Die Gefahr wird realer: Dringen Putins Warnungen vor einem Atomkrieg zu den Amerikanern durch?
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 26. APRIL 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Thomas Röper – http://www.anti-spiegel.ru
Westliche Medien und Politiker lügen ständig, Russland drohe mit einem
Atomkrieg. Dabei ist das Gegenteil der Fall, denn Russland warnt immer
eindringlicher vor der Gefahr eines Atomkrieges, aber offenbar versteht
man im Westen gar nicht, mit welchem Feuer man spielt.
Man kann durchaus sagen, dass in russischen Expertenkreisen eine
gewissen Verzweiflung vorherrscht, weil die westlichen Eliten offenbar
nicht verstehen, mit welchem atomaren Feuer sie spielen. Wer meint, eine
Nuklearmacht sei militärisch besiegbar, der scheint vergessen zu haben,
dass auch die zurückhaltendste Atommacht Gegner im Falle des eigenen
Untergangs seine Gegner mit in den Untergang reißen würde. Das gilt für
Israel, das aus diesem Grunde nicht mehr ernsthaft angegriffen wurde,
seit es ein offenes Geheimnis ist, dass Israel die Atombombe hat. Das
gilt aber auch für alle anderen Atommächte, inklusive Russland.
Im Westen wird hingegen fabuliert, Russland dürfe in der Ukraine nicht
gewinnen, oder sogar, Russland müsse den Krieg verlieren. Spätestens
letzteres würde bei dem Krieg an Russlands Grenze aus russischer Sicht
die Gefahr des Endes des russischen Staates bedeuten, was zwangsläufig
dazu führen würde, dass Russland sich gezwungen sehen würde, als letzte
Chance auf Atomwaffen zu setzen.
Das ist keine bahnbrechende Erkenntnis, die USA und alle anderen Atommächte würden ja nicht anders handeln.
Trotzdem eskaliert der Westen weiter, erhöht die Einsätze und verschärft
seine Rhetorik, was am Ende zur atomaren Katastrophe führen dürfte. Es
ist ja kein Krieg an den Grenzen der USA, der die Existenz der USA
gefährden würde, wenn der Krieg verloren geht. Man sollte im Westen mal
wieder anfangen, die Dinge auch aus der Sicht des Gegners zu sehen und
sich die Situation umgekehrt vorstellen.
Offenbar ist den Eliten im Westen nicht bewusst, mit welchem Risiko sie
spielen, und diese Sorglosigkeit und dieses Unverständnis der
Entscheidungsträger im Westen sind es, die russische Experten
buchstäblich zur Verzweiflung bringen. Schon im letzten Sommer hat ein
sehr einflussreicher russischer Experte in einem in Russland heiß
diskutierten Aufsatz gefordert, Russland solle irgendwo in Europa,
beispielsweise in Polen, eine kleine Atombombe zünden, damit der Westen
endlich versteht, worum es tatsächlich geht.
Der Experte hatte die Eskalationspolitik des Westens analysiert und sah
keine andere Möglichkeit mehr, einen großen Atomkrieg zu verhindern, als
einen nuklearen „Warnschuss“, um die Traumtänzer in den westlichen
Regierungen endlich aus ihren unrealistischen Vorstellungen zurück in
die harte Wirklichkeit zu holen.
Auch Präsident Putin hat im Februar in seiner Rede an die Nation auf
diese Gefahr hingewiesen, ohne dass es im Westen jemand gehört hätte.
Nun aber scheinen einige einflussreiche Kolumnisten in der USA doch
begonnen zu haben, das Thema zu verstehen. Darüber hat Andrej Schitow,
einer besten USA-Kenner Russlands, bei der TASS einen ausgesprochen
lesenswerten Artikel verfasst, den ich übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung:
Debatte über nukleare Drohungen: Dringen Putins Warnungen zu den Amerikanern durch?
Andrej Schitow über die Frage, ob man sich öfter mal einen Atomkrieg vorstellen sollte
In seiner Februar-Rede vor der russischen Föderalversammlung erinnerte
der russische Präsident Wladimir Putin an „das Schicksal derer, die
einst ihre Kontingente in unser Landes geschickt haben“. „Aber jetzt
werden die Konsequenzen für mögliche Interventionisten noch viel
tragischer sein“, warnte er. „Sie müssen endlich begreifen, dass auch
wir Waffen haben … die Ziele auf ihrem Gebiet treffen können.“
„Und alles, was sie sich jetzt ausdenken, womit sie die ganze Welt in
Angst und Schrecken versetzen, all das droht wirklich zu einem Konflikt
mit dem Einsatz von Atomwaffen zu werden, was die Zerstörung der
Zivilisation bedeutet – verstehen die das nicht?“, fuhr der russische
Präsident fort und fügte hinzu, dass die Leute, um die es geht,
anscheinend „schon vergessen haben, was Krieg ist“.
Ich habe Angst, es heraufzubeschwören, aber das von Putin geforderte
Verständnis scheint im öffentlichen Bewusstsein der USA allmählich
aufzutauchen – wenn nicht in der herrschenden Elite selbst, so doch
zumindest bei denen, die ihr medial und ideologisch dienen. Kürzlich
haben zwei der führenden liberalen Zeitungen des Landes – zuerst die New
York Times und dann der Boston Globe – ausführliche redaktionelle
Kommentare zum Thema der nuklearen Sicherheit abgegeben. Der Boston
Globe veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Wir müssen anfangen,
uns über die Bombe Sorgen zu machen“, begleitet von einem Video mit dem
Titel „Russland beschuldigt die Ukraine, eine Nuklearanlage angegriffen
zu haben“, in dem Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, dass die
ukrainischen Angriffe auf das Kernkraftwerk Saporoschje eine „sehr
gefährliche Provokation“ seien.
„Zeit, zu protestieren“
Das März-Special At the Brink der New York Times ist ein multimediales
Paket über nukleare Bedrohungen; ich kann mich nicht erinnern, dass ich
in den mehr als vier Jahrzehnten, in denen ich die Zeitung lese, jemals
etwas Vergleichbares gesehen habe. Der einleitende Essay der Redakteurin
der Kolumnenseite, Kathleen Kingsbury, trägt den Titel „Es ist Zeit,
wieder gegen Atomkriege zu protestieren“. In einem der Texte des
Hauptautors des Projekts, William Hennigan, wird betont: „Selbst ein
begrenzter Atomkrieg kann katastrophale Folgen haben. Im Jahr 2022
zeigte eine wissenschaftliche Studie, dass bei der Zündung von 100
Bomben der Größe von Hiroshima – weniger als ein Prozent des geschätzten
weltweiten Atomwaffenarsenals – in bestimmten Städten mehr als fünf
Millionen Tonnen Ruß in die Luft geblasen werden könnten, der den Himmel
bedeckt, die globalen Temperaturen senkt und die größte globale
Hungersnot der Geschichte verursacht. Schätzungsweise 27 Millionen
Menschen könnten sofort sterben und bis zu 255 Millionen weitere würden
in den folgenden zwei Jahren hungern und sterben.“
Die Zeitung berichtet, dass sie ihr Projekt etwa ein Jahr vorbereitet
hat. Sie schreibt: „Diese Geschichte darüber, was auf dem Spiel stünde,
wenn auch nur eine kleine Atomwaffe eingesetzt würde, basiert auf
Modellrechnungen, Recherchen und Hunderten von Stunden an Interviews mit
Menschen, die eine Atomexplosion überlebt haben, die ihr Leben der
Erforschung eines Atomkriegs gewidmet haben oder die Pläne für das, was
danach passieren würde, gemacht haben.“
Der New York Times zufolge enthüllt sie nun „zum ersten Mal die
Details“, wie Washington und Kiew „fast zwei Jahre mit der Planung
dieses Szenarios verbrachten haben“; wie im Herbst 2022 die
Wahrscheinlichkeit eines Atomschlags als Reaktion auf die geplante
Invasion der Krim durch ukrainische Streitkräfte von den
US-Geheimdiensten „auf 50:50“ geschätzt wurde; wie die USA, „auf das
Schlimmste vorbereitet, eilig Ausrüstung und Vorräte nach Europa
brachten“, einschließlich Probenentnahmegeräten und „mehr als tausend
Handdosimetern“. Beachten Sie dabei übrigens, wie Washington die
wahrscheinlichen Folgen der ukrainischen „Gegenoffensive“ einschätzte,
die sie selbst angezettelt hatten.
Das „Tiger Team“
Die New York Times berichtet auch, wie „viel früher, nur vier Tage nach
dem Beginn“ der russischen Militäroperation, eine spezielle
behördenübergreifende Arbeitsgruppe mit dem Namen „Tiger-Team“ im Stab
des Weißen Hauses unter dem Dach des Nationalen Sicherheitsrates der USA
eingerichtet wurde, um „ein neues nukleares Playbook zu entwickeln, das
Pläne und Reaktionen für verschiedene Situationen beschreibt“. Dieses
„detaillierte Menü diplomatischer und militärischer Optionen“, das „für
den Fall eines nuklearen Angriffs in der Ukraine“ entwickelt wurde,
wartet nun laut der Zeitung im Eisenhower Executive Office Building,
direkt neben dem Westflügel des Weißen Hauses, wo sich das Oval Office
des US-Präsidenten befindet, bis seine Zeit kommt.
In dem Bericht heißt es schließlich, dass der russische
Verteidigungsminister Sergej Schoigu am 23. Oktober 2022 seine Kollegen
aus den USA, Großbritannien, der Türkei und Frankreich anrief, um sie
vor einer möglichen Provokation durch die ukrainischen Streitkräfte mit
einer „schmutzigen Bombe“ zu warnen. Der Zeitung zufolge „glauben viele
in Washington“, dass das der Moment des „größten Risikos eines
Atomkriegs seit der Kubakrise von 1962“ gewesen sei. Danach nahm die
Spannung rund um das Thema der nuklearen Bedrohung allmählich ab. Jetzt
steigt sie bekanntlich – wegen der häufigeren ukrainischen Angriffe auf
das Kernkraftwerk Saporoschje – wieder an.
Die „theologische“ Frage
Ein gesonderter Kommentar in dem Paket der New York Times ist der Frage
der „alleinigen Autorität“ (sole authority) des US-Präsidenten gewidmet,
ohne den Kongress oder einen seiner Berater zu konsultieren, den
Einsatz von Atomwaffen anzuordnen. Es wird erklärt, dass diese Regel am
10. August 1945 eingeführt wurde – „nur wenige Tage nach den
Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki“; der damalige
US-Präsident Harry Truman hielt sie für notwendig, um eine
Selbstherrschaft des Militärs zu vermeiden.
Heutzutage ist das Thema natürlich besonders aktuell, wenn man den
körperlichen und geistigen Zustand des derzeitigen US-Präsidenten Joe
Biden betrachtet. Im Text ist davon allerdings keine Rede; er erwähnt
lediglich vergangene erfolglose Versuche, die Kontrolle über den
nuklearen Knopf in den USA zu verschärfen, insbesondere 1976, „als
bekannt wurde, dass Präsident Richard Nixon in den letzten Tagen seiner
Amtszeit oft betrunken und depressiv war“. Bidens Nationaler
Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte, sein Büro überprüfe derzeit, ob
die Kontrolle ausreichend sei, fügte aber hinzu, dass „das Thema
komplex, fast theologisch“ sei und „noch keine Entscheidung getroffen
wurde“.
Hennigan seinerseits bezeichnet den derzeitigen Ansatz als
„inakzeptabel“, zumindest im Hinblick auf einen nuklearen Erstschlag.
Unter Berufung auf eine Umfrage des Chicago Council on World Affairs aus
dem vergangenen Jahr weist er darauf hin, dass 61 Prozent der
Amerikaner den Ansatz ebenfalls als unbefriedigend (uncomfortable)
ansehen. „Der Kongress sollte unverzüglich einen neuen Rechtsrahmen
schaffen, der die Möglichkeiten des Präsidenten einschränkt, einen
nuklearen Erstschlag ohne die Zustimmung eines anderen hohen Beamten
anzuordnen, es sei denn, die USA werden bereits angegriffen“, schreibt
der Autor.
Man muss ja von irgendwas leben…
Übrigens wird in dem Bericht über dieselbe Umfrage insbesondere die
„wenig bekannte“ Tatsache erwähnt, dass die USA 1945 auch Tokio
bombardieren wollten und Truman seine Entscheidung, den Appetit des
Militärs zu zügeln, vor diesem Hintergrund getroffen hat. Darüber
schreibt Hennigan nicht, und Hiroshima und Nagasaki werden nur am Rande
erwähnt. Doch die New York Times veröffentlichte im Nachhinein eine
Sammlung von Leserreaktionen auf das Sonderprojekt, und in einer davon
kritisierte ein gewisser Joel Young, ein Historiker und Autor eines
kantigen Buches über den internationalen Terrorismus aus New Mexico, die
Zeitung für diese Auslassung.
„Ihre Serie ist sicherlich ein wichtiges und seit langem benötigtes
Beispiel für Kommentare und analytischen Journalismus“, schrieb er.
„Aber die New York Times hätte nicht in unverantwortlicher Weise die
Gelegenheit verpassen dürfen, jüngere Leser über die Bedeutung unseres
eigenen Handelns aufzuklären – nicht nur bei der Schaffung, sondern auch
beim weltweit ersten Einsatz von Atomwaffen, und zwar auf die
schrecklichste Weise. In der Tat verlangte nicht nur die historische
Wahrhaftigkeit, sondern auch das Gewissen, dass ein detaillierter
Bericht über unsere Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am
Anfang dieser äußerst wichtigen Serie hätte stehen sollen.“
Andererseits hat die Zeitung einen Brief von Ken Ross aus Michigan zu
veröffentlicht, in dem es heißt, dass es die Militäroperation und die
damit verbundenen Bedrohungen heute wahrscheinlich nicht gäbe, wenn die
Ukraine nicht „im Austausch für das Budapester Memorandum“ von 1994 auf
Atomwaffen verzichtet hätte. Na ja, die Andeutung ist klar: Die Zeitung,
die der regierenden US-Partei nahesteht, versucht ihr Bestes, um die
Situation gegen Russland und Putin umzudrehen. Schließlich zitierte
Kingsbury die Warnung des russischen Präsidenten vom Februar als eine
„Drohung“. Aber andererseits ist auch die allgemeine Bedeutung des
Sonderprojekts klar: Propaganda ist Propaganda, aber man muss ja von
irgendwas leben…
Außer Sichtweite und Vorstellungskraft
Der Boston Globe beginnt seinen redaktionellen Kommentar mit der
Feststellung, dass das Thema der nuklearen Bedrohung im öffentlichen
Bewusstsein der USA noch nicht den ihm gebührenden Platz eingenommen
hat. Als Beleg dafür führt die Zeitung die Tatsache an, dass dieses
Thema weder in der Rede des Präsidenten zur Lage der Nation im März noch
in den jüngsten Gallup- und Pew-Umfragen darüber, worüber sich die
Amerikaner derzeit Sorgen machen, erwähnt wurde.
„Wie kommt es, dass die offensichtlichste und dringlichste Gefahr für
die Menschheit – noch dringlicher als der Klimawandel und um mehrere
Größenordnungen zerstörerischer als Massenmigration, Inflation,
Kriminalität oder Terrorismus – für die große Mehrheit der Amerikaner so
völlig außerhalb der Sichtweite und der Vorstellungskraft (out of sight
and mind) ist?“, fragt die Zeitung. Obwohl sie sagt, sie habe noch
„Hoffnungsschimmer“, dass der jüngste Hollywood-Blockbuster
„Oppenheimer“ und das neue Buch der kalifornischen Journalistin Annie
Jacobsen, „Nuclear War: A Scenario“, ein belletristischer Bericht über
einen hypothetischen Schlag gegen die USA durch Nordkorea, die
Aufmerksamkeit auf das Thema lenken werden. Übrigens scheint es, dass es
auch auf die Leinwand kommt, und zwar nicht von irgendjemandem, sondern
von dem berühmten Kanadier Denis Villeneuve.
„Macht keine Dummheiten“
In diesem Zusammenhang solidarisiert sich der Boston Globe mit dem
Sonderprojekt der New Yorker Kollegen, fasst deren Empfehlungen zusammen
und versucht, sie zu ergänzen. Die Zeitung schreibt: „Das Problem ist
zu groß und komplex für einfache Lösungen. Aber für den Anfang könnte
der nächste Präsident Russland dazu drängen, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren und den letzten der weltweit bestehenden Atomverträge,
den NEW-START-Vertrag, zu verlängern.“ Der Vertrag über Maßnahmen zur
weiteren Reduzierung und Begrenzung strategischer Offensivwaffen läuft
im Jahr 2026 aus.
„Die New York Times empfahl, mehrere zusätzliche Maßnahmen in Erwägung
zu ziehen, darunter: den Verzicht auf den Einsatz von Atomwaffen
aufgrund bloßer Berichte über einen feindlichen Atomangriff auf die USA;
die Überprüfung der einseitigen Befugnis des Präsidenten zum Einsatz
von Atomwaffen; die strikte Begrenzung des Einsatzes künstlicher
Intelligenz bei nuklearen Startvorgängen; und die Verbesserung der
Kommunikation mit Russland und China, damit ungenaue Informationen
(misinformation) oder Falschinformationen die Welt nicht in den Abgrund
einer apokalyptischen Krise stürzen“, so der Boston Globe. All das
verdient ihrer Meinung nach eine „aktive Diskussion“, aber mit dem
Verständnis, dass „das erst der Anfang ist“.
Der Boston Globe fügt auch die Empfehlung von Hans Christensen hinzu,
der das Nuclear Information Project bei der Federation of American
Scientists in Washington leitet: „Macht keine Dummheiten“. „Zu den
schlechten Ideen, von denen einige jetzt informell im Kongress
diskutiert werden, gehören der Bau von mehr und stärkeren Waffen und die
Verpflichtung, die Waffen näher an unseren Gegnern zu stationieren“,
heißt es in der Zeitung.
„Weder das eine noch das andere, so [Christensen], wird unsere Gegner
davon abhalten, neue Waffen zu bauen, weshalb sowohl Biden als auch
Donald Trump im Wahlkampf besser auf eine harsche Nuklearrhetorik
verzichten sollten“.
Es ist erwähnenswert, dass laut Hennigan „die USA sich jetzt darauf
vorbereiten, zum ersten Mal seit 1991 neue Atomsprengköpfe zu bauen, als
Teil eines jahrzehntelangen Programms zur Modernisierung (overhaul)
ihrer Atomstreitkräfte mit geschätzten Kosten von bis zu zwei Billionen
Dollar“. „Die Grundzüge des Plans wurden 2010 entworfen, in einem ganz
anderen Sicherheitsumfeld als dem jetzigen“, so der New York Times-Autor
weiter. „Eine derzeitige oder künftige Regierung kann den Bau von noch
mehr Waffen als Reaktion auf die Erweiterung und Modernisierung der
Arsenale anderer Länder, insbesondere Russlands und Chinas, begründen“.
Der Autor musste es, wie man so sagt,direkt gerochen haben: Am 9. April
erklärten der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und der Vorsitzende
der Stabschefs Charles Brown bei einer Anhörung im Senat, das derzeitige
US-Programm sei „notwendig, aber nicht ausreichend“.
Vor diesem Hintergrund fordert der Boston Globe die amerikanische
Öffentlichkeit auf, „die Aufmerksamkeit auf die Gefahr eines Atomkriegs
zu lenken“. „Vor vier Jahrzehnten hat eine solche Massenbewegung
offenbar dazu beigetragen, den überzeugten Verfechter des Kalten
Krieges, Ronald Reagan, dazu zu bewegen, ein umfassendes
Rüstungskontrollabkommen mit der Sowjetunion auszuhandeln. Der Gedanke,
dass sich das Gleiche mit Präsident Biden – oder sogar Trump –
wiederholen könnte, ist nicht abwegig“, schreibt der Boston Globe.
„Düstere Aussichten“
Die Skepsis der liberalen Zeitung gegenüber dem Republikanerführer ist
verständlich. Aber ich erinnere mich, dass Trump der Idee der nuklearen
Sicherheit schon lange nahe steht. In seinen jüngeren Jahren diskutierte
er sogar mit Bernard Lown, dem berühmten Herzchirurgen, der die
US-Bewegung „Doctors of the World for the Prevention of Nuclear War“
anführte und der zusammen mit seinem sowjetischen Kollegen Jewgenij
Tschasow für seine Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet
wurde.
Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow, den ich zu
den Versuchen der US-Zeitungen, die nuklearen Alarmglocken zu läuten,
befragt habe, sieht in deren Aufrufen im Grunde nichts Neues. „Es ist
gut, dass die politisch gestaltenden Kreise und die führenden Medien
über die Folgen des schlimmst möglichen Szenarios nachdenken“, sagte der
Diplomat. „Aber die Urheberschaft liegt nicht bei diesen Zeitungen. All
das wurde bereits in der Ära des Kalten Krieges zwischen Moskau und
Washington beschrieben, und es waren die schrecklichen Folgen, die von
vielen führenden Wissenschaftlern auf beiden Seiten des Atlantiks
beschrieben wurden, die zu der berühmten Formel führten, dass es in
einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er nicht entfesselt werden
sollte.“
In Russland sei diese Formel immer wieder auf höchster Ebene bekräftigt
worden, auch in den letzten Jahren, so Rjabkow weiter. Im Westen
hingegen würden „elementare und im Großen und Ganzen absolut
selbstverständliche, axiomatische Dinge über Bord geworfen“, darunter
„die Vorstellung, dass es per definitionem unmöglich ist, eine Atommacht
zu besiegen“, und es würden „superaggressive und geradezu
unverantwortliche Äußerungen“ gemacht, die auf „die völlige Degradierung
der politischen Eliten“ hinwiesen. „Man hat den Eindruck, dass diese
Leute verrückt geworden sind, und ihre Bremsen völlig versagen“, sagte
er. „Aber diejenigen, die versuchen, uns auf diese Weise auf die Probe
zu stellen, sollten morgens mit dem Verständnis aufstehen, dass sie es
mit einer Atommacht zu tun habe, und sich abends damit hinlegen.“
Auf die Frage, ob es seiner Meinung nach möglich sei, mit einer
künftigen neuen US-Regierung über eine Entspannung zu verhandeln, sagte
Rjabkow: „Um zu einem Verhandlungsformat für die Besprechung der
strategischen Stabilität zurückzukehren, müssen wir, die Russische
Föderation, einen grundlegenden Wandel in der amerikanischen Politik
feststellen. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass diese enorme
destruktive anti-russische Sprengladung zumindest minimal korrigiert
wird. Daher gibt es keinen Grund, über die Wiederaufnahme von
Verhandlungen zu sprechen. Und neue Vereinbarungen werden sich nicht von
selbst ergeben. Daher sind die Aussichten für die Rüstungskontrolle als
Konzept heute sehr düster.“ Wladimir Jermakow, Leiter der Fachabteilung
des Außenministeriums, äußerte sich neulich in einem Interview mit
dervTASS in die gleiche Richtung.
„Bewahren, nicht zerstören“
Ich möchte daran erinnern, dass die Diskussion über die Grenzen des
Zulässigen im nuklearen militärischen Bereich in Russland öffentlich
wurde, nachdem Sergej Karaganow, der Ehrenvorsitzende des Präsidiums des
Rates für Außen- und Verteidigungspolitik der Russischen Föderation, im
letzten Sommer einen Artikel mit dem Titel „Eine harte, aber notwendige
Entscheidung“ veröffentlicht hatte. Darin ging es darum, dass „der
Einsatz von Atomwaffen die Menschheit vor einer globalen Katastrophe
retten könnte“. Später sagte Präsident Putin dem Autor auf der
Valdai-Tagung in Sotschi, dass er seine Position kenne und seine Gefühle
verstehe, dass er aber keine Notwendigkeit sehe, die russische
Nukleardoktrin zu ändern, weil unser Vergeltungsschlag keinem Aggressor
„eine Überlebenschance“ ließe.
Edward Luttwak, ein prominenter amerikanischer Politikwissenschaftler
und Experte des Valdai-Clubs, äußerte neulich im Online-Newsletter
UnHerd, dass Atomwaffen im Grunde nicht einsetzbar seien, auch nicht in
der Ukraine, und dass es daher „Zeit für die NATO sei, ihre Soldaten
dorthin zu schicken“. Timofej Bordatschow, ein jüngerer, aber bereits
renommierter russischer Experte, witzelte daraufhin in seinem
Telegram-Kanal, der „talentierte alte Mann“ Luttwak sei „eifersüchtig
auf Karaganows Ruhm“ – allerdings vergeblich, denn dieser sei „nicht zu
übertreffen“.
Die Diskussion geht also weiter. Viele ihrer Teilnehmer wiesen zunächst
darauf hin, dass sie an sich nützlich ist, um Standpunkte zu klären und
zu verstehen, worum es eigentlich geht. Die New York Times stimmt dem
zu: In seiner Einleitung zu seinem Haupttext betont Hennigan, dass „der
Atomkrieg oft als unvorstellbar beschrieben wird“, aber in Wirklichkeit
„wird er sich nicht so oft vorgestellt, wie es sein sollte“.
Ja, es ist in der Tat ein zeitloses Thema, wenn auch in einem
erschreckend modernen Gewand. Wie man im alten Rom zu sagen pflegte,
„memento mori“.
Und um das Gespräch nicht mit einer düsteren Note zu beenden, möchte ich
hinzufügen, dass wir am Freitag, dem 12. April, den Tag der Kosmonautik
gefeiert haben. Und einmal mehr haben wir uns an die Worte von Juri
Gagarin erinnert: „Als ich in dem Satellitenschiff um die Erde flog, sah
ich, wie schön unser Planet ist. Menschen, lasst uns diese Schönheit
bewahren und vermehren, nicht zerstören!”
Ende der Übersetzung
https://www.anti-spiegel.ru/2024/dringen-putins-warnungen-vor-einem-atomkrieg-zu-den-amerikanern-durch/
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