Ampel stellt
Koalitionsvertrag vor: Sozialabbau, Staatsaufrüstung und
Militarismus
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 25. NOVEMBER 2021
von
Peter Schwarz – http://www.wsws.org
SPD, Grüne und FDP haben sich am Mittwoch auf einen
177-seitigen Koalitionsvertrag geeinigt und ihn der Presse
vorgestellt. Nach seiner Verabschiedung durch die zuständigen
Parteigremien dürfte damit der Wahl einer neuen Bundesregierung
unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem 6. Dezember nichts mehr im
Wege stehen.
Verpackt in blumige Phrasen über Modernisierung,
Transformation, Klimaschutz und Zusammenhalt ist das
Koalitionsprogramm der Ampel eine Kampfansage an die arbeitende
Bevölkerung und ein Bekenntnis zum Militarismus. Hier haben sich
drei Parteien zusammengefunden, die in reiner Form die Interessen der
Konzerne und Banken (FDP), der wohlhabenden Mittelklasse (Grüne) und
des Staates (SPD) vertreten.
Am deutlichsten zeigt die
Corona-Politik den Klassencharakter der neuen Regierung. Am selben
Tag, an dem die Ampel in Berlin ihren Koalitionsvertrag vorstellte,
überstieg die offizielle Zahl der Todesopfer die Schwelle von
100.000. Die Zahl der Infizierten erreichte mit 67.000 einen neuen
Tagesrekord. In weiten Teilen des Landes ist die Pandemie mit
Sieben-Tage-Inzidenzen weit über 1000 vollständig außer
Kontrolle.
Die Ampel trägt für diese Katastrophe eine
direkte Mitverantwortung, und das nicht nur, weil die SPD seit acht
Jahren in der Regierung sitzt. Erst vor sechs Tagen beschlossen SPD,
Grüne und FDP mit ihrer Mehrheit im Bundestag, die Corona-Notlage am
25. November auslaufen zu lassen. Damit gibt es keine gesetzliche
Grundlage mehr, Lockdowns und ähnliche Maßnahmen zu verhängen, die
zur Eindämmung der Pandemie unerlässlich sind.
Scholz konnte
zwar die Pandemie auf der Pressekonferenz nicht ignorieren, kündigte
aber keine neuen Maßnahmen an. Er rief lediglich zur Ausweitung der
Impfkampagne auf und versprach die Einrichtung eines ständigen
Krisenstabs und einer Expertengruppe im Kanzleramt sowie einen
einmaligen Bonus für die überarbeiteten Pflegekräfte. Dabei warnen
Wissenschaftler seit langem, dass nur eine Kombination aller
verfügbaren Maßnahmen eine noch größere Katastrophe verhindern
kann.
Doch die Ampel ist entschlossen, die mörderische
„Profite-vor Leben-Politik“ der Großen Koalition fortzusetzen.
Sie nimmt lieber zehntausende Tote und die Durchseuchung der Jugend
in Kauf, als die Profite der Wirtschaft zu gefährden.
Eine
der wichtigsten Entscheidungen im Koalitionsvertrag ist die Übergabe
des Finanzministeriums an die FDP. Obwohl die Minister erst in den
kommenden Tagen benannt werden, gilt es als sicher, dass FDP-Chef
Christian Lindner dieses Amt übernehmen wird. Lindner hat sich als
vehementer Verfechter einer Austeritätspolitik, Gegner jeder
Steuererhöhung für die Reichen und Vertreter von
Wirtschaftsinteressen einen Namen gemacht.
Der
Koalitionsvertrag hält dementsprechend fest, dass die
Schuldenbremse, die die staatliche Neuverschuldung strikt beschränkt,
ab 2023 wieder uneingeschränkt in Kraft tritt. Auch in Europa soll
Deutschland „als Stabilitätsanker weiterhin seiner Vorreiterrolle
gerecht werden“ und für die Einhaltung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts sorgen, der die Schulden der EU-Mitglieder deckelt.
„Finanzielle Solidität und der sparsame Umgang mit Steuergeld“
seien „Grundsätze unserer Haushalts- und
Finanzpolitik“.
Angesichts gewaltiger Subventionen für die
klimagerechte Transformation der Konzerne, einer massiven Steigerung
der Rüstungsausgaben und der geplanten Rückzahlung der
Corona-Schulden kann dies nur durch drastische Sozialkürzungen
finanziert werden. Dafür ist die SPD zuständig. Die FDP, der
kleinste der drei Koalitionspartner, erhält neben dem Finanz- auch
das Justiz-, das Verkehrs- und das Bildungsministerium.
Die
Grünen übernehmen das Wirtschaftsministerium, das um den Bereich
Klimaschutz erweitert wird, sowie das Außen-, das Familien-, das
Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium. Es wird erwartet, dass
Annalena Baerbock Außenministerin und Robert Habeck Vizekanzler und
Wirtschaftsminister wird.
Baerbock ist für ihre Feindschaft
gegen Russland und China bekannt. Entsprechend bezeichnet der
Koalitionsvertrag die „transatlantische Partnerschaftund die
Freundschaft mit den USA“ als „ein zentraler Pfeiler unseres
internationalen Handelns“. Die China-Politik soll „transatlantisch
abgestimmt“, eine Kooperation mit China nur „auf der Grundlage
der Menschenrechte“ angestrebt werden.
Wie schon die
derzeitige Regierung strebt auch die Ampel eine globale
Weltmachtpolitik an. Unter der Überschrift „Deutschlands
Verantwortung für Europa und die Welt“ werden Osteuropa, die
Ukraine, die Türkei, der Nahe Osten, Afrika und selbst der
Indo-Pazifik als deutsche Interessengebiete definiert. „Wir wissen
um die globale Verantwortung, die Deutschland als viertgrößte
Volkswirtschaft der Welt dafür trägt.“
Um das Gewicht
Deutschlands zur Geltung zu bringen, soll die Europäische Union
gestärkt werden. Eine „handlungsfähige und strategisch souveräne
EU“ sei „die Grundlage für unseren Frieden und Wohlstand“.
„Als größter Mitgliedstaat werden wir unsere besondere
Verantwortung … für die EU als Ganzes wahrnehmen.“
Zu
diesem Zweck soll die Aufrüstung der Bundeswehr forciert werden.
Dabei wird alle Zurückhaltung über den Haufen geworfen. So
verpflichtet sich der Koalitionsvertrag zur „Bewaffnung von Drohnen
der Bundeswehr“ und zur nuklearen Abschreckung. „Solange
Kernwaffen im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat
Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen
und Planungsprozessen teilzuhaben.“ Wir „bekennen uns zur
Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen
Abschreckungspotenzials“.
Auch die Anschaffung eines
„Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado“ zu Beginn der
20. Legislaturperiode verspricht der Vertrag.
Das
Verteidigungsministerium wird die SPD führen, die auch das Innen-,
das Arbeits-, das Gesundheits-, das Bau- und das
Entwicklungshilfeministerium leiten und den Kanzler sowie den
Kanzleramtschef stellen wird.
Dem Arbeitsministerium, das die
SPD seit 23 Jahren mit vier Jahren Unterbrechung führt, kommt im
Ampelprogramm eine besondere Bedeutung zu. Unter der Überschrift
„Moderne Arbeitswelt“ werden alle Folterinstrumente der Agenda
2010 weiterentwickelt, mit denen die letzte rot-grüne Koalition
unter Gerhard Schröder den umfangreichsten Sozialabbau der jüngeren
Geschichte in Gang setzte.
Der Koalitionsvertrag folgt dabei
immer demselben Muster. Maßnahmen, die auf besonders viel Wut und
Empörung gestoßen sind, werden abgeschafft und dann in anderer Form
oder unter neuem Namen wieder eingeführt.
So heißt das
Arbeitslosengeld II (besser bekannt als Hartz IV) in Zukunft
Bürgergeld. „Das Bürgergeld stellt die Potenziale der Menschen
und Hilfen zur nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt in den
Mittelpunkt und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe,“ heißt es
wohlklingend im Koalitionsvertrag. Doch an „Mitwirkungspflichten“
wird festgehalten. Das heißt, der Empfänger des Bürgergelds wird
auch weiterhin so lange von den Arbeitsagenturen schikaniert, bis er
einen Niedriglohnjob annimmt. Derartige Jobs – Mini- und Midijobs,
Zeitarbeit, Leiharbeit, Befristungen usw. – werden nicht
abgeschafft, sondern „angepasst“.
Auch die Erhöhung des
gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro, die die SPD als große Wohltat
feiert, erweist sich als Mogelpackung. Der Mindestlohn beträgt jetzt
schon 9,60 Euro und würde Mitte nächsten Jahres ohnehin auf 10,45
Euro steigen. Die branchenspezifischen Mindestlöhne liegen zudem
schon jetzt fast alle über 12 Euro. Zudem hält der
Koalitionsvertrag ausdrücklich an Werkverträgen und
Arbeitnehmerüberlassung fest, mit denen der Mindestlohn unterlaufen
werden kann.
Dasselbe gilt für das Versprechen, es werde
„keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen
Renteneintrittsalters geben“. Die bereits beschlossene Anhebung des
Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre ist noch gar nicht
abgeschlossen. Und vom „Mindestrentenniveau von 48 Prozent“ (des
durchschnittlichen Einkommens nach 45 Jahren Beitragszahlung!), das
die Ampel garantiert, kann kein Mensch leben.
Tatsächlich
sieht der Koalitionsvertrag ausdrücklich vor, dass ältere Menschen,
auch wenn sie das Rentenalter längst erreicht haben, wieder
arbeiten, um ihre magere Rente zu ergänzen. Zu diesem Zweck sollen
zahlreiche Regelungen des Arbeitsrechts verändert werden.
Um
der Wohnungsnot zu begegnen, verspricht die Ampel, dass jährlich
400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Doch schon die Große Koalition
hatte 2017 versprochen, in vier Jahren 1,5 Millionen Wohnungen zu
bauen. Dieses Ziel wurde nie erreicht. Selbst 2020, als die Zahl der
Neubauten einen neuen Rekord erreichte, waren es nur 306.000 – und
die Mieten sind inzwischen kaum mehr bezahlbar.
Gegen die
Kinderarmut verspricht die Ampel die Einführung einer
„Kindergrundsicherung“. Doch dahinter verbirgt sich schlicht die
Zusammenlegung bisheriger Leistungen – Kindergeld, Kinderzuschlag,
Bildungsförderung – zu einer einzigen Förderleistung.
Um
der wachsenden sozialen Opposition entgegenzutreten, rüstet die
Ampel den Polizei- und Überwachungsstaat weiter auf. „Die
Angehörigen der Sicherheitsbehörden in unserem Land, die uns jeden
Tag aufs Neue bei der Verteidigung der freiheitlich demokratischen
Grundordnung unterstützen, verdienen unseren Respekt und
Anerkennung,“ heißt es im Koalitionsvertrag, und:
„Nachrichtendienste sind ein wichtiger Teil der wehrhaften
Demokratie.“
Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung,
Überwachungssoftware und andere Formen der Überwachung sollen nicht
abgeschafft, sondern „rechtssicher“ gemacht werden. Auch der
„Einsatz von V-Personen, Gewährspersonen und sonstigen
Informantinnen und Informanten aller Sicherheitsbehörden“, soll
nicht verboten, sondern gesetzlich geregelt werden. Für
„Streitfragen“ bei Einstufungen durch den Verfassungsschutz soll
es eine „unabhängige Kontrollinstanz“ geben. Anstatt den rechten
Sumpf im Staatsapparat trocken zu legen, will die Ampel den 11. März
zum „nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt“
machen.
Auch an die unmenschliche Flüchtlingspolitik der
Großen Koalition knüpft die Ampel nahtlos an. Sie will zwar mehr
Einwanderung zulassen – um Arbeitskräfte zu gewinnen und der
Überalterung der Gesellschaft entgegenzuwirken –, gleichzeitig
aber Flüchtlinge, die keinen ökonomischen Nutzen bringen, umso
konsequenter raushalten: „Wir werden irreguläre Migration
reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“
Der
Klimaschutz, von den Grünen als Durchbruch gefeiert, erweist sich
bei näherem Hinsehen als zusätzliches Bereicherungsprogramm für
die Konzerne und Banken. Er wird ausschließlich vom Standpunkt
angegangen, der kriselnden deutschen Exportwirtschaft neue
Absatzmöglichkeiten zu verschaffen.
„Als größte
Industrie- und Exportwirtschaft Europas steht Deutschland in den
2020er Jahren jedoch vor tiefgreifenden Transformationsprozessen im
globalen Wettbewerb,“ heißt es im Kapitel „Klimaschutz in einer
sozial-ökologischen Marktwirtschaft“. „Wir sehen deshalb die
Aufgabe, der ökonomischen Stärke unseres Landes eine neue Dynamik
zu
verleihen.“
https://www.wsws.org/de/articles/2021/11/24/ampe-n24.html
Haha!!
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Und warum stößt es bei weiten Teilen der Bürger kaum auf, dass die Herrschaft des Kapitals erneut mit aller Macht zuschlägt? In seinem Buch „Das Leben des Berthold Brecht“, Aufbau-Verlag 1986, Seite 139, schreibt der Autor Werner Mittenzwei zur Situation im faschistischen Deutschland u.a.: „Von dem tatsächlichen Ausmaß der Knebelung der Arbeiterklasse, von der geistigen Verwüstung, der Zerstörung des Klassenbewußtseins vermochte sich Brecht im Exil kein Bild zu machen“. Und auf Seite 142 bemerkt der Autor, „in welche Niederungen eine idealistische, nichtmaterialistische Geschichtsbetrachtung führen kann.“
Ergibt sich die Frage: „Warum hält das Volk still? Nach wie vor?“
Harry Popow