Entnommen: https://linkezeitung.de/2022/06/28/die-neue-weltordnung-wird-auf-den-truemmern-europas-errichtet/
„Die
neue Weltordnung wird auf den Trümmern Europas errichtet“
VERÖFFENTLICHT
VON LZ ⋅ 28. JUNI 2022
von Thomas Röper –
http://www.anti-spiegel.ru
Auch diese Woche hat der
Deutschland-Korrespondent des russischen Fernsehens wieder eine
Einschätzung der politischen Lage dargelegt, wie man sie im
deutschen Fernsehen sicher nicht zu sehen bekommt.
Wie
praktisch jede Woche, so war der Korrespondentenbericht aus
Deutschland, den das russische Fernsehen in seinem wöchentlichen
Nachrichtenrückblick gebracht hat, sehr deutlich. Ich übersetze
diese Berichte gerne, weil es interessant ist, sich anzuschauen, wie
von außerhalb der westlichen Medienblase über Deutschland und die
EU berichtet wird. Die Überschrift dieses Artikels ist ein Zitat aus
den Bericht, das Sie ganz am Ende – quasi als Fazit –
finden.
Beginn der Übersetzung:
Wohin
Europa der Hass auf Russland bringt
Der Gaskonflikt
der EU mit Russland erreicht eine neue Stufe. Der deutsche
Wirtschaftsminister Habeck hat die Gaskrise im Land ausgerufen und
dazu aufgerufen, „den Gasverbrauch zu reduzieren, wo immer es
möglich ist.“ Angefangen bei sich selbst, hat Habeck „die Zeit
zum Duschen deutlich reduziert.“ So hat er das gesagt. Im Netz
kursieren bereits Witze: Wenn Bundeskanzler Scholz eine „beleidigte
Leberwurst“ ist, dann ist Habeck eine „stinkende Leberwurst.“
Wie komisch. Hauptsache es geht nicht bis zu den Flohfallen. (Anm. d.
Übers.: Das ist eine Anspielung auf einen Beitrag aus dieser Sendung
von Ende April, den ich auch übersetzt habe, Sie finden ihn
hier.)
Die Umstellung auf Gasmangel lässt Europa auch ohne
russische Düngemittel bleiben. Als nächstes kommt vielleicht ein
Boykott von russischem Getreide, um auch anderen zu verbieten, es zu
kaufen. Am Freitag sprach Putin auf dem BRICS-Gipfel über den
Zynismus: „Ich glaube, er wird der französischen Königin Marie
Antoinette zugeschrieben, die, als sie aus dem Fenster ihres Palastes
auf eine Menge hungriger, streikender Bürger blickte, einmal
gleichgültig sagte: ‚Nun, wenn sie kein Brot haben, sollen sie
doch Kuchen essen.‘ Das ist genau der Zynismus, mit dem einige
westliche Länder, die die weltweite Agrarproduktion destabilisieren,
jetzt an diese Fragen herangehen, indem sie beispielsweise Sanktionen
auf russische und weißrussische Düngemittel verhängen und die
Ausfuhr russischen Getreides auf die Weltmärkte erschweren. Übrigens
haben wir eine gute Ernte, so Gott will, wird alles gut werden, und
die 37 Millionen Tonnen, die wir in diesem Jahr auf den Weltmarkt
geliefert haben, werden wir höchstwahrscheinlich auf 50 Millionen
Tonnen Getreide erhöhen können.“
Gleichzeitig stimmen die
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dafür, der
Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren. Das
verpflichtet niemanden zu irgendetwas, aber in Kiew herrscht
Jubel.
Ein Bericht unseres Deutschland-Korrespondenten.
Der
Flughafen München empfängt einen Regierungsflieger nach dem
anderen. Sieben Jahre sind vergangen, und Schloss Elmau – ein
lauschiges Plätzchen in den bayerischen Alpen, wo man
Globalisierungsgegner auf Distanz halten kann – wartet wieder auf
die Führer der „freien Welt.“ Keiner der heutigen Gäste in
Elmau war auf dem damaligen G7-Gipfel, aber die Jahre haben nichts an
den Themen geändert. Damals wie heute drehen sich alle ihre Gedanken
um Russland und Putin.
Im Jahr 2015, wenige Monate nach dem
Minsker Abkommen, diskutierten die Staats- und Regierungschefs der –
ihrer Meinung nach – führenden Volkswirtschaften der Welt über
den „eingefrorenen Konflikt“ in der Ukraine, heute muss man ihn
zu irgendwie akzeptablen Bedingungen erneut „einfrieren“, und
nach außen hin scheint es, als gäbe es in diesem Kollektiv ein
gemeinsames Verständnis dessen, was man als akzeptabel
betrachtet.
„Die gute Nachricht ist, dass wir alles getan
haben, um geeint zu bleiben, was Putin offensichtlich in keiner Weise
erwartet hat“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.
„Und das
ist zu einem nicht geringen Teil Ihnen zu verdanken, zu einem nicht
geringen Teil Ihnen, im Ernst. Wir müssen zusammenhalten. Denn Putin
hat von Anfang an damit gerechnet, dass sich die NATO und die G7
irgendwie spalten würden, aber das haben wir nicht und das werden
wir auch nicht tun“, betonte Joe Biden.
Das ist die Version
für das Publikum, aber es gibt eine verborgene Seite der Geschichte.
Es gibt eine grundlegende Zurückhaltung zwischen den „Verbündeten“,
die natürlich nicht erwähnt wird: Es liegt im Interesse der USA und
ihres gehorsamen Vollstreckers Großbritannien, diesen schwelenden
Konflikt so lange wie möglich in Gang zu halten, um Russland
maximalen Schaden zuzufügen. Soll Europa dabei die Last der
Kollateralschäden tragen. Im Gegenzug wollen Deutschland, Frankreich
und Italien, dass das „Einfrieren“ zu einer endgültigen, ein für
alle Mal gültigen Lösung führt.
Am Rande des Treffens
werden Scholz, Draghi und wahrscheinlich auch Macron den kanadischen
Premier Trudeau auffordern, die reparierte Turbine an Gazprom
zurückzuschicken, damit Nord Stream 1 endlich wieder volle Kapazität
erreicht und weil sie sonst im Winter ohne Gas dastehen; die
Gasspeicher sind derzeit nur zu 50 Prozent gefüllt. Der deutsche
Energieminister Habeck spricht mit unverhohlener Verärgerung über
seine Landsleute, die so sehr an Energieüberfluss gewöhnt sind,
dass sie sich nicht zum Energiesparen zwingen lassen: „Die Sturheit
muss aufhören! Es klingt lustig: Energieminister Habeck rät, den
Duschkopf auszutauschen, um 30 Prozent Energie zu sparen. Ha-ha-ha!
Wir bekämpfen Putin mit einem Duschkopf. Aber diese Maßnahmen führt
zu einem greifbaren Ergebnis“, sagt Habeck.
Der Herr
Minister selbst hat in einem Interview mit dem Spiegel zugegeben,
dass er nie länger als fünf Minuten duscht, und diese Zeit hat er
nun auch reduziert. Aber wenn Nord Stream 1 einfach abgeschaltet
wird, weil es an funktionierenden Aggregaten und Ersatzteilen mangelt
– was Berlin nicht ausschließt -, dann ist alles vorbei, selbst
wenn alle Deutschen aus der Dusche springen, ohne zu warten, bis das
Wasser lauwarm wird.
„Wenn nicht genügend Gas vorhanden
ist, müssen einige Industriezweige, die Gas benötigen, stillgelegt
werden. Als Wirtschaftsminister kann man da keine richtigen
Entscheidungen treffen, allenfalls weniger falsche. Dann werden alle
Prozesse der Marktwirtschaft auf Eis gelegt. Für einige Branchen
wird das eine Katastrophe. Wir sprechen hier nicht von zwei Tagen
oder Wochen, sondern von einer langen Zeit. Wir sprechen von
Menschen, die dann arbeitslos werden, von Regionen, die ganze
Industriekomplexe verlieren werden“, sagte Habeck.
In dieser
Woche stellte Habecks Büro die zweite Stufe des
Energienotstandsplans in Deutschland vor, der Verbrauchsstandards für
Industrien festlegt, die Gas als Rohstoff für Kunststoffe und
chemische Produkte verwenden. Die dritte Stufe, die in der zweiten
Winterhälfte droht, ist die Umstellung auf Gas nur für private
Haushalte, Schulen und Krankenhäuser. Und in Anbetracht der Kosten
pro Kilowattstunde drohen auch weit verbreitete Stromausfälle.
Es
gibt natürlich die radikale Idee, Gazproms Verlängerung von Nord
Stream-2 auf dem Landweg zu enteignen, sie vom Seeteil abzuschneiden
und sie mit den im Bau befindlichen LNG-Terminals in der Ostsee zu
verbinden, aber das ist Zukunftsmusik. Von den deutschen Grünen ist
nur noch der Name geblieben, denn sie haben entschieden,
Kohlekraftwerke zu reaktivieren und den Himmel nach althergebrachter
Art zu vernebeln. Aber auch das ist nicht einfach – Europa hat fast
die Hälfte seiner Kessel- und Hüttenkohle aus Russland bezogen, und
jetzt braucht man wieder Zeit und Geld, um eine neue Logistik
aufzubauen, und das, obwohl die Forderung der Massen, alles wieder so
zu machen, wie es war, in den letzten Tagen recht deutlich zu hören
war.
In Bulgarien kam es zu einem praktischen Ergebnis – die
Regierung von Kirill Petkov, die sich als erste in Europa geweigert
hat, für russisches Gas in Rubel zu zahlen, wurde gestürzt. Für
die Bulgaren war es danach sofort vorbei mit russischem Gas. Das neue
Kabinett wird ein Mandat erhalten, die Beziehungen zu Gazprom
wiederherzustellen – in Rubel, aber wahrscheinlich zu neuen
Preisen. Das Umfeld des ehemaligen Premierministers hat die russische
Botschaft beschuldigt, das Misstrauensvotum organisiert zu haben,
aber diese Behauptung ist nichts im Vergleich zu der erstaunlichen
Initiative schwedischer Aktivisten, die eine Untersuchung gegen Greta
Thunberg fordern. Es besteht der Verdacht, dass die Aktivitäten der
minderjährigen Öko-Aktivistin – all die Schulschwänzungen im
Rahmen der „Fridays for Future“ – von Moskau finanziert wurden,
um den Energiemarkt durch eine übermäßige Ausrichtung auf grüne
Technologien destabilisieren und – als Folge davon – die
Preisexplosion und die galoppierende Inflation ausgelöst zu
haben.
In Großbritannien liegt sie jetzt bei 9 Prozent, was
erst zum Jahresende erwartet wurde, was bedeutet, dass sie
zweistellig sein wird, was seit den 1970er Jahren nicht mehr der Fall
war. Das Land wird diese Woche von einem Streik der Eisenbahner
heimgesucht, dem sich bald auch die Beschäftigten der nationalen
Fluggesellschaft British Airways anschließen werden. Für den
britischen Premierminister Johnson ist der Erfolg der Ukraine um
jeden Preis eine Frage des politischen Überlebens. Aber er hat eine
beunruhigende Vorahnung: „Ich weiß, dass es schwierig ist. In
Großbritannien ist es schwierig. Ich weiß, dass die Preise für
Lebensmittel zu den Preisen für Benzin aufgeschlossen haben. Zu
viele Länder schauen sich das an und sagen: ‚Das ist ein unnötiger
europäischer Krieg. Das sind wirtschaftliche Probleme, die wir nicht
brauchen.‘ Und so wird der Druck wachsen, die Ukrainer vielleicht
zu einem schlechten Frieden zu bewegen oder zu
zwingen.“
Kontinentaleuropa ist der Ukraine eindeutig
überdrüssig. Die Mittel, die direkt – in Form von Krediten,
Zuschüssen, Waffenlieferungen – und indirekt – in Form von
Sanktionen – für das Land ausgegeben wurden, zahlen sich nicht
aus. So stellt Foreign Policy nicht nur beim französischen
Präsidenten Macron, sondern auch bei Bundeskanzler Scholz
Ermüdungserscheinungen fest: „Die Tatsache, dass in Berlin
Gerüchte über Geheimverhandlungen mit Russland kursieren, deutet
darauf hin, dass Deutschland die Ukraine lieber enttäuschen als
Russland demütigen möchte, was auch immer das heißen mag. Wenn
Putin anbietet, die Blockade von Odessa im Gegenzug für eine
Lockerung der Sanktionen oder eine Aussetzung der Feindseligkeiten in
Anerkennung einer neuen Kontaktlinie aufzuheben, werden die Stimmen
für Zugeständnisse nur noch stärker werden.“
Westliche
Analysten gehen davon aus, dass Russland mit einer halben Lösung
zufrieden sein wird. Doch bevor man etwas von der Ukraine fordert,
muss man ihr etwas geben. Etwas Schönes, aber nicht Belastendes,
etwas Unverbindliches, etwas, das Kiew seinen Bürgern als Sieg
präsentieren und was man dann als Druckmittel einsetzen könnte. Am
Donnerstag hat der Europarat der Ukraine und auch gleich der Republik
Moldawien den Status von EU-Beitrittskandidaten verliehen.
Mit
dieser politischen Geste hat die Europäische Union viele verärgert.
Sie hat Georgien verärgert, das in dieser Hierarchie nun eine Stufe
unter der Ukraine steht, so etwas wie ein Kandidat zum Kandidat. Sie
hat alle Westbalkanländer enttäuscht: Bosnien und Herzegowina,
Albanien, Nordmazedonien, die seit vielen Jahren in der Warteschlange
stehen und hoffen, dass sie endlich zum Beitritt eingeladen werden,
aber nein. In dieser Hinsicht klang die Gratulation des albanischen
Premierministers an die Ukraine zum Beitritt in den Club der
Wartenden eher giftig: „Nordmazedonien ist seit 17 Jahren ein
Kandidat. Albanien seit acht. Die Ukraine kann diesen Status gerne
erhalten. Das ist gut. Aber die Menschen in der Ukraine sollten sich
keine großen Illusionen machen.“
Der Esel und die Karotte –
dieses anekdotische Bild spiegelt perfekt die historische
Entscheidung des Europarates wider. Damit sie sich schließlich
treffen können, muss die Ukraine einen Weg der Reformen beschreiten,
den sie schon in besseren Zeiten nicht bewältigen konnte. Und der
Trick ist, dass es in der Situation militärischer Instabilität noch
unwahrscheinlicher ist, dass sie es schafft. Die EU schafft damit ein
zusätzliches Instrument der Einflussnahme auf Kiew. Oder sie denkt,
dass eines schafft.
„Alle Länder müssen ihre Hausaufgaben
machen, bevor sie in die nächste Phase des Beitrittsprozesses
eintreten können. Aber ich bin überzeugt, dass sie sich alle so
schnell wie möglich bewegen und so hart wie möglich arbeiten
werden, um die notwendigen Reformen durchzuführen, nicht nur, weil
sie notwendig sind, um auf dem Weg nach Europa voranzukommen, sondern
vor allem, weil diese Reformen gut für die Länder und gut für die
Demokratie sind“, sagte die Chefin der Europäischen Kommission
Ursula von der Leyen.
In der Vorstellung von Frau von der
Leyen gibt es das Bild einer blühenden ukrainischen Demokratie
innerhalb der Europäischen Union schon lange. Sie spricht die ganze
Zeit darüber. Die große Frage ist jedoch: Inwieweit passen die
nationalen Interessen in Washington zu denen der europäischen
Demokratien? Man sollte keine öffentlichen Enthüllungen auf dem
aktuellen G7-Gipfel oder jedem anderen Gipfel erwarten, aber in der
Praxis zeigt sich, das jeder für die USA ein Verhandlungsobjekt ist.
Es sind nur unterschiedliche Preise. Präsident Biden hat neulich
festgestellt, dass Europa in einen Zermürbungskrieg mit Russland
hineingezogen wird. Und jetzt, wo er das bemerkt hat, will er sich
diesen Überlebenskampf in Ruhe anschauen.
Das sind keine
guten Nachrichten für die EU. Man könnte sogar sagen, sie sind
ekelhaft, weshalb die europäischen Medien Bidens Bemerkung so ungern
wiedergeben. Sie haben sogar versucht, sie gar nicht zu bemerken. In
der Zwischenzeit ist es ein wichtiges Zeichen für die Veränderung
des gesamten amerikanischen Konzepts, dass das Wort „Russland“
durch „Europa“ ersetzt wird. In der neuen Fassung könnte es so
klingen: Die künftige Weltordnung wird ohne Europa, auf Kosten
Europas und auf den Trümmern Europas errichtet werden.
Ende
der Übersetzung
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