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„Zum Teufel mit dem Rest der Welt“
18. Juli 2024
Langzeitstrategie und unipolarer Anspruch der USA
Von Wolfgang Bittner
Nach Auffassung ihrer Machteliten sind die Vereinigten Staaten von
Amerika „the land of the free and the home of the brave“, wie es auch
die Nationalhymne verkündet. Und „God’s Own Country“ ist dazu berufen,
die Welt zu beherrschen. Zur Durchsetzung dieses unipolaren Anspruchs
haben sie seit dem 19. Jahrhundert eine Langzeitstrategie entwickelt,
wozu die Aufrechterhaltung einer übermäßig hochgerüsteten Armee und die
Einrichtung von etwa 1.000 Militärstützpunkten in aller Welt gehören.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass die US-amerikanische Gesellschaft in
weiten Teilen und bis in den Kongress hinein religiös-fundamentalistisch
fanatisiert ist. Bis in die Gegenwart ist hier die Wahlverwandtschaft
zwischen Puritanismus und Kapitalismus, eine „ökonomische
Prädestinationslehre“ – wen Gott liebt, den lässt er reich werden – tief
verwurzelt. Darüber hinaus sind viele der Hardliner offensichtlich der
Ansicht, dass alles, was den USA nützt, letztlich der ganzen Welt
zugutekommt, woraus sich ihr Anspruch auf globale Vorherrschaft ergibt.
Kontinuität seit mehr als 200 Jahren
Dieser durch nichts gerechtfertigten Hybris folgte auch die Politik des
mit einem gewinnenden Lächeln daherkommenden Präsidenten Barack Obama,
der sieben Kriege geführt hat und in einer Rede vor der Militärakademie
in Westpoint die USA als die „einzige unverzichtbare Nation“
bezeichnete, als Dreh- und Angelpunkt aller Allianzen von Europa bis
Asien, „unübertroffen in der Geschichte der Nationen.“[1] Damit
bekundete Obama, was schon lange praktizierte Politik der Vereinigten
Staaten war, die seit dem 20. Jahrhundert ihren imperialen Anspruch auch
gegenüber Europa, insbesondere Deutschland, durchzusetzen verstanden.
Diese Machtpolitik hatte ihren Anfang spätestens 1823, als Präsident
James Monroe dem US-Kongress die Grundzüge einer langfristigen
Außenpolitik der Vereinigten Staaten vorstellte: keine Duldung der
Einmischung anderer Länder auf dem amerikanischen Doppelkontinent,
zugleich Schutz- und Interventionsanspruch der USA in Lateinamerika.[2]
Damit legten die USA die Hand auf Mittel- und Südamerika.
1904 ermächtigte dann Theodore Roosevelt (1858–1919, Präsident
1901–1909) die USA pauschal zur Ausübung einer „internationalen
Polizeigewalt“ und zur kompromisslosen Durchsetzung wirtschaftlicher und
strategischer Interessen. Sein Wahlspruch war: „Sprich sanft und trage
einen großen Knüppel, dann wirst du weit kommen.“[3] Nachdem zuvor
sämtliche Verträge mit den indianischen Ureinwohnern gebrochen worden
waren und die letzte vernichtende Schlacht 1890 am Wounded Knee
geschlagen war, galt das in erster Linie den lateinamerikanischen
Ländern im „Hinterhof der USA“, aber auch Marokko und Korea, wenig
später weltweit.
Ganz dem entsprach eine Aussage des nachfolgenden Präsidenten Woodrow Wilson:
„Da der Handel sich über die nationalen Grenzen hinwegsetzt und der
Unternehmer die Welt als seinen Markt beansprucht, muss die Flagge
seiner Nation ihm folgen und die verschlossenen Türen der Nationen
müssen aufgesprengt werden … Die von den Finanziers erworbenen
Konzessionen müssen von den Staatsministern garantiert werden, selbst
wenn die Souveränität widerspenstiger Nationen dabei verletzt würde.“[4]
Barack Obama formulierte das am 11. Februar 2016 in einem Interview gegenüber dem US-Fernsehsender Vox so:
„Wir müssen gelegentlich den Arm von Ländern umdrehen, die nicht das
tun, was wir von ihnen wollen. Wenn es nicht die verschiedenen
wirtschaftlichen oder diplomatischen oder, in einigen Fällen,
militärischen Druckmittel gäbe, die wir haben, wenn wir diese Dosis
Realismus nicht hätten, würden wir auch nichts erledigt bekommen … die
amerikanische Führung kommt teilweise aus unserer Anpackmentalität. Wir
sind das größte, mächtigste Land der Erde … wir haben niemanden
Ebenbürtiges im Sinne von Staaten, die die Vereinigten Staaten angreifen
oder provozieren könnten.“[5]
Der Einfluss der Weltmacht Nr. 1
Das Ziel, Weltmacht Nr. 1 zu sein, erreichten die USA endgültig nach dem
Zweiten Weltkrieg, als Präsident Harry S. Truman am 12.März 1947 vor
beiden Häusern des Kongresses verkündete:
„Ich glaube, es muss die Politik der Vereinigten Staaten sein, freien
Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch
bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen. Ich
glaube, wir müssen allen freien Völkern helfen, damit sie ihre Geschicke
auf ihre Weise selbst bestimmen können … Wenn sie freien und
unabhängigen Nationen helfen, ihre Freiheit zu bewahren, verwirklichen
die Vereinigten Staaten die Prinzipien der Vereinten Nationen. Die
freien Völker der Welt rechnen auf unsere Unterstützung in ihrem Kampf
um die Freiheit. Wenn wir in unserer Führungsrolle zaudern, gefährden
wir den Frieden der Welt – und wir schaden mit Sicherheit der Wohlfahrt
unserer eigenen Nation.“[6]
Diese „Unterstützung“ freier Völker durch die USA sollte nach Trumans
altruistischen Worten zwar „vor allem wirtschaftliche und finanzielle
Hilfe“ umfassen, „die die Grundlage für wirtschaftliche Stabilität und
geordnete politische Verhältnisse bildet“, doch die Realpolitik ging den
üblichen Weg im Sinne und zum Vorteil der USA sowie zumeist zulasten
und zum Nachteil der „freien Völker“, wie ein Blick in die Geschichte
bis zur unmittelbaren Gegenwart beweist.[7]
Der Publizist Werner Rügemer hat die Einflussmöglichkeiten und
Einflussnahmen der USA auf die europäische, insbesondere die deutsche
Wirtschaft, analysiert und kommt zu bestürzenden Ergebnissen:
„Das wichtigste unternehmerische Kapitaleigentum im westlichen
Kapitalismus wird heute von verschiedenen Typen von Finanzakteuren
organisiert. Die vom eingesetzten Kapital her größten sind Blackrock
& Co. Dann folgen Blackstone & Co, also die Private
Equity-Investoren, volkstümlich ‚Heuschrecken‘ genannt. Sie haben seit
Ende der 1990er Jahre etwa 10.000 mittelständische Unternehmen in
Deutschland aufgekauft, verwertet, weiterverkauft oder an die Börse
gebracht. Dann kommen die Hedgefonds, die Wagniskapital-Investoren – sie
bringen die start ups ins Rennen –, die elitären Investmentbanken wie
Macquarie und Rothschild, die Privatbanken wie Metzler, Pictet, die
traditionellen Banken wie die Deutsche Bank. Die USA sind der größte
Kapital-Standort und der wichtigste militärische, geheimdienstliche und
mediale Machtblock zur Sicherung dieses Systems. Auch die wichtigsten
globalen Finanzdienstleister sind mit den USA verbunden: die großen drei
Ratingagenturen, die Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, die
Unternehmensberater wie McKinsey, die Wirtschaftsprüfer‘ wie
PricewaterhouseCoopers, die PR-Agenturen wie Soros’ Renaissance – ich
nenne sie die zivile Privatarmee des westlichen Kapitalismus.“[8]
Verhinderung einer Kooperation Deutschlands mit Russland
Im ökonomischen und auch militärstrategischen Konzept der USA hat
Russland keinen Platz. Der ehemalige Direktor des einflussreichen
Thinktanks Stratfor, George Friedman, hat zu dieser egozentrischen,
friedensgefährdenden Politik in seiner Rede am 4. Februar 2015 am
Chicago Council on Global Affairs eine bemerkenswerte Aussage gemacht:
„Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten
Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg, waren
die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die
einzige Macht sind, die unsere Vormachtstellung bedrohen kann. Unser
Hauptziel war sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt.“[9]
Warum diese Politik bis zur Gegenwart fortgesetzt wird, begründet Friedman wie folgt:
„Für die Vereinigten Staaten ist die Hauptsorge, dass … deutsches
Kapital und deutsche Technologie sich mit russischen Rohstoff-Ressourcen
und russischer Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination
verbinden, was die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern suchen. Also
wie kann man das erreichen, dass diese deutsch-russische Kombination
verhindert wird? Die USA sind bereit, mit ihrer Karte diese Kombination
zu schlagen: Das ist die Linie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen
Meer. … Der Punkt bei der ganzen Sache ist, dass die USA einen ‚Cordon
Sanitaire‘, einen Sicherheitsgürtel, um Russland herum aufbauen.“
Daran wurde im Grunde seit dem deutsch-französischen Krieg von 1871 konsequent im Geheimen gearbeitet.
Weiter stellt Friedman fest:
„Die Vereinigten Staaten kontrollieren aus ihrem fundamentalen Interesse
alle Ozeane der Welt. Keine andere Macht hat das jemals getan. Aus
diesem Grund intervenieren wir weltweit bei den Völkern, aber sie können
uns nicht angreifen.“ Viele Völker können sich auch nicht wehren, wie
sich gerade in jüngster Zeit gezeigt hat. Wer opponiert, wird ruiniert
oder gebombt.
Aufsehen erregte Friedmans „Bekenntnis“ lediglich in den sogenannten
alternativen Medien. Das gleiche gilt für die Ausführungen Zbigniew
Brzezinskis, der Eurasien als das „Schachbrett der USA“ ansah, auf dem
sie ihre Züge im Kampf um die globale Vorherrschaft machten. Brzezinski
schrieb In seinem Buch „Die einzige Weltmacht“, in dem er die
geopolitische Strategie der USA nach dem Untergang der Sowjetunion
entwickelt hat:
„Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können,
hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den
komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird –
und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht
verhindern kann.“[10]
In diesem Kontext ist auch die Äußerung Henry Kissingers vom 2. Februar
2014 zu sehen, wonach der Regime Change in Kiew sozusagen die
Generalprobe für das sei, „was wir in Moskau tun möchten“.[11]
Joseph Biden: „Ich regiere die Welt“
Wie es um das Selbstverständnis der US-amerikanischen Regierung bestellt
ist, demonstrierte Präsident Joseph Biden am 6. Juli 2024 in einem
Interview mit dem US-Sender ABC, als er nach einem desaströsen
Wahlkampfduell mit Donald Trump nach seiner körperlichen und mentalen
Verfassung gefragt wurde. Vor laufender Kamera erklärte er:
„Ich absolviere jeden Tag einen kognitiven Test. Wissen Sie, ich mache
nicht nur Wahlkampf, ich regiere die Welt. Das klingt wie eine
Übertreibung, aber wir sind die wichtigste Nation der Welt.“[12]
Diese Aussage wurde von den westlichen Politikern und Journalisten
nahezu kommentarlos hingenommen, was wiederum Rückschlüsse auf die
Verkommenheit dieser Akteure zulässt.
Bereits in einer Rede an der Harvard Kennedy School in
Cambridge/Massachusetts am 2. Oktober 2014 renommierte Biden, seinerzeit
noch US-Vizepräsident:
„Wir haben Putin vor die einfache Wahl gestellt: Respektieren Sie die
Souveränität der Ukraine, oder Sie werden sich zunehmenden Konsequenzen
gegenübersehen. Dadurch waren wir in der Lage, die größten entwickelten
Staaten der Welt dazu zu bringen, Russland echte Kosten aufzuerlegen. Es
ist wahr, dass sie [die EU] das nicht tun wollten. Aber wiederum war es
die Führungsrolle Amerikas und die Tatsache, dass der Präsident der
Vereinigten Staaten darauf bestanden hat, ja, Europa des Öfteren in
Verlegenheit bringen musste, um es dazu zu zwingen, sich aufzuraffen und
wirtschaftliche Nachteile einzustecken, um Kosten [für Russland]
verursachen zu können. Und die Folgen waren eine massive Kapitalflucht
aus Russland, ein regelrechtes Einfrieren von ausländischen
Direktinvestitionen, der Rubel auf einem historischen Tiefststand
gegenüber dem Dollar und die russische Wirtschaft an der Kippe zu einer
Rezession.“[13]
Dass die Berliner Regierung dieser Politik, die deutschen Interessen
diametral entgegensteht, bis zur Gegenwart gefolgt ist, wie aus
Stellungnahmen von Olaf Scholz, Robert Habeck oder Annalena Baerbock
hervorgeht, ist eine Schande und lässt sich nicht allein durch die
mangelnde Souveränität Deutschlands erklären. Aus den über mehr als ein
Jahrhundert wiederholten Äußerungen der US-Spitzenpolitiker ergibt sich
ein Gesamtbild der monopolaren Imperialpolitik der USA, die der frühere
Stabschef des US-Außenministers Colin Powell, Lawrence Wilkerson, mit
den Worten charakterisierte: „Zum Teufel mit dem Rest der Welt.“[14]
Dr. Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in
Göttingen und ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines
Beirats
Quellen und Anmerkungen
1 www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/05/28/remarks-president-united-states-military-academy-commencement-ceremony
2 Sog. Monroe-Doktrin. Dazu: https://amerika21.de/analyse/239008/monroe-doktrin-totgesagte-leben-laenger
3 Vgl. Theodore Roosevelt: The strenuous Life. Essays and Addresses,
New York 1906, sowie Theodore Roosevelt typed letter signed as governor
of New York, 26.1.1900,
https://historical.ha.com/itm/autographs/u.s.-presidents/theodore-roosevelt-typed-letter-signed-as-governor-of-new-york-two-pages-9-x-115-albany-new-york-january-26-190/a/6054-34087.s
4 Zit. wie Wilfried Röhrich: Politik als Wissenschaft – Ein Überblick, Opladen 1986
5 Zit. wie RT Deutsch, 12.2.2015,
https://deutsch.rt.com/11745/international/obamas-diplomatie-verstaendnis-wir-muessen-gewalt-anwenden-wenn-laender-nicht-das-machen-was-wir-wollen/.
Vgl. auch: der Freitag, 15.2.2015,
www.freitag.de/autoren/hans-springstein/der-us-praesident-hat-wieder-klartext-geredet
6 Sog. Truman-Doktrin, zit. wie Manfred Görtemaker u. a.: Das Ende des Ost-West-Konflikts?, S. 58
7 Ende der 1940er-Jahre zogen die USA einen Großteil ihrer Truppen aus
Deutschland ab, um sie 1950 im Korea-Krieg einzusetzen, bei dem etwa
vier Millionen Menschen umkamen und das Land geteilt wurde.
8 Werner Rügemer: Die Wahrheit ist auf unserer Seite, Neue Rheinische
Zeitung Online, 21.11.2018, www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25399
9 Vgl. AntikriegTV: US-Strategie, YouTube, 17.3.2015, www.youtube.com/watch?v=vln_ApfoFgw (8.7.2024)
10 Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt/Main 2001, S. 15
11 Zit. wie www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20079
12 Vgl.
www.n-tv.de/politik/Widerstand-bei-Demokraten-gegen-Kandidatur-formiert-sich-US-Praesident-Biden-ballt-die-Faust-und-gibt-skurriles-Interview-article25067731.html
13 Zit. wie newscan, Zeitdokument: Wir zwangen die EU zu Sanktionen
gegen Russland, 5.1.2015, www.youtube.com/watch?v=JLO7uKVarB8 (8.7.2024)
14 Zit. wie Florian Linse, NachDenkSeiten, 8.8.2018, www.nachdenkseiten.de/?p=45368
Erstveröffentlichung am 17.07.2024 auf den NachDenkSeiten
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