UNSERE RUSSISCHE
MUTTER IM DENKMAL
Ein Riesendenkmal, ein Ehrenmal für die gefallenen sowjetischen Helden des zweiten Weltkrieges. Mutter arbeitet im Baustab als Dolmetscherin. Dann steht sie – drei oder vier Tage lang, wie sie sagt - Modell für eine der Figuren in der Krypta. Sie ist die Mutige, die einer anderen Frau von hinten tröstend die Hände auf die Schultern legt, erklärt die Tamara ihren Kindern. Nach der Eröffnung am 8. Mai 1949 sieht Henry das Mosaik-Bild. Es befindet sich in dem runden Innenraum des Denkmals. Er sieht viele Figuren, das seiner Mutter entdeckt er ganz links und findet es wunderschön. (Das Ehrenmal hat eine Höhe von zwölf Metern. Für die Figur, dem Soldaten mit dem Kind im linken Arm, stand laut einem Bericht von Tschuikow ein Nikolai Massalow Pate.)
(Siehe auch unten das Buch „Der Schütze von Sanssouci“, persönliche Erlebnisse)
Vor Jahren: Langsam gehe ich auf das große Denkmal zu. Treptow. Der Park. Sonne und Maienduft. Jahrzehnte war ich nicht mehr hier. Eingesteckt habe ich ein Foto. Unsere russische Mutter Tamara (1915-1984, sie kam 1935 aus Liebe nach Deutschland, unser deutscher Vater lernte sie in der Sowjetunion kennen) mit sowjetischen Gästen. Im Hintergrund das Ehrenmal. Wann? Irgendwie in den 70er Jahren? Dort in der Krypta wurde sie verewigt – in einem Mosaik-Fries mit anderen sowjetischen Männern und Frauen. Ich bin gespannt. 1949 war ich mit unserer Mama als dreizehnjähriger in der Krypta, kurz nach der offiziellen Eröffnung des Ehrenmals. In Erinnerung ist mir, dass sie ihre rechte Hand auf die Schultern einer vor ihr stehenden Frau legt. Zum Trost. dass der Krieg beendet ist, dass das Leben weitergeht, dass sie endlich da ist – die Befreiung von der furchtbaren Last dieses größten verbrecherischen Krieges in der Geschichte der Menschheit.
Meine Schritte verlangsame ich. Ich denke, grübele. An meiner Seite ein guter Bekannter. Hans heißt er. Hat ebenso einen Lebensweg hinter sich wie ich. Der Befreiung haben wir Nachdruck verliehen, damit es nie wieder soweit kommt. Mit der Waffe in der Hand. Wir hatten unseren Sinn des Lebens gefunden: Humanität muss mitunter hart verteidigt werden.
Die Stufen nach oben. Die Krypta, das Eisengitter geschlossen. So ein Pech. Was nun? Stille. Leute, die Blumen ablegen. Auch wir. Ich trete dicht ans Tor. Die Figuren geradeaus sind gut zu erkennen. Meine Mutter aber soll im Rondell ganz links abgebildet sein. So weiß ich das noch von 1949. Aber den Kopf kann ich nicht durchs Gitter stecken, dafür aber meinen Fotoapparat. Ich richte ihn wohl zu weit nach links, es wurde nichts. Schade. Aber Hans versucht sich ebenfalls. Vielleicht schafft er es?
Plötzlich träume ich: „Na, wie geht’s, mein guter Junge?“ Mir stockt
das Herz. Was soll ich sagen in der Kürze? Sie, die stets sich zu
befreien wusste von Kleinmut, Egoismus, Herzlosigkeit. Aber Härte konnte
sie ebenfalls zeigen: Bei Dummheit, bei kleingeistigem Denken und
Verhalten, bei blödem Geschwätz, sie war selbst immer politisch
hellwach. Dazu schön, klug und begabt. Und tapfer, als russische Mutter
von vier Kindern im faschistischen Deutschland zu überleben. In der DDR
war sie Dolmetscherin für ihre Landsleute – vorwiegend sowjetische
Wissenschaftler, die Gäste der DDR waren. Die umsorgte sie warmherzig
und mit fachlichem Können.
Verträgt sie die Wahrheit über unsere jetzigen Zustände des Jahres 2023?
Durch vorwiegend auch eigene Schuld, füge ich hinzu. Ist sie
erschüttert? Ich beruhige sie. Brot ist da, Kleidung, Sachwerte. Ich
glaube, sie müde lächeln zu sehen, so von der Seite. Nein, nur
Materielles war nie der jungen Russin alleiniges Ding. Sie liebte Musik,
Literatur, Gemälde vor allem, Geistiges. Und wollte auch reisen. Das
war begrenzt, sehr sogar. Und nun, höre ich sie im Geiste fragen? Sie
verlangte stets ein klares Wort, keine Heuchelei, keine Unehrlichkeit.
Und so rede ich Klartext: das ALTE hat uns wieder in seinem Schoß. Hart
erkämpftes Soziales gibt es zwar – allerdings mit sehr vielen
Abstrichen, mit zunehmend größeren Widersprüchen. Und das Schlimme –
auch Kriege und Gewalt gibt es wieder. Weltweit. Die Gelddiktatur
schüttelt die Menschen und Verhältnisse durcheinander.
Mein Blick fällt erst Tage später auf ihre damals sehr schlanke Frauenfigur. Abgebildet auf einem Foto von Hans, der sie mit seiner Kamera doch noch erwischt hat. Danke, lieber Hans. Nun kann ich es ihr nicht mehr tröstend zurufen: Wir sind wieder auf dem Weg, auf einem zunehmend harten Weg. Und wissen nicht, wie das und wo das alles enden wird. „Tschüß, liebste Mama!“ Dein Optimismus – er wirkt nach, er steht fürs ewige gute Hoffen. Und fürs Tun…
Dein Sohn Harry.
Der Schütze von Sanssouci.
Das Leben mit einer Göttin – Erkenntnisse und Bekenntnisse aus acht Jahrzehnten“ -
Autor: Harry Popow
(Neubearbeitung und Neuauflage April 2023)
Format: Taschenbuch 125x190 Softcover 90g creme, matt
704 Seiten
Erscheinungsdatum: 04.04.2023
ISBN: 9783757535292
Sprache: Deutsch
24,99 € inkl. MwSt.
Verlag: neobooks.com ist ein Dienst der Neopubli GmbH, Neopubli GmbH
Köpenicker Str. 154 a
10997 Berlin
Geschäftsführer: Sebastian Stude
Handelsregister Charlottenburg, HRB 108995 Umschlaggestaltung: © CopyrightNeopubli GmbH
Zu bestellen:
https://www.epubli.com/shop/der-schuetze-von-sanssouci-9783757535292
siehe auch:
https://linkezeitung.de/2023/04/16/der-schuetze-von-sanssouci-das-leben-mit-einer-goettin-erkenntnisse-und-bekenntnisse-aus-acht-jahrzehnten/
Zum gleichen Thema, dem Tag der Befreiung:
https://sicht-vom-hochblauen.de/tag-der-befreiung-2023-am-hochblauen/
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