Wie der Westen das Fell des russischen Bären teilen will – 5 Szenarien der Zukunft Russlands
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 23. APRIL 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Wiktorija Nikiforowa – https://rtnewsde.com
Der US-amerikanische “Russland-Experte” Stephen Kotkin hat in einem
Artikel fünf Szenarien der Zukunft Russlands vorgestellt. Sie schwanken
von feuchten Träumen der US-Eliten bis hin zu deren Alpträumen, sagen
aber letztlich mehr über den Zustand der USA selbst als über denjenigen
Russlands aus.
Nicht weniger als fünf Szenarien für unsere Zukunft hat der bekannte
amerikanische Russland-Experte Stephen Kotkin der Öffentlichkeit
vorgestellt. Sein dreibändiges Buch über Stalin, das übrigens voll von
wütendem Hass auf die UdSSR ist, wurde bereits originalgetreu ins
Russische übersetzt und vom Verlag des Gaidar-Instituts veröffentlicht.
Damit wir nicht vergessen, wie wir über unsere Geschichte zu denken
haben. Ohne Kotkin sind wir ja aufgeschmissen.
Der Experte geht seit fast einem Jahr mit seinen fünf Szenarien für
Russland hausieren, aber in seiner jüngsten Veröffentlichung in der
Zeitschrift Foreign Affairs entwickelt er sein Konzept weiter und gibt
der amerikanischen Führung Ratschläge, was mit Russland zu tun ist und
wie man es auf den von den Amerikanern gewünschten Entwicklungspfad
bringen kann. Die Veröffentlichung ist auch für uns interessant, gibt
sie doch Einblick sowohl in die Schwächen der Amerikaner als auch in
ihre strategischen Ansätze unserem Land gegenüber.
Die Welt kann warten: Russland wird sich mit seiner Entwicklung befassen
Kotkin wendet sich auch an die prowestlichen Russen, an “die Guten”
unter uns. Deshalb zeichnet er das erste Szenario für die Zukunft
unseres Landes nach dem Ende Putins als das “russische Frankreich”.
Die These vom “zweiten Frankreich” haben wir schon einmal irgendwo
gehört. Soweit ich mich erinnere, wurde vor vielen Jahren der Ukraine
versprochen, aus ihr ein Frankreich zu machen. Irgendetwas ging dabei
offenbar schief. Noch früher sollten Georgien (Tiflis ‒ das georgische
Paris) und Armenien (Eriwan ‒ das armenische Paris) zu Frankreich
werden. Wie steht es aktuell darum?
Das “russische Frankreich” soll ein militärisch starkes Land sein, das
Washington nicht um Geld bittet und trotzdem alle Befehle von jenseits
des Ozeans treu ausführt. Klar, dass dies der feuchte Traum Washingtons
ist. Wie wir aber an den oben genannten Beispielen der ukrainischen,
georgischen und armenischen “Frankreiche” sehen können, endet dies für
die betroffenen Länder in hoffnungsloser Armut sowie verlorenen Kriegen,
Territorien und Einwohnern. Also nein, auf diese Verlockung fallen wir
nicht mehr herein.
Solche Versuchungen konnten in den 1990er Jahren funktionieren, als die
ehemalige UdSSR in Trümmern lag und Frankreich vor diesem Hintergrund
ein reiches Land zu sein schien. Aber heute liegt die russische
Wirtschaft an fünfter Stelle in der Welt, während die französische auf
den neunten Platz abgerutscht ist, der Abstand zu unseren Gunsten wird
immer größer. Und das kann jeder sehen, auch die prowestlichen Russen.
Wenn die sowjetische Mittelschicht den Traum von Europa massiv
unterstützte, so hat sie heute die Welt bereist und alles gesehen ‒ sie
lässt sich nicht mehr täuschen.
Das zweite Szenario heißt bei Kotkin “Russland in den Schützengräben”
(“Russia retrenched”). Es sieht wie ein reines Oxymoron aus. Russland
bleibt stark und “autoritär”, wird aber von einem wundersamen Herrscher
angeführt, der sich selbst zwar als “russischen Nationalisten”
bezeichnet, aber aus unerklärlichen Gründen beschlossen hat, sich aus
der Ukraine zurückzuziehen und ihr den Beitritt zur NATO zu ermöglichen.
Einen, der das Land isoliert hat und es im gesamten postsowjetischen
Raum von amerikanischen Militärstützpunkten umzingeln ließ.
Ein Rōnin, wer den Atomkrieg fürchtet: Japans Abgeordnete spielen bei russophobem Psychozirkus mit
Das hört sich wenig logisch an, zeigt aber in Wirklichkeit, welche Art
von Marionette die Amerikaner uns gern unterjubeln würden. Es sollte ein
Mann sein, der alle Interessen unseres Landes aufgeben würde, der sich
selbst aus dem Kampf um die Kontrolle im postsowjetischen Raum
ausschalten würde, aber das alles mit patriotischen Phrasen tun würde.
Was im Prinzip weder überraschend noch neu ist. Auch der Blogger Nawalny
spielte viele Jahre einen russischen Nationalisten.
Das dritte Szenario ist müde Panikmache, dass Russland “Chinas Vasall”
wird. Auch dies ist eine lächerliche Utopie. Bisher erlauben es weder
die Stärke unserer Wirtschaft, noch der Reichtum unserer Rohstoffbasis,
noch die Kampffähigkeiten unserer Armee, noch unsere Atomwaffen
irgendjemandem in der Welt ‒ nicht einmal den Vereinigten Staaten selbst
‒ unser Land zu ihrem Vasallen zu degradieren. Warum sollte es China
gelingen ‒ bei allem Respekt vor dem Reich der Mitte, natürlich?
Das vierte Szenario ist eine Abwandlung desselben Themas, wonach Russland sich in ein zweites Nordkorea verwandeln wird.
Schließlich das fünfte Szenario, und das ist der feuchteste Traum der
Amerikaner – ein totales Armageddon in unserem Land, Chaos, Rebellion,
Zerfall und Krieg aller gegen alle.
Was haben diese fantastischen Szenarien gemeinsam? Die Tatsache, dass
jedes von ihnen nur nach unserer Niederlage, und zwar einer totalen
Niederlage, auch nur die geringste Chance auf Verwirklichung hat. Und
zwar nicht nach einem situationsbedingten Rückzug in der Ukraine,
sondern nach einer Niederlage in einem echten Weltkrieg, mit allem, was
dazugehört, einschließlich des Austauschs von Atomschlägen.
Ohne eine solche Niederlage taugt Kotkins Argumentation nur als
Bewerbung für einen Science-Fiction-Actionfilm über Mütterchen Russland,
in dem immer alles brennt, explodiert und schießt, und dann kommt ein
blonder russischer Nationalist unter Glockengeläut an die Macht und
küsst den amerikanischen Präsidenten (mit Will Smith in der Rolle des
amerikanischen Präsidenten).
Interessant ist jedoch, zu welchen Schachzügen Kotkin seinen Gastgebern in der aktuellen Runde des Großen Spiels rät.
Erstens müsse man den richtigen “Nationalisten” in Russland finden, der den Amerikanern alles zu überlassen bereit ist:
“Washington muss auf einen nationalistischen Reset in Russland vorbereitet sein und ihn fleißig fördern.”
Zweitens soll versucht werden, Russland von China zu trennen, denn deren
Bündnis ist, wie die letzten Jahre gezeigt haben, absolut unschlagbar.
Um dies zu erreichen, wird Washington aufgefordert, Peking einzudämmen,
ohne auf militärische Maßnahmen zurückzugreifen. Danach solle “das
Nixon-Kissinger-Manöver” wiederholt werden. China soll bei der
Eindämmung Russlands helfen.
Die USA schleichen sich langsam aus dem Ukraine-Konflikt raus
Der wichtigste Ratschlag besteht jedoch darin, endlich die eigenen
Probleme Amerikas zu lösen. Billige Hypotheken wie in Russland müssen
her, Häuser zu vernünftigen Preisen müssen gebaut werden, denn die
schrecklichste Bruchbude kostet aktuell bereits Hunderttausende von
Dollar. Nicht weniger als eine Million Mathematiklehrer müssen in zehn
Jahren ausgebildet werden, denn die amerikanischen Schüler haben das
Rechnen verlernt, während die russischen Schüler inzwischen die
Weltolympiaden wie Peanuts knacken. Auch neue Rüstungsgüter sollten
hergestellt werden ‒ wiederum, um aufzuholen und Russland zu überholen.
An dem letztgenannten Ratschlag – die aufgestauten internen Probleme zu
lösen – können Sie sehen, wie weit die Krise in den USA fortgeschritten
ist. BIP-Zahlen können gezeichnet werden, wie man lustig ist, sie
täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass in vielen Positionen heute
die USA Russland hinterherhinken, nicht umgekehrt. Die ganze Welt kann
das sehen. Das Einzige, was diesem dekadenten Staat bleibt, sind die
besagten feuchten Träume vom Zusammenbruch und Zerfall Russlands und der
Teilung des Fells des nicht erlegten russischen Bären.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. April 2024 auf ria.ru erschienen.
https://rtnewsde.com/meinung/203511-wie-westen-fell-russischen-baeren-teilen-will/
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