Aus aktuellem Anlass die erneute Veröffentlichung dieses Buchtipps. H.P.
Entnommen: https://linkezeitung.de/2020/08/14/apartheidstaat-am-pranger/
Apartheidstaat
am Pranger
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 14. AUGUST 2020
Arn
Strohmeyer: „Weltmacht Israel. Wie der nahöstliche Kleinstaat als
globaler Player agiert“
Buchtipp von Harry Popow
Wie
angenehm, wenn dich selbst unter der Mundmaske in schlimmen Zeiten
anscheinend jemand zulächelt. Wie erhellend, wenn dir ein Buch für
die Probleme in der Welt ein wenig die Augen öffnet. Unzählige
Autoren tun es mit gesellschaftskritischen Sachbüchern. Erst
kürzlich wieder der Schriftsteller Arn Strohmeyer mit „Weltmacht
Israel. Wie der nahöstliche Kleinstaat als globaler Player agiert.“
Der Autor, Jahrgang 1942, hat Philosophie, Soziologie und Slawistik
mit dem Abschluss Magister studiert. Er hat verfasste mehrere Bücher,
auch über das Palästina-Problem.
Diese Erkenntnis ist nicht
neu: Wer von diesem Nah-Ost-Konflikt – auch bei zahlreichen anderen
kritischen Autoren – gelesen hat, dem muss man nicht wiederholen:
Das israelische Herrenvolk berufe sich auf Grund seiner alten Kultur,
seiner europäischen Herkunft und der Leiden, die es in seiner
Geschichte durchgemacht hat, auf seinen privilegierten Status und
habe mit seinem über ein anderes Volk errichteten Besatzungsregime
jede moralische Orientierung verloren. Aus den Verfolgten von einst
(Holocaust) seien brutale Täter geworden. Die Wahrheit: Die Ursachen
des Konflikts mit den Arabern beziehungsweise den Palästinensern (…)
werden nicht in der eigenen Politik (Kriegs-, Siedlungs-, Eroberungs-
oder Vertreibungspolitik) gesehen, sondern ausschließlich in der
´Feindseligkeit´ und in der Mentalität der ´Anderen´. Der
zionistischen Ideologie nach seien Araber grundsätzlich feindselig
und nicht friedensfähig. So schaffe sich Israel durch
Entpolitisierung und Dämonisierung selbst ein Feindbild und erklärt
sich dabei als Opfer, was eine Konfliktlösung unmöglich erscheinen
lässt.
Religiöser Machtanspruch
Arn
Strohmeyer lotet bereits in seinem Sachbuch „Die
israelisch-jüdische Tragödie“ tief aus, indem er auf die
Entstehungsgeschichte des Zionismus eingeht. Zunächst stellt er auf
Seite 68 klar, Judentum und Zionismus sind nicht dasselbe. Während
das erstere eine Religion ist, eine kulturelle Gemeinschaft, so ist
der Zionismus „eine nationalistische Ideologie, die aber für sich
in Anspruch nimmt, für das ganze Judentum zu sprechen“, die
Israels Staatsideologie ist. Dem entgegengesetzt, so schreibt der
Autor auf Seite 194, steht ein Teil des Judentums auf dem
Standpunkt der Alternative eines Universalismus, der sich somit im
Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte befindet.
„Die Zionisten entschieden sich aber klar gegen den Universalismus
und für die konservativ-nationalistische Richtung, was aber auch
Absonderung und Isolation bedeutet“, so der Autor auf Seite 195. Es
gehe im Grunde auch um die Trennung zwischen Juden und Nicht-Juden,
die sich durch die ganze jüdische Geschichte zieht. Auf Seite 70
findet der interessierte Leser viele Argumente gegen die Behauptung
der zionistischen Bewegung, ihren Anspruch auf Palästina absichernd,
„dass die Juden, die sich gegen die römische Besatzung erhoben
hatten, 70 n.u.Z bei der Zerstörung Jerusalems durch die Römer
vertrieben worden seien und nun nach 2000 Jahren wieder in `ihr´
Land zurückkehren würden“.
In „Weltmacht Israel“
greift der Autor noch tiefer die gesellschaftlichen und religiösen
Ursachen für den Nah-Ost-Konflikt auf, denn dieser habe sich unter
gegenwärtigen Bedingungen enorm zugespitzt. Im Vordergrund – wie
kann es anders sein -, stehe die Ideologie der Zionisten, die Motive
für deren Denk- und Handlungsweise. Der zionistische Staat sei drauf
und dran, sich auf den Knüppel des Holocaust stützend und die
Gewalt als „rechtmäßiges“ Mittel für sich in Anspruch nehmend,
die Welt im Interesse der ökonomischen und militärischen Macht
Israels umzukrempeln. Und das bedeute Krieg, dabei die Menschenrechte
und das Völkerrecht missachtend.
In den acht Kapiteln geht es
um die Monopolisierung der Erinnerung, um den Antisemitismus als
politische Waffe, um den israelischen Versuch, das Völkerrecht nach
seinen Interessen umzugestalten, um die „Israelisierung“ der
Welt, um die Methoden der Hasbara (Propaganda), um die
Geschichtsmythen des Zionismus und um Deutschland, dem am meisten
„israelisierten“ Land der Welt.
Gestützt auf zahlreiche
Literaturquellen nimmt Arn Strohmeyer demzufolge zum Holocaust, zum
Zionismus, zum Antisemitismus-Vorwurf, zur Gefahr für den Frieden in
der Welt, zu den Methoden des Apartheidstaates zur Manipulierung der
eigenen Bevölkerung und der Welt, zur Haltung der Regierung der BRD
und zum berechtigten Widerstand der Palästinenser gegen den
Völkermord Stellung.
Israel agiere zum Beispiel im
politischen Bereich global sehr erfolgreich. So hat dieser Staat es
geschafft, seine völkerrechtswidrige Politik gegenüber den
Palästinensern gegen alle Widerstände von außen Jahrzehnte lang
aufrechtzuerhalten. Dabei hilft es Israel, seine Sicht des Holocaust
für seine Interessen weltweit zu instrumentalisieren und dabei auch
eine Formel für Judenhass einzusetzen, die jede Kritik der
israelischen Politik unter den Antisemitismus-Vorwurf stellt. Um
diese Ideologie zu verbreiten, hat Israel ein einzigartig
erfolgreiches Propaganda-System (Hasbara) entwickelt.
Israel
arbeitet zurzeit mit den USA daran, das Völkerrecht in seinem Sinne
zu verändern. An die Stelle von humanen und demokratischen, also
universalistisch gültigen Lösungen internationaler Probleme soll
eine Politik der Stärke treten, die sich rücksichtslos über die
Interessen der kleinen und schwachen Interessengruppen und Völker
hinwegsetzt. Jüngstes Beispiel hierfür ist der „Jahrhundert-Deal“
von US-Präsident Trump, der es Israel ermöglicht, große Teile des
Westjordanlandes völkerrechtswidrig zu annektieren. Diese
Bestrebungen zusammen genommen haben dazu geführt, von einer
zunehmenden „Israelisierung“ der Welt zu sprechen.
Bereits
im Vorwort wird vermerkt, dass es Israel mit der Instrumentalisierung
des Holocaust gelungen ist, „den Diskurs über den Antisemitismus
weitgehend zu bestimmen und kritische Stimmen zu unterdrücken.“
Dazu sei folgende Aussage auf Seite 21 hervorgehoben: Nach dem
Verständnis des Zionismus, außerhalb ihres politischen Systems gebe
es „keine sinnvolle jüdische Existenz“ folge automatisch die
Schlussfolgerung, dass das zionistische Israel den Holocaust „nie
als Menschheitskatastrophe verstanden, sondern diesen
Zivilisationsbruch stets ausschließlich als Vernichtung der Juden
(Shoa) interpretiert“. So diene der Holocaust der Rechtfertigung
des brutalen israelischen Vorgehens gegen die Palästinenser. Das
Erinnern an die Opfer geschehe nicht um ihrer selbst willen, „sondern
ist von fremd bestimmten Zwecken“ geleitet. So werde das Erinnern
zur Ideologie. Schlimmer noch: Der Zionismus anerkenne keine
humanistischen Prinzipien, dem Staat gehe es um Selbstverteidigung
„um jeden Preis“.
Auf den Seiten 26/27 heißt es: „Die
Berufung auf den Holocaust führt letzten Endes zu der Maxime, dass
Israel ´Alles erlaubt ist!`, dass Völkerrecht und Menschenrechte
für diesen Staat also nicht gelten, beziehungsweise nur so weit, wie
sie israelischen Interessen dienen.“ Dies führe zur Spaltung des
Judentums, nicht religiös gegen säkular, sondern zwischen
zionistischem Partikularismus bzw. Nationalismus und universellen
Menschenrechten. „Beide Sichtweisen schließen sich gegenseitig aus
und führen das Judentum in eine tiefe, so gut wie unlösbare
Krise.“
Auf Seite 40 bezeichnet Arn Strohmeyer den Umgang
mit dem Holocaust tiefgründig als „Holocaust-Industrie“, wobei
die Opfer im Mittelpunkt stehen und nicht mehr die Mordmaschinerie.
Diese sei darauf aus, „das Leiden der Vergangenheit zu maximieren
und aus ihm so viel politisches Prestige und sogar wirtschaftliches
Kapital zu schlagen wie nur möglich. Deshalb wurden nach und nach
fast alle anderen Opfer ausgeblendet, und der Genozid geriet zu einer
ausschließlich jüdischen Angelegenheit. Auch jeder Vergleich mit
anderen Völkermorden war von nun an untersagt“.
Geheucheltes
„nie wieder“
An dieser Stelle hat der Autor
meiner Meinung nach den wundesten und gefährlichsten Punkt im
Nah-Ost-Konflikt und für den Weltfrieden genannt. Wie Recht er hat,
wenn er sagt, kein Politiker des Westens würde es wagen, „die
Ausschließlichkeit der jüdischen Opfer in Frage zu stellen und auch
die anderen Opfer herausragend zu erwähnen“. Auf Seite 207 sieht
Arn Strohmeyer einen Zusammenhang mit dem deutschen Establishment,
„indem man glaubte, die richtige universalistische Maxime des ´Nie
wieder!` erfüllen zu können, indem man sich dem zionistischen Staat
Israel zuwandte, sein Projekt bedingungslos unterstützte und die
Verbrechen dieses Projektes mit Schweigen überging.“
Die
Ursache? Der Autor zitiert den deutsch-jüdischen Philosoph Ernst
Tugendhat, der darauf hinwies, dass das „Einknicken“ der
Deutschen vor den Israelis „auf die Nicht-Verarbeitung der
deutschen Schuld am Holocaust“ zurückführe. (S. 190) Der Deutsche
Bundestag habe zum Beispiel mit dem Beschluss gegen die BDS-Bewegung
vom 17. Mai 2017 „eine der empörendsten und bizarrsten
Resolutionen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verabschiedet“.
Das erlaube, jeden Unterstützer von BDS als Judenhasser zu
betrachten. Deutschland sei faktisch „zu einem Agenten des
israelischen Kolonialismus geworden“. (S. 206)
(Der
Rezensent erinnert sich an die Tageszeitung „junge Welt“ vom 16.
Juni 2020. Unter der Überschrift „Zurechtgelegte Geschichte“ in
Erinnerung der Befreiung vom Faschismus vor 75 Jahren werden
neuerliche Geschichtslügner entlarvt. Die Losung „nie wieder“,
so ist zu lesen, werde von Bundespräsident Steinmeier bedenkenlos
umgemünzt in ein „Nie wieder allein“, weshalb es vor allem für
Deutsche gelte, „Europa zusammenzuhalten“. Das „Nie wieder“
werde so enthistorisiert, banalisiert und damit für andere Zwecke
verfügbar gemacht, heißt es in diesem Beitrag.)
Arn
Steinmeyer schreibt von völliger Unterordnung, totalem
vasallenartigen Gehorsam „und damit auch eine pathologische
Abhängigkeit von dem Willen und den Bedürfnissen des zionistischen
Staates“. (S. 189) Den Völkerrechtsverletzungen aber selbstbewusst
und mit kritischer Distanz gegenüberzutreten wäre im Sinne des
moralischen Vermächtnisses des Holocaust unbedingt notwendig.
Vor
diesem Hintergrund der auf Gewalt und Einzigartigkeit des Zionismus
angelegten ideologischen Ausrichtung samt ihrer Propaganda treten die
folgenden aufklärerischen Fakten und Beispiele des Autors desto
deutlicher hervor. Das betrifft vor allem die Gefahren, die von so
einer verbrecherischen Politik für den Weltfrieden ausgehen. Auf der
Seite 103 fällt das Wort „Israelisierung der Welt“. Es sei eine
Politik der Stärke, „bei der der Rechtsstaat auf der Strecke
bleibt. Israel frage nicht nach den politischen Ursachen des Problems
– Landraub, Unterdrückung und Vertreibung der Palästinenser,
sondern macht aus dieser Frage ein Sicherheitsproblem, das nur mit
technologischer Kontrolle und geheimdienstlichen Mitteln angegangen
wird“. „Das ´Modell Israel` sei ein Staat, der von der Logik des
permanenten Krieges, der Logik einer absoluten Sicherheit getrieben
ist, die wichtiger sei als alle Garantien demokratischer Rechte.“
(S. 105) Wenig später zieht der Autor daraus das Fazit, dass diese
Entwicklung große Gefahren berge. So könnte Gaza, wenn
Demonstrationen und Menschenrechtsaktivisten nicht wachsam sind,
überall sein. (S. 133)
Mit welchen Methoden die Israel-Lobby
zur Einschüchterung des Volkes und der Welt vorgeht, beweist Arn
Strohmeyer an zahlreichen Beispielen. Israel gelte als der am meisten
militarisierte Staat der Welt. Es hat aus der Unterdrückung der
Palästinenser und den kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihnen
ein Milliarden-Geschäft gemacht. Die israelische Industrie hat
spezielle Waffen entwickelt, die das Label „Im Kampf erprobt“
tragen. Es gehe um Drohnen, die „gut für den Kampf gegen
Dissidenten, Rebellen und Aufstandsbewegungen“ geeignet seien. (S.
126), kampferprobte Roboter, Cyber-Waffen. Außerdem haben
israelische Firmen zur Überwachung und Kontrolle der Palästinenser
in den besetzten Gebieten einzigartige Techniken entwickelt. Beides –
Waffen wie die Kontroll- und Überwachungstechniken plus die
Strategien zu ihrer Anwendung – exportiert Israel mit großem
Erfolg in die ganze Welt. Wobei auch Angriffe auf Internet-Foren zu
verzeichnen sind.
Auf Seite 207 fragt der Autor zurecht, ob
der Weg der Aufarbeitung der Vergangenheit gescheitert ist? Das
propagierte Gelöbnis, die Sicherheit Israels sei deutsche
„Staatsräson“ helfe, „Israels brutale Herrschaft über ein von
ihm unterworfenes Volk zu sichern. Die deutsche Israel-Politik kann
so gesehen kein Beitrag zum universalistischen ´Nie wieder!`sein,
sie ist schlichtweg gescheitert“. (S. 208) Als Resümee stellt Arn
Strohmeyer fest, dass es keinen Frieden geben kann, „solange dem
palästinensischen Volk seine Grundrechte verweigert werden“. Es
gehe um die Gleichheit beider Völker „auf der Grundlage der
gegenseitigen Selbstbestimmung. Deutschland habe die große Chance,
eine solche Vision zu fördern. Zugleich aber bezeichnet er auf Seite
83 das Recht der Palästinenser auf Widerstand gegen das
Besatzungsregime. Das Völkerrecht verbiete es „unter
Fremdbesatzung stehendem Volk nicht, bei seinem Widerstand Gewalt
einzusetzen, sie darf sich aber nicht gegen Zivilisten richten,
sondern nur gegen das Militär und seine Einrichtungen“.
Das
Buch von Arn Strohmeyer ist kein Schulbuch, kein Lehrbuch für
Ungebildete. Es mag aber zum Nachdenken anregen, seine eigene
politische Position, sein Denken und Tun zu überprüfen. Nicht ohne
Grund setzt der Autor die zahlreichen Fakten und Beispiele mit dem
universalen Völkerrecht und den Menschenrechten in Beziehung. Wobei
alles in allem darauf hinausläuft, nicht nur die Israel-Lobby als
auch die westliche Wertegemeinschaft in ihrem Drang nach Profit und
militärischer Macht – die Menschenrechte verletzend – an den
Pranger zu stellen. Die Opfer des Holocaust wären erst dann gesühnt,
so ist das Buch zu verstehen, wenn die Macht des Kapitals weltweit
gebrochen würde und das beschworene „Nie wieder!“ mit der
Beseitigung der ökonomischen und politischen Ursachen für
Eroberungskriege und Völkermord ein für allemal auf festen Füssen
zu stehen kommt. Dazu bedarf es der internationalen Solidarität und
der Unterstützung friedliebender demokratischer Staaten. In diesem
Zusammenhang sei die Warnung der Volksrepublik China an Israel vor
der Umsetzung von Annexionsplänen gegenüber Palästina erwähnt.
(siehe Linke Zeitung vom 27. Juli 2020) Dem Autor sei Dank gesagt,
dazu einen sehr wissenschaftlich wertvollen Meinungs- und
Erfahrungsschatz geleistet zu haben.
Arn Strohmeyer:
„Weltmacht Israel. Wie der nahöstliche Kleinstaat global agiert“,
Gabriele-Schäfer-Verlag; 1. Auflage (8. Juli 2020), broschiert,
244 Seiten, ISBN-10: 3944487761, ISBN-13: 978-3944487762, 17,90
Euro
(Erstveröffentlichung in der NRhZ)
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