Kommentar
vom Hochblauen
Israel
darf ALLES
Von Evelyn Hecht-Galinski
Als ich 2012 mein Buch mit diesem Titel veröffentlichte, mit Kommentaren
die die jahrzehntelangen Verbrechen Israels gegen die palästinensische
Bevölkerung beschrieben, konnte ich mir allerdings auch in meinen
schlimmsten Vorstellungen nicht ausmalen, was wir gerade erleben müssen.
Ja, es war beispiellos, was sich am 7. Oktober 2023 ereignete, als
Hamas Aktivisten die Blockade und Grenze aus dem Gazastreifen
durchbrachen und 1.400 Israelis töteten, darunter 300 Soldaten der
jüdischen Besatzungsarmee. Ich schreibe bewusst jüdische Besatzungs- und
nicht „Verteidigungsarmee“. Der jüdische Staat, der einzige
Besatzungsstaat, verteidigt seine illegale Besatzung Palästinas. Diese
Zusammenhänge werden von den westlichen Werteheuchlern unter Führung
besonders der deutschen Regierung niemals erwähnt – wenn sie immer
wieder auf dem Recht der Selbstverteidigung des „jüdischen Staats“
beharren, einem mehr als umstrittenen „Selbstverteidigungsrecht der
Besatzer“, aber geflissentlich vergessen, auf das legale
Selbstverteidigungsrecht der besetzen Palästinenser hinzuweisen. So hat
sich Deutschland endgültig entschieden, jegliche Glaubwürdigkeit und
jegliches Rechtsempfinden aufzugeben und sich voll darauf zu
konzentrieren, den „jüdischen Staat“ in der Rolle des Kampfes zu
unterstützen. Hier stellt sich also ein Land, das einen Völkermord
begangen hat, und dem es in „ewiger Verpflichtung“ verbunden ist, hinter
einen Staat, der heute Völkermord begeht. (1) Was passiert stattdessen?
Palästinensische Organisationen wie Samidoun, das Palestine Solidarity
Netzwerk, das maßgeblich an der Organisation von Protestveranstaltungen
in Deutschland beteiligt war, werden verboten. (2)
Antipalästinismus und Antimuslimismus
Deutschland kriminalisiert also die Opfer des Völkermords und ihre
Unterstützer. Ja, es ist höchste Zeit, dass Deutschland aufhört,
palästinensischen Aktivismus mit Antisemitismus zu verwechseln, um seine
Vergangenheit auf dem Rücken der Palästinenser zu sühnen. Das ist ein
perfides Ablenkungsmanöver von unbewältigter Vergangenheit, das eine
wahrhaftige Aufarbeitung der Vergangenheit verhindern soll. Mit dieser
Art unredlicher Politik sühnt man weder den Holocaust, noch ist er im
Namen der Opfer, sondern dient allein der zionistischen ethnischen
Säuberungs- und Völkermord Politik. So werden keine sauberen Lösungen
erreicht, sondern Vertreibung, Entmenschlichung und Unterdrückung
gefördert.
Aber diese Art der Politik ist nicht neu, sondern hat sich nur massiv
verstärkt. Erinnern wir uns, als schon im Mai Nakba-Demonstrationen
verboten wurden und einige per Gericht erstritten wurden, aber nur unter
strengsten Auflagen und unter unvorstellbarer Polizeipräsenz. Ich
zitiere Majed Abusalama, den Mitbegründer und Sprecher von „Palestine
Speaks in Deutschland“: „Ich habe versucht, mir in den deutschen
Mainstream-Medien Gehör zu verschaffen, aber ohne Erfolg. Hätte ich
versucht, für eine israelische Zeitung zu schreiben, hätte ich eine
größere Freiheit gehabt, mich zu äußern, als ich sie jemals in deutschen
Medien hatte. Ich war schon in mehreren europäischen Ländern, und noch
nie wurde ich wegen meines palästinensischen Engagements von staatlicher
Seite so angefeindet wie in Deutschland, und ich habe das Gefühl, dass
der staatliche Antipalästinismus des deutschen Staates mit jedem Jahr
einen neuen Höhepunkt erreicht.“ Die palästinensische Diaspora kämpft
gegen das harte Durchgreifen. (3)(4)(5)
Deutschland plant, Palästinenser-Flüchtlinge vor ihrer Einbürgerung auf
ihre „Israel-Liebe“ mit der Anerkennung des Existenzrechts Israels zu
prüfen – ein mehr als zu hinterfragendes Ansinnen, angesichts der
Tatsache, dass Israel ein Staat ohne Grenzen und ohne Verfassung ist,
sondern seit Staatsgründung nur das Ziel verfolgt, mit der Vertreibung
der palästinensischen Ur-Einwohner und der Aneignung ganz Palästinas ein
„Groß-Israel“ entstehen zu lassen.
Rauswurf auf Verdacht: endgültige Verabschiedung vom Rechtsstaat
Wenn es demnächst gemäß der konkreten Pläne von Innenministerin Faeser
(SPD) einen „Rauswurf auf Verdacht“ (SZ, 02.11.2023) geben wird, also
Angehörige von so genannten Clans auszuweisen, selbst wenn kein
strafrechtliches Urteil vorliegt, dann ist das die endgültige
Verabschiedung vom Rechtsstaat. Kritik kommt schon von Juristen. Welche
Gegner der Politik werden es demnächst sein, wenn „Nancy Pläne
schmiedet“? (6)
Es ist vollständige Zensur, wenn Flaggen, Plakate und Rufe wie „From the
River to the Sea“ (Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein)
verboten werden – ein alter Slogan, der auf die Einstaatenlösung zielte,
nachdem die „Zweistaatenlösung“ längst zu einer unrealisierbaren
Floskel verkommen ist. Ein Slogan, der Freiheit vom Jordan bis zum
Mittelmeer fordert, ist in die Kritik geraten. Für die Massen, die
palästinensische Fahnen schwenken, drückt der Ruf, der über den Globus
hallt, den Wunsch nach Freiheit von Unterdrückung im historischen Land
Palästina aus. Doch der „jüdische Staat“ und seine Unterstützer
verurteilen den Satz als „pro-Hamas“, obwohl er ursprünglich von der PLO
stammt. Und er wird zu einem verschleierten Gewaltaufruf verbunden mit
Antisemitismus umfunktioniert. (7)(8)(9)
Auch der Ruf „Free Palestine“, ein mehr als nachvollziehbarer Wunsch
nach Freiheit, wurde kritisiert. Das Verbot des Tragens von Keffiyehs,
des palästinensischen Kopftuchs, an Berliner Schulen, erscheint ohne ein
Verbot von jüdischen Kippas mehr als fragwürdig. Ständig wird von
muslimischen Verbänden gefordert, sich eilfertig von „palästinensischem
Terror“ zu distanzieren. Hat man so eine Forderung je an den Zentralrat
der Juden gestellt, sich von jüdischen Staatsterror und seinen
Verbrechen zu distanzieren? Wenn Kritik geübt wird an ausländischen
Zahlungen an muslimische Organisationen in Deutschland, warum wird dann
niemals das gleiche von jüdischen Organisationen gefordert und deren
finanzielle Verbindungen zum „jüdischen Staat“ untersucht? Wenn
palästinensische Schulbücher kritisiert werden, dann empfehle ich einmal
das Buch von der israelisch-jüdischen Professorin, Nurit Peled-Elhanan,
„Palästina in israelischen Schulbüchern“ zu lesen, um etwas darauf
erwidern zu können und der Wirklichkeit etwas näher zu kommen. (9)
Staatsterror als Staatsräson
Wenn jüdisch-israelische Ärzte sogar fordern, Gazas Krankenhäuser zu
zerbomben, Rabbiner Netanjahu ihren „Kosher Stempel Segen“ zu diesen
Verbrechen geben, weil sie „Brutstätten der Hamas“ seien, dann frage ich
mich, wie lange deutsche Politiker noch „werteorientiert an der Seite
Israels“ stehen und die Staatsräson mit so einem Staatsterrorstaat
aufrechterhalten. Wann wird sich Deutschland auf das Grundgesetz
besinnen und endlich Konsequenzen ziehen, auf Völkermord und Besatzung
reagieren und Sanktionen einleiten? (10)(11)
Schaut man sich allerdings die Video-Botschaft von Habeck an Juden und
Israelis an, dann kann man nur noch fassungslos reagieren angesichts der
überschwänglichen Reaktionen. Ein neuer Kanzler sei geboren. Mir
fehlten allerdings noch die „schnuckeligen Siedlungen“, mit denen Habeck
einen Israel-Besuch krönte. Diese Botschaft hat mir in erschreckender
Weise die vollkommen verfehlte Israel-Politik vor Augen geführt – ohne
Empathie für die Palästinenser, voller triefender Unterstützung für den
„jüdischen Staat“. Hintergrundlos ohne wirkliche Kenntnis schließt sich
diese Rede an die verfehlte Energiepolitik und das verkorkste
Heizungsgesetz „Marke Heizungspumpe“ an. Dazu unbedingt ansehen, das
überaus gelungene YouTube-Video von Actuarium (12)!
Es widert mich an, wenn jüdisch-rassistische Politiker der zionistischen
Regierung Palästinenser als Tiere bezeichnen und wenn ich die Reden von
jüdischen Politikern höre – an vorderster Front der israelische
Ministerpräsident Netanjahu mit seiner „Amalek Rede, „Die Bibel
befiehlt, Amalek auszurotten, einschließlich Frauen, Babys, Kindern und
Tieren“ in „heiliger Mission“ eine „zweite Phase“ des Krieges ankündigt.
Dazu ein Theologe „der biblische Verweis auf Amalek ist
völkermörderisch“ und Menschenrechtsaktivisten warfen dem israelischen
Premier einen „ausdrücklichen Aufruf zum Völkermord“ vor. (13)
Zu anti-palästinensischem Hype hochgeschaukelt
Allerdings waren die Reaktionen der Medien erschreckend. So ein
unkritischer Applaus, natürlich angeführt von der „Jüdischen
Allgemeinen“, dem Zentralratsblatt, gab den traurigen Zustand der
deutschen „Einheits-Mainstream-Medien“ wider. Es ist dieser ekelhafte
und heuchlerische „Betroffenheitsjournalismus“, den wir auch schon, wenn
es um die Ukraine geht, erleben müssen. Jetzt hat sich das nochmals zu
einem anti-palästinensischen Hype hochgeschaukelt, der wider besseres
Wissen zelebriert wird. (14)
Der Schaden, den der „jüdische Staat“ anrichtet, ist nicht wieder gut zu
machen. Er wird auf alle Juden und deutschen Unterstützer und
Regierungen zurückfallen. Wie schrieb der außerordentliche Professor für
Holocaust-Völkermordstudien an der Stockton Universität, Raz Segal?
„Völkermord aus dem Lehrbuch, Israel hat deutlich gemacht, was es in
Gaza tut. Warum hört die Welt nicht zu?“ Er schreibt auch: „Israel muss
aufhören, den Holocaust zu bewaffnen“. (Dazu fällt mir aktuell der
israelische UN-Botschafter Erdan ein, als er sich bei einer UN-Sitzung
einen gelben Judenstern anheftete.) Hier auch noch das Interview bei
Democracy Now von Raz Segal mit Amy Goodman: „Ein Fall von Völkermord
aus dem Lehrbuch“. (15)(16)(17)
Wie lange wollen wir es noch schweigend hinnehmen, dass dieselben
Politiker, die sich so vehement gegen Russland stellen, sich für
Sanktionen aussprechen, eine Ukraine mit Nazi-Verehrung tolerieren und
diese Ukraine mit Milliarden unterstützen, sich vorbehaltlos für Israel
und dessen Völker mordende „Endlösungspolitik“ einsetzen? Weder das eine
noch das andere ist im Sinne der deutschen Bürger. Aber was
interessiert deutsche Politiker noch an deutschen Belangen, wo wir doch
fest an der Seite der USA stehen und als Befehlsempfänger agieren. Wen
wundert es da, dass extremistische Parteien wie die AfD ein so leichtes
Spiel haben. Ich bin hinsichtlich der Zukunft sehr pessimistisch bei
diesen politischen Aussichten und diesen Akteuren.
Höre, Israel
Von Erich Fried
Als wir verfolgt wurden,
war ich einer von euch.
Wie kann ich das bleiben,
wenn ihr Verfolger werdet?
Eure Sehnsucht war,
wie die anderen Völker zu werden
die euch mordeten.
Nun seid ihr geworden wie sie.
Ihr habt überlebt
die zu euch grausam waren.
Lebt ihre Grausamkeit
in euch jetzt weiter?
Den Geschlagenen habt ihr befohlen:
"Zieht eure Schuhe aus".
Wie den Sündenbock habt ihr sie
in die Wüste getrieben
in die große Moschee des Todes
deren Sandalen Sand sind
doch sie nahmen die Sünde nicht an
die ihr ihnen auflegen wolltet.
Der Eindruck der nackten Füße
im Wüstensand
überdauert die Spuren
eurer Bomben und Panzer.
Fußnoten:
1 https://www.richardsilverstein.com/2023/11/05/germany-criminalizes-palestinian-genocide/
2 https://www.jurist.org/news/2023/10/germany-moves-to-outlaw-pro-palestine-group-samidoun-amid-ongoing-israel-conflict/
3 https://www.aljazeera.com/opinions/2023/6/10/palestinians-should-not-have-to-pay-for-german-sins
4 https://www.aljazeera.com/features/2023/10/26/complete-censorship-germanys-palestinian-diaspora-fights-crackdown
5 https://www.newarab.com/news/germanys-crackdown-gaza-solidarity-not-even-sparing-jews
6 https://www.sueddeutsche.de/politik/faeser-abschiebungen-clans-verdacht-juristen-kritik-1.6297384?reduced=true
7 https://www.aljazeera.com/news/2023/11/2/from-the-river-to-the-sea-what-does-the-palestinian-slogan-really-mean
8 https://www.middleeasteye.net/news/palestine-israel-from-river-to-sea-chant-mean-actually
9 https://www.isbn.de/buch/9783981891676/palaestina-in-israelischen-schulbuechern
10 https://www.middleeasteye.net/news/israel-palestine-war-doctors-call-gaza-hospitals-bombed
11 https://mondoweiss.net/2023/10/israeli-rabbis-tell-netanyahu-that-israel-has-a-right-to-bomb-al-shifa-hospital-in-gaza/
12 https://www.youtube.com/watch?v=WIAAKmClQWA
13 https://www.commondreams.org/news/netanyahu-genocide
14
https://consortiumnews.com/2023/11/06/what-we-are-not-hearing-about-oct-7/?eType=EmailBlastContent&eId=042c68ce-968a-4839-8aac-5480237c5aa5
15 https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/oct/24/israel-gaza-palestinians-holocaust
16 https://jewishcurrents.org/a-textbook-case-of-genocide
17 https://www.democracynow.org/2023/10/16/raz_segal_textbook_case_of_genocide
Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden
der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin.
Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom “Hochblauen”,
dem 1165 m hohen “Hausberg” im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann
Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch
“Das elfte Gebot: Israel darf alles” heraus. Erschienen im tz-Verlag,
ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014
wurde sie von der NRhZ mit dem vierten “Kölner Karls-Preis für
engagierte Literatur und Publizistik” ausgezeichnet
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