Nicht nur Neue Seidenstraße: Wie
China dem Westen eine Alternative entgegensetzt
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 22. NOVEMBER 2021
von Alexander Boos – https://snanews.de
Kann China mit seinem Erfolgsrezept der Wirtschafts-Öffnung
und des ökonomischen Aufstiegs als Vorbild für die Welt dienen? Nun
ja, erklärt der Kölner Ökonom Werner Rügemer gegenüber SNA:
„China bietet zumindest eine nicht-militärische Strategie der
Globalisierung.“ Chinesische Firmen investieren im Ausland und
bauen dort Infrastruktur auf.
Das wirtschaftliche Groß-Projekt
Chinas, die Neue Seidenstraße, „reicht sogar bis Duisburg,
verbindet etliche Länder und wird wohl die Weltwirtschaft der
Zukunft stark prägen.“ Davon ist der Kölner Ökonom und Philosoph
Werner Rügemer überzeugt, wie er im SNA-Interview begründet.
China
ist eines der wenigen Länder, die die Corona-Krise mehr oder weniger
robust überstehen werden, heißt es immer wieder. Laut dem
„Manager-Magazin“ boomt die chinesische Volkswirtschaft weiter
und verzeichnete im zweiten Quartal dieses Jahres ein Wachstum von
über 7,9 Prozent. China belegt damit Platz zwei der größten
Volkswirtschaften der Welt hinter den USA. 2020 ist die Wirtschaft
unter der Führung Pekings sogar „um 18,3 Prozent gewachsen“. Im
vorigen Jahr war die Volksrepublik sogar Export-Weltmeister, was vor
allem den exportierenden deutschen Maschinenbau unter Druck setzt.
Der
„chinesische Weg“ zum wirtschaftlichen Erfolg
Als China ab 1980 unter Staatschef Deng Xiaoping
begann, sich ausländischen Investoren – hauptsächlich aus dem
Westen – zu öffnen, startete die bis heute währende
Erfolgsgeschichte des Landes in wirtschaftlicher, sozialer und
politischer Hinsicht. „Indem man eben westliche Investoren,
westliche Management-Methoden, westliche Technologien ins Land
holte“, erklärte Rügemer. „Aus den USA, aber dann auch aus
allen wichtigen westlichen, hochindustrialisierten kapitalistische
Staaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und so weiter.
Das Erfolgsrezept bestand darin, dass diese Methoden und
Technologien, im Unterschied zu anderen Entwicklungsländern wie
Indien, in China sozusagen schrittweise in eine gegenteilige
Entwicklung transformiert worden sind.“
Durchbruch in China:
Energiespeicher arbeitet mit Druckluft – ganz ohne fossile
Brennstoffe
Als wirkungsvolle Methode entwickelte China das
„einfache Instrument“ der Joint Ventures. „Also das westliche
Unternehmen – nicht wie in anderen Entwicklungsländern in Asien,
Afrika, Lateinamerika etc. –hundertprozentige Niederlassungen in
China bilden und betreiben konnten, sondern eben von der chinesischen
Regierung dazu gezwungen wurden, einheimische Unternehmen und
einheimische Manager mit dazu zu nehmen und sich auch dazu
verpflichten, einen bestimmten Anteil an qualifizierten Beschäftigten
und Führungskräften aus China zu beteiligen. Das hat China
sozusagen erfolgreich erzwungen. Und hat dadurch eben diese westliche
Arbeitsweise sozusagen schrittweise umkehren können.“
Erfolgsrezept
Pekings: „Alternatives Globalisierungs-Konzept“
Selbst US-Regierungen wie die unter Ronald Reagan
förderten diesen Prozess über Finanz- und Wirtschaftshilfen und
halfen China. Zunächst öffnete sich das Land nur für westliche
Investoren an den Küstenregionen – etwa in der Hafenmetropole
Shanghai oder in Shenzhen. Dies immer unter der Maßgabe, dass kein
Unternehmen aus dem Westen mehr als 50 Prozent Firmenanteile an
chinesischen Betrieben erhalten dürfe. So blieb die politische und
ökonomische Kontrolle immer bei Peking. Das Ergebnis ist und war ein
China als mitunter stärkste Wirtschaftsmacht der Erde –
einhergehend mit breitflächig reduzierter Armut, guten
Arbeitsmöglichkeiten und hohem Einkommen sowie einer sozialen
Versorgung der chinesischen Bevölkerung. Etwa mit Wohnraum, aber
auch mit einer entsprechenden Arbeitsschutzgesetzgebung und
Arbeitnehmerrechten.
„Diese Entwicklung, dieses Erfolgsrezept
ist zunächst mal in China selbst im Inneren so fortgeführt worden“,
kommentierte Rügemer. „Hat aber dazu geführt, dass diese
Erfahrungen, diese Methoden zeigen konnten, wie man aus der
Unterentwicklung herauskommt – und zwar schneller als sonst
irgendwo auf der Welt. So konnte China ein neues, alternatives
Globalisierungs-Konzept fortentwickeln, das eben jetzt den Namen der
Neuen Seidenstraße trägt.“
„Viele
Staaten begrüßten Investor China“
Diese chinesische Strategie der Globalisierung könne
als Orientierungspunkt für andere sogenannte unterentwickelte
Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika dienen. Darunter
beispielsweise Vietnam, Venezuela oder Gambia.
In einem aktuellen
Aufsatz schreibt Rügemer: „China zeigt, eine multipolare Welt ohne
wirtschaftliche Ungleichheit und ohne kriegerische Begleitung von
Rohstoffbeschaffung, Investitionen und Handel ist
möglich.“
Revolution in der Kernreaktion? Chinesischer
Thoriumreaktor steht vor Testbetrieb
Viele Staaten im globalen
Süden „begrüßen China als Investor“, ergänzte Rügemer im
SNA-Interview.
„China baut in Ungarn, in Serbien und Kroatien
sogar eigene Infrastruktur, was ja vom westlichen Kapitalismus völlig
vernachlässigt wird. Also etwa Schienen-Infrastruktur,
Eisenbahnstrecken und Eisenbahnbrücken.“ Wenig bekannt sei, dass
chinesische Unternehmen „in den letzten zehn Jahren zwei Drittel
des weltweiten Schienenverkehrs aufgebaut haben, sowohl innerhalb
Chinas wie inzwischen eben auch in andere EU-Staaten hinein. Am
bekanntesten ist die etwa 12 000 Kilometer lange Strecke von China
bis nach Duisburg – die Neue Seidenstraße.“
Auch deutsche
Konzerne, darunter „Volkswagen“ (VW) als einer der größten
Autohersteller der Welt, die vermehrt im chinesischen Markt
investieren, produzieren und verkaufen, könnten ihm zufolge noch
etwas von der Pekinger Wirtschaftspolitik lernen. „Viele tausende
westliche Unternehmen betreiben Filialen, Produktionsstätten in
China.“ Aber an dieser Stelle sei bereits ein Interessenkonflikt im
Anmarsch:
„Aber das entwickelt sich ja gerade zu einem Konflikt,
weil unter anderem in China die Arbeitseinkommen so stark gestiegen
sind und weiter steigen. Deswegen verkürzen sich die Gewinne für
etwa Amerikas allergrößte und wertvollste Digital-Konzerne wie
‚Apple‘ und ‚Microsoft‘, die millionenfach ihre Endgeräte in
China bisher haben montieren oder dort ihre Zulieferer-Materialien
haben produzieren lassen.“
Was China mit
Italien und Griechenland vorhat
Rügemers Analyse zufolge ist Chinas Wirtschaft in
vier Bereichen besonders gut aufgestellt: Beim Lohnzuwachs für die
Arbeitnehmer und der Stärkung der eigenen Unternehmen
binnenwirtschaftlich gesehen. Bei der Stabilisierung der eigenen
(Export-)Wirtschaft durch Produkte, die das Land in alle Welt
verkauft. Bei strategischen Investitionen im Ausland – etwa in
vielen afrikanischen und südamerikanischen Ländern oder auch im
griechischen Hafen von Piräus – sowie beim Prestige-Projekt der
Neuen Seidenstraße.
Neue Seidenstraße – Kulturelle Vielfalt
statt Kulturimperialismus
„Die Neue Seidenstraße bringt bereits
vielen Staaten auf unterschiedliche Weise Vorteile“, schilderte der
Kölner. „Investitionen in die Infrastruktur etwa. Ein bekanntes
Beispiel ist der Hafen Piräus bei Athen in Griechenland. Dort hat
der größte Hafenbetreiber Chinas, ‚Cosco‘, den Betrieb des
Hafens übernommen, baut ihn weiter aus als Containerhafen. Aber dazu
gehört jetzt nicht nur das unmittelbare Hafengelände, um dann
Containerschiffe zu beladen, zu entladen – sondern dazu gehört ein
ganzer Umkreis von Handwerksbetrieben, von Zulieferern, die davon
ebenfalls profitieren. Der Chinesische Hafen-Betreiber hat auch dazu
beigetragen, dass es zum ersten Mal zwischen dem Hafen Piräus und
der Hauptstadt Athen eine Zugverbindung gibt, die es die längste
Zeit überhaupt nicht gegeben hat. Also auch um den Hafen herum
entsteht da viel. Weitere Arbeitsplätze entstehen. Und so ist das
eben auch in anderen Staaten.“
Mit Italien gebe es ein weiteres
Übereinkommen, „dass drei Häfen dort in ähnlicher Weise durch
China modernisiert werden sollen. Und ja: Dies ist eine alternative
Form der Globalisierung, die im Unterschied zur westlichen Form der
Globalisierung erstens mal wesentlich auf langfristige
infrastrukturelle Investitionen setzt, wo jetzt nicht gleich ein
großer Gewinn herausspringen muss und wo die Investition im Land
bleibt und für das Land eine Entwicklung, eine weitere
wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht.“
„Westen hat
Interesse an Chinas Rohstoffen“
Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zum Westen
sei, dass „diese Art Globalisierung ohne jegliche militärische
Begleitung stattfindet. Also, während die USA beispielsweise mit der
Osterweiterung der Europäischen Union überall in diesen Staaten –
in Litauen, Polen, Rumänien, im Kosovo – weitere neue
Militärstützpunkte gebaut haben, teilweise ohne sonstige
infrastrukturelle Investitionen, da verzichtet China vollständig
darauf, seine Investitionen in anderen Staaten sozusagen militärisch
zu begleiten.“
Warum fliegt die chinesische Mondsonde gerade
wieder zum Mond?
Deshalb sei es auch nachvollziehbar, so Rügemer,
dass der Westen diese „alternative Entwicklungslogik“ Chinas
immer wieder hart und scharf kritisieren würde. Darüber hinaus
verfügt nicht zuletzt die Volksrepublik über große Vorräte an
Bodenschätzen. Darunter Magnesium, Lithium, Kobalt. Alles wichtige
Rohstoffe für moderne Technologien und E-Mobilität. Nicht
verwunderlich, dass dies Begehrlichkeiten in westlichen Regierungen
wecke. „Auch das ist ein Grund der verstärkten Kritik an China.“
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