Entnommen: https://linkezeitung.de/2023/05/31/westen-lehnt-frieden-in-der-ukraine-ab/
Westen lehnt Frieden in der Ukraine ab
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 31. MAI 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Thierry Meyssan – http://www.voltairenet.org
Bild: Sie kennen sein Gesicht nicht. Li Hui ist dennoch einer der
wichtigsten chinesischen Diplomaten. Er war es, der dem Westen Frieden
in der Ukraine vorschlug. Er wurde freundlich empfangen, aber niemand
hörte ihm zu.
Im Namen Chinas kam Li Hui, um dem Westen vorzuschlagen, seine Fehler
zuzugeben und Frieden in der Ukraine zu schließen. Diese Analyse ist
zutreffend und begründet. Aber der Westen hörte nicht auf ihn. Er
verfolgt unerbittlich das Narrativ, das er während des Kalten Krieges
entwickelt hat: Die Westmächte sind Demokraten, während die anderen,
alle anderen, es nicht sind. Sie werden ihre Unterstützung für die
Ukraine fortsetzen, auch wenn die Ukraine kaum noch Soldaten hat und
bereits vor Ort verloren hat.
Letzte Woche habe ich daran erinnert, dass man nach internationalem
Recht durch den Verkauf von Waffen für deren Verwendung verantwortlich
wird [1]. Wenn der Westen also die Ukraine bewaffnet, muss er
sicherstellen, dass die Ukraine sie nur zur Selbstverteidigung einsetzt
und niemals russisches Territorium von 2014 angreift. Andernfalls wird
der Westen unfreiwillig in einen Krieg gegen Moskau eintreten.
In der Tat ist der Westen immer darauf bedacht, nicht zur direkten
Kriegspartei zu werden. So entfernte er zunächst bestimmte Waffensysteme
aus den Flugzeugen, die er der Ukraine versprochen hatte, bevor er sie
ihr lieferte. Daher hat sie nicht die Möglichkeit, Luft-Boden-Raketen
aus der Ukraine auf entfernte Ziele innerhalb Russlands abzufeuern.
Irgendwann könnten sich die Ukrainer jedoch wieder mit der notwendigen
Ausrüstung versorgen und ihre Flugzeuge wieder damit ausrüsten.
Das kleine Spiel, das darin besteht die Ukraine zu bewaffnen, ohne ihr
die Mittel zu geben, Moskau anzugreifen, wird nun von der chinesischen
Diplomatie in Frage gestellt. Das Wall Street Journal berichtete über
einige Aspekte dieser Kontakte, während es den Inhalt der chinesischen
Position aber verschleierte [2].
Li Hui, der gerade Kiew, Warschau, Berlin, Paris und Brüssel besucht
hat, ist tatsächlich voll in die Diskussion eingestiegen: Auf der
Grundlage der “Umfassenden Sicherheitsinitiative” und des
“12-Punkte-Plans für den Frieden in der Ukraine”, die das chinesische
Außenministerium am 24. Februar veröffentlicht hatte, bemerkte er zu
seinen Gesprächspartnern, die sie angenommen hatten:
Russland ist völkerrechtlich befugt, seine militärische Sonderoperation
gegen ukrainische “integrale Nationalisten” durchzuführen. Dies verstößt
nicht nur nicht gegen die UN-Charta, sondern ist auch eine legitime
Anwendung ihrer “Verantwortung für den Schutz” der russischsprachigen
Bevölkerung.
– Die Krim, der Donbass und das östliche Neurussland traten der
Russischen Föderation rechtmäßig per Referendum bei. Diese alten
Ukrainer sind seit Jahrhunderten ein ganz anderes Volk als die heutigen
Ukrainer.
Er betonte, dass Russland nicht von Fehlverhalten frei sei:
Es muss die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (d. h. des
internen Gerichtshofs der Vereinten Nationen) vom 16. März 2022
respektieren, der sie angewiesen hat, seine Militäroperationen in der
Ukraine “auszusetzen”, was Russland nur langsam getan hat, aber sie
heute respektiert.
Er erklärte geduldig, dass der Westen große Fehler begangen habe:
den, dass er Waffenlager und NATO-Militärbasen im Osten eingerichtet
habe, was gegen ihre Unterschrift unter die OSZE-Erklärung von Istanbul
(2013) verstößt;
– den, dass sie 2014 einen Staatsstreich gegen die legitimen Behörden der Ukraine organisiert und unterstützt haben;
– den, die Minsker Vereinbarungen, die von Deutschland und Frankreich
(2014 und 2015) unterzeichnet und dann vom Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen ratifiziert wurden, nicht umgesetzt zu haben;
– den, einseitige Zwangsmaßnahmen gegen Russland unter Verletzung der Charta der Vereinten Nationen (1947) ergriffen zu haben.
Dabei hinterfragte er nicht nur das gesamte westliche Narrativ, sondern
auch die Art und Weise, wie seine Gesprächspartner über diesen Konflikt
denken.
Er machte sie darauf aufmerksam, dass die Vereinigten Staaten im
Gegensatz zu dem, was sie behaupten, den Sieg der Ukraine ja nicht
wirklich wollen. Dies würde bedeuten, dass ein kleines Land in der Lage
wäre, Russland zu besiegen, während die Vereinigten Staaten nicht wagen,
es anzugreifen. Das wäre ihre schlimmste Demütigung.
Vor allem ist für außenstehende Beobachter klar, dass der Zweck der
Lieferung gebrauchter Waffen an die Ukraine nicht darin besteht,
Russland zu besiegen, sondern es so weit zu reizen, bis es seine
neuesten Waffen enthüllt. Die Westmächte haben die russische Armee in
Syrien nicht ernsthaft beobachtet, da sie zu beschäftigt waren, um den
syrischen Staat durch Dschihadisten zerstören zu lassen. Als Präsident
Wladimir Putin 2018 erklärte, dass er Hyperschallraketen, Laserwaffen
und nuklear angetriebene Raketen besitze [3], riefen sie: „Bluff“. Sie
wissen jetzt, dass er die Wahrheit gesagt hat, aber sie kennen nicht die
Eigenschaften dieser Waffen und wissen nicht, ob sie die Mittel haben,
ihnen etwas entgegen zu setzten.
Im Ukraine-Konflikt zeigt Moskau wirklich große Geduld. Es würde lieber
Verluste ertragen, als seine Trumpf-Karten zu spielen. Die einzigen
neuen Waffen, die eingesetzt wurden, sind zum einen die Störsysteme für
NATO-Kontrollen (die seit 2014 im Schwarzen Meer [4], in Kaliningrad,
vor der Küste Koreas [5]) und im Nahen Osten [6] unter realen
Bedingungen getestet wurden; und zum anderen die
Kinzhal-Hyperschallraketen (die seit März 2022 unter realen Bedingungen
in der Ukraine getestet werden). Die Ukrainer behaupten zwar, einige
abgeschossen zu haben, aber das ist eindeutig dreiste Propaganda. Sie
sind derzeit unaufhaltbar und Russland produziert sie jetzt am
Fließband. Sie haben am 9. März unterirdische Bunker getroffen und am
16. Mai ein Patriot-System zerstört.
Niemand weiß mit Sicherheit und Präzision, welche Waffen Russland hat.
Aber jeder weiß, dass es viel mächtiger geworden ist als die Vereinigten
Staaten, deren Arsenal seit der Auflösung der UdSSR global nicht
verbessert wurde.
Seit der ersten Lieferung westlicher Waffen an die Ukraine bedauert
Russland, dass dies vor Ort keine nennenswerte Rolle spielen wird, außer
noch mehr Zerstörungen und Opfer zu fordern. Die westliche Welt hört
nicht zu, weil sie im Voraus davon überzeugt ist, dass jedes russische
Wort Propaganda ist. Wenn sie versuchen würde zu verstehen, würde sie
verstehen, dass das, was sie tun, nichts mit den Rechtfertigungen zu tun
hat, die sie vorgeben.
Kehren wir zur chinesischen Position zurück. Li Hui hat Präsident
Wolodymyr Selenskyj, den der Westen zum Helden erhoben hat, offenbar nie
erwähnt. Während die westliche Kommunikation alle Akteure
personifiziert, weigern sich die Chinesen, dies zu tun. Auf diese Weise
behalten sie einen klareren Blick auf die wirkenden Kräfte.
Li Hui sagte übrigens seinen Gesprächspartnern, dass sie keinen Grund
hätten, sich der US-Position anzuschließen, und dass sie Autonomie
praktizieren sollten. Genau das hat ihnen Präsident Wladimir Putin 2007
auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt [7]. Herr Li wagte sogar,
ihnen zu sagen, dass sie sich an Peking wenden könnten, wenn sie sich
wirtschaftlich von Washington trennen sollten.
Für die Europäer war diese vernünftige Rede psychologisch unhörbar. Sie
haben die Verbrechen der Vereinigten Staaten im letzten
Vierteljahrhundert nicht anerkannt und leugnen sie weiterhin. In
Wirklichkeit sind sie von Washington nicht besonders abhängig, aber
intellektuell sehr unter dem US-Einfluss.
Sie haben daher nicht auf das chinesische Argument reagiert, erklärten
aber wenig überraschend, dass sie sich nicht von den Vereinigten Staaten
abkoppeln würden, dass sie vor jeglicher Verhandlung den Abzug der
russischen Truppen aus der Ukraine forderten; und dass sie sich auf
China verließen, damit der Konflikt nicht zu einem Atomkrieg eskaliert.
Dieser letzte Refrain bezeugt, dass die Europäer noch immer nicht die
Position der Russen oder der Chinesen verstanden haben Präsident Putin
hat wiederholt erklärt, dass er nicht als Erster strategische Atomwaffen
einsetzen würde. Es besteht daher von russischer Seite her keine
Gefahr, dass dieser Konflikt ausartet. Zudem sieht sich China im Falle
einer globalen Konfrontation als militärischer Verbündeter Russlands,
nicht aber in Konflikten, die China nicht betreffen, wie etwa in der
Ukraine. China schickt auch keine Waffen dorthin. Diese Unterscheidung
zwischen strategischen und taktischen Verbündeten ist ein Merkmal der
multipolaren Welt, an deren Aufbau Moskau und Peking arbeiten. Es kommt
auch für Russland nicht in Frage, eine Koalition zu seiner Unterstützung
in der Ukraine zu bilden.
Es gibt keinen schlimmeren Blinden als den, der nicht sehen will.
Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser
[1] „Die Stunde der Wahrheit in der Ukraine“, von Thierry Meyssan,
Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser,
Voltaire Netzwerk, 23. Mai 2023.
[2] «Europe Snubs China Bid to Split West», Bojan Pancevski & Kim Mackrael, The Wall Street Journal, May 27, 2023.
[3] „Das neue russische nukleare Arsenal stellt wieder die Bipolarität
der Welt her“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich,
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 6. März 2018.
[4] „Was machte dem USS Donald Cook im Schwarzen Meer so Angst?“,
Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 22. September 2014.
[5] „Russland stört die Steuerung des Flugzeugträgers Ronald Reagan und
der 7. Flotte“, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 5. November 2015.
[6] „Russisches Militär blockiert teilweise libanesischen und
zypriotischen Luftraum“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk,
21. November 2015.
[7] „Unipolare Lenkung ist unrechtmäßig und unmoralisch“, von Wladimir
Putin, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 11. Februar 2007.
https://www.voltairenet.org/article219376.html
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