Entnommen: https://www.rubikon.news/artikel/drohende-ausloschung
Drohende
Auslöschung
Nur mit Frieden
gibt es eine Zukunft des Lebens auf der Erde.
von Bernhard Trautvetter
Die Kriegsgefahr ist in der
öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund getreten. Zu Unrecht,
denn während alle Augen auf „Wichtigeres“ gerichtet sind,
vollziehen sich im Schatten sehr gefährliche Entwicklungen. Wir
beobachten wachsende soziale Spannungen im Inneren der Länder und
den Kampf um Ressourcen und Märkte zwischen verschiedenen Staaten.
Die alte internationale Ordnung zerbricht Stück für Stück, die
Klimakatastrophe birgt auch politische Unwägbarkeiten, die zu
Eskalationen führen könnten. Währenddessen verstärkt die NATO
ihre Rüstungsanstrengungen und selbst atomare Schläge werden
zunehmend wieder als legitimes Mittel der Politik ins Auge gefasst.
Der Autor benennt in seiner Antikriegstagsrede vom 1. September 2020
die Gefahren und deutet einen Lösungsweg an: die Rückkehr zu einer
Politik der Entspannung und des Ausgleichs.
Wie
wichtig der Frieden ist, für den wir hier zusammengekommen sind,
wird schon durch die Tatsache klar, dass genau die Gegend hier vor 75
Jahren das zu über 90 Prozent zerstörte Herz der „Waffenschmiede
des Reiches“ war, wie die Nazis Essen nannten. Für Kriegsstrategen
ist Essen auch heute noch von großer Bedeutung: Hier haben
Deutschlands wichtigste Rüstungskonzerne ihre Büros, nämlich
Rheinmetall als Joint-Venture-Unternehmen von Ferrostaal und
natürlich Krupp; Rheinmetall und Thyssenkrupp sind die beiden
größten Rüstungskonzerne. Und NATO-Strategen beraten jeden Herbst
in Essen über neue Konzepte zur Kriegsführung im 21. Jahrhundert
(1).
Nicht nur in unserem Land protestieren Gewerkschaften,
Friedenskräfte und Ökologen gegen die falsche Schwerpunktsetzung
der Politik: Der Militäretat des Bundes steht kurz davor, die
50-Milliarden-Marke zu durchbrechen, während die Ausgaben
beispielsweise für Gesundheit bei 15 Milliarden stagnieren (2). Die
Daseinsvorsorge tritt hinter dem Militärsektor zurück. Das wird
auch daran deutlich, dass für Umwelt nur an die 3 Milliarden Euro
vorgesehen sind. Es zeigt sich: Wir müssen aufklären und eine
zukunftverträgliche Politik fordern und erringen. Wir müssen zum
Beispiel darüber aufklären, dass die kritischen
Nuklearwissenschaftlerinnen und Nuklearwissenschaftler in ihrem
Bulletin die Alarmuhr, die sie Weltuntergangsuhr nennen, mit
einhundert Sekunden vor Mitternacht auf die bisher kürzeste
Vorwarnzeit überhaupt vorgestellt haben (3).
Die
Gleichgültigkeit vieler Verantwortlicher in Wirtschaft und Politik
gegenüber der Faktenlage und damit gegenüber der Gefahr erinnert an
die Haltung führender Kräfte vor dem Ersten Weltkrieg, der
Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Was ab 1914
und dann noch einmal — und viel schrecklicher — ab 1939 über die
Menschheit hereinbrach, übertraf bei Weitem die Vorstellungskraft
der Menschen. Vom Luftkrieg, vom Gaskrieg und von anderen
industrialisierten Formen des Tötens, an denen auch der Essener
Krupp-Konzern großen Anteil hatte, hat sich die Welt bis heute nicht
vollständig erholt; viele jetzige Konflikte gehen auf diese Zeit
zurück.
Die Kriegstechnik von heute übersteigt erneut das
menschliche Vorstellungsvermögen. Diejenigen, die den Krieg im 21.
Jahrhundert technisch und strategisch vorbereiten — so als könne
das Szenario ihnen selbst nichts anhaben —, nehmen tatsächlich
fatale Konsequenzen bis zum finalen Untergang der Menschheit — und
damit natürlich auch ihr eigenes Ende — in Kauf. Ein
Missverständnis kann augenblicklich den Funken auslösen, der sich
in Windeseile zum Flächenbrand ausbreitet.
Wir haben neue und
alte Gründe zugleich, uns 75 Jahre nach 1945 und damit auch nach
Hiroshima für die Zukunft des Lebens zu engagieren.
Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begründen die Verkürzung
der Vorwarnzeit mit drei Entwicklungen:
Zum Ersten ist da die
weltweite Zunahme an Spannungen innerhalb der Staaten infolge der
sozialen Spaltung und der zunehmenden Not. Brisanter noch sind die
Spannungen zwischen Staaten und Kulturen. Die Strategen reden von
Freiheit und Menschenrechten, aber es geht ihnen um Energie,
Rohstoffe und Einflusssphären, um Macht und um ökonomische
Interessen. Das findet auf nationaler Ebene seine Entsprechung in
Nationalegoismus, Rassismus, rücksichtslosem Kampf um Privilegien
sowie Terror und Gewalt. Dafür stehen unter anderem die Morde in den
USA, die zur Black-Lives-Matter-Bewegung führten; diese sind gar
nicht so weit von Deutschland entfernt, wenn man auf die NSU-Morde,
den Terror in Hanau und Halle sowie die Morde in Kassel blickt.
All dies zerreißt die Gesellschaft im Inneren, und
das findet seinen Widerhall im Internet. Parallel dazu greift ein
Zerfall der internationalen Ordnung um sich. Einen wesentlichen
Beitrag dazu leisten die Kriege, in denen NATO-Staaten kämpfen. Die
NATO ist dasjenige Staatengebilde, von dessen Gebiet die massivsten
und häufigsten Völkerrechtsverletzungen seit dem Ende des Kalten
Krieges ausgegangen sind und weiterhin ausgehen, auch wenn uns die
öffentliche Meinungsbildung etwas anderes weismachen will und so
tut, als wären nur mögliche NATO-Gegner eine Gefahr für das Recht.
Die Menschheit braucht aber für ihre Zukunft statt Abschreckung
Kooperation und Austausch.
Die zweite Begründung für ihre
Warnung sehen die NuklearwissenschaftlerInnen in den Unwägbarkeiten
in der Folge ökologischer Katastrophen. Unser Gesellschaftssystem,
das im begrenzten System Erde von ständigem Wachstum lebt, bringt
immer neue Konflikte hervor, die ein bedrohliches Potenzial in sich
bergen, so wie die Wolke den Regen in sich trägt.
Auch das steigert die Kriegsgefahr. Es bedeutet schon jetzt Not, Hunger und Tod. Wie schnell verliert da ein Verantwortlicher den Kopf und drückt den roten Knopf, der eine Eskalationsspirale eröffnet?! Harald Welzer, der bis vor kurzem in Essen am Kulturwissenschaftlichen Institut gearbeitet hat, warnt vor Klimakriegen (4).
Die
Bedrohung durch ökologische Katastrophen erhält schnell beim Kampf
um Energie und Ressourcen eine militärische Dimension. Wir sagen:
„Ohne Frieden kippt das Klima.“ und: „Abrüstung ist
Umweltschutz.“
Die dritte Ursache für die
Weltuntergangsgefahr sehen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in den Auswirkungen der Hoch-, der Über- und der
Atomrüstung. Die NATO trägt die Hälfte der Weltrüstungsausgaben
von bald 2.000 Milliarden US-Dollar (5). Sie begründet diesen
Wahnsinn auf Kosten der Bedürfnisse der Menschen mit der
unzutreffenden Behauptung, sie müsse das aufgrund der russischen und
der chinesischen Gefahr tun. Hat der Westen wirklich so schlechte
Ingenieure, dass er mit einem Budget in Höhe des 15-fachen der
Militärausgaben Russlands nicht mit diesem als Gegner betrachteten
Staat mithalten kann? Existenziell ist vor allem die Frage, welche
Auswirkungen ein Krieg mit Atommächten auf beiden Seiten hätte.
Die
USA und die NATO planen die Stationierung völlig neuartiger
Nuklearpotenziale in zwei Jahren unter anderem in Büchel bei
Koblenz. Der US-General Cartwright erklärt, diese Systeme seien
gebrauchsfreudiger als die bisherigen thermonuklearen Bomben (6). Mit
den Worten des ehemaligen Essener Oberbürgermeisters und späteren
Bundespräsidenten Gustav Heinemann handelt es sich hierbei um „die
Negation der Zivilisation". Gustav Heinemann weigerte sich,
diese Bomben Waffen zu nennen, da ihr Einsatz zur totalen Vernichtung
der Menschheit führen kann. Damit sind sie noch schlimmer als die
Wirkung von Geräten, die umgangssprachlich Waffen genannt
werden.
Aktuell sieht der Rüstungsetat vor, dass Deutschland
45 US-amerikanische F-18-Bomber kauft (7), um sogenannte intelligente
nukleare Sprengköpfe mit Zielfindungsautomatik über Russland
abwerfen können. Dies ist nicht nur eine erneute
Ressourcenvergeudung, sondern steht gegen internationales Recht. Es
ist ein Skandal, dass Deutschland den UNO-Verbotsvertrag, den die
Generalversammlung vor vier Jahren beschlossen hat, nicht
unterschrieben hat und dass die Essener NATO-Konferenz 2017 Pläne
zum Einsatz nuklearer Potenziale im Konfliktfall forderte (8). Laut
dem Internationalen Gerichtshof ist dasTerror.
Wir sehen mit
dem Oberbürgermeister den Beitritt unseres Landes zum
Atomwaffenverbotsvertrag der UNO als die notwendige Antwort auf
Hiroshima und Nagasaki und auf die heutigen Gefahren an. Deshalb sind
die US-Wasserstoff-Bomben in Büchel ersatzlos aus der Welt zu
entfernen, und Tagungen, die den Atomkrieg planen, sind zu verbieten.
Mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) fordern wir: „Abrüsten
statt aufrüsten“ (9). Daseinsvorsorge ist Zukunftssicherung, und
darum geht es uns. Deshalb regen wir an, den Appell im Netz, der die
entsprechende Forderung des UNO-Generalsekretärs unterstützt, zu
unterschreiben (10).
Am Tag der Deutschen Einheit
demonstrieren wir unter Corona-Bedingungen an der
NATO-Luftleitzentrale in Kalkar für die Respektierung der
Friedensinhalte des Vertrages zur Deutschen Einheit (11). Vor und
während der diesjährigen Essener NATO-Konferenz werden wir erneut
für das Leben aufklären und protestieren.
Tagungen,
die das friedliche Zusammenleben der Völker gefährden, dürfen im
Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht zugelassen werden. Es gibt
nichts Gutes, außer man tut es, wie es einst Erich Kästner sagte.
Wir sagen: „Nur mit Frieden gibt es eine Zukunft des Lebens auf der
Erde!“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen