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Wohnen ist
Menschenrecht
MIETEN — Berliner
Mietendeckel gekippt, die Mietpreisbremse zeigt weiter keine Wirkung,
aber Mieten und Gewinne steigen
Von Werner
Rügemer
Erstveröffentlichung in ver.di PUBLIK, Ausgabe
03/2021 vom 06.05.2021
Die Zahl der Sozialwohnungen geht seit
zwei Jahrzehnten zurück. Und ein großer Teil des öffentlichen
Wohnungsbestands wurde privatisiert, also meist zu Niedrigstpreisen
an private Konzerne verkauft. Mächtige Finanzinvestoren wie
BlackRock haben inzwischen private Wohnungskonzerne mit
hunderttausenden von Mietwohnungen zusammengeschustert. Deshalb
steigen nicht nur die Mieten, vor allem in den Ballungsgebieten,
sondern auch die Nebenkosten. Da sollte der Mietendeckel des Berliner
Senats ein Gegenmittel sein. Aber das Bundesverfassungsgericht hat am
25. März 2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig
erklärt. Wie die Explosion der Mieten gedämmt werden soll, bleibt
somit ungewiss.
Zudem wirft die Urteilsbegründung Zweifel
auf. Sie steht auf wackeligen Füßen: Der Bund habe zur Mietenfrage
alles „umfassend und abschließend“ geregelt, heißt es da.
Allerdings ist die härteste Regelung, die der Bund hervorgebracht
hat, die sogenannte „Mietpreisbremse“. Die aber hat bekanntlich
keinen Mietpreisanstieg gebremst, schon gar nicht, wie beabsichtigt,
in „angespannten Wohnungsmärkten“ wie in Berlin, München, Köln,
Hamburg, Stuttgart und inzwischen auch in vielen Mittel- und
Kleinstädten und sogar schon auf dem Land. Zur Explosion von Mieten,
auch der Nebenkosten und der Preise für Eigentumswohnungen, die sich
als zusätzliche Mietpreistreiber erweisen, ist also gar nichts
geregelt.
Soziale
Spaltung nimmt weiter zu
Die Konzerne hielten sich im Pandemiejahr zur
Imagepflege zwar etwas zurück, verschoben einige Mietsteigerungen
und stundeten betroffenen Mietern die Zahlung. Aber pünktlich zum
Urteil gaben sie stolz bekannt, wie viele hunderte Millionen Euro sie
an ihre Aktionäre und Aktionärinnen auszuschütten vermochten.
Allein beim größten Wohnungskonzern Vonovia waren es 915
Millionen.
Die Schere zwischen denen, die nur wenig
finanziellen Spielraum haben, und denen, die mehr als genug haben,
wird immer größer. Doch soziale Spaltung ist mit Demokratie nicht
verträglich. Deswegen ist das grundgesetzliche Gebot des Gemeinwohls
und die Möglichkeit der Enteignung heranzuziehen. Und der
UN-Sozialpakt, von Deutschland ratifiziert, enthält das
Menschenrecht auf eine angemessene bezahlbare Wohnung.
Zur
Umsetzung dieses Ziels sind allerdings nachhaltige Aktivitäten
nötig. ver.di hat zum Wahljahr 2021 wichtige Forderungen
zusammengefasst, unter anderem, dass Kommunen vor allem neue
gemeinnützige Wohnungsgesellschaften gründen müssen. Nicht zuletzt
stellt der Staat seine äußerst günstigen Kredite dazu zur
Verfügung.
Aber auch Mieterinnen und Mieter können etwas
unternehmen. Auch das zeigt das Berliner Beispiel. Die
Unterschriftensammlung dort für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen
enteignen“ geht weiter, mittlerweile mit bundesweiter
Unterstützung. Bis August werden nicht nur die restlichen der
benötigten 175.000 Unterschriften gesammelt, sondern viele mehr. Wer
dieser Tage in der Hauptstadt unterwegs ist, trifft vielerorts auf
die Stimmensammler*innen.
Dr.
Werner Rügemer, Köln, ist Philosoph und Publizist sowie Mitglied
des Deutschen Freidenker-Verbandes
Berliner
Mietendeckel: Der lange Kampf der Lobbyisten
WOHNEN — Das Bundesverfassungsgericht hat
den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt. Die
Begründung wirft Zweifel auf. Wie die Explosion der Mieten gedämmt
werden soll, bleibt ungewiss
Von Werner
Rügemer
Erstveröffentlichung in ver.di PUBLIK, Ausgabe
03/2021 vom 06.05.2021
Am 25. März 2021 urteilte das
Bundesverfassungsgericht, der Berliner Mietendeckel sei
verfassungswidrig, das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen
von Berlin deshalb nichtig. Aber Zweifel sind angebracht.
Schon
einmal vorausgeschickt: Die Wohnungskatastrophe in Deutschland wurde
1990 eingeleitet: Da hatte die Bundesregierung von CDU, CSU und FDP
unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Gemeinnützigkeit
öffentlicher Wohnungsgesellschaften abgeschafft.
Und jetzt,
2020, waren es Abgeordnete eben dieser Parteien CDU, CSU und FDP: Sie
brachten eine Normenkontrollklage gegen den Berliner Mietendeckel vor
das Gericht. Die Verursacher der Wohnungskatastrophe haben nichts
dazugelernt. In den letzten Jahren flossen die Spenden der
Spekulanten besonders kräftig.
Kein
tiefer Eingriff
Der Mietendeckel des Berliner Senats aus SPD, Grünen
und Linken war im Februar 2020 in Kraft getreten. Damit waren die
Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019
eingefroren. Die Mieten sollten erst ab 2022 wieder steigen dürfen,
zum Inflationsausgleich, höchstens um 1,3 Prozent pro Jahr. Wenn
eine Wohnung neu vermietet wird, gelten Obergrenzen nach Mietspiegel.
Mieten, die mehr als 20 Prozent über dem Mietspiegel lagen, mussten
gesenkt werden. Wohnungen, die nach 2014 gebaut wurden, waren
ausgenommen. Der Deckel war auf fünf Jahre befristet. Ein tiefer
Eingriff war das nicht. Aber den Investoren und ihren Lobbyisten war
das zu viel.
Steigende
Gewinne trotz Mietendeckel
Die öffentlichen Wohnungen auch in Berlin wurden
zuerst von sogenannten „Heuschrecken“ wie Fortress und Cerberus
überfallen und dann seit der Finanzkrise 2008 von den neuen
Kapitalmächtigen wie BlackRock, State Street und Norges zu neuen
Konzernen zusammengeschoben. So stiegen die Mieten in Berlin bei
Neuverträgen zwischen 2013 und 2019 um durchschnittlich 27 Prozent.
Gleichzeitig stagnierten viele Arbeitseinkommen, in der Pandemie geht
das bei Kurzarbeitergeld und wegfallenden Nebenjobs weiter. Die
Konzerne hielten sich zur Imagepflege etwas zurück, verschoben
einige Mietsteigerungen und stundeten betroffenen Mietern die
Zahlung.
Aber trotzdem steigerten alle ihre Gewinne. Pünktlich
zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts gaben sie stolz
bekannt:
*der größte Wohnungskonzern Vonovia hat ein paar
zehntausend Wohnungen dazugekauft und schüttet 915 Millionen an
BlackRock & Co aus
*der zweitgrößte Konzern Deutsche Wohnen
stieg auch wegen Zukaufs von Pflegeheimen 2020 in den DAX auf und
schüttet 350 Millionen aus
*der drittgrößte Konzern LEG hat
9.535 Wohnungen zugekauft und schüttet 272 Millionen an mehr oder
weniger dieselben Aktionäre aus.
Nach der Pandemie wird es mit den paar Rücksichten
vorbei sein, zusätzlich beflügelt durch das Urteil. Und so wird es
weitergehen mit der Wohnungskatastrophe – wenn die Verursacher
nicht ausgebremst werden.
Urteil
im Investoren-Interesse
Die Begründung des Gerichts
steht ohnehin auf wackeligen Füssen: Die Bundesländer seien zur
eigenen Gesetzgebung nur dann berechtigt, wenn der Bund nicht
eingreife. Aber er tue es, denn mit den Paragraphen 556 bis 561 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs BGB sei alles „umfassend und
abschließend“ geregelt.
Die Artikel regeln aber nur, und
das reichlich vage: Betriebskostenpflicht, Mieterhöhungen,
ortsübliche Vergleichsmiete, Mieterhöhung durch Modernisierungen,
Sonderkündigungsrecht des Mieters nach einer Mieterhöhung. Der
härteste Eingriff steht in Artikel 556 d „Zulässige Miete bei
Mietbeginn in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten“: Dies
wird umgangssprachlich als „Mietpreisbremse“ bezeichnet. Die aber
hat bekanntlich keinen Mietpreisanstieg gebremst, und schon gar nicht
in „angespannten Wohnungsmärkten“.
Also: Im Vergleich zu
den massiven Umgestaltungen seit 1990 und zur Explosion von Mieten,
Nebenkosten und auch der Preise für Eigentumswohnungen, die heute
überwiegend zur teuren Vermietung erworben werden, erweist sich das
vom Gericht zitierte Bundesrecht als unwirksam: Nichts ist „umfassend
und abschließend“ geregelt, im Gegenteil.
Das Urteil ist
jedoch auch darüber hinaus fragwürdig. Es bestreitet die
Gesetzeskompetenz der Bundesländer. Aber, nur zum Beispiel: Im
Mieterschutzgesetz 2020 der NRW-Landesregierung unter Armin Laschet,
jetzt Kanzlerkandidat der CDU, ist das bisher mögliche Verbot der
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ersatzlos gestrichen. Wenn
Bundesländer also investorengefällige Gesetze machen, dann hat das
Hohe Gericht nichts einzuwenden.
Gestalten
und Enteignen
Das Urteil folgt den kalten Interessen der Investoren
und ihrer Lobbyisten. Hat da auch die 2020 erfolgte Ernennung des
CDU-Abgeordneten und Unternehmeranwalts Stephan Harbarth zum
Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts schon Wirkung gezeigt?
Soziale Spaltung ist mit Demokratie nicht verträglich. Deswegen ist
das grundgesetzliche Gebot des Gemeinwohls und die Möglichkeit der
Enteignung heranzuziehen. Und der UN-Sozialpakt, von Deutschland
ratifiziert, enthält nach dem Vorbild der Allgemeinen Menschenrechte
das Menschenrecht auf eine angemessene bezahlbare Wohnung. Schon
vergessen?
Was ver.di
dringend fordert
Zur Umsetzung sind aber nachhaltige Aktivitäten
nötig. Die Gewerkschaft ver.di hat in ihren Anforderungen an die
Wahlprogramme 2021 wichtige Forderungen zusammengefasst, unter
anderem:
*Vor allem Kommunen müssen neue gemeinnützige
Wohnungsgesellschaften gründen. Dazu stellt der Staat seine äußerst
günstigen Kredite zur Verfügung.
*Die Finanzierungsform Public
Private Partnership PPP/ÖPP kommt in die Mottenkiste.
*Die
dubiosen Share Deals, mit denen die Investoren die Grunderwerbssteuer
umgehen und die öffentlichen Haushalte verarmen, werden ersatzlos
gestrichen.
*Die Mietervereine erhalten ein Verbandsklagerecht.
Und aktuell: Die Unterschriftensammlung in Berlin für
das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ geht weiter, mit
bundesweiter Unterstützung. Bis August werden nicht nur die
restlichen der benötigten 175.000 Unterschriften gesammelt, sondern
viel mehr. Zu erreichen unter dwenteignen.de
Und
die Arbeitsverhältnisse?
Und auch dies nicht zu vergessen. Über 250.000
Beschäftigte sind in der Wohnungsverwaltung tätig: Hausmeister,
Handwerker, Reinigungskräfte, Verwalter, Techniker. Allerdings
wurden die Arbeitsverhältnisse von Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG &
Co systematisch verschlechtert: Tarifverträge werden verweigert,
viele Arbeiten werden an Niedriglohn-Subunternehmer
ausgelagert.
Vonovia hat neue Tochterfirmen gegründet, bei
denen es keinen Tarifvertrag gibt. Bei der LEG und deren 145.000
Wohnungen kümmern sich 406 Beschäftigte der Firma TSP um Heizungen,
Sanitäres, Maler- und Holzarbeiten, Grünflächen. Jetzt, während
der Pandemie haben die Beschäftigten mit ver.di an 18 Tagen
hilfsweise digital gestreikt, für einen Tarifvertrag. Die
Forderungen ergeben im Vergleich zu den erwähnten 272 Millionen Euro
Ausschüttung an die Aktionäre der LEG zusammen 0,9 Millionen Euro –
abgelehnt. Wobei: Allein dem Vorstandschef Lars von Lackum
genehmigten BlackRock & Co eine um 1,4 Millionen erhöhte
Jahresvergütung. Da gibt es für verfassungsgemäße, soziale und
demokratische Verhältnisse einiges zu tun.
Dr. Werner
Rügemer, Köln, ist Philosoph und Publizist sowie Mitglied des
Deutschen Freidenker-Verbandes
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