Die
komplette Übersetzung des Interviews, das Putin der NBC vor dem
Gipfeltreffen mit Biden gegeben hat
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 15. JUNI 2021 ⋅
HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Thomas Röper –
http://www.anti-spiegel.ru
Der russische Präsident Wladimir Putin hat der NBC ein
fast anderthalb-stündiges Interview gegeben, das ich komplett
übersetzt habe. Dabei wurde Putin mit allen Vorwürfen des Westens
gegen Russland aus den letzten Jahren konfrontiert.
Da im
Westen stets der Eindruck erweckt wird, Putin sei ein böser
Diktator, der keine Kritik oder kritischen Fragen zulasse, habe ich
das Interview, das Keir Simmons von NBC mit Putin geführt hat,
übersetzt. Simmons und die NBC sind sicher keine russischen
Propagandisten, sondern Transatlantiker, Trump-Gegner und
Unterstützer von Joe Biden. Entsprechend kritisch waren seine Fragen
an Putin und er ist die ganze Palette der internationalen Politik und
vor allem der Vorwürfe des Westens gegen Russland
durchgegangen.
Beginn der Übersetzung:
Simmons:
Herr Präsident, es ist lange her, dass Sie amerikanischen
Journalisten ein Interview gegeben haben. Ich glaube, es ist drei
Jahre her. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Es gibt eine
Menge Themen zu besprechen. Ich bin sicher, wir werden viel zu
besprechen haben.
Ich fange mit dem hier an. Heute kamen
Nachrichten aus den USA, die sagen, dass Russland in den nächsten
Monaten neue Hacks in militärische Einrichtungen für das iranische
Atomprogramm vorbereitet. Stimmt das?
Putin: Könnten Sie die
Frage noch einmal wiederholen, bitte? Welche Hacks, welche
Einrichtungen?
Simmons: Es gab heute einen Bericht, der
besagt, dass Russland sich darauf vorbereitet, Satellitentechnologie
an den Iran zu transferieren, die es dem Iran erlauben würde,
militärische Ziele zu verfolgen und zu treffen.
Putin: Nein,
wir haben keine solchen Programme mit dem Iran, das ist nur neuer
Blödsinn. Wir haben Pläne für die Zusammenarbeit mit dem Iran,
auch im Bereich der militärisch-technischen Zusammenarbeit, alles im
Rahmen der Beschlüsse des iranischen Atomprogramms als Teil der
UN-Beschlüsse, die zusammen mit unseren Partnern im Atomabkommen mit
dem Iran vereinbart wurden, nach dem die Sanktionen gegen den Iran
irgendwann aufgehoben werden sollen, auch bei der
militärisch-technischen Zusammenarbeit. Wir haben bestimmte
Programme, aber es geht nur um konventionelle Waffen, wenn es dazu
kommt, aber bis jetzt ist es noch nicht einmal dazu gekommen. Wir
haben keine wirkliche Zusammenarbeit bei konventionellen Waffen, also
ist das, was sich jemand über moderne Weltraumtechnologien ausdenkt,
nur Science Fiction, nur ein weiterer Fake. Davon weiß ich
jedenfalls nichts. Die, die darüber sprechen, wissen darüber
wahrscheinlich mehr als ich. Es ist Quatsch.
Simmons: Sie
stimmen also zu, dass die Weitergabe solcher Satellitentechnologie an
den Iran das US-Militär gefährden würde, wenn der Iran diese
Technologie von Russland bekäme, denn er könnte Informationen an
die Huthis im Jemen weitergeben, sie könnten solche Informationen an
die Hisbollah weitergeben. Und die Weitergabe dieser Technologie an
den Iran wäre eine gefährliche Entwicklung.
Putin: Hören
Sie, warum reden wir über Probleme, die es nicht gibt? Das ist kein
Thema für eine Diskussion. Da hat sich jemand etwas ausgedacht, ich
weiß es nicht, vielleicht ist es ein Versuch, jede militärische und
technische Zusammenarbeit mit dem Iran einzuschränken. Ich
wiederhole noch einmal: Das ist nur eine Falschmeldung, ich weiß
davon überhaupt nichts, ich höre das von Ihnen zum ersten Mal. Wir
haben keine solchen Absichten. Ich weiß nicht mal, ob der Iran
technologisch überhaupt bereit ist für eine solche Kooperation. Das
ist eine eigene Angelegenheit, eine sehr hochtechnologische
Angelegenheit.
Ja, wir schließen eine Zusammenarbeit mit
vielen Ländern im Weltraum nicht aus. Aber unsere Position, dass wir
kategorisch gegen die Militarisierung des Weltraums insgesamt sind,
ist wohl jedem bekannt. Wir sind der Meinung, dass der Weltraum frei
von Waffen jeglicher Art sein sollte, die im erdnahen Raum eingesetzt
werden, und so weiter. Daher haben wir keine derartigen Pläne,
insbesondere nicht für einen Technologietransfer auf dem von Ihnen
genannten Niveau.
Simmons: Okay. Die nächste Frage betrifft
den Gipfel mit Präsident Biden. Davor trifft er sich mit den Staats-
und Regierungschefs der G7, mit den NATO-Partnern, mit den
europäischen Staats- und Regierungschefs. Es ist seine erste Reise,
sein erster Besuch in Europa. Dies wird als ein Versuch dargestellt,
die Reihen der Demokratien der Welt zu vereinen. Und nun wird er sich
mit dem Präsidenten treffen, der als Diktator, als Autokrat
dargestellt wird.
Putin: Ich weiß nicht, irgendwer drückt es
so aus, und irgendwer sieht die Situation und Ihre bescheidenen
Diener auf eine andere Weise. All dies wird der Öffentlichkeit so
präsentiert, wie es die herrschenden Klassen in diesem oder jenen
Land für richtig halten.
Dass sich Präsident Biden mit
seinen Verbündeten trifft, ist nichts ungewöhnliches. Was ist
ungewöhnlich an einem G7-Treffen? Wir wissen, was die G7 ist, ich
war schon oft dort, ich kenne die Werte dieser Plattform. Aber wenn
Menschen zusammenkommen und etwas besprechen, ist das immer gut,
besser als nicht zusammenzukommen und nicht zu sprechen. Weil es auch
innerhalb der G7 Themen gibt, die ständiger Aufmerksamkeit und
Überlegungen bedürfen, weil es Widersprüche gibt, so seltsam es
auch erscheinen mag, und weil es unterschiedliche Bewertungen
verschiedener Ereignisse auf der internationalen Bühne und zwischen
ihnen gibt. Sollen sie sich doch treffen und reden.
Was die
NATO betrifft, so habe ich schon oft gesagt: Sie ist ein Überbleibsel
des Kalten Krieges. Die NATO wurde während des Kalten Krieges
geboren, aber warum sie heute existiert, ist nicht ganz klar. Es war
einmal die Rede von einer Transformation dieser Organisation, aber
jetzt ist das irgendwie in Vergessenheit geraten. Wir sehen sie als
eine militärische Organisation an, aber das sind Verbündete der
Vereinigten Staaten, und ich denke, die müssen sich von Zeit zu Zeit
miteinander treffen. Obwohl ich mir vorstellen kann, wie die
Gespräche laufen. Natürlich wird alles im Konsens entschieden, aber
es gibt sozusagen eine richtige Meinung und die anderen – drücken
wir es vorsichtig aus – nicht so richtigen Meinungen. Ja und?
Verbündete treffen sich, was ist daran ungewöhnlich? Ich sehe hier
nichts Ungewöhnliches.
Umso mehr als es ein Zeichen des
Respekts an ihre Verbündeten vor dem Treffen der Präsidenten der
Vereinigten Staaten und Russlands ist. Vermutlich wird das als Wunsch
dargestellt, ihre Ansichten zu den wichtigsten Themen der aktuellen
Agenda zu erfahren, einschließlich der Themen, die wir mit Präsident
Biden besprechen werden. Dennoch bin ich geneigt zu glauben, dass die
USA trotz all der Politisierung mit Russland das vorantreiben werden,
was sie für sich selbst und vor allem für ihre wirtschaftlichen,
politischen und militärischen Interessen als notwendig und wichtig
erachten.
Es schadet wahrscheinlich nie, sich anzuhören, was
die Verbündeten darüber denken, also ist das okay, es ist ein
Routineprozess.
Simmons: Dann noch ein paar Fragen zum Gipfel.
Wie Sie wissen, hat Präsident Biden um dieses Treffen gebeten, er
hat keine Vorbedingungen gestellt. War das keine Überraschung für
Sie?
Putin: Nein. Unsere bilateralen Beziehungen haben sich in
den letzten Jahren auf das niedrigste Niveau verschlechtert, aber es
gibt trotzdem Themen, bei denen wir einen Uhrenvergleich machen
müssen, und es müssen gemeinsame Positionen definiert werden, damit
Fragen von gemeinsamem Interesse, im Interesse sowohl der Vereinigten
Staaten als auch Russlands, effektiver angegangen werden können.
Darum ist daran nichts Ungewöhnliches. Eigentlich hatten wir trotz
der scheinbar harten Rhetorik mit solchen Vorschlägen gerechnet,
denn die innenpolitische Agenda in den USA erlaubte es nicht, die
Beziehungen auf einem akzeptablen Niveau wiederherzustellen. Das
musste früher oder später passieren.
Jetzt hat Präsident
Biden diese Initiative gezeigt. Vorher hat er sich, wie Sie wissen,
für die Verlängerung des NEW-START-Vertrags ausgesprochen, was wir
nur unterstützen konnten, weil wir der Meinung sind, dass dieser
Vertrag gut ausgearbeitet ist und auf dem Gebiet der strategischen
offensiven Rüstungskontrolle sowohl unseren als auch Amerikas
Interessen entspricht. Aus diesem Grund war das ein durchaus
erwarteter Vorschlag.
Simmons: Sie fahren zu dem Gipfel.
Planen Sie gleich danach weitere Gesprächsrunden zur
Rüstungskontrolle, denn Biden hat START um fünf Jahre verlängert,
und es wird angenommen, dass dies der Anfang und nicht das Ende
dieses Dialogs ist?
Putin: Wir wissen, welche Themen und
Probleme die Amerikaner mit uns besprechen wollen. Wir verstehen
diese Fragen und Probleme, und wir sind bereit, gemeinsam daran zu
arbeiten. Wir haben einige Meinungsverschiedenheiten, wenn nicht
Meinungsverschiedenheiten, dann ein unterschiedliches Verständnis
des Tempos und der Richtungen, in die wir uns bewegen sollten. Wir
wissen, welche Prioritäten die amerikanische Seite setzt. Generell
ist dies ein Prozess, der auf professioneller Ebene durch das
Außenministerium, das State Department, das Pentagon und das
russische Verteidigungsministerium vorangetrieben werden muss. Wir
sind bereit für diese Arbeit.
Wir haben einige Signale
gehört, dass die amerikanische Seite die Gespräche auf der Ebene
der professionellen und fachlichen Experten wieder aufnehmen möchte.
Wir werden sehen. Wenn nach dem Gipfel die Voraussetzungen dafür
geschaffen sind – bitte, wir sagen nicht nein, wir sind bereit zu
dieser Arbeit.
Simmons: Präsident Biden ist an Stabilität
und Berechenbarkeit interessiert. Und Sie?
Putin: Das ist in
internationalen Angelegenheiten, könnte man sagen, der wichtigste
Wert. Wenn wir das schaffen könnten…
Simmons: Entschuldigen
Sie die Unterbrechung, aber er sagte, dass Sie derjenige sind, der
Instabilität erzeugt und dass gerade Sie die Quelle der
Unberechenbarkeit sind.
Putin: Er sagt das eine, ich sage das
andere. Vielleicht ist unsere Rhetorik manchmal auseinander gegangen,
aber wenn Sie jetzt nach meinem Standpunkt fragen, werde ich Ihnen
sagen, was er ist: Der wichtigste Wert in den internationalen
Beziehungen ist Stabilität und Berechenbarkeit. Ich denke, dass
unsere amerikanischen Partner das in den vergangenen Jahren nicht
erkannt haben. Wie können wir von Stabilität und Berechenbarkeit
sprechen, wenn wir uns an die Ereignisse in Libyen im Jahr 2011
erinnern, als das Land zerstört wurde? Nun, welche Art von
Stabilität und Berechenbarkeit war das?
Die ganze Zeit haben
sie gesagt, dass die Truppen in Afghanistan bleiben werden. Dann
plötzlich, bumms, werden die Truppen aus Afghanistan abgezogen. Ist
das Stabilität und Berechenbarkeit?
Die Entwicklungen im
Nahen Osten, ist das Stabilität und Berechenbarkeit? Wo führt das
alles hin? Oder Syrien? Was ist hier stabil und berechenbar?
Ich
habe meine amerikanischen Kollegen gefragt: Ihr wollt, dass Assad
geht, aber wer kommt an seiner Stelle und wie geht es dann weiter?
Die Antwort war seltsam: Ich weiß es nicht. Wenn Du nicht weißt,
was als Nächstes passiert, warum willst Du ändern, was ist?
Schließlich könnte es ein zweites Libyen oder ein zweites
Afghanistan werden. Wollen wir das? Nein. Lasst uns zusammensetzen,
reden, nach Lösungen, nach Kompromissen suchen, die für alle Seiten
akzeptabel sind – so erreicht man Stabilität. Sie kann nicht
dadurch erreicht werden, dass eine Sichtweise, die „richtige“,
durchgesetzt wird, und alle anderen „falsch“ sind. So wird auch
keine Stabilität erreicht.
Simmons: Lassen Sie uns zu einem
anderen Thema übergehen. Ich wollte über Ihre Beziehung zu
Präsident Biden sprechen. Dies ist nicht mehr der Helsinki-Gipfel,
Biden ist nicht Trump. Sie haben einmal gesagt, dass Trump ein sehr
talentierter Mensch ist. Wie würden Sie Präsident Biden
beschreiben?
Putin: Ich denke immer noch, dass Herr Trump, der
ehemalige US-Präsident, eine einzigartige und talentierte Person
ist, sonst wäre er nicht Präsident der USA geworden. Er ist ein
kluger Mann, man kann ihn mögen oder auch nicht. Er ist sicherlich
kein Produkt des amerikanischen Establishments, er war vorher nie in
der großen Politik. Natürlich mag ihn der eine, und der andere mag
ihn nicht, aber so ist es nun mal.
Präsident Biden
unterscheidet sich natürlich radikal von Trump, weil er ein Profi
ist, er ist fast sein ganzes bewusstes Leben lang in der Politik
gewesen. Er macht das seit vielen, vielen Jahren, ich habe das schon
einmal gesagt, und es ist eine offensichtliche Tatsache: wie viele
Jahre er Senator war, wie viele Jahre er sich mit, sagen wir,
Abrüstung, internationaler Politik wirklich auf Expertenebene
beschäftigt hat. Das ist ein anderer Mensch. Ich rechne bei diesem
Präsident nicht mit so impulsiven Schritten – das hat Vor- und
Nachteile – und ich rechne damit, dass wir bestimmte Regeln der
Kommunikation einhalten, dass wir uns auf etwas einigen können und
eine gemeinsame Basis finden. Das ist glaube ich alles. Aber was in
Wirklichkeit passieren wird, das wird von der realen, praktischen
Politik und ihren Ergebnissen abhängen.
Simmons: Präsident
Biden sagte, dass Sie sich mal von Angesicht zu Angesicht getroffen
haben und er sagte, so betont er, er sagte Ihnen dies: Ich sehe in
Ihre Augen und ich sehe keine Seele. Und Sie sagten: Wir verstehen
uns. Erinnern Sie sich an dieses Gespräch?
Putin: Wegen der
Seele, weiß ich nicht, da muss ich nochmal nachdenken. Aber um
ehrlich zu sein, kann ich mich an diesen Teil unseres Gesprächs
nicht erinnern. Aber wenn wir uns treffen, reden, arbeiten,
Entscheidungen treffen, handeln wir alle im Interesse unserer
Staaten, unserer Nationen. Und das ist die Grundlage all unseres
Handelns und Denkens und das ist das Motiv für Treffen dieser
Art.
Was die Seele angeht, gehen Sie bitte in die
Kirche.
Simmons: Ja, Sie werden oft als religiöser Mensch
beschrieben und er sagt, er habe Ihnen das direkt ins Gesicht gesagt:
Sie sind ein seelenloser Mensch.
Putin: Daran kann ich mich
nicht erinnern. Da ist irgendwas mit meinem Gedächtnis nicht in
Ordnung.
Simmons: Er sagt, das war vor 10 Jahren, als er
Vizepräsident war.
Putin: Er hat ein gutes Gedächtnis,
wahrscheinlich. Ich schließe es nicht aus, aber ich kann mich nicht
daran erinnern. Im Allgemeinen versuchen Menschen, sich bei
persönlichen Treffen korrekt zu verhalten. Ich kann mich an kein
unangemessenes Verhalten meiner Kollegen erinnern, es ist bisher
nichts dergleichen passiert. Vielleicht hat er irgendwas gesagt, aber
ich erinnere mich nicht mehr.
Simmons: Halten Sie es für
unangebracht, solche Dinge zu sagen?
Putin: Es kommt auf den
Kontext an, auf die Form der Aussage. Verstehen Sie, man kann all das
auf verschiedene Arten sagen und auf verschiedene Arten präsentieren.
Aber eigentlich treffen sich Menschen, um Beziehungen aufzubauen und
die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zu schaffen, um
irgendwelche positive Ergebnisse zu erzielen. Und wenn wir
miteinander streiten müssen, einander anbellen, wie wir in Russland
sagen, warum sollen wir uns dann treffen und Zeit verschwenden? Dann
kann man sich besser um fiskale und sozialpolitische Fragen im
eigenen Land kümmern. Wir haben eine Menge Probleme, die wir lösen
müssen. Was macht das für einen Sinn? Es ist sinnlose
Zeitverschwendung, das ist alles.
Man kann diese Themen
natürlich für den innenpolitischen Konsumenten präsentieren und
ich denke, das ist es, was in den letzten Jahren in den Vereinigten
Staaten getan wurde, als die Beziehungen zwischen den USA und
Russland für den erbitterten innenpolitischen Kampf in den
Vereinigten Staaten selbst geopfert wurden.
Wir wissen das nur
zu gut, was hat man uns nicht alles vorgeworfen: Einmischung in
Wahlen, Cyber-Angriffe und so weiter. Und nicht ein einziges Mal
haben sie sich die Mühe gemacht, irgendwelche Beweise zu zeigen, nur
unbelegte Anschuldigungen. Ich frage mich, warum wir noch nicht
beschuldigt worden sind, die Black-Lives-Matter-Bewegung angestiftet
zu haben, das wäre auch eine gute Angriffslinie. Aber wir machen so
was nicht.
Simmons: Was halten Sie von der
Black-Lives-Matter-Bewegung?
Putin: Ich denke, dass das
natürlich innenpolitisch von einer der politischen Kräfte während
des Wahlkampfes benutzt wurde, aber es gibt auch bestimmte Gründe
für die Bewegung. Erinnern wir uns an Colin Powell, der sowohl
Außenminister als auch Chef des Pentagons war, und er schrieb in
seinem Buch, dass selbst er, ein hochrangiger Beamter, sein ganzes
Leben lang eine Art Ungerechtigkeit gegenüber sich selbst als Person
dunkler Hautfarbe empfunden hat.
Noch seit der Sowjetzeit
haben wir in Russland immer mit dem Kampf der Afroamerikaner für
ihre Rechte sympathisiert und das hat gewisse Wurzeln, eine
Grundlage. Aber gleichzeitig, egal wie edel die Ziele von jemandem
sein mögen, wenn sie ins Extreme gehen, wenn sie Elemente des
Extremismus annehmen, können wir sie nicht gutheißen. Und hier
haben wir eine sehr einfache Haltung dazu: Wir unterstützen den
Kampf der Afroamerikaner für ihre Rechte, aber wir sind gegen jede
Art von Extremismus, den wir manchmal leider auch jetzt
sehen.
Simmons: Sie haben die Cyberangriffe erwähnt und
bestreiten eine Beteiligung Russlands an diesen Angriffen. Aber Herr
Präsident, es gibt jetzt eine riesige Menge an Beweisen, und es gibt
bestimmte Cyber-Angriffe, die offenbar staatlich gesponsert wurden.
Ich gebe fünf Beispiele.
Der US-Geheimdienste sagen, dass
Russland im Jahr 2016 in die Wahl eingegriffen hat und die
Verantwortlichen für die Wahl sagten, dass Russland im Jahr 2020 in
die Wahl eingegriffen hat. Die Verantwortlichen für Cybersicherheit
sagen, dass Hacker in die Verwendung und Entwicklung des
Coronavirus-Impfstoffs eingegriffen haben.
SolarWinds war auch
eine der schlimmsten Cyberattacken, die schwerste Cyberattacke, es
waren neun US-Behörden betroffen. Und kurz vor dem Gipfel sagte
Microsoft, dass es einen weiteren Angriff gab und die Ziele
Organisationen waren, die Ihnen gegenüber kritisch eingestellt
waren, Herr Präsident.
Herr Präsident, führen Sie einen
Cyberkrieg gegen Amerika? Stimmt das?
Putin: Verehrter Keir,
Sie haben gesagt, dass es eine ganze Reihe von Beweisen für
Cyberangriffe durch Russland gibt, und dann haben Sie die offiziellen
US-Behörden aufgelistet, die das gesagt haben, richtig?
Simmons:
Ich gebe Ihnen nur die Information, wer es gesagt hat, damit Sie
antworten können.
Putin: Ja, Sie geben die Information an
mich weiter, wer das gesagt hat. Aber wo ist der Beweis, dass dies
tatsächlich geschehen ist? Ich sage Ihnen was: dies und das und
jenes wurde gesagt, aber wo ist der Beweis? Ich kann auf solche
haltlosen Anschuldigungen antworten: Sie können sich bei der
Internationalen Liga für Sexualreform beschweren. Stellt Sie das
zufrieden?
Das ist doch alles nur Gerede über nichts. Legen
Sie wenigstens irgendetwas auf den Tisch, das wir uns ansehen und auf
das wir reagieren können. Aber es gibt nichts.
Soweit ich
weiß, war einer der letzten Angriffe der auf das
US-Pipelinesystem.
Simmons: Ja.
Putin: Soweit ich weiß,
haben die Aktionäre dieser Firma sogar beschlossen, ein Lösegeld zu
zahlen. Sie haben die Cyber-Banditen ausgezahlt. Aber wenn Sie die
ganze Reihe der angesehenen US-Geheimdienste aufzählen, sie sind
mächtig und global, können sie diejenigen finden, die am Ende das
Lösegeld bekommen haben oder nicht? Ich hoffe, sie überzeugen sich
davon, dass Russland nichts damit zu tun hat.
Jetzt ein
Cyberangriff auf irgendeine Fleischverpackungsanlage. Und dann steht
auf gefärbten Eiern, dass der Angriff abgeschlossen ist, verstehen
Sie? Es wird einfach zu einer Art Farce, einer endlosen Farce. Sie
sagten: viele, viele Beweise, aber Sie haben keine genannt. Es ist
nur leeres Gerede. Wovon reden wir hier?
Simmons: Sie sind zum
Thema dieses Lösegelds und der Kriminellen übergegangen. Es heißt
immer, russischsprachige Kriminelle bedrohen den American Way of
Life, Krankenhäuser, Wassersysteme, Lebensmittelversorgung. Was
glauben Sie, warum diese Kriminellen die russische Diplomatie
zerstören? Wollen Sie verstehen, wer generell dahinter steckt, damit
die das Image Russlands nicht ruinieren?
Putin: Wissen Sie, am
einfachsten wäre es, wenn wir uns in Ruhe hinsetzen und uns darauf
einigen würden, im Cyberspace zusammenzuarbeiten. Wir haben es der
Obama-Regierung vorgeschlagen…
Simmons: Im
September.
Putin: …irgendwann im Oktober. Wir haben im
September begonnen und es im letzten Jahr seiner Präsidentschaft
angeboten. Zuerst waren sie still, aber im November sagten sie, ja,
das ist interessant. Dann haben sie die Wahlen verloren. Wir haben
den Vorschlag an die Regierung von Herrn Trump wiederholt. Uns wurde
gesagt, dass es interessant sei, aber es kam nicht zu wirklichen
Verhandlungen.
Es gibt Grund zu der Annahme, dass wir mit der
neuen Administration in dieser Sache zusammenarbeiten können. Ich
hoffe, dass die innenpolitische Situation in den Vereinigten Staaten
uns nicht daran hindern wird, dies zu tun.
Aber wir haben
diese Arbeit vorgeschlagen: Lasst uns gemeinsam sehen, was wir tun
können, lasst uns die Prinzipien der gemeinsamen Arbeit vereinbaren
und lasst uns vereinbaren, wie wir den Widerstand gegen diesen
Prozess, der an Fahrt gewinnt, aufbauen können. In der Russischen
Föderation selbst ist die Zahl der Cyberkriminalität in letzter
Zeit um ein Vielfaches gestiegen, und zwar innerhalb des Landes. Wir
versuchen, entsprechend zu reagieren, wir suchen nach diesen
Cyberkriminellen, und wenn wir sie finden, bestrafen wir sie. Wir
sind auch bereit, mit internationalen Akteuren zusammenzuarbeiten,
auch mit den USA, aber sie weigern sich. Sie weigern sich,
zusammenzuarbeiten. Was können wir tun? Wir können diese Arbeit
nicht im Alleingang machen.
Simmons: Ich bin nicht die
Regierung, Herr Präsident, ich bin nur ein Journalist und ich stelle
ein paar Fragen. Aber wenn Sie verhandeln wollen, sollten Sie
vielleicht um einen Waffenstillstand bitten, denn es herrscht gerade
Krieg. Was für Verhandlungen kann es geben, wenn ein Krieg
herrscht?
Putin: Wissen Sie, was den Krieg betrifft, hat die
NATO offiziell – ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken –
offiziell erklärt, dass sie den Cyberspace als ein Gebiet für
Kampfhandlungen betrachtet und militärische Übungen im Cyberspace
durchführt. Wir reden nie darüber.
Simmons: Und Sie sind ein
Teilnehmer an diesen militärischen Aktionen.
Putin:
Nein.
Simmons: Russland befindet sich auf diesem Gebiet im
Krieg. Ist das nicht so?
Putin: Nein, das ist es nicht. Das
ist nichts so.
Simmons: Wirklich?
Putin: Wenn wir das
tun wollten… Die NATO hat gesagt, dass sie den Cyberspace als eine
Sphäre von Kampfhandlungen betrachtet und sie bereitet sich darauf
vor und führt sogar Übungen durch. Was hält uns zurück, wir
könnten auch sagen, wenn Ihr es tut, werden wir es auch tun. Aber
das wollen wir nicht. So wie wir den Weltraum nicht militarisieren
wollen, wollen wir auch den Cyberspace nicht militarisieren. Und wir
haben viele Male angeboten, bei der Sicherheit in diesem Bereich
zusammenzuarbeiten, aber Ihre Regierung weigert sich.
Simmons:
Ich habe Ihre Vorschläge vom September gesehen, sie wurden im
September gemacht. Sie schlagen also vor, dass, wenn Sie zu einer
Vereinbarung kommen können, eine Vereinbarung über Hackerangriffe
und Wahleinmischung, dann werden Sie alle diese Aktionen
zurückziehen, wenn Amerika Ihre politischen Aktionen nicht
kommentiert und sich nicht in Ihre politischen Handlungen und
politischen Gegner einmischt?
Putin: Wir setzen darauf, dass
sich niemand in die innenpolitischen Prozesse eines anderen Landes
einmischen sollte: nicht Amerika in unsere, nicht wir in die Amerikas
und in kein anderes Land. Es ist notwendig, den Menschen aller Länder
die Chance zu geben, sich friedlich zu entwickeln. Auch wenn es eine
Krisensituation gibt, sollte sie von den Menschen im Lande selbst
gelöst werden, ohne Einmischung von außen.
Aber es scheint
mir, dass dieser Appell an die amerikanischen Regierungen,
einschließlich der aktuellen, wenig wert ist. Denn es scheint mir,
dass sich die US-Regierung weiterhin in die innenpolitischen Prozesse
in anderen Ländern einmischen wird und es ist sehr unwahrscheinlich,
dass dieser Prozess gestoppt werden kann, weil er so viel Fahrt
aufgenommen hat. Aber es ist durchaus möglich, sich auf eine
gemeinsame Arbeit im Cyberspace und die Verhinderung einiger
inakzeptabler Aktionen von Cyberkriminellen zu einigen. Wir rechnen
fest damit, dass wir diesen Prozess mit unseren amerikanischen
Partnern etablieren können.
Simmons: Wenn Sie in Amerika
wären, wovor hätten Sie als nächstes Angst – davor, dass die
Lichter ausgehen? Sind das zum Beispiel einige der Aktionen, die 2015
in der Ukraine stattgefunden haben?
Putin: Ich verstehe nicht:
Wenn ich in Amerika wäre, wovor sollte ich Angst haben? Wenn ich ein
Amerikaner wäre oder was?
Simmons: Wovor sollten sich die
Amerikaner fürchten und Angst haben? Was kann passieren, wenn es
keine Einigung über die Bekämpfung von Cyber-Kriminalität
gibt?
Putin: Genau wie die Militarisierung des Weltraums ist
das ein sehr gefährlicher Bereich. Es war ja einmal so, dass die
Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, um im nuklearen Bereich, im
Bereich der Konfrontation auf dem Gebiet der Atomwaffen, etwas zu
erreichen, vereinbart haben, dieses Wettrüsten einzudämmen. Aber
der Cyberspace ist ein sehr sensibler Bereich. Heute sind viele
menschliche Aktivitäten und die Ausübung staatlicher Funktionen mit
digitaler Technologie verbunden. Natürlich können Eingriffe in
diese Prozesse ernsthafte Schäden verursachen, das ist jedem klar.
Ich wiederhole zum dritten Mal: Lassen Sie uns zusammensetzen und uns
darauf einigen, gemeinsam für die Sicherheit auf diesem Gebiet zu
sorgen, das ist alles. Was ist daran schlecht?
Ich bitte nicht
Sie darum, ich will Sie nicht in eine schwierige Lage bringen, aber
für mich als normalen Bürger wäre es unverständlich, warum Ihre
Regierung sich weigert, das zu tun. Die Anschuldigungen häufen sich,
bis hin zur Einmischung in Cyberattacken auf irgendeine
Fleischfabrik, während unsere Vorschläge, Verhandlungen zu diesem
Thema aufzunehmen, abgelehnt werden. Das ist doch Unsinn! Aber genau
das passiert doch gerade.
Ich wiederhole nochmals: Ich hoffe,
dass wir auch in diesem Bereich positiv arbeiten können.
Wovor
sollte man sich fürchten? Warum schlagen wir eine Vereinbarung vor?
Weil das, was in Amerika gefürchtet wird, auch bei uns gefürchtet
werden könnte. Die Vereinigten Staaten sind ein High-Tech-Land. Wenn
die NATO angekündigt hat, dass der Cyberspace ein Kampfgebiet ist,
bedeutet das, dass sie etwas plant und vorbereitet. Natürlich sind
wir darüber besorgt.
Simmons: Haben Sie Angst, dass der
US-Geheimdienst tief in das russische System eingedrungen ist und
Ihnen im Cyber-Bereich schaden kann?
Putin: Ich habe keine
Angst, aber ich meine, es ist möglich.
Simmons: Lassen Sie
mich eine Frage zu den Menschenrechten stellen. Das ist eine Frage,
die Präsident Biden aufwerfen wird. Er wird über Alexej Navalny
sprechen, verschiedene Morde, darüber, wer jetzt im Gefängnis ist.
Warum haben Sie so viel Angst vor der Opposition, Herr
Präsident?
Putin: Wer hat Ihnen gesagt, dass die Opposition
uns oder mir Angst macht? Wer hat Ihnen das gesagt? Wissen Sie, das
ist sogar lächerlich.
Simmons: Entschuldigen Sie, ein
russisches Gericht hat jetzt eine Organisation verboten, die mit
Herrn Navalny verbunden ist. Und die gesamte nicht-systemische
Opposition sieht sich nun strafrechtlichen Anklagen ausgesetzt, auch
Journalisten, viele haben den Status eines ausländischen Agenten
erhalten, und das bedeutet in der Tat einen schweren Rückschlag für
ihre Aktivitäten. Andersdenkende werden in Russland also nicht mehr
geduldet.
Putin: Sie stellen dies als Andersdenkende und
Intoleranz gegenüber Andersdenkenden in Russland dar. Wir sehen das
ganz anders. Und Sie haben das Gesetz über ausländische Agenten
erwähnt. Aber das war nicht unsere Erfindung, das war ein Gesetz
über ausländische Agenten, das in den USA in den 1930er Jahren
verabschiedet wurde, und es ist viel strenger als unseres,
einschließlich des Ziels, Einmischung in das politische Leben der
Vereinigten Staaten zu verhindern. Und alles in allem halte ich das
für gerechtfertigt.
Simmons: Herr Präsident, wir nennen das,
was Sie in Amerika tun, einfach „look at yourselves“, wie man in
Amerika sagt. Ich werde eine direkte Frage stellen, eine offene
Frage.
Putin: Lassen Sie mich antworten, Sie haben mir eine
Frage gestellt. Meine Antwort gefällt Ihnen nicht und Sie
unterbrechen mich sofort. Das ist nicht der richtige Weg.
In
Amerika wurde dieses Gesetz vor langer Zeit verabschiedet, es ist
jetzt in Kraft, und die Strafen sind viel härter als bei uns, bis
hin zu Haftstrafen und so weiter.
Simmons: Sie sprechen wieder
von den Vereinigten Staaten.
Putin: Ja, ich werde auf uns
zurückkommen, keine Sorge, ich werde nicht bei den US-Themen
bleiben. Ich werde zurückkommen und kommentieren, was bei uns
vorgeht.
Simmons: Ich dachte, Sie wären der Meinung, dass
sich Länder nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder
einmischen und die Politik nicht kommentieren sollten, und jetzt tun
Sie es wieder.
Putin: Nein. Wenn Sie einfach Geduld haben und
mich ausreden lassen, wird Ihnen alles klar. Aber Sie mögen meine
Antwort nicht, Sie wollen nicht, dass Ihre Zuschauer meine Antwort
hören, das ist das Problem. Sie knebeln mich. Ist das
Meinungsfreiheit? Oder ist das Meinungsfreiheit auf amerikanische
Art?
Simmons: Antworten Sie bitte.
Putin: Nun, es gibt
ein Gesetz, das in den USA verabschiedet worden ist. Wir haben es
erst vor kurzem verabschiedet, um unsere Gesellschaft vor Einmischung
von außen zu schützen. In einigen US-Bundesstaaten sagt der
Staatsanwalt, wenn sich ausländische Beobachter einem Wahllokal
nähern, dass sie sie ins Gefängnis stecken wird, wenn Sie sich dem
Wahllokal noch einige Meter nähern. Ist das normal? Ist das
Demokratie in der modernen Welt? Und in einigen Bundesstaaten ist das
die Praxis. So etwas haben wir hier nicht.
Wenn ich über
diese Gesetze spreche, über Nichteinmischung oder
Einmischungsversuche, was meine ich dann in Bezug auf Russland? Viele
sogenannte zivilgesellschaftliche Strukturen… Warum sage ich
„sogenannte“? Sie werden aus dem Ausland finanziert,
Aktionsprogramme werden vorbereitet, Aktivisten werden im Ausland
ausgebildet, und wenn unsere staatlichen Strukturen das sehen,
verabschieden wir die entsprechenden Beschlüsse und Gesetze, um eine
solche Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten zu verhindern
und die sind milder als Ihre.
Wir haben ein Sprichwort: Gib
nicht dem Spiegel die Schuld, wenn du ein schiefes Gesicht hast. Es
hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun, aber wenn jemand uns
beschuldigt, schauen Sie sich selbst an, Sie werden sich selbst im
Spiegel sehen und nicht uns. Daran ist nichts Ungewöhnliches.
Was
die politische Aktivität und das politische System betrifft, so
entwickelt es sich. Bei uns sind 34 Parteien registriert, ich glaube,
im September nehmen 32 an verschiedenen Wahlen im ganzen Land
teil.
Simmons: Aber das ist die registrierte
Opposition.
Putin: Es gibt eine nicht-systemische Opposition.
Sie sagten, dass jemand inhaftiert wurde, dass jemand im Gefängnis
ist – ja, auch das kommt vor. Sie haben einige Namen
genannt.
Simmons: Ja, die meinte ich.
Putin: Ja, ja,
das sage ich gleich. Ich sage es Ihnen gleich, ich werde keine Ihrer
Fragen auslassen, keine Sorge.
Simmons: Sein Name ist Aleksej
Navalny.
Putin: Das ist unwichtig.
Simmons: Ich werde
Ihnen eine direkte Frage stellen: Haben Sie seinen Mord angeordnet
oder nicht?
Putin: Natürlich nicht. Wir haben nicht die
Angewohnheit, jemanden zu töten, das ist das erste.
Zweitens
möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Haben Sie die Tötung der Frau
angeordnet, die in den Kongress ging und von einem Polizeibeamten
erschossen wurde? Und wissen Sie, dass bei Ihnen 450 Personen nach
dem Betreten des Kongresses verhaftet wurden? Und sie kamen nicht, um
dort einen Computer zu stehlen, sie kamen mit politischen
Forderungen. 450 Menschen wurden verhaftet, ihnen drohen 15 bis 25
Jahre Gefängnis und sie kamen mit politischen Forderungen. Ist das
nicht eine Verfolgung wegen politischer Ansichten? Einige werden der
Verschwörung zur Machtergreifung beschuldigt. Einige werden sogar
des Raubes beschuldigt. Sie sind nicht zum Plündern gekommen.
Die
Leute, die Sie erwähnt haben – ja, sie wurden verurteilt, weil sie
gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen haben. Zweimal wurde eine
Person zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. De facto sind das nur
Verwarnungen, nicht gegen die in Russland geltenden Gesetze zu
verstoßen. Nein, sie haben die gesetzlichen Vorschriften vollkommen
ignoriert. Schließlich erließ das Gericht ein entsprechendes Urteil
und hob die Bewährung auf. Ich kann Ihnen sagen, dass es in Russland
jedes Jahr Tausende solcher Menschen gibt, die die Bewährungsauflagen
verletzen, die das Gesetz ignorieren. Es gibt Tausende von ihnen! Und
sie haben nichts mit politischer Aktivität zu tun. Und wenn sich
jemand hinter politischer Aktivität versteckt, um seine
Angelegenheiten, auch kommerzielle, zu erledigen, dann muss er dafür
zur Verantwortung gezogen werden.
Simmons: Sehen Sie, Sie
sagen es schon wieder: Und wie ist das in Amerika? Ich werde Ihnen
diese Frage stellen. Sie sprachen über den amerikanischen Kongress.
Nochmals eine einfache Frage: Die Anschuldigungen werden gehört, sie
werden in den USA immer wieder gehört, der verstorbene John McCain
hat Sie im Kongress direkt einen Mörder genannt, und Biden hat das
auch nicht bestritten, und selbst Trump hat das nicht bestritten. Und
als Biden direkt gefragt wurde, antwortete er ebenfalls. Also, Herr
Präsident, sind Sie ein Mörder?
Putin: Hören Sie, im Laufe
meiner Arbeit habe ich mich daran gewöhnt, bei vielen Gelegenheiten
angegriffen zu werden, bei vielen Gelegenheiten, in unterschiedlicher
Qualität und Schärfe. Das überrascht mich nicht. Wir sind nicht
Braut und Bräutigam, wir schwören uns mit diesen Menschen, mit
denen wir auf dem internationalen Parkett arbeiten und streiten,
nicht ewige Liebe und Freundschaft. Wir sind Partner und wir
konkurrieren in mancher Hinsicht miteinander.
Was die harsche
Rhetorik angeht, so scheint mir, dass das überhaupt eine Erscheinung
der allgemeinen amerikanischen Kultur ist. Natürlich gibt es zum
Beispiel in Hollywood – und wir haben am Anfang unseres Gesprächs
über Hollywood gesprochen – einige tiefgründige Dinge, die man
durchaus der Filmkunst zuordnen kann. Aber meistens ist es eine Art
von Machogehabe. Das wird in der amerikanischen Kultur, auch in der
politischen Kultur, irgendwie als normal angesehen. Bei uns übrigens
nicht. Aber wenn auf diese Rhetorik ein Angebot folgt, sich zu
treffen und bilaterale Fragen und internationale Politik zu
besprechen, dann verstehe ich das als den Wunsch, zusammenzuarbeiten.
Wenn dieser Wunsch ernst gemeint ist, sind wir bereit, ihn zu
unterstützen.
Simmons: Aber ich glaube, Sie haben die Frage
nicht direkt beantwortet.
Putin: Das habe ich. Ich werde jetzt
mehr hinzufügen, wenn Sie erlauben.
Ich habe Dutzende solcher
Anschuldigungen gehört, insbesondere während der schwierigen
Ereignisse in unserem Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus.
Ich habe immer die Interessen des russischen Staates und des
russischen Volkes verfolgt und ich kümmere mich nicht um diese
Maximen, wer wen und wie und was nennt.
Simmons: Bitte schön,
hier ist eine Liste von Namen: Anna Politkowskaja wurde erschossen,
Litwinenko wurde mit Polonium vergiftet, Sergej Magnitskij wurde
angeblich zusammengeschlagen und starb im Gefängnis, Boris Nemzow
wurde wenige Meter vom Kreml entfernt erschossen, Michail Lesin starb
an seinen Verletzungen in Washington. Das sind alles Ihre
Opfer.
Putin: Wissen Sie was, ich will nicht grob klingen,
aber das sieht aus wie eine Art Verdauungsstörung, nur eine
verbale.
Sie haben eine Menge Menschen aufgezählt, die
wirklich gelitten haben und zu unterschiedlichen Zeiten aus
unterschiedlichen Gründen durch die Hände verschiedener Menschen
gestorben sind.
Lesin, den Sie erwähnt haben. Er hat früher
für mich in der Verwaltung gearbeitet und ich hatte ein sehr gutes
Verhältnis zu ihm. Ich weiß nicht, ob er in den USA gestorben ist
oder nicht, aber wir müssen Sie fragen, wie er dort gestorben ist.
Ich für meinen Teil bin immer noch traurig, dass er gestorben ist.
Meiner Meinung war er nach ein sehr anständiger, ehrbarer Mann.
Was
die anderen betrifft, so haben wir einige der Verbrecher gefunden,
die diese oder jene Verbrechen begangen haben, einige sind im
Gefängnis. Wir sind bereit, auf die gleiche Art und Weise
weiterzuarbeiten und jeden zu identifizieren, der gegen das Gesetz
verstößt und durch seine Handlungen Schaden verursacht, auch für
das Image Russlands. Aber alles einfach so in einen Topf zu werfen,
macht keinen Sinn, ist falsch und entbehrt jeglicher Grundlage. Wenn
Sie das für eine Angriffslinie halten, lassen Sie es mich bitte noch
einmal hören. Ich wiederhole, ich habe das ich schon oft gehört,
aber es beirrt mich nicht im Geringsten. Ich weiß, welche Richtung
wir einschlagen müssen, um die Interessen des russischen Staates zu
sichern.
Simmons: OK, ich werde für Sie das Thema
wechseln.
Ukraine und Weißrussland – diese beiden Länder
werden natürlich bei dem Treffen mit Präsident Biden zur Sprache
kommen. Wussten Sie im Voraus, dass es eine Notlandung eines
Verkehrsflugzeugs geben würde, dass zwei Personen verhaftet werden
würden, dass sie aus dem Flugzeug steigen und verhaftet werden
würden?
Putin: Davon habe ich nichts gewusst. Ich wusste
nichts über irgendein Verkehrsflugzeug und ich habe auch nichts über
die Leute gehört, die verhaftet wurden. Ich habe es aus den Medien
erfahren. Ich wusste nichts von irgendwelchen Verhaftungen, ich habe
keine Ahnung. Das ist für uns nicht von Interesse.
Simmons:
Sie scheinen zuzustimmen, als ob Sie diese Handlung gutheißen. Sie
hatten sofort danach ein Treffen mit Lukaschenko.
Putin: Ich
billige oder verurteile das nicht. Es ist so geschehen. In einem
Gespräch, das ich kürzlich mit einem europäischen Kollegen führte,
habe ich ihm die Version von Herrn Lukaschenko erzählt, dass sie
dort Informationen erhalten hätten, dass sich ein Sprengsatz an Bord
befinde. Sie informierten den Piloten, sie zwangen ihn nicht zu
landen, und der Pilot entschied sich für eine Landung in Minsk. Das
war alles.
Simmons: Und Sie glauben, dass das wahr
ist?
Putin: Warum sollte ich ihm nicht glauben? Fragen Sie den
Piloten. Am einfachsten ist es, den verantwortlichen Piloten zu
fragen: Wurdest Du zur Landung gezwungen, oder nicht? Fragen Sie ihn.
Haben Sie ihn gefragt? Ich habe nie ein Interview mit dem
verantwortlichen Piloten gehört, der in Minsk gelandet ist. Warum
fragen Sie ihn nicht: Wurden Sie zur Landung gezwungen? Das ist sogar
seltsam. Alle beschuldigen Lukaschenko, aber sie fragen nicht den
Piloten.
Wissen Sie, ich kann mich an einen anderen Fall
dieser Art erinnern, nämlich an den, in dem das Flugzeug des
bolivianischen Präsidenten auf Anordnung der US-Regierung in Wien
zur Landung gezwungen wurde. Das Flugzeug eines Präsidenten wurde
zur Landung aufgefordert, einfach so. Der Präsident wurde aus dem
Flugzeug geholt, das Flugzeug wurde durchsucht, und Sie erwähnen das
nicht einmal. Denken Sie, dass das normal ist? Das war gut, aber
Lukaschenko hat etwas Schlechtes getan? Sehen Sie, lassen Sie uns
irgendwie die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Begriffe
verwenden. Hier heißt es, „Lukaschenko ist ein Bandit“. Aber
dort ist das gut? Das wurde damals in Bolivien als nationale
Demütigung empfunden, aber alle haben dort geschwiegen, um die
Beziehungen nicht zu verschlimmern. Niemand erinnert sich daran und
das ist übrigens nicht der einzige Fall. Es ist nicht der einzige.
Also, was ist mit Lukaschenko? Sie haben ihm ein Beispiel
gegeben.
Simmons: Sie haben das angesprochen, aber das ist ein
ganz anderes Beispiel. Herr Präsident, wir reden hier über einen
kommerziellen Flug. Sehen Sie, die Menschen sollten das Recht haben,
ein Flugticket zu kaufen und sicher zu fliegen, ohne Angst, von einem
Kampfjet getroffen zu werden, ohne zur Landung gezwungen zu werden,
ohne abgeschossen zu werden oder Journalisten verhaften zu
lassen.
Putin: Hören Sie mir zu, ich sage Ihnen noch einmal,
was mir Präsident Lukaschenko gesagt hat. Ich habe keinen Grund, ihm
nicht zu glauben. Fragen Sie den Piloten, ich sage es Ihnen jetzt zum
dritten Mal. Warum fragen Sie ihn nicht? Wurde er genötigt, wurde er
eingeschüchtert? Die Tatsache, dass die Information im Umlauf war,
dass sich ein Sprengsatz an Bord befand, dass Menschen, Passagiere,
Bürger, die nichts mit Politik oder mit inneren Konflikten oder mit
irgendetwas anderem zu tun haben, das vielleicht negativ wahrgenommen
haben, vielleicht deshalb verängstigt waren – das ist natürlich
schlecht. Was ist daran gut? Wir verurteilen natürlich alles an
diesem Fall: den internationalen Terrorismus mit dem Einsatz von
Flugzeugen und so weiter. Natürlich sind wir dagegen.
Sie
haben mir gesagt, dass die Landung des Flugzeugs mit dem Präsidenten
von Bolivien ein anderer Fall ist. Anders, ja, nur ist es eben
zehnmal schlimmer als das, was in Weißrussland gemacht wurde, wenn
überhaupt etwas gemacht wurde. Und Sie wollen es nicht einfach zur
zugeben, es durchgehen lassen und wollen, dass Millionen von Menschen
auf der ganzen Welt das nicht bemerken oder am nächsten Tag
vergessen. Das wird nicht funktionieren.
Simmons: OK, die
Ukraine ist Ihr Nachbar. Anfang dieses Jahres erklärte die EU, dass
es eine große Aufstockung des russischen Militärs, Truppen an der
Grenze zur Ukraine gab. Was war der Grund dafür? Wofür war
das?
Putin: Sehen Sie, zunächst einmal hat die Ukraine selbst
Truppen und militärische Ausrüstung in das Konfliktgebiet in der
Südostukraine, in den Donbass, gebracht, und ich denke, sie tut das
auch jetzt noch.
Zweitens haben wir planmäßige Manöver auf
unserem Territorium durchgeführt, nicht nur im Süden der Russischen
Föderation, sondern auch im Fernen Osten und im Norden, in der
Arktis. Es fanden zeitgleiche Manöver in mehreren Regionen der
Russischen Föderation statt. Zur gleichen Zeit führten die USA
Manöver in Alaska durch, nur um das festzuhalten. Wissen Sie etwas
darüber? Nein? Wahrscheinlich nicht. Ich sag’s Ihnen, ich weiß
es. Das ist auch direkt an unserer Grenze, aber es ist auf Ihrem
Gebiet. Wir haben das nicht einmal beachtet.
Und das ist es,
was jetzt passiert: An unserer südlichen Grenze findet ein Manöver
namens Defender Europe statt. 40.000 Soldaten, 15.000 Stück
militärische Ausrüstung, einige von ihnen wurden vom amerikanischen
Kontinent bis an unsere Grenzen verlegt. Haben wir unsere Ausrüstung
an die amerikanische Grenze verlegt? Nein. Warum sind Sie
besorgt?
Simmons: Sehr oft sind diese Manöver, die wir
durchführen, eine Reaktion auf Ihre Aktionen und Ihre Manöver. Ihre
Konfrontation mit der NATO hat diese Situation in vielerlei Hinsicht
verschlimmert und die NATO spielt sozusagen die Verteidigung.
Putin:
Na das ist doch mal eine Verteidigung! In der Zeit der Sowjetunion
wurde Gorbatschow – Gott sei Dank ist er noch gesund und am Leben –
versprochen, fragen Sie ihn danach, mündlich versprochen, aber
trotzdem haben sie versprochen, dass sich die NATO nicht nach Osten
ausweiten wird. Und was ist mit diesen Versprechen? Zwei
Erweiterungswellen.
Simmons: Wo steht das geschrieben, wo
wurde dieses Versprechen verankert?
Putin: Das haben Sie gut
gemacht! Richtig, Sie haben den Dummkopf mit vier geballten Fäusten
betrogen, wie man bei uns sagt. Man muss alles auf Papier festhalten.
(Anm. d. Übers.: Das von Putin benutzte Sprichwort ist schwer zu
übersetzen)
Aber wozu war es notwendig, die NATO nach Osten
zu erweitern und die Infrastruktur näher an unsere Grenzen zu
bringen? Und Sie sagen, dass wir uns aggressiv verhalten. Mit welcher
Begründung? Stellte Russland auch nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion eine Bedrohung für die USA oder ein anderes europäisches
Land dar? Wir haben freiwillig alle unsere Truppen aus Osteuropa
abgezogen, direkt auf die grüne Wiese. Die Menschen in unserem Land
litten, Militärfamilien lebten dort jahrzehntelang ohne normale
Lebensbedingungen, auch für ihre Kinder. Uns sind enorme Kosten
entstanden. Und was haben wir als Gegenleistung bekommen?
Militärische Infrastruktur hier an unseren Grenzen. Und Sie sagen,
dass wir jemanden bedrohen? Ja, wir führen regelmäßig Manöver
durch, darunter auch Manöver, die für unsere Streitkräfte
unerwartet sind. Warum sollte das unseren NATO-Partnern Anlass zur
Sorge geben? Ich verstehe das einfach nicht.
Simmons: Aber
jetzt würden Sie sich verpflichten, nicht mehr russische Truppen auf
das souveräne Territorium der Ukraine zu schicken, ein separates
Land?
Putin: Hören Sie mir zu, haben wir gesagt, dass wir
unsere Truppen irgendwo hinschicken werden? Jetzt sagen Sie: Könnten
Sie es jetzt machen? Wir halten Manöver auf unserem eigenen
Territorium ab. Wieso ist das nicht verständlich? Ich sage es noch
einmal und ich möchte, dass Ihre Zuschauer, Ihre Zuhörer an den
Fernsehern und im Internet es hören: Wir haben auf unserem
Territorium Manöver durchgeführt.
Stellen wir uns vor, wir
würden unsere Truppen sehr nahe an Ihre Grenzen schicken, wie würden
Sie reagieren? Das haben wir nicht getan, wir sind auf unserem
eigenen Gebiet. Sie haben in Alaska Manöver abgehalten und Gott mit
Ihnen! Aber Sie haben den Ozean in Richtung unserer Grenze überquert
und Tausende von Soldaten und Tausende von Militärfahrzeugen
mitgebracht. Und Sie meinen, dass wir uns aggressiv verhalten, aber
Sie nicht. Hallo, geht´s noch?
Simmons: Okay. Nächstes
Thema.
Beamte der Biden-Administration haben gesagt, dass Paul
Whelan und Trevor Reed bei diesem Gipfel ausgetauscht werden. Das
sind ehemalige US-Marines. Trevor Reid hat sich im Gefängnis mit dem
Coronavirus infiziert. Wäre diese Geste des guten Willens Ihrer
Meinung eine gute Geste?
Putin: Ich weiß, dass bei uns einige
US-Bürger inhaftiert und verurteilt sind. Aber wenn Sie die Zahl der
Bürger der Russischen Föderation nehmen, die in den Vereinigten
Staaten im Gefängnis sitzen, ist das eine unvergleichbare Zahl. Die
Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren die Praxis
übernommen, russische Staatsbürger in Drittländern zu fangen, sie
unter Verletzung allen internationalen Rechts in ihr Land zu
verschleppen und zu inhaftieren.
Gleich, Sekunde.
Simmons:
Wir haben einfach Zeitdruck. Aber wenn man uns mehr Zeit gibt, werden
wir uns gerne unterhalten.
Putin: Okay. Hier bestimme über
die Zeit, also keine Sorge.
Ihr Junge, der Marine, ist nur ein
Säufer und ein Chaot. Er hat sich besoffen, wie wir sagen, er hat
sich mit Wodka betrunken und hat eine Schlägerei begonnen, bei der
er auch einen Polizisten geschlagen hat. Das ist nichts Besonderes,
das ist alltäglich.
Was mögliche Verhandlungen über dieses
Thema angeht, bitte, wir können darüber reden. Wir werden natürlich
das Thema unserer Bürger ansprechen, die in den Vereinigten Staaten
im Gefängnis sitzen. Das ist ein Gesprächsthema. Bitte sehr.
Allerdings hat die US-Regierung das Thema nicht angesprochen, aber
wir sind bereit, darüber zu sprechen.
Unser Pilot Yaroshenko
sitzt bei Ihnen schon 15 oder fast 20 Jahre im Gefängnis. Auch dort
scheint es sich um einen reinen Kriminalfall zu handeln. Müsste man
drüber reden. Aber wir reden nicht darüber. Vielleicht ergibt sich
ja eine Gelegenheit. Wenn die amerikanische Seite bereit ist, dieses
Thema zu diskutieren, sind wir bereit, bitte.
Simmons: Wissen
Sie, es schmerzt seine Familie, solche Worte zu hören, dass er ein
Chaot ist. Ziehen Sie die Möglichkeit eines „Gefangenenaustausches“
in Betracht?
Putin: Was ist hier schmerzhaft? Er hat sich mit
Wodka betrunken, eine Schlägerei angefangen und sich mit
Polizeibeamten geprügelt. Was ist daran schmerzhaft? Das kommt vor
im Leben, das ist nichts Schlimmes. Nun, das passiert auch unseren
Männern: Sie trinken Wodka und geraten in eine Schlägerei. Na und?
Er hat das Gesetz gebrochen und er wurde ins Gefängnis gesteckt.
Aber in Ihrem Land würde er bei einer Schlägerei mit Polizeibeamten
auf der Stelle erschossen werden und damit wäre die Sache erledigt,
nicht wahr?
Simmons: Was den Gefangenenaustausch betrifft,
könnten Sie erwägen, das während des Treffens mit Präsident Biden
zu besprechen?
Putin: Natürlich. Noch besser wäre es, über
die Möglichkeit des Abschlusses eines Abkommens über die
Auslieferung von Personen zu sprechen, die sich im Gefängnis
befinden. Das ist eine weltweit übliche Praxis, wir haben solche
Vereinbarungen mit mehreren Ländern. Wir sind bereit, das auch mit
den Vereinigten Staaten zu diskutieren.
Simmons: Ich möchte
nur wissen, welche russischen Staatsangehörigen, die sich in den USA
aufhalten, welche von ihnen wollen Sie nach Russland zurückholen?
Namentlich.
Putin: Wir haben eine ganze Liste. Ich habe jetzt
den Piloten Yaroshenko genannt, der aus einem Drittland in die USA
gebracht wurde und dort eine ziemlich lange Strafe bekommen hat. Er
hat große gesundheitliche Probleme, aber irgendwie schenkt die
Gefängnisverwaltung dem keine Beachtung. Sie haben dem Coronavirus
Ihrer bei Ihrem Bürger Aufmerksamkeit geschenkt, aber niemand
erwähnt die Krankheiten unserer Bürger.
Wir sind bereit,
diese Themen zu diskutieren. Mehr noch, ich denke, das wäre
sinnvoll. Es gibt, wie Sie zu Recht sagten, und da stimme ich Ihnen
völlig zu, Fragen humanitärer Natur. Warum nicht darüber reden? Es
geht um die Gesundheit und das Leben von konkreten Menschen und deren
Familien. Natürlich.
Simmons: Bevor ich zum nächsten Thema
übergehe… Noch einmal zu Alexej Nawalny: Können Sie versprechen,
dass er das Gefängnis lebend und gesund verlassen wird?
Putin:
Hören Sie, das ist nicht die Entscheidung des Präsidenten, es ist
eine Gerichtsentscheidung, jemanden freizulassen oder nicht
freizulassen. Für die Gesundheit von Menschen, die sich in Haft
befinden, ist die Verwaltung des Haftortes verantwortlich. Die
medizinischen Einrichtungen in den Haftanstalten sind wahrscheinlich
nicht im besten Zustand, in Einrichtungen dieser Art. Die
Gefängnisbehörden sind diejenigen, die ein Auge darauf haben. Ich
hoffe, sie tun das in angemessener Weise.
Um ehrlich zu sein,
ist es schon lange her, dass ich an einem solchen Ort war, ich war
einmal in St. Petersburg in so einem Ort und die medizinische
Versorgung in Haftanstalten hat einen schlechten Eindruck auf mich
gemacht. Aber ich hoffe, dass in der Zwischenzeit etwas getan wurde,
um die Situation zu verbessern. Ich gehe davon aus, dass bei der von
Ihnen genannten Person die gleichen Methoden angewandt werden, keine
schlechteren, das kann man mit Sicherheit sagen, als bei allen
anderen Personen in Haft.
Simmons: Sein Name ist Alexej
Navalny. Sind Sie nicht bereit zu sagen, dass er aus dem Gefängnis
entlassen werden wird?
Putin: Hören Sie mir gut zu. Er kann
heißen, wie er will, er ist einer der Menschen im Gefängnis. Für
mich ist er ein Bürger der Russischen Föderation, der von einem
russischen Gericht verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt, davon
gibt es viele. Übrigens hat sich unsere so genannte
Gefängnispopulation, also die Menschen, die im Gefängnis sind, in
den letzten Jahren fast halbiert. Ich denke, das ist ein großer Sieg
für uns und ein ernsthaftes Zeichen, dass unser Rechtssystem humaner
wird. Es ist also nicht schlechter als bei anderen. Wir dürfen
niemandem eine Ausnahmeregelung gewähren, das wäre falsch, alle
sollten gleichgestellt sein, das nennt man
„Meistbegünstigungsprinzip“, nicht schlechter als jeder andere.
Und für die Person, die Sie erwähnt haben, gilt das auch.
Simmons:
Danke für Ihre Zeit, Herr Präsident, wir waren zwei Wochen in
Quarantäne, dies ist ein sehr wichtiges Interview für uns.
Ich
möchte eine Frage zu China stellen. China arbeitet jetzt an seinem
vierten Flugzeugträger, sie haben zwei, und Russland hat einen, und
der ist im Moment nicht in Bereitschaft. China weigert sich, an
Verhandlungen teilzunehmen, es hat sich letztes Jahr geweigert, über
Rüstungskontrolle zu verhandeln. Sie beschweren sich über die NATO
im Westen. Warum beschweren Sie sich nicht über Chinas
Militarisierung im Osten?
Putin: Das erste, was ich sagen
möchte, ist, dass wir in den letzten Jahren, in den letzten
Jahrzehnten, eine strategische Partnerschaft mit China gebildet
haben, wie wir sie in der Geschichte unserer Staaten noch nie
erreicht haben. Ein großes Maß an Vertrauen und Zusammenarbeit, und
zwar in allen Bereichen: in der Politik, in der Wirtschaft, in der
Technologie und in der militärisch-technischen Zusammenarbeit. Wir
meinen nicht, dass China eine Bedrohung für uns darstellt. Es ist
ein freundliches Land. Es erklärt uns ja nicht zum Feind, wie es die
Vereinigten Staaten getan haben. Wissen Sie davon denn gar nichts?
Das ist das Erste.
Zweitens: China ist ein riesiges, mächtiges
Land, eineinhalb Milliarden Menschen. Gemessen an der
Kaufkraftparität hat Chinas Wirtschaft die der Vereinigten Staaten
überholt. Beim Handelsumsatz mit Europa lag China im vergangenen
Jahr auf Platz eins, die Vereinigten Staaten auf Platz zwei. Haben
Sie das gewusst?
China entwickelt sich. Ich verstehe, dass
sich eine Konfrontation mit China anbahnt. Wir sehen das alles. Jeder
versteht das. Was gibt es hier zu verstecken und wovor sollte man
Angst haben? Aber wir sind nicht ängstlich, weil wir denken, dass
unsere Verteidigungsfähigkeit, wie wir sagen, auf einem sehr hohen
Niveau ist, auch deshalb. Aber das Wichtigste sind der Charakter und
das Niveau der Beziehung zu China.
Sie sagten, dass China vier
Flugzeugträger haben wird. Wie viele Flugzeugträger haben die
Vereinigten Staaten?
Simmons: Viel mehr.
Putin: Das ist
es, wovon ich spreche. Warum sollten wir Angst vor China und seinen
Flugzeugträgern haben? Zu allem Überfluss haben wir auch noch eine
riesige Grenze zu China, aber es ist eine Landgrenze. Glauben Sie
etwa, dass sie ihre Flugzeugträger durch unser Gebiet schicken
werden? Und dass sie vier haben werden, das ist richtig.
Simmons:
Sie haben dort auch eine Küste.
Putin: Was ist mit der Küste?
Es mag zwar eine riesige Küstenlinie sein, aber die Hauptgrenze zu
China verläuft im Landesinneren. Dass es vier Flugzeugträger gibt,
ist eine gute Sache, denn einer wird gewartet, einer ist im Einsatz,
einer soll repariert werden, und so weiter. Hier gibt es nichts
überzähliges bei China.
Und was Sie sagten: China lehnt
Gespräche ab – es lehnt Gespräche über die Reduzierung der
Atomwaffen ab. Sie sollten die Chinesen fragen, ob das gut oder
schlecht ist, das müssen sie selbst entscheiden. Ihre Argumente sind
einfach und klar: Die USA und Russland sind China sowohl bei der
Anzahl der Sprengköpfe als auch bei der Anzahl der Trägersysteme
weit überlegen. Die Chinesen fragen zu Recht: „Warum sollten wir
sie reduzieren, wenn wir sowieso kleiner sind als Ihr? Wir haben von
allem weniger. Oder wollen Sie unsere nukleare Abschreckung
einfrieren? Warum sollten wir sie einfrieren? Warum können wir, ein
Land mit anderthalb Milliarden Einwohnern, nicht versuchen, zumindest
Ihr Niveau zu erreichen?“ Dies sind kontroverse Fragen, die alle
eine sorgfältige Abwägung erfordern. Aber die Verantwortung für
Chinas Position auf uns abzuwälzen, ist lächerlich.
Simmons:
Was denken Sie über die Art und Weise, wie China die nationalen
Minderheiten in Xinjiang, die Uiguren, behandelt?
Putin:
Wissen Sie, ich habe mich mit einigen Uiguren getroffen. Sie können
immer Leute finden, die kritisch gegenüber der Zentralregierung
sind. Aber ich habe mich bei meinen Besuchen in China mit Uiguren
getroffen. Und ich versichere Ihnen, zumindest was ich mit meinen
eigenen Ohren gehört habe, dass sie die Politik der chinesischen
Regierung in dieser Hinsicht insgesamt begrüßen. Sie sind der
Meinung, dass China viel für die Menschen in dieser Region getan
hat, was die Wirtschaft, die Kultur und so weiter betrifft. Was kann
ich also sagen, wenn ich die Situation von außen
betrachte?
Simmons: Wirklich, Sie wissen, dass viele Uiguren
das nicht sagen, dass Amerika China des Völkermordes beschuldigt hat
und der Außenminister hat China des Völkermordes beschuldigt, eine
Million Uiguren sind jetzt im Konzentrationslager. Und welche
Botschaft möchten Sie in dieser Situation an die muslimische
Gemeinschaft in der ehemaligen Sowjetunion senden?
Putin: Als
Botschaft an die muslimische Gemeinschaft in Russland möchte ich die
Politik der russischen Regierung schicken. Russland hat einen
Beobachterstatus in der Organisation der Islamischen Konferenz.
Wahrscheinlich haben wir 10 Prozent, oder sogar mehr, islamische
Bevölkerung.
Das sind Bürger der Russischen Föderation, die
kein anderes Vaterland haben. Sie leisten einen großen Beitrag zur
Entwicklung unseres Landes. Das gilt für normale Bürger und das
gilt für religiöse Autoritäten. Warum sollte ich mit diesem Teil
unserer Bevölkerung mit Verweis auf die Situation in China
diskutieren und Beziehungen aufbauen, ohne im Detail zu verstehen,
was dort vor sich geht?
Ich denke, Sie sind besser dran, wenn
Sie sich mit all diesen Fragen im Außenministerium oder im
Außenministerium der Volksrepublik China melden.
Simmons: Es
ist nur die Frage, ob Sie bereit sind, China zu kritisieren. Zum
Beispiel enthielt sich China im Sicherheitsrat in der Krim-Frage und
Chinas größte Banken unterstützen die US-Sanktionen nicht. Sie
haben also 100-prozentige Unterstützung aus China, meinen Sie
das?
Putin: Wissen Sie, wir sind Nachbarn, man kann sich seine
Nachbarn nicht aussuchen. Wir freuen uns über das beispiellos hohe
Niveau unserer Beziehungen in den letzten Jahrzehnten, wie ich schon
sagte, und es ist uns sehr wertvoll. Wir schätzen es genauso wie
unsere chinesischen Freunde, und das sehen wir auch. Warum versuchen
Sie also, uns in Themen hineinzuziehen, die Sie für den Aufbau Ihrer
Beziehungen zu China so einschätzen, wie Sie es tun?
Ich
werde es Ihnen ganz offen sagen – darf ich offen sein?
Simmons:
Ja.
Putin: Wir sehen die Versuche, die Beziehungen zwischen
Russland und China zu zerstören, wir sehen das in der praktischen
Politik. Und damit hängen auch Ihre Fragen zusammen.
Ich habe
Ihnen meine Position dargelegt. Ich denke, das ist genug und ich bin
sicher, dass die chinesische Führung, die die Gesamtheit dieser
Probleme, einschließlich des uigurischen Teils der Bevölkerung,
versteht und die notwendigen Lösungen finden wird, um
sicherzustellen, dass die Situation stabil und zum Nutzen des
gesamten Multi-Millionen-Volkes Chinas, einschließlich des
uigurischen Teils, bleibt.
Simmons: Sie verstehen natürlich,
dass ich Ihnen nur eine Frage zu Russlands Position gegenüber China
und den Vereinigten Staaten stellen möchte. Ich frage mal anders:
Spalten Sie sich vom US-Raumfahrtprogramm ab und gehen in Richtung
China?
Putin: Nein, warum? Wir sind bereit, mit den USA im
Weltraum zusammenzuarbeiten und ich glaube, der Leiter der NASA sagte
kürzlich, dass er sich die Entwicklung von Weltraumprogrammen ohne
eine Partnerschaft mit Russland nicht vorstellen kann. Wir begrüßen
diese Aussage und halten sie in Ehren.
Simmons: Lassen Sie es
mich erklären. Der Chef der russischen Raumfahrtbehörde drohte,
dass sich Russland im Jahr 2025 aus dem internationalen
Raumfahrtprojekt zurückziehen werde. Er hat über Sanktionen
gesprochen, als er über diese Drohung gesprochen hat.
Putin:
Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass Herr Rogozin, das ist der
Nachname des Chefs von Roskosmos, irgendjemandem in dieser Hinsicht
gedroht hat. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und weiß, dass er ein
Befürworter der Entwicklung von Beziehungen mit den Vereinigten
Staaten in diesem Bereich, im Weltraum, ist.
Der Leiter der
NASA sagte kürzlich, ich wiederhole es, das Gleiche. Ich persönlich
unterstütze das sehr und wir haben über die Jahre sehr gerne
zusammengearbeitet und ich bin bereit, das fortzusetzen.
Die
Internationale Raumstation nähert sich aus technischen Gründen
allmählich dem Ende ihrer Lebensdauer, daher hat Roskosmos
vielleicht keine Pläne, diese Arbeit fortzusetzen. Aber soweit ich
von unseren amerikanischen Partnern gehört habe, haben sie auch ihre
eigenen Ansichten über die zukünftige Zusammenarbeit in diesem
Bereich, aber insgesamt ist die Zusammenarbeit mit den Vereinigten
Staaten im Weltraum, denke ich, ein gutes Beispiel dafür, wo wir es
trotz aller Probleme in den politischen Beziehungen in den letzten
Jahren geschafft haben, unsere Partnerschaft aufrechtzuerhalten, und
wir schätzen sie auf beiden Seiten. Ich glaube, Sie haben den Leiter
unserer Raumfahrtbehörde einfach falsch verstanden.
Ich
möchte Ihnen versichern, dass wir daran interessiert sind, weiterhin
mit den Vereinigten Staaten in diesem Bereich zusammenzuarbeiten und
das auch tun werden, sofern unsere amerikanischen Partner sich nicht
weigern, dies zu tun. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Arbeit
nur in den USA lokalisieren müssen. Wir arbeiten auch mit China
zusammen und werden das auch weiterhin tun. Das gilt für alle Arten
von Programmen, einschließlich der Erforschung des Weltraums. Ich
denke, das ist nur positiv. Um ehrlich zu sein, sehe ich hier nicht
einmal Widersprüche.
Simmons: Lassen Sie mich eine weitere
Frage stellen. Ich möchte einfach die Beziehung zwischen China und
Russland und Amerika verstehen. Wenn zum Beispiel die Chinesische
Befreiungsarmee nach Taiwan einrückt, wie wird Russland darauf
reagieren?
Putin: Wissen Sie etwa was von Chinas Plänen, das
Taiwan-Problem militärisch zu lösen? Mir ist davon nichts
bekannt.
Wie wir oft sagen, ist der Konjunktiv in der Politik
irrelevant. Deshalb kann ich „was wäre wenn“ nicht kommentieren,
wenn es nichts mit den Realitäten der heutigen Welt zu tun hat. Ich
denke, das ist nur – seien Sie mir bitte nicht böse – eine Frage
aus dem Nirgendwo. So etwas gibt es nicht. Hat China erklärt, dass
es das Taiwan-Problem militärisch lösen wird? Bislang ist das nicht
geschehen. Seit so vielen Jahren entwickelt China die Beziehungen zu
Taiwan, es gibt unterschiedliche Einschätzungen: die USA haben ihre
eigene, China hat seine eigene, Taiwan kann seine eigene haben. Aber
Gott sei Dank ist es nicht zu einer heißen Phase gekommen.
Simmons:
Mir wurde gesagt, dass es an der Zeit ist, zum Schluss zu kommen.
Aber ich möchte Ihnen noch ein paar Fragen stellen.
Andrea
Mitchell war diesen Monat in Syrien. Sie hat gesehen, wie Menschen
leben… Sie sagen, dieser Grenzübergang wird im Juli geschlossen,
der Sicherheitsrat hat darüber gesprochen. Warum tun Sie das, wo es
doch zum Tod von Flüchtlingen führen wird?
Putin: Sehen Sie,
leider gibt es dort schon viele Tragödien. Alle unsere Aktionen
sollten darauf abzielen, die Situation zu stabilisieren, sie wieder
auf Kurs zu bringen. Mit der Unterstützung Russlands hat die
syrische Regierung die Kontrolle über mehr als 90 Prozent des
syrischen Territoriums zurückgewonnen.
Und jetzt müssen wir
einfach humanitäre Hilfe für die Menschen organisieren, unabhängig
von jedem politischen Kontext. Aber unsere Partner im Westen, im
vereinten Westen – sowohl die USA als auch die Europäer – sagen,
dass sie Assad keine Hilfe leisten werden. Aber was hat das mit Assad
zu tun? Helfen Sie Menschen, die diese Hilfe benötigen, geben Sie
ihnen die grundlegendsten Dinge. Schließlich heben Sie nicht einmal
wegen des Coronavirus die Sanktionen für medizinische Geräte und
Medikamente auf. Das ist einfach unmenschlich. Nichts kann eine solch
grausame Haltung gegenüber Menschen erklären.
Was diese
Übergänge zur Lieferung von humanitärer Hilfe angeht: Es gibt das
Gebiet Idlib, die Militanten plündern dort einfach alles, Menschen
werden dort bis heute getötet und vergewaltigt und den Westen stört
das nicht. Das Lager Al-Tanf, die Zone wird übrigens vom
amerikanischen Militär kontrolliert. Kürzlich haben wir auch eine
Gruppe von Banditen gefangen, sie kamen von dort und sagten direkt,
dass sie eine bestimmte Aufgabe gegen russischer Militäreinrichtungen
haben.
Was die Grenzübergänge betrifft, so ist unsere
Position, dass wir die Hilfe, wie es überall auf der Welt der Fall
sein sollte, wie es das humanitäre Völkerrecht vorschreibt, über
die Zentralregierung leisten müssen und sie nicht diskriminieren
dürfen. Wenn es Grund zu der Annahme gibt, dass die syrische
Zentralregierung etwas stiehlt oder plündert, sollte das
Internationale Rote Kreuz und der Rote Halbmond für die Überwachung
zuständig sein. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand in der
syrischen Regierung daran interessiert ist, irgendetwas von dieser
humanitären Hilfe dort zu stehlen, man sollte das einfach durch die
Zentralregierung machen lassen. Wir unterstützen Präsident Assad in
diesem Sinne, denn die andere Art, sich zu verhalten, ist die
Untergrabung der Souveränität der Arabischen Republik Syrien, das
ist alles.
Was Idlib betrifft, so kontrollieren die türkischen
Truppen dort de facto die Grenze zwischen Syrien und der Türkei und
es gibt Konvois, die in unbegrenzter Zahl hin und her
fahren.
Simmons: Ich weiß, dass es in Russland eine
Verfassungsänderung gegeben hat: Sie können bis 2036 Präsident
sein. Was denken Sie, je länger Sie an der Macht sind, desto länger
es keinen Nachfolger gibt, kann es nicht passieren, dass ein
Nachfolger gefunden wird, und dann bricht alles über Nacht
zusammen?
Putin: Und was soll über Nacht passieren? Wenn man
sich die Situation im Jahr 2000 ansieht, als Russland kurz davor
stand, seine Souveränität und territoriale Integrität zu
verlieren, war die Zahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze
kolossal und katastrophal, das BIP stürzte ins Bodenlose, wir hatten
12 Milliarden an Devisenreserven und wir hatten Schulden in Höhe von
120 Milliarden Dollar.
Aber jetzt ist die Situation anders. Es
gibt jetzt eine Menge Probleme, aber die Situation ist völlig
anders. Eines Tages wird sicher eine andere Person meinen Platz
einnehmen. Aber warum sollte alles zusammenbrechen? Wir haben den
internationalen Terrorismus bekämpft und wir haben ihn Gott sei Dank
mit der Wurzel entfernt. Soll das etwa wieder zurückkommen? Ich
glaube nicht. Eine andere Sache ist, dass verschiedene Menschen mit
unterschiedlichen Ansichten auf der politischen Bühne auftreten
können. Gut so.
Wissen Sie, ich habe mein ganzes Leben so
sehr mit dem Schicksal meines Landes verbunden, dass es keine andere
Aufgabe in meinem Leben gibt, die bedeutsamer ist als die der
Stärkung Russlands.
Wenn ich also sehe, dass jemand, auch
wenn er einigen Aspekten meiner Arbeit kritisch gegenübersteht, aber
ich sehe, dass er ein Mensch ist, der konstruktive Ansichten hat und
dem Land gegenüber loyal ist und bereit ist, nicht nur Jahre,
sondern sein ganzes Leben auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern,
unabhängig von seiner persönlichen Einstellung zu mir, werde ich
alles tun, um Unterstützung für solche Menschen zu
bekommen.
Irgendwann werden wir natürlich – das ist ein
natürlicher Prozess, ein biologischer – alle ersetzt: Sie an Ihrer
Stelle, ich an meiner. Aber ich bin sicher, dass die Grundlagen der
russischen Staatlichkeit, der russischen Wirtschaft und des
politischen Systems so beschaffen sein werden, dass sie auf ihren
Füßen stehen und mit Zuversicht in die Zukunft blicken
werden.
Simmons: Und jetzt sehen Sie diesen Mann an. Werden
Sie von ihm die gleiche Art von Schutz erwarten, die Sie Präsident
Jelzin zu seiner Zeit angeboten haben, dass er auch Sie schützen
wird?
Putin: Ich denke nicht einmal darüber nach, das sind
Fragen von geringer Bedeutung. Das Wichtigste ist das Schicksal des
Landes und seiner Menschen.
Simmons: Ich verstehe.
Ich
danke Ihnen für Ihre Zeit, Herr Präsident. Ich weiß, es war schon
ein langes Interview. Vielen Dank für das sehr interessante
Gespräch.
Ende der Übersetzung
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