands willen, heute nach 13 Jahren Sieges über den Faschismus, werde ich in einem rein Deutschem Unternehmen wie eine Ostarbeiterin im Jahre 1942 behandelt. (...) Es sind natürlich nur bürgerliche Kräfte, aber deren sind viele.“
Ein Sonntag. Sophias Brief liegt vor Henry. Trost- und mutlos überfliegt er noch einmal die schrägen, mit Bleistift geschriebenen Zeilen seiner Schwester. Sie wollte ihn gestern besuchen, mit einer Freundin. Er hatte sich gefreut, drei Einzelzimmer im „Berliner Hof“ bestellt, für Sonntag sogar Campingsachen bereit gelegt, und sie kam nicht. Henry war viermal am Bahnhof. Es ist ein Schlag, wie er ihn lange nicht mehr erlebt hat. Die Pralinen, für sie bestimmt, aß er schließlich selbst hintereinander, bei anderer Gelegenheit hätte er sie nicht einmal gekostet. Heute, am Sonntag, wären sie zu dritt wandern und baden gegangen - zum Wollitzsee. Schade. Dafür paddelte Henry in einem gemieteten Faltboot - fünf Stunden lang. Alleine!
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