Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/04/16/deutschland-und-iran-wie-immer-keine-ahnung-vom-voelkerrecht/
Deutschland und Iran – Wie immer keine Ahnung vom Völkerrecht
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 16. APRIL 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Dagmar Henn – https://meinungsfreiheit.rtde.life
Und wieder eine Runde Treueschwüre auf Israel, begleitet von
Verabreichung von Fakten in extrem kleinen Dosen. Wer Zusammenhänge
erkennen will, darf sich weder auf die deutsche Politik noch auf die
deutschen Medien verlassen. Aber schon die Iren zeigen, dass es anders
geht.
Vielleicht wäre es hilfreich, einen Online-Kurs in Völkerrecht für die
deutschen politischen Eliten abzuhalten – am besten mit der Möglichkeit
einer anonymen Teilnahme, damit sie nicht die Peinlichkeit einer
Entdeckung fürchten müssen (wobei die Aussagen, die regelmäßig geliefert
werden, schon genug sichtbarer Beleg für Ahnungslosigkeit sind).
Vergeltungsschlag des Irans: Militäroperation gegen Israel wurde im Land begeistert aufgenommen
Weil man nicht immer Außenministerin Annalena Baerbock als
abschreckendes Beispiel anführen kann, hier einmal die Vorsitzende des
Rats der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs:
“Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland
hat den Angriff des Iran auf Israel als “schändlich und
völkerrechtswidrig” bezeichnet. Er sei daher “auf das Schärfste zu
verurteilen.”
Fehrs ist ziemlich typisch für die deutsche Schlagseite. Sucht man nach
Äußerungen von ihr zum Genozid im Gazastreifen, findet man nur eine
Aussage aus dem Dezember, in der sie beklagte, dass deutsche Jugendliche
einseitig informiert werden, weil sie auf TikTok zu viele Videos aus
Gaza sähen und es nur wenige “vergleichbare Bilder über den Terror gegen
Israel” gäbe. Das mag daran liegen, dass die schrecklichsten Bilder des
7. Oktobers die Folge israelischer Hubschrauberangriffe gegen Israelis
sind. Auf jeden Fall kam sie damals zu dem Fazit, man könne überhaupt
nur einen humanen Umgang mit der palästinensischen Zivilbevölkerung
fordern, “wenn wir uns zugleich fest an die Seite Israels stellen”.
Zwanzigtausend tote Palästinenser später scheint sie das immer noch so
zu sehen.
Aber natürlich irrt sie sich mit “völkerrechtswidrig”. Das, was diesem
Angriff vorhergegangen war, wird in der deutschen Berichterstattung,
wenn überhaupt, sehr verkürzt dargestellt. So etwa auf T-Online (und das
ist noch eine der besseren Varianten):
“Seit Tagen war mit einem Vergeltungsschlag gegen Israel gedroht worden
dafür, dass Benjamin Netanjahu das iranische Konsulat im syrischen
Damaskus bombardieren ließ. Hochrangige iranische Militärs kamen dabei
ums Leben. Iran wertete diesen Schlag ebenfalls als Angriff gegen das
eigene Staatsgebiet.”
Oder die Version des staatlichen Senders Deutschlandfunk:
IDF: Israel erwägt Reaktion auf iranischen Angriff
“Der Iran hatte Vergeltung für einen Israel zugeschriebenen Luftangriff
auf seine Vertretung in Damaskus am 1. April angekündigt. Bei der
Attacke wurde unter anderem ein hochrangiger Kommandeur der
Revolutionsgarden getötet. Diplomatische Vertretungen sind nach
internationalen Vereinbarungen von Angriffen ausgenommen.”
Man sieht, sie sind sich bezogen auf den israelischen Angriff nicht ganz
einig; der Deutschlandfunk macht ihn zu einem “Israel zugeschriebenen”,
als gebe es in der Region einen weiteren Kandidaten für diese Attacke.
Dafür wird hier zumindest erwähnt, dass ein Angriff auf eine Botschaft
eine Überschreitung ist, auch wenn nur halb erklärt wird, warum.
T-Online schreibt dafür, dass der Iran dies nur “als Angriff gegen das
eigene Staatsgebiet” wertete, als wäre das eine Sache der
Interpretation.
Ist es aber nicht. Zumindest nicht für jene Länder, die das
entsprechende Abkommen unterzeichnet haben. Botschaften sind
Staatsgebiet des Entsendestaates, gleich, in welchem Land sie stehen.
Womit ein Angriff auf eine Botschaft ein unmittelbarer Angriff auf das
Staatsgebiet wird, damit eine kriegerische Handlung und damit ein
Auslöser für das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta.
Zugegeben, in diesem Zusammenhang ist man in Deutschland gewissermaßen
zwanghaft blind, spätestens seit Nord Stream, was ebenfalls ein Fall für
Artikel 51 hätte sein müssen, wenn man nicht wüsste, dass die Täter in
Washington …
Die Tatsache, dass der Staat, der die iranische Botschaft in Damaskus
angegriffen hat, selbst das Abkommen unterzeichnet hat, das die
Unverletzlichkeit der Botschaften festlegt (und selbst ebendiese
Unverletzlichkeit von anderen einfordert), also die eigenen
vertraglichen Verpflichtungen verletzt hat, kommt noch hinzu. Ganz zu
schweigen von dem kleinen Problem, dass die Aufrechterhaltung des
Prinzips der Exterritorialität im kollektiven Interesse aller Staaten
liegen müsste. Nachdem eine Verurteilung des israelischen Angriffs durch
den UN-Sicherheitsrat am Westen gescheitert war, ging es also nicht nur
um eine Reaktion auf einen direkten Angriff des iranischen
Staatsgebietes, sondern um die Verteidigung eines Prinzips, von dem
sogar die Staaten des Westens profitieren, die, nebenbei bemerkt, ohne
dieses Prinzip sehr schnell in vielen Weltgegenden Schwierigkeiten
hätten, ihre diplomatische Präsenz aufrechtzuerhalten.
Protest gegen Äußerung von Scholz? Iran bestellt deutschen Botschafter ein
Eine attraktive Zusammenstellung des Nichtbegreifens lieferte der
Hessische Rundfunk, der sich die Mühe gemacht hatte, einmal quer durch
das politische Personal Hessens die Reaktionen einzusammeln. Durch die
Bank wird so getan, als sei die iranische Reaktion aus heiterem Himmel
erfolgt, dabei scheint mittlerweile ziemlich genau festzustehen, dass –
wie vor dem Vergeltungsschlag nach der Ermordung von General Quasem
Soleimani durch die USA – sogar vorgewarnt wurde.
Der bekannte Journalist Pepe Escobar fasst den Vorlauf auf seinem Telegram-Kanal folgendermaßen zusammen:
“Burns traf eine iranische Delegation im Oman. Es wurde ihm gesagt, dass
eine Bestrafung der Israelis unvermeidbar sei – und alle US-Stützpunkte
angegriffen würden und die Straße von Hormus blockiert würde, wenn die
USA sich einmischten. Burns sagte: ‘Wir tun nichts, wenn keine
Zivilisten verletzt werden.’ Die Iraner sagten: ‘Es wird ein
Militärstützpunkt oder eine Botschaft sein.’ Die CIA sagte: ‘Dann macht
es.'”
Nun zurück zu den Hessen. “Diesen schändlichen Angriff verurteile ich
auf das Schärfste! Unsere volle Solidarität gilt unseren israelischen
Freunden”, wird Ministerpräsident Boris Rhein zitiert. Der hessische
Antisemitismus-Beauftragte Uwe Becker forderte gleich, “die
diplomatischen Vertretungen Irans in Deutschland zu schließen”, also den
Abbruch der diplomatischen Beziehungen, und stellte sich mit
Israel-Flagge vor das iranische Konsulat in Frankfurt.
Innenministerin Nancy Faeser, die jüngst erst Spitzenkandidatin der
hessischen SPD in der Landtagswahl war: “All unsere Unterstützung und
Solidarität gilt den Menschen in Israel angesichts dieser beispiellosen,
brandgefährlichen und mit aller Schärfe zu verurteilenden Attacken des
iranischen Terror-Regimes.” Nicht zu vergessen, Janine Wissler von der
Linken: “Wir verurteilen den Luftangriff auf Israel auf das Schärfste.
Für die Menschen in Israel bedeutet er eine neue Stufe des Terrors. Wir
stehen klar an der Seite Israels.”
Deutschland verurteilt iranischen Angriff und bekundet Unterstützung für Israel
Nirgends auch nur der Ansatz einer Erkenntnis, dass der israelische
Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus ein glasklarer Verstoß
gegen das Völkerrecht war, auf den hin Iran auch einen Krieg gegen
Israel beginnen könnte (es aber eben nicht tut).
Das Auswärtige Amt hat selbstverständlich noch einmal nachgelegt, den
iranischen Botschafter einbestellt und erklärt, der iranische
Vergeltungsschlag sei “klar völkerrechtswidrig und durch nichts zu
rechtfertigen”. Dies jetzt durch einen Sprecher, nicht durch die
Nullstelle an der Spitze. Und Vize-Regierungssprecherin Christiane
Hoffmann meinte dann noch, dass sich “Deutschland solidarisch an die
Seite von Israel” stelle.
Wer also auch nur gehofft hat, dass ein halbes Jahr völkerrechtswidriges
Gemetzel an palästinensischen Zivilisten in Berlin zumindest eine kurze
Verzögerungsschleife zum Nachdenken vor der Absonderung neuer
Treueschwüre auf Israel bewirkt hätte, sieht sich schwer getäuscht.
Nicht nur, dass der israelische Angriff, der den Schlagabtausch
eingeleitet hat, nicht verurteilt wurde, nein, man hält es nach wie vor
für geboten, besonders unerbittlich der israelischen Regierung die
Stange zu halten. Inzwischen sogar unerbittlicher als die USA, die
zumindest begriffen zu haben scheinen, dass eine Eskalation gegen Iran
im Wahlkampf nicht günstig wäre, schon allein wegen der Öltransporte
durch die Straße von Hormus.
Die ARD-Tagesschau weiß natürlich wieder einmal genau, wie alles
einzuordnen ist, und schreibt: “Der Iran hat Anerkennung von der
internationalen Gemeinschaft wegen seiner angeblichen “Zurückhaltung”
gegenüber Israel verlangt”. Mit diesem Satz wird schon vorab die dann
zitierte Erklärung aus dem iranischen Außenministerium ins Lächerliche
gezogen:
Steht Angriff auf Rafah bevor? Israel beruft Reservisten ein
“Statt Anschuldigungen gegen den Iran zu erheben, sollten die
(westlichen) Länder sich selbst die Schuld geben und die Frage (…)
beantworten, welche Maßnahmen sie gegen die Kriegsverbrechen Israels
ergriffen haben.”
Damit tut sich bekanntlich Deutschland besonders schwer.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, gewissermaßen das
höchstrangigste Konzentrat des deutschen Übels, droht aber bereitwillig
mit ihrem liebsten Mittel – gegen Iran, versteht sich.
“Mit Blick nach vorn werden wir über zusätzliche Sanktionen gegen den
Iran beraten, insbesondere, was die Drohnen- und Raketenprogramme des
Irans angeht.”
Nach vierzig Jahren Dauersanktionierung dürfte diese Nachricht in
Teheran für wahres Entsetzen sorgen. Ob aber tatsächlich alle Länder der
EU ihren Tunnelblick teilen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Interessant ist jedenfalls, dass auch die Warnungen, die vorab aus
Teheran geschickt wurden, in Deutschland ebenso begrenzt wahrgenommen
werden wie die eigentliche Bedeutung des israelischen Angriffs auf die
Botschaft. Das ist selbst in anderen EU-Ländern anders. Das irische
Fernsehen RTE beispielsweise befasst sich in seiner Berichterstattung
sehr ausführlich mit diesen Warnungen, und damit, dass zwar die USA
behaupten, sie hätten drei Tage vor dem Vergeltungsschlag keine
Warnungen erhalten, dem aber die Vertreter mehrerer anderer Länder
widersprochen haben:
“Türkische, jordanische und irakische Regierungsvertreter sagten, Iran
habe Tage vor seinem Drohnen- und Raketenangriff auf Israel ausgiebig
gewarnt, aber US-Vertreter erklärten, dass Teheran Washington nicht
gewarnt hat, und es bedeutenden Schaden habe anrichten wollen.
Das türkische Außenministerium sagte, es habe vor dem Angriff sowohl mit
Washington als auch mit Teheran gesprochen, und fügte hinzu, es habe
als Vermittler Botschaften weitergegeben, um sicher zu sein, dass die
Reaktionen angemessen seien.”
Der Tod von “Weißen” bringt Westen zum Nachdenken – um die “Eingeborenen” ist es nicht schade
Einer der Kommunikationskanäle sei auch über die Schweiz verlaufen.
“Eine iranische Quelle, die über das Thema informiert ist, sagte, dass
Iran die USA durch diplomatische Kanäle, darunter Katar, die Türkei und
die Schweiz, über den Tag informiert hat, an dem der Angriff geplant
sei, und gesagt habe, er werde in einer Weise durchgeführt, die es
vermeide, eine Erwiderung zu provozieren.”
Soviel zur “angeblichen Zurückhaltung” der Tagesschau. Mag ja sein, dass
die Deutschen einfach beleidigt sind, weil sie nicht vorab informiert
wurden. Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, in der auch deutsche
Diplomaten in einem solchen Moment als Vermittler hätten gesehen werden
können, sogar von Iran. Das war allerdings lange vor Annalena Baerbock,
die geholfen hat, die letzten Reste dieses diplomatischen Ansehens zu
bestatten.
Auf jeden Fall steht zu fürchten, dass auch ein Online-Kurs über
Völkerrecht dieses Defizit nicht zu beseitigen vermag. Die meisten
Programme könnten die Zahl derer nicht bewältigen, die dringend dieser
Bildungsmaßnahme bedürften.
https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/202748-deutschland-und-iran-wie-immer/
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