Mittwoch, 8. Juni 2022

"Wenn die EU zur Vernunft kommt..." - Lawrow - LZ

 

Entnommen: https://linkezeitung.de/2022/06/07/lawrow-wenn-die-eu-zur-vernunft-kommt-werden-wir-sehen-wie-es-weitergeht/


Lawrow: „Wenn die EU zur Vernunft kommt, werden wir sehen, wie es weitergeht“



VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 7. JUNI 2022 ⋅ 3 KOMMENTARE


von Thomas Röper – http://www.anti-spiegel.ru

Nachdem Bulgarien und andere Länder geplanten den Besuch des russischen Außenministers in Serbien durch ein Überflugverbot für sein Flugzeug verhindert haben, hat er sich den Fragen der internationalen Presse gestellt und ist sehr deutlich geworden.


Nachdem die EU Russland in den letzten Monaten und Jahren immer deutlicher „den Mittelfinger gezeigt“ hat, ist in Russland nun die Geduld am Ende. Die russische Regierung wendet sich immer mehr von der EU und ihren Mitgliedern (auch von Deutschland) ab und sagt das auch sehr offen. Das ist keine neue Entwicklung, schon im Oktober fragte das russische Außenministerium in Richtung Brüssel, „worüber kann man mit solchen Leuten reden?“ Diese Entwicklung nimmt nun aber immer mehr Fahrt auf.

Jetzt haben einige südeuropäische Länder dem Flugzeug des russischen Außenministers den Überflug untersagt, als er Serbien besuchen wollte. Dieser noch nie dagewesene Affront ist ein weiterer Tiefpunkt in den ohnehin de facto nicht mehr existenten Beziehungen zwischen der EU und Russland.

Dazu hat der russische Außenminister internationalen Journalisten nun eine Pressekonferenz gegeben, in der erstens die russischen Ziele und Interessen noch einmal dargelegt hat, aber auch sehr deutliche Worte in Richtung EU gefunden hat. Wie sehr Russland sich nach all den Provokationen der EU (inklusive Deutschland) von Europa abgewendet hat, wurde dabei sehr deutlich.

In der Vergangenheit haben Vertreter der russischen Regierung sich noch diplomatisch in Richtung EU geäußert und Verständnis dafür gezeigt, dass die EU nicht souverän, sondern ein Vasall der USA ist. Seit die EU aber offen einen Selbstmordkurs eingeschlagen hat und die Entscheidungsträger der EU und der meisten ihrer Mitgliedsstaaten lieber wirtschaftlichen und politischen Selbstmord begehen, anstatt sich zumindest auf ihre lebenswichtigen eigenen Interessen zu besinnen, hat Russland die EU offensichtlich aufgegeben und hält sich nun nicht mehr mit diplomatischen Formulierungen auf.

Ich habe die gesamte Pressekonferenz des russischen Außenministers Lawrow übersetzt, um die russische Sicht auf die aktuellen Fragen und Probleme der internationalen Politik ungefiltert zu zeigen, was westliche Medien leider nicht tun, obwohl ihre Vertreter bei der Pressekonferenz dabei waren.

Beginn der Übersetzung:

Lawrow: Liebe Kollegen!

Gestern Abend und heute Morgen gab es viele Fragen von Seiten der Medien zu unserer Reaktion auf die beispiellosen Entscheidungen einiger Mitglieder des Nordatlantischen Bündnisses. Sie haben den russischen Außenminister daran gehindert, die Republik Serbien zu besuchen.

Das Undenkbare ist geschehen. Ich habe Verständnis für das Interesse, das an unserer Bewertung dieser ungeheuerlichen Aktionen gezeigt wurde. Ein souveräner Staat wurde seines Rechts beraubt, Außenpolitik zu betreiben. Die internationalen Aktivitäten Serbiens, zumindest die gegenüber Russland, sind bis auf Weiteres blockiert.

Lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden. Dies ist ein weiterer klarer und lehrreicher Beweis dafür, wie weit die NATO und die Europäische Union gehen können, wenn es darum geht, die geringsten Mittel zur Beeinflussung derjenigen zu nutzen, die sich von ihren nationalen Interessen leiten lassen und nicht bereit sind, ihre Grundsätze und ihre Würde zugunsten der vom Westen auferlegten „Regeln“ anstelle des Völkerrechts zu opfern. Wenn der Besuch des russischen Außenministers in Serbien im Westen fast als universelle Bedrohung empfunden wird, dann muss es dort sehr schlecht stehen.

In letzter Zeit gab es „Schreie“, dass Serbien „eine endgültige Wahl“ treffen müsse. Gestern verkündete der ehemalige schwedische Ministerpräsident und Außenminister Bildt lautstark, das Schlimmste, was Serbien für den Fortschritt seiner europäische Perspektive tun könne, sei, den russischen Außenminister in Belgrad zu empfangen. Wie gefällt Ihnen das? Vor einigen Tagen, als mein Besuch angekündigt wurde, veröffentlichte der US-Botschafter in Serbien, Hill, einen großen Artikel mit dem Titel „Es gibt keinen dritten Weg – Ost oder West“, in dem er genau in dieser Form und Logik über die Perspektiven der Beziehungen Serbiens zu den USA, der Europäischen Union und der Russischen Föderation argumentierte. Selbst ein unbedarfter Beobachter würde verstehen, dass in Brüssel nicht nur kein Platz ist für die in der UN-Charta verankerte souveräne Gleichheit der Staaten, sondern auch nicht für die berühmt-berüchtigte Wahlfreiheit, von der Brüssel ständig spricht.

In unseren Gesprächen im vergangenen Jahr haben wir den Amerikanern und den NATO-Mitgliedern vorgeschlagen, einen Vertrag über die europäische Sicherheit zu schließen. Uns wurde gesagt, dass die NATO keinen der Grundsätze der Unteilbarkeit der Sicherheit, einschließlich der Unzulässigkeit der Stärkung der eigenen Sicherheit auf Kosten anderer, akzeptieren wird. Sie akzeptiert nur den Grundsatz der freien Wahl der Partner. Nun hat der Westen auch dieses Prinzip, das er früher an die Spitze seiner Agenda stellte, mit Füßen getreten.

Aus Sicht des Westens darf Serbien keine Freiheit bei der Wahl seiner Partner haben. Dieser Zynismus überrascht uns nicht. Der Westen macht deutlich, dass er „Druck machen“ wird, und er schreckt dabei auch vor unlauteren Mitteln nicht zurück.

Diese Heuchelei wurde uns mehrfach vor Augen geführt, unter anderem bei der tragischen Bombardierung Jugoslawiens im Jahr 1999 durch diejenigen, die an ihren Sieg im Kalten Krieg und an ihr Recht glaubten, die Welt ausschließlich nach ihren eigenen „Schablonen“ zu gestalten. Diese Mentalität hat sich in dem Ereignis, über das wir jetzt sprechen, gezeigt.

Ich weiß, dass es viele Erklärungen geben wird, bis jetzt haben wir sie noch nicht gehört. Die Länder, die sich geweigert haben, das russische Flugzeug passieren zu lassen, werden behaupten, dass es ihnen von der EU und der NATO befohlen wurde. Die NATO wird ihrerseits behaupten, dass diese Länder eine unabhängige Entscheidung getroffen haben. Das alles kennen Sie sehr gut. Das ist nicht das wichtigste, sondern wichtigste ist, dass niemand unsere Beziehungen zu Serbien zerstören kann.

Es waren zur richtigen Zeit wichtige Treffen mit Präsident Vucic, Außenminister Selakovic, dem Präsidenten der Nationalversammlung Dacic und Geistlichen der serbisch-orthodoxen Kirche geplant. Das wäre sehr nützlich gewesen. Über alle anderen Kanäle laufen diese Kontakte weiter. Herr Selakovic wurde eingeladen, in naher Zukunft Russland zu besuchen. Ich hoffe, dass das Flugzeug, mit dem er fliegen wird, ob Linienflug oder Sonderflug, nicht einer weiteren beschämenden „Bestrafung“ durch Brüssel und seine „Klientel“ ausgesetzt sein wird, die jeden Anstand verloren haben.

Es war geplant, eine breit angelegte Agenda zu besprechen. Wir wollten über die sich rasch entwickelnde strategische Partnerschaft in den bilateralen Beziehungen und in internationalen Angelegenheiten sprechen. Offenbar wollten uns die Brüsseler „Puppenspieler“ in der serbischen Hauptstadt mal wieder keine Plattform bieten, um die russische Position zu den Problemen im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina zu bekräftigen. Sie wollten nicht, dass wir unsere Unterstützung für die Initiative Belgrads zur Umsetzung des Projekts „Offener Balkan“ im Interesse der Heilung und Stärkung der Beziehungen zwischen allen Ländern dieser Region zum Ausdruck bringen.

Jetzt ist für uns offensichtlich: Brüssel, die NATO und die Europäische Union wollen den Balkan in ihr eigenes Projekt, den „geschlossenen Balkan“, verwandeln. Andere Schlussfolgerungen sind aus dem, was wir jetzt erleben, schwer zu ziehen.

Frage: Welche Maßnahmen werden ergriffen, um das Treffen zu ermöglichen? Sie sagten: Die Tatsache, dass drei Länder den Luftraum geschlossen haben, ist ein noch nie dagewesener Schritt. Besteht die Gefahr, dass das nun zur Norm wird? Werden die Minister den Luftraum schließen, um diese Länder abzuschneiden?

Lawrow: Für die Europäische Union und die NATO ist das bereits zur Norm geworden. Ich habe das Beispiel des „Lärms“ genannt, der mit dieser Entscheidung einherging. Im Westen waren sie in den Medien und in Reden einzelner Politiker zu hören.

Sie haben immer mehr Angst vor der Wahrheit und versuchen, sich in eine fiktive Fake-Realität zu flüchten, die ihre Bildschirme, sozialen Netzwerke und alle Informationsquellen füllt. Sie haben auf eigene Initiative alle alternativen Medien vollständig abgeschaltet. Sie wollen das Problem bei Wahlen durch Täuschung ihrer Wähler lösen. Wenn diese Entscheidung getroffen wurde, und daran besteht kein Zweifel, dann hat Brüssel entschieden, dass es über das Schicksal aller Länder Europas entscheiden wird.

Das zeigt einmal mehr, was der von den EU-Beitrittskandidaten angestrebte Status wirklich kostet. Die Erklärung ist einfach. Es wurde wiederholt erklärt – unter anderem von dem kriegslüsternen Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Borrell, der fordert, dass die ukrainische Situation ausschließlich „auf dem Schlachtfeld“ entschieden werden müsse, um „Russland zu besiegen“ -, dass die Beitrittskandidaten, selbst in der Phase der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft, der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik uneingeschränkt und bedingungslos folgen müssen. Sie ist, wie jeder weiß, in hohem Maße anti-russisch „angespitzt“. Das ist die Antwort auf die Frage, was die Länder erwartet, die versuchen, einen Interessenausgleich im Rahmen der Aufrechterhaltung und des Ausbaus ihrer Beziehungen zur Europäischen Union und zu Nicht-EU-Mitgliedstaaten zu finden.

Wir begrüßen die mutige Haltung Serbiens in dieser Hinsicht. Präsident Vucic hat persönlich betont, dass er sich nicht an anti-russischen Aktivitäten beteiligen werde. Und das ist genau das, was die EU will: dass sich alle Kandidaten zur Russophobie bekennen.

Die Situation hat gezeigt, was die Mitgliedschaft Montenegros und Nordmazedoniens im Nordatlantischen Bündnis kostet und warum die NATO solche Länder braucht: einzig und allein, um Russland zu „bestrafen“, den anti-russischen Brückenkopf in Europa zu erweitern und Drohungen und Abschreckungsmechanismen zu schaffen. Das entspricht keineswegs den Anforderungen von Artikel 10 des Washingtoner Abkommens zur Gründung der NATO. Er sieht vor, dass neue Mitglieder die Kriterien erfüllen und, das ist das wichtigste, einen Mehrwert für das Bündnis erbringen müssen, um die Sicherheit aller Mitglieder zu erhöhen.

Welche und wessen Sicherheit haben Montenegro und Nordmazedonien gestärkt? Aber als Instrument zur Eindämmung Russlands, als „Mitläufer“ für die großen „Onkel“, haben sie ihre Rolle recht gut erfüllt. Ich habe Mitleid mit diesen Ländern. Es sind zwei Nationen, die mit uns befreundet sind. Sie haben dort eine wunderschöne Natur und eine Geschichte, die sie in Ehren halten, sie schätzen unsere Beziehungen in der Vergangenheit. Doch die gegenwärtigen politischen Realitäten haben diese Länder und Völker in eine wenig beneidenswerte Lage gebracht.

Was die Antworten betrifft. Wir werden niemals etwas tun, was die Beziehungen zwischen den Völkern noch schwieriger macht. Das ist es, was unsere westlichen Partner tun. Sie sehen sich zu Hause mit Problemen konfrontiert, nicht nur, weil sie die sozioökonomische Situation in eine ernste Sackgasse treiben, sondern auch, weil sich immer mehr vernünftige Menschen in Europa zu fragen beginnen: Warum sollte man sich Russland zum Feind machen? Immer mehr Menschen erinnern sich daran, dass wir gemeinsam mit vielen europäischen Ländern die große, stolze und ruhmreiche Geschichte geschrieben haben.

Apropos Geschichte: Ich möchte auf den gescheiterten Besuch in Serbien zurückkommen. Unter anderem sollte die Ewige Flamme der Befreier von Belgrad feierlich besucht werden. Es sollte ein Eintrag in das Buch der Ehrengäste erfolgen. Ich hatte vor, folgenden Text zu schreiben. Sehen Sie es so, dass ich ihn jetzt dem serbischen Volk übergebe.

„Wir werden das Andenken an die sowjetischen und jugoslawischen Soldaten, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen sind, würdig ehren. Serbien und Russland sind solidarisch in ihren Bemühungen, die Wahrheit über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu bewahren. Lassen wir nicht zu, dass der Nationalsozialismus wieder auflebt“.

Ich bitte, dies als meine Botschaft an alle zu verstehen, die dieses majestätische Denkmal in Belgrad besuchen.

Frage (aus dem Serbischen übersetzt): Könnten Sie uns sagen, wie es dazu kam, dass Sie daran gehindert wurden, nach Serbien zu fliegen, indem Ihnen der Luftraum von drei Ländern gesperrt wurde? Was war der Grund? Bedeutet das nicht, dass Sie auch auf anderen Routen von den EU- und NATO-Mitgliedstaaten behindert werden? Oder geht es nur um Ihren Besuch in Serbien?

Lawrow: Ich kann nicht über andere Routen über EU- und NATO-Mitgliedstaaten spekulieren. Im Moment haben wir keine Pläne für Gespräche. Es gibt keine Einladungen von den Ländern, die zur Zeit Mitglied der NATO sind. Und ich erwarte niemanden in Moskau.

Was die Gründe angeht. Sie wurden schon vor einigen Tagen in der serbischen und kroatischen Presse sowie in anderen Ländern des westlichen Balkans diskutiert. Es gab zum Beispiel die Version, dass Lawrow nun einer der unerwünschtesten Gäste in Serbien sei, weil er beschlossen habe, dem deutschen Bundeskanzler Scholz, der in buchstäblich wenigen Tagen auf den Balkan reist, „zuvorzukommen“. Der deutsche Regierungschef soll verärgert und sogar beleidigt gewesen sein, dass Serbien sich zu diesem seiner Meinung nach unhöflichen Schritt entschlossen hatte. Ich überlasse das dem Gewissen der Analysten, die so etwas schreiben. Ich finde es nicht nur beschämend für die Menschen, über die sie schreiben und deren Reaktionen sie vorherzusagen versuchen, sondern vor allem für die Medien selbst, die mit einer solchen „Übung“ versuchen, zusätzliche Leser oder Zuschauer zu finden.

Frage (aus dem Serbischen übersetzt): Da Serbien seit Beginn des Konflikts in der Ukraine von beiden Seiten im Zusammenhang mit den Ereignissen, mit denen es nichts zu tun hat, unter Druck gesetzt wurde. Wird Russland, im Gegensatz zu einigen westlichen Ländern, mehr Verständnis für die nationalen Interessen und die Position Serbiens aufbringen?

Lawrow: Die Antwort ist eindeutig ja. Wir können sehen, wie heftig der Westen auf die Geschehnisse in der Ukraine reagiert. Das beweist, dass wir recht haben, wenn wir der Welt zeigen, warum die Militäroperation eingeleitet wurde, und die Rückschau der langjährigen Bemühungen zu zeigen, die wir unternommen haben, um Bedrohungen nicht irgendwo zehntausend Kilometer von der Russischen Föderation entfernt, sondern direkt an unseren Grenzen abzuwenden. Die USA halten sich für berechtigt, „heute“ zu erklären, dass Belgrad eine Bedrohung für sie – die weltweite oder europäische Sicherheit – darstellt, und „morgen“ mit der Bombardierung Belgrads zu beginnen. Dann, nach ein paar Jahren, beschließen sie, dass ein anderes Land, das auch zehntausend Kilometer von den USA entfernt ist, nämlich der Irak, eine Bedrohung darstellt, und sie löschen Städte vom Angesicht der Erde und töten Hunderttausende von Zivilisten. Dann beschließen sie, dass es jenseits des Atlantiks ein Land namens Libyen gibt, das ebenfalls eine Bedrohung für die USA darstellt und vernichtet werden muss.

Wir haben schon lange erklärt, dass das Vorrücken der NATO, die Unterstützung des Staatsstreichs in der Ukraine und die Sabotage des hart erkämpften Minsker Abkommens durch Poroschenko und Selensky inakzeptabel sind. All diese Warnungen wurden ignoriert. Die russische Bevölkerung in der Ukraine wurde weiterhin vollkommen diskriminiert, Gesetze zum Verbot der russischen Sprache wurden erlassen und eine nationalsozialistischen Ordnung wurde in der Theorie und der Praxis des Nationalsozialismus eingeführt. Der Westen applaudierte all dem und präsentierte der Welt diesen ganzen Prozess als Errungenschaft echter Demokratie und unterstützte weiterhin die neonazistischen ukrainischen Streitkräfte bei ihrem täglichen Beschuss von Zivilisten und ziviler Infrastruktur im Donbass. Uns blieb keine andere Wahl.

Ich habe über all das ausführlich gesprochen, jetzt erinnere ich daran. Aber die Linie Brüssels auf dem Balkan und in der Ukraine ist ein und dieselbe. Nur dass die EU auf dem Balkan diejenigen segnet, die die Interessen der Serben verletzen, während die NATO und die EU in der Ukraine ein Regime unterstützen, das seit langem allem Russischen den Krieg erklärt hat. Das ist eine interessante Beobachtung. Ich habe das erwähnt, als ich den Medien in Bosnien und Herzegowina ein Interview gegeben habe. Es sind die Vermittlungsbemühungen der EU. Auf dem Balkan wurde nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ohne Referendum ein Prozess „entfesselt“. Die EU wurde von der UN-Generalversammlung aufgefordert, zwischen Pristina und Belgrad zu „vermitteln“, was sie auch erfolgreich tat: 2013 wurde eine Vereinbarung über die Gründung der Gemeinschaft der serbischen Gemeinden im Kosovo erzielt. Im Jahr 2014, als in der Ukraine der Staatsstreich stattfand und die „Anti-Terror-Operation“ gegen den Donbass und die Russen begann, vermittelte die EU ebenfalls, und das Ganze gipfelte in der Unterzeichnung des Minsker Abkommens, in dem bestimmte Regeln festgelegt wurden, wie auch bei den serbischen Gemeinden im Kosovo.

Die EU hat feierlich versprochen, den Sonderstatus des nördlichen Kosovo und der Ostukraine zu unterstützen. Bei dem Status ging es nicht um komplizierte Dinge: den Menschen zu erlauben, ihre Muttersprache zu sprechen, Serben auf Serbisch, Russen in der Ukraine auf Russisch, die Kinder in den Schulen in ihrer Muttersprache zu unterrichten, diese Sprache im Alltag zu benutzen und eine gewisse Autonomie in Fragen der Strafverfolgung, der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarregionen, im Fall des nördlichen Kosovo zu Serbien, bei der östlichen Ukraine zu Russland, zu haben. Es wurden identische Vereinbarungen getroffen, um nationale Minderheiten in voller Übereinstimmung mit den internationalen europäischen Konventionen über die Rechte dieser Personengruppen zu respektieren. In beiden Fällen hat die EU verkündet, dass sie erfolgreich war. In beiden Fällen hat die EU kläglich versagt und musste später zugeben, dass sie Kiew nicht zur Einhaltung des Minsker Abkommens, und Pristina nicht zur Einhaltung der mit Belgrad geschlossenen Abkommen bewegen konnte. Hier gibt es Gemeinsamkeiten in der Art und Weise, wie die EU an die verschiedenen Regionen unseres gemeinsamen geopolitischen Raums herangeht, welche Ziele sie verfolgt und ob sie handlungsfähig und in der Lage ist, Absprachen einzuhalten.

Frage: Welche Rolle kann die Türkei Ihrer Meinung nach bei der Normalisierung der Lage in der Ukraine spielen, zumal sie behauptet, eine solche „Vermittlungsplattform“ zu sein? Wie vielversprechend ist das Format, das sich zunächst mit der ukrainischen Seite abzeichnete und dann von der Ukraine selbst „torpediert“ wurde? Wie beurteilen Sie die Position Ankaras in Bezug auf den möglichen Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO?

Lawrow: Die letzte Frage werde ich gar nicht kommentieren. Das ist eine souveräne Angelegenheit Ankaras, genau wie bei jedem anderen Land, das Mitglied des einen oder anderen Bündnisses, einer Allianz oder Organisation ist. Irgendwo habe ich gehört, dass einige der „eifrigen“ EU-Mitglieder aus den baltischen Ländern bei der Erörterung des sechsten „Sanktionspakets“ gegen Russland forderten, Ungarn das Stimmrecht zu entziehen, weil es die Konsensregel missbrauche. Aber das ist eine paradoxe Behauptung. Konsens bedeutet nur eines: Alle sind dafür. Wenn nur einer dagegen ist, gibt es keinen Konsens. Daher kann niemand die Grundsätze des Konsenses untergraben, wenn er sich gegen etwas ausspricht. Ich lasse das beiseite und überlasse es den NATO-Leuten, das selbst zu klären. Ich hatte bereits die Möglichkeit, das zu kommentieren. Wir werden sehen, wie dieser Prozess weiterläuft. Das Einzige, was uns Sorgen bereiten kann, ist die Frage, ob der Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO eine direkte physische und materielle Bedrohung für unsere Sicherheit darstellt. Die Tatsache, dass das die politische Lage nicht verbessern wird, ist meiner Meinung nach für jeden vernünftigen Politiker offensichtlich.

Was die militärische Seite anbelangt, so werden wir sehen, was kommt.

Zur Rolle der Türkei. Ja, sie hat ihren eigenen Standpunkt, den sie nicht verbirgt. Wir sind bei weitem nicht in allen Fragen einer Meinung. Wir haben sogar ziemlich ernsthafte Differenzen über eine Reihe von Aspekten der Situation in der Region. Unser Zusammenspiel in der Syrien und später in der Libyen-Krise hat gezeigt, dass unsere Präsidenten ihre Standpunkte klar darlegen und die Positionen des jeweils anderen respektieren. Anstatt Fragen, in denen die Standpunkte auseinandergehen, zum Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zu machen, versucht Moskau, auf die Bedenken Ankaras einzugehen, und Ankara versucht, auf die Bedenken Moskaus einzugehen. In diesem Sinne hatten wir vor kurzem ein Telefongespräch über die Probleme, die der Westen in den letzten zwei Jahren in Bezug auf die Ernährungssicherheit geschaffen hat und die durch die vom Westen verhängten sinnlosen Sanktionen noch verschärft wurden. Dann fing der Westen plötzlich an, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie sich auf die Nahrungsmittellieferungen in verschiedene Länder der Welt auswirken würden.

Ja, wir und die Türkei haben ein Interesse daran, diese Probleme zu lösen. Der russische Präsident Putin hat in seinem jüngsten Interview detailliert dargelegt, wie die Lebensmittellieferungen aus den von der Ukraine verminten Schwarzmeerhäfen und den von der Russischen Föderation kontrollierten und geöffneten Häfen am Asowschen Meer freigegeben werden können. Es gibt zuverlässige Routen durch die Straße von Kertsch zum Bosporus und zu den Dardanellen. Fachleute reisen heute bereits in die Türkei. Meine Delegation wird morgen dorthin reisen. Ich hoffe, dass wir nicht nur in der Lage sein werden, einen Schlusspunkt zu setzen, was unsere Staats- und Regierungschefs tun müssen, sondern auch in der Lage sein werden, die Optionen, von denen der russische Präsident Wladimir Putin gesprochen hat, in allen Einzelheiten auszuarbeiten. Die Einzelheiten hängen ausschließlich von denen ab, die mit der Ukraine arbeiten müssen, um sie zu verpflichten, die Minen in ihren eigenen Häfen zu räumen, und von denen, die alle Hindernisse beseitigen müssen, um die Schiffe, die Getreide und andere Nahrungsmittel zu den Häfen in Europa und von dort zu den Häfen in den Entwicklungsländern bringen, zu versichern und instand zu halten.

Frage: Großbritannien hat erklärt, dass es der Ukraine Mehrfachraketenwerfer liefert, um ihr bei der Verteidigung gegen russische Truppen zu helfen. Die USA tun dasselbe. Sie nannten das einen riskanten Weg. Aber wenn Russland die Ukraine nicht angegriffen hätte und es keine russische Invasion gegeben hätte, hätte es auch keine Lieferung von Raketensystemen gegeben. Sind Sie damit einverstanden?

Lawrow: Ich werde nicht einmal versuchen, mir die Schuhe der USA oder des Vereinigten Königreichs anzuziehen. Sie wollen unsere Argumente gar nicht hören. Es geht nicht um „wenn wir nicht angegriffen hätten, hättet Ihr nichts getan.“ Ich spreche von der Tatsache, dass Sie, die Briten, die Amerikaner und alle anderen NATO-Mitgliedstaaten seit zwanzig Jahren dazu aufgerufen sind, das zu tun, wozu sich 1999 alle verpflichtet haben: Niemand wird seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer stärken. Warum können Sie das nicht tun? Warum hat sich das, was Ihr Premierminister und die Präsidenten und Premierminister aller anderen OSZE-Länder unterzeichnet haben, als Lüge erwiesen? Stattdessen sagen Sie, wir sollten die NATO in Ruhe lassen, das gehe „uns nichts an“ – sie nimmt auf, wen auch immer sie will, das sollen wir akzeptieren. Fünfmal sind Sie, das „Verteidigungsbündnis“, unseren Grenzen näher gekommen. Als der Warschauer Pakt und die UdSSR verschwanden, gegen wen haben Sie sich da verteidigt? Fünfmal haben Sie selbst entschieden, wo die Verteidigungslinien verlaufen. Was ist das? Das ist schon Größenwahn.

Nun erklärt Stoltenberg, dass die NATO in der indopazifischen Region globale Verantwortung übernehmen muss. Ihre nächste Verteidigungslinie wird also im Südchinesischen Meer liegen. Wenn man sich ansieht, was vor sich geht, wird es völlig klar: Sie dachten all die Jahre, Sie hätten das Recht, sich fernab Ihrer Grenzen gesetzlos zu verhalten. Ich verstehe, dass Sie nostalgisch an das britische Empire denken, Ihre verlassenen „Samen“ liegen dort weit weg. Das ist Ihre Nostalgie. Gebiete jenseits des Ozeans werden von Washington zu einer Bedrohung erklärt und dem Erdboden gleichgemacht: Mal das irakische Mosul, dann das syrische Raqqa, dann Belgrad. In Libyen wütet die Gesetzlosigkeit, Staaten sind zerstört worden.

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Nachbar Irland, das die Hälfte der betreffenden Insel einnimmt, würde die englische Sprache verbieten, oder Belgien würde die französische abschaffen, oder die Schweiz würde die französische, deutsche oder italienische Sprache abschaffen. Wie würde Europa das sehen? Ich werde diesen Gedanken nicht weiter entwickeln. Europa hat entspannt zugeschaut, als die russische Sprache verboten wurde. Das ist in der Ukraine passiert. Bildung, Medien, alltägliche Kommunikation – all das wurde verboten. Zur gleichen Zeit wurden die Russen acht Jahre lang von einem Regime bombardiert, das sich offen zum Nationalsozialismus bekannte und ihn verherrlichte.

Ich verstehe, dass Sie Ihre „Wahrheit“ mit „abgehackten Phrasen“ in die Köpfe Ihrer Zuhörer hämmern müssen: „Wenn Ihr nicht angegriffen hättet, hätten wir keine Mehrfachraketenwerfer geliefert.“ Putin hat die Situation kommentiert, die im Zusammenhang mit der Ankunft der neuen Waffen entstehen würde. Ich kann nur hinzufügen: Je mehr Langstreckenwaffen Sie liefern, desto weiter werden wir die Linie, von der die Neonazis die Russische Föderation bedrohen können, von unserem Territorium entfernen.

Frage: Russland hat bei den Gesprächen mit der Ukraine im März gefordert, dass Kiew die Unabhängigkeit des Donbass und die Zugehörigkeit der Krim zu Russland anerkennt. Beabsichtigt Russland nun, von Kiew die Anerkennung der Unabhängigkeit des Gebiets Cherson und von Teilen des Gebiets Saporoschje, die jetzt von russischen Streitkräften kontrolliert werden, oder deren Eingliederung in Russland?

Lawrow: Die Menschen, die in den befreiten Gebieten leben, beantworten diese Frage. Sie sagen, sie wollen ihre Zukunft selbst bestimmen. Wir respektieren diesen Standpunkt voll und ganz.

Ich wiederhole die erklärten Aufgaben. Der Westen hat beschlossen, Waffen zu liefern, die offensichtlich in der Lage sind, nicht nur die Grenzregionen, sondern auch entlegenere Regionen der Russischen Föderation zu „erreichen“. In der Ukraine selbst lachen Politiker und Abgeordnete über die Amerikaner, die sagen, dass sie an Selensky glauben: Sie sagen, er habe angeblich versprochen, nicht auf Russland zu schießen. Wenn das die Reaktion der Vereinigten Staaten und ihrer Satelliten auf die Geschehnisse ist, möchte ich noch einmal betonen: Je mehr Langstreckensysteme an das Kiewer Regime geliefert werden, desto weiter werden wir die Nazis von der Linie abdrängen, von der eine Bedrohung für die russische Bevölkerung der Ukraine und der Russischen Föderation ausgeht.

Frage: Was erwarten Sie von Ihrem bevorstehenden Besuch in Ankara? Wird ein spezifischer Mechanismus zur „Getreide-Frage“ verkündet werden? Wird die Frage der Fortsetzung der russisch-ukrainischen Gespräche in Istanbul erörtert werden?

Lawrow: Ich habe diese Frage bereits beantwortet. Das Thema der Gespräche wurde in einem Telefongespräch zwischen den Präsidenten Russlands und der Türkei praktisch umrissen.

Präsident Putin hat in seinem kürzlichen Interview ausführlich die besten Möglichkeiten für den Getreideexport dargelegt. Was von uns abhängt, machen wir schon lange. Seit mehr als einem Monat erklärt das russische Militär sowohl im Schwarzen Meer als auch im Asowschen Meer humanitäre Korridore für die Ausfahrt ausländischer Schiffe, die dort von der ukrainischen Regierung faktisch als Geiseln gehalten werden. Damit Schiffe diese Korridore nutzen können, müssen die Ukrainer die Minen in den Korridoren räumen. Unsere türkischen Kollegen haben ihre Bereitschaft erklärt, dabei zu helfen. Ich denke, unser Militärs werden sich darüber einigen, wie das am besten zu bewerkstelligen ist, damit die Schiffe durch die zu entfernenden Minenfelder auf das offene Meer fahren können. Dann werden wir – entweder allein oder mit unseren türkischen Kollegen – garantieren, dass sie zur Meerenge und weiter zum Mittelmeer geführt werden.

Das Konzept ist sehr klar. Wir sprechen schon seit langem darüber. Es wird versucht, es so darzustellen, als ob Russland irgendetwas nicht wolle, als ob es notwendig sei, eine Organisation wie die UNO einzuschalten oder eine Resolution des UN-Sicherheitsrates zu verabschieden. Wir haben all diese „Spiele“ schon gehabt. Jeder, der die Aufgabe, Getreide aus den ukrainischen Häfen abzutransportieren, auch nur das kleinste bisschen ernst nimmt, weiß ganz genau, dass nur eines zu tun ist: Selensky den Befehl zu erteilen, die Minen in den Häfen zu räumen und sich nicht länger hinter der Behauptung zu verstecken, dass Russland das ausnutzen würde. Präsident Putin hat gesagt, dass wir das nicht ausnutzen werden und dass wir bereit sind, dieses Problem ehrlich zu lösen. Ich möchte betonen, dass wir schon seit langem alles tun, was in unserer Macht steht.

Frage: Immer mehr Länder versuchen, sich an der Lösung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Kiew zu beteiligen, die durch die laufende Militäroperation Russlands in der Ukraine und die damit verbundenen Schwierigkeiten entstanden sind. Welche der vorgeschlagenen Vermittlungsoptionen hält Moskau derzeit für die realistischste und akzeptabelste?

Lawrow: Die realistischsten Vorschläge wurden ohne jegliche Vermittlung beim Treffen der russischen und ukrainischen Delegationen am 29. März dieses Jahres in Istanbul unterbreitet. Die ukrainische Seite hat sie unterbreitet. Wir haben sie sofort als Grundlage akzeptiert. Dann zog die ukrainische Seite diese Vorschlägen unabhängig, oder auf Diktat von Washington, London oder Brüssel, zurück. Westliche Analysten erklären, dass eine „Vermittlung“ nicht möglich ist, die Ukraine fordert bedingungslos, dass die Situation vom 24. Februar dieses Jahres wiederhergestellt wird.

Die Ukraine will nicht verhandeln. Sie hat das abgelehnt. Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass Kiew damit den Willen der angelsächsischen Führung der westlichen Welt umsetzt. Wir waren bereit, ehrlich auf Grundlage der Vorschläge unserer ukrainischen Kollegen zu arbeiten. Der auf Grundlage dieser Vorschläge ausgearbeitete Entwurf eines Abkommens liegt ohne Bewegung seit fast eineinhalb Monaten auf der ukrainischen Seite.

Frage: Was die Provokation Bulgariens, Nordmazedoniens und Montenegros betrifft, wurde diese Position Ihrer Meinung nach mit Brüssel oder unmittelbar mit Washington abgestimmt? Oder ist es der Wunsch dieser Länder, sich Washington und Brüssel „beliebt zu machen“? Ist Europa insgesamt jetzt für unsere Diplomatie geschlossen?

Lawrow: Ich weiß nicht, was der Grund ist, ein Befehl oder der Wunsch, sich beliebt zu machen, aber Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich denke, es ist eine Kombination aus beidem. Wahrscheinlich haben sie seit langem die Anweisung, keinen Schritt von der Politik der Eindämmung Russlands abzuweichen, darum der Wunsch, sich beliebt zu machen. Vielleicht wurden es ihnen erst gestern befohlen. Das wissen wir nicht.

Wir unterhalten nach wie vor diplomatische Beziehungen zu den meisten westlichen Ländern, einschließlich aller unfreundlichen Staaten. Ich habe jedoch wiederholt auf die wichtigste geopolitische Schlussfolgerung aus dieser Situation hingewiesen: Es ist nicht mehr möglich, sich mit Europa auf etwas zu einigen und sicher zu sein, dass Europa es umsetzen wird. Wenn dieser „dämonische“ Schlamassel vorbei ist und Europa zur Vernunft kommt, werden wir sehen, wie es unsere weiteren Beziehungen sehen wird. Wir werden uns nicht aufdrängen. Was sie uns anbieten werden, werden wir natürlich abwägen und prüfen. Wenn es unseren Interessen nicht zuwiderläuft, sind wir bereit, die Kontakte wieder aufzunehmen.

Ende der Übersetzung



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