Dienstag, 16. Juli 2024

"Eine neue Etappe der Repression" - RotFuchs

 


Entnommen: https://rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2024/RF-317-07-24.pdf


Ausgabe Juli/August 2024

S. 11


Eine neue Etappe der Repression“


Am 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes ist Deutschland auf dem Weg in eine autoritäre Formierung: Die Kriege in der Ukraine und in Gaza bringen in der Bundesrepublik zunehmend Ausgrenzung und Repression hervor.

Sendeverbote

Ein starker Schub in Richtung auf eine autoritäre Formierung der deutschen Öffentlichkeit war zu Beginn des Ukraine-Kriegs zu verzeichnen. War schon zuvor, ab 2014 und vermittelt nicht zuletzt über die Leitmedien, massiver Druck auf all diejenigen ausgeübt worden, die sich einem offen antirussischen Grundkonsens verweigerten („Putin-Versteher“), so ging die Bundesrepublik nun unter anderem zur Ausschaltung russischer Medien über – entweder, indem die deutschen Behörden ihnen Sendelizenzen verweigerten, oder durch ein Verbot auf EU-Ebene. Sender wie RT oder Sputnik sind seitdem in Deutschland nicht mehr erlaubt. Deutsch-russische Kooperationsprojekte auf den Feldern von Wissenschaft und Kultur, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Max-PlanckGesellschaft (MPG) oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) betrieben wurden, wurden nun umgehend auf Eis gelegt; die Frankfurter Buchmesse schloß Rußlands Nationalstand aus – und wies darauf hin, Repräsentanten russischer Verlage könnten aufgrund der Rußland-Sanktionen ohnehin kaum zu der Veranstaltung anreisen. Boykotte russischer Künstler, zuweilen gar der Werke längst verstorbener russischer Komponisten wie auch Forderungen, die Bücher russischer Autoren – sogar klassischer Schriftsteller – zu verbieten, spitzten die antirussische Formierung zu.

Geschichtsrevision

Diese dauert bis heute an, greift immer weiter aus und beeinträchtigt mittlerweile sogar die Erinnerung an die Befreiung Deutschlands und Europas von der NS-Herrschaft. So waren bei den Befreiungsfeierlichkeiten am 9.  Mai am sowjetischen Ehrenmal in BerlinTreptow nicht nur russische Fahnen und Symbole verboten, sondern auch die Flagge der Sowjetunion, die die Hauptlast bei der Niederwerfung des NS-Reichs getragen hatte. Überaus schikanöse Einlaßkontrollen am Ehrenmal sorgten für recht lange Wartezeiten und schreckten von der Teilnahme an dem Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus ab. Verboten wurde sogar das Mitführen einer Tageszeitung, die auf ihrer Titelseite ein berühmtes historisches Foto von der Einnahme des Reichstags durch sowjetische Soldaten zeigte: Weil auf ihm eine sowjetische Flagge zu sehen ist, die die Soldaten gerade über dem Reichstag schwenken, mußte, wer sich dem Gedenken anschließen wollte, die Zeitung im Müll entsorgen. Das Foto ist aus zahlreichen Geschichtsbüchern bekannt. Ukrainische Flaggen hingegen waren erlaubt – und dies, obwohl die Organisationen der ukrainischen Faschisten, die 1941 einen ukrainischen Staat zu gründen versucht hatten, mit den Nazis kollaboriert sowie den Massenmord an den europäischen Juden aktiv unterstützt hatten. Auch zugelassen waren Werbemaßnahmen ultrarechter Aktivisten aus dem „Reichsbürger“-Milieu.

Ausgegrenzt

Ein weiterer massiver Schub in Richtung auf eine autoritäre Formierung erfolgt seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Gaza-Kriegs; er richtet sich pauschal gegen palästinensische Organisationen, gegen ihre Unterstützer und gegen alle, die Sympathie mit ihren Anliegen zu erkennen geben. So wurde beispielsweise die Vergabe diverser Literaturpreise, deren ursprünglich vorgesehene Empfänger sich mit Kritik an der israelischen Politik hervorgetan hatten oder auch nur palästinensischer Herkunft waren, unbestimmt verschoben oder vollständig abgesagt, so etwa eine offizielle Auszeichnung, die auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Die Berliner Behörden strichen einem bekannten Kulturzentrum in der Hauptstadt, das für palästinensische Anliegen offen ist, alle Fördermittel und verlangten die Räumung seines Gebäudes. Die Exempel wirken: In ganz Deutschland berichten Organisationen, die palästinensische Anliegen unterstützen, sie seien kaum noch in der Lage, Räumlichkeiten für Treffen und Veranstaltungen zu finden. Der Repression durch deutsche Stellen ausgesetzt ist mit der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost auch eine jüdische Vereinigung; ihr sperrte die Berliner Sparkasse bereits im März das Bankkonto.

Ausgesperrt

Mittlerweile beginnt die Bundesregierung, Hochschuldozenten öffentlich zu disziplinieren, greift zu Reiseverboten und setzt sie EU-weit durch. Vor zwei Wochen hatten nach der Räumung eines Protestcamps an der Freien Universität Berlin durch die Polizei ungefähr 300 Lehrkräfte in einem Protestschreiben erklärt, sie verteidigten – unabhängig von ihrer Haltung zu den Forderungen des Protestcamps – das „Recht auf friedlichen Protest“. Daraufhin äußerte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die Stellungnahme mache sie „fassungslos“. Die öffentliche Verurteilung durch die Ministerin schädigt die Unterzeichner des Protestschreibens und schreckt andere davon ab, sich der Kritik anzuschließen. Zuvor hatten die deutschen Behörden zwei Referenten eines PalästinaKongresses an der Teilnahme an der Veranstaltung gehindert. Gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis hatte Berlin ein politisches Betätigungsverbot verhängt. Den palästinensischen Arzt und Rektor der University of Glasgow, Ghassan Abu-Sittah, hatte sie mit einem Einreiseverbot belegt, und zwar für den gesamten Schengen-Raum. Abu-Sittah konnte daher Anfang Mai auch an einer Veranstaltung des französischen Senats nicht teilnehmen. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat das Einreiseverbot inzwischen für rechtswidrig erklärt.

Gegen ethnische Minderheiten“

Aus dem westlichen Ausland sind zunehmend entsetzte Reaktionen zu vernehmen. Bereits im Dezember konstatierte die New York Times, Deutschland drohe seinen „Ruf als Zufluchtsort für künstlerische Freiheit“ zu verlieren, während die Washingtoner Onlinezeitung The Hill notierte: „Nahezu jede größere Einrichtung in Deutschland ist an einer Welle der Repression gegen ethnische Minderheiten beteiligt gewesen“ – gegen „Palästinenser, andere Nichtweiße und jüdische Antizionisten gleichermaßen“, und dies „in einem Ausmaß und einer Intensität, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte beispiellos ist“. Im April zitierte der britische, gewöhnlich deutschlandfreundliche Guardian konsterniert die Aussage einer in Nordafrika geborenen und heute in Berlin lebenden Aktivistin, „Demokratie und Meinungsfreiheit“ seien in der Bundesrepublik offenbar nur noch „Fassade“. Im Mai äußerte die französische Senatorin Raymonde Poncet Monge (Europe Écologie – Les Verts), die Ghassan Abu-Sittah zu der Veranstaltung des Senats eingeladen hatte, zu der auf Berliner Betreiben verfügten Einreisesperre: „Das ist grauenhaft! Das ist eine neue Etappe der Repression.“

Der dritte Schub

Dabei hat längst ein dritter Schub in Richtung auf eine autoritäre Formierung begonnen, der sich gegen den stärksten Rivalen der Bundesrepublik richtet – gegen China. Schon vor Jahren ergab eine wissenschaftliche Untersuchung, die deutsche China-Berichterstattung sei „von teil noch aus kolonialen Zeiten herrührenden Klischees und Stereotypen geprägt“. Seither hat auch der staatliche Druck auf in Deutschland lebende Chinesen, ihre Unterstützer und ihre Kooperationspartner zugenommen. So dürfen Chinesen, die bestimmte staatliche Stipendien erhalten, an manchen deutschen Hochschulen nicht mehr studieren. Deutsche Hochschulen stellen zunehmend ihre bisherige Kooperation mit chinesischen Kulturinstituten (KonfuziusInstitute) ein. Mit der Verschärfung des Konflikts mit der Volksrepublik steht – ähnlich wie zuvor gegen Rußland und aktuell gegen Palästinenser – eine Verschärfung der inneren Frontbildung gegen China und gegen Chinesen bevor.

german-foreign-policy.com, 23.5.24



SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS


RotFuchs“ abonnieren einfach gemacht Für den Bezug des RF als Printausgabe genügt ein Anruf bei Rainer Behr: 030-98 38 98 30 Wolfgang Dockhorn: 030-241 26 73 oder die formlose Bestellung per E-Mail: vertrieb@rotfuchs.net





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen