Wie in Russland über Trumps Friedenspläne für die Ukraine gedacht wird
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 24. JULI 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Thomas Röper – https://anti-spiegel.ru
In Russland macht man sich keine Illusionen über Trump und hält ihn
nicht für einen Friedensengel, auch wenn er ein schnelles Ende des
Ukraine-Konfliktes verspricht. Der Preis, den Trump fordern könnte,
könnte für Russland unannehmbar sein.
Ich sage immer wieder, dass ich keineswegs ein Trump-Fan bin, weil er in
seiner ersten Amtszeit international sehr viel Schaden angerichtet hat.
Ich halte ihn lediglich für das kleinere Übel, weil er in seiner
Amtszeit immerhin keinen neuen Krieg angefangen oder provoziert hat. Und
bei US-Präsidenten ist das, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit
sein sollte, schon ein Grund zur Freude.
Ein Analyst der russischen Nachrichtenagentur TASS hat sich angeschaut,
was der Frieden, den Trump für die Ukraine im Sinn haben könnte,
tatsächlich sein dürfte und was Trump als Gegenleistung fordern könnte.
Ich habe die sehr interessante TASS-Analyse übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Keine Illusionen: Der „Trump-Frieden“ könnte alles andere als wolkenlos sein
Andrej Nisamutdinow über die Aussichten für die Ukraine nach der Rückkehr des ehemaligen US-Präsidenten an die Macht.
Die Entscheidung des derzeitigen US-Präsidenten Joe Biden, sich aus dem
Präsidentschaftsrennen zurückzuziehen, hat die Chancen von Donald Trump
im Kampf um das Weiße Haus noch günstiger gemacht. Deshalb glauben viele
Beobachter, dass die Chancen für eine rasche Beilegung des Konflikts in
der Ukraine steigen, zumal Trump selbst wiederholt gesagt hat, dass er
im Falle seines Sieges den Konflikt regelrecht über Nacht beenden kann.
Aber dieser „Trump-Frieden“ ist vielleicht nicht das, was er auf den
ersten Blick zu sein scheint.
Wer zahlt?
Nach der Debatte mit Biden und vor allem nach dem gescheiterten Attentat
auf den ehemaligen Präsidenten begannen Gespräche darüber, dass sich
die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Trump erhöht hat. Vor diesem
Hintergrund versuchten viele, die dem ehemaligen Präsidenten zuvor nicht
gerade wohlgesonnen waren, Verbindungen zu ihm aufzubauen. Wladimir
Selensky war einer der ersten, der Kontakt aufnahm, was nicht
verwunderlich ist: Die Position des abgelaufenen Präsidenten eines
Landes, das völlig vom Westen abhängig ist, zwingt ihn, die Fahne nach
dem Winde zu drehen und auf die kleinsten Veränderungen zu achten.
Es ist bemerkenswert, wie sich seine Position vor aller Augen verändert
hat. Unmittelbar vor seinem Telefonat mit Trump erklärte Selensky
gegenüber der BBC, dass er den Plan des ehemaligen US-Präsidenten nicht
akzeptieren würde, wenn er bedeuten würde, dass Kiew für den Frieden
zahlen müsste: „Die Frage ist, wie hoch der Preis sein wird und wer ihn
zahlen wird. Wenn er es in 24 Stunden schaffen will, ist es am
einfachsten, uns zahlen zu lassen. Das bedeutet, einfach aufzuhören,
[die Gebiete] aufzugeben und alles zu vergessen. <…> Darauf werden
wir uns niemals einlassen. Niemals. Und kein Mensch auf der Welt wird
uns dazu zwingen.“
Nach dem Gespräch änderte Selensky jedoch seinen Ton und begann, über
die Möglichkeit von Verhandlungen mit Moskau zu sprechen: Zunächst
erwähnte er lediglich die Möglichkeit der Teilnahme Russlands am
„zweiten Friedensgipfel“ (mit dem ersten meinte er den Kongress, der
Mitte Juni auf dem Bürgenstock in der Schweiz stattfand), und dann
räumte er die Möglichkeit von Verhandlungen mit dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin ein (bisher hat der ukrainische Präsident
solche Gespräche per Dekret untersagt). „Beim zweiten Friedensgipfel,
wenn der Plan vollständig fertig ist, wenn Russland bereit ist, über
diesen Plan zu sprechen <…>, dann werden wir bereit sein,
gemeinsam mit den Partnern mit den Vertretern Russlands zu sprechen. Und
ob das nun Putin sein wird oder nicht – wo ist der Unterschied?“, sagte
Selensky in einem Interview mit der BBC.
So änderte sich der Ton des ukrainischen Präsidenten, aber die Essenz
seines Szenarios blieb die gleiche. Er rechnet damit, dass der unter
Beteiligung einiger Staaten des Globalen Südens hinter Kiew stehende
kollektive Westen, Russland ein Ultimatum stellen wird, das Russland
erfüllen muss. Mit anderen Worten: In Selenskys Träumen ist es Russland,
das für alles zahlen wird.
Zuckerbrot und Peitsche von Johnson
Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson äußerte sich
ebenfalls zu Trumps Fähigkeit, den Konflikt in der Ukraine zu beenden.
Im Gegensatz zu Selensky sprach er mit dem Spitzenreiter des
US-Präsidentschaftsrennens persönlich und nicht am Telefon und schrieb
anschließend eine Kolumne in der Daily Mail. Johnson gab zu, dass er mit
Trumps Plänen nicht vertraut sei, zeigte sich aber zuversichtlich, dass
dieser „die Realität versteht: Eine Niederlage der Ukraine wäre eine
massive Niederlage für Amerika“.
Und dann bietet der ehemalige britische Premierminister seine eigene
Vision an, wie Trump „ein für die Welt günstiges Abkommen organisieren“
könnte, das nicht nur die Ukraine als „freies, souveränes und
unabhängiges europäisches Land“ mit der Möglichkeit, Mitglied der NATO
und der EU zu werden, erhalten würde, sondern auch „die reale
Perspektive einer globalen Annäherung an Russland“ und „eine Rückkehr zu
den Tagen, als Russland ein respektierter Partner der G8 und sogar der
NATO war“ eröffnen würde. Allerdings, so stellt Johnson klar, „gibt es
nur einen Weg, das zu erreichen – Gewalt“. Konkret müsse die
Militärhilfe für Kiew aufgestockt und die Beschränkungen für den Einsatz
westlicher Waffen in der Ukraine aufgehoben werden, damit die
ukrainischen Truppen die russischen Streitkräfte „mindestens bis zu den
Grenzen von [Mitte Februar] 2022 zurückdrängen können.“
Johnsons günstiger Deal für Trump läuft also auf dieselbe Idee hinaus:
Russland zu besiegen und es dazu zu bringen, „zu zahlen und zu bereuen“.
Was ihn von Selenskys Träumen und dem Motto der NATO und der EU
unterscheidet („Wir können auf keinen Fall zulassen, dass Russland
siegt“) ist das Zuckerbrot in Form eines vagen Versprechens, zu den
guten alten Zeiten zurückzukehren. Es ist klar, dass der Preis dieses
Versprechens ohne Peitsche gleich Null ist, vor allem wenn man sich
daran erinnert, dass es Johnson war, der an der Spitze der britischen
Regierung stand, als alles getan hat, um die Unterzeichnung des
Istanbuler Friedensabkommens zwischen Moskau und Kiew zu verhindern.
In diesem Sinne wirkt die Position der EU, die die friedensstiftenden
Bemühungen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gestrichen
hat, noch ehrlicher: Brüssel verspricht kein Zuckerbrot und keine
Peitsche, sondern setzt ganz offen auf die Eskalation des Konflikts und
die Umwandlung der EU in ein militärpolitisches Bündnis, dessen
Hauptziel die Konfrontation mit Russland sein wird.
„Eine Katastrophe für die Ukraine“
Da Selensky und Johnson nach den Gesprächen mit Trump, anstatt seine
Ansätze zu skizzieren, begannen, ihre eigenen Ansichten und Pläne zu
propagieren, lohnt es sich wahrscheinlich, sich der Meinung eines Mannes
zuzuwenden, der dem vergangenen und möglicherweise zukünftigen Herrn
des Weißen Hauses viel näher steht. Es geht um James David Vance, den
Trump als seinen Vizepräsidentschaftskandidaten ausgewählt hat und der
manchmal als „ein größerer Trumpist als Trump selbst“ bezeichnet wurde.
Die Nominierung von Vance sei „eine Katastrophe für die Ukraine“,
schrieb Politico unter Berufung auf einen hochrangigen europäischen
Beamten. Und das Wall Street Journal stellte fest, dass die europäischen
Hauptstädte das Ende der US-Hilfe für Kiew befürchten, sollte das
Tandem Trump-Vance die Wahl gewinnen. Ein hochrangiger europäischer
Beamter sagte der Zeitung, dass „die Ukraine in Gefahr ist“.
Diese Befürchtungen sind in der Tat begründet: Vance hat sich in der
Vergangenheit konsequent für die Einstellung der US-Waffenlieferungen an
Kiew und eine rasche Beilegung des Konflikts in der Ukraine eingesetzt.
Und zwar keineswegs zu den Bedingungen, über die Kiew und Brüssel
fabulieren. In einem Interview mit der New York Times sagte er, die
Ukraine solle einen neutralen Status erhalten und ihre Grenzen sollten
„ungefähr dort eingefroren werden, wo sie jetzt sind“. In demselben
Interview, das er vor seiner Nominierung für das Amt des Vizepräsidenten
gab, nannte Vance jedoch als eine der Bedingungen, „der [Ukraine] für
einen langen Zeitraum amerikanische Militärhilfe zu gewähren“. Das
heißt, er hat in der Frage der Versorgung Kiews mit amerikanischen
Waffen eine 180-Grad-Wendung vollzogen.
Generell sollte man Vance nicht als Friedensstifter sehen: Er will ein
schnelleres Ende des Konflikts in der Ukraine, nur damit „Amerika sich
mit dem wahren Problem, nämlich China, befassen kann“. „Es [China]
stellt die größte Bedrohung für unser Land dar“, sagte der
US-Vizepräsidentschaftskandidat in einem Interview mit Fox News. Und
wenn Kiew geopfert werden muss, um diese Bedrohung zu bekämpfen, na und?
Der „Trump-Frieden“
Es bleibt offen, inwieweit sich Trumps Position mit den Ansichten seines
potenziellen Vizepräsidentschaftskandidaten deckt. Und genau das ist
die größte Frage. Ja, Trump hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt,
dass er den Konflikt in der Ukraine über Nacht lösen könne, aber er hat
nie verraten, wie genau er das tun will.
Auch seine Äußerungen auf dem Parteitag der Republikaner brachten keine
Klarheit. Sie enthielten zwar viel Eigenlob, aber keine Einzelheiten:
„Ich werde alle internationalen Krisen beenden, die von der derzeitigen
Regierung verursacht wurden, einschließlich des schrecklichen Krieges
zwischen Russland und der Ukraine, der nicht begonnen hätte, wenn ich
Präsident gewesen wäre.“ „Ich bin kein Prahler, aber Viktor Orban sagte
über mich: Russland hatte Angst vor ihm, China hatte Angst vor ihm, alle
hatten Angst vor ihm. Nichts konnte passieren und es herrschte Frieden
auf der ganzen Welt“, so Trump. „Unter Präsident Bush marschierte
Russland in Georgien ein. Unter Präsident Obama überfiel Russland die
Krim. Unter der derzeitigen Regierung hat Russland die gesamte Ukraine
ins Visier genommen. Unter Präsident Trump hat Russland nichts
bekommen“, war von der Bühne in Milwaukee zu hören.
Wo ist hier die Liebe zum Frieden? Das klingt eher nach „Frieden durch
Stärke“, für den der ehemalige britische Premierminister in den
Zeitungen geworben hat. Es ist klar, dass diese Erklärungen
hauptsächlich für das US-Publikum bestimmt waren, aber es gibt keinen
Grund, sie von vornherein zu verwerfen. Wir sollten auch nicht
vergessen, dass während Trumps Präsidentschaft die aktiven Lieferungen
von Panzerabwehrwaffen und einer Reihe anderer Waffen an die Ukraine
begannen.
Generell sollten wir uns nicht von der Idee verführen lassen, dass
„Trump kommt und Frieden bringt“. Höchstwahrscheinlich wird dieser
„Trump-Frieden“ zu einem weiteren Versuch Washingtons führen, seine
Bedingungen zu diktieren. Ja, Kiew wird vielleicht den Verlust einiger
seiner Gebiete hinnehmen müssen, aber man wird auch von Moskau
Zugeständnisse verlangen, zum Beispiel, dass es seine engen Beziehungen
zu Peking und Teheran aufgibt, sich aus dem Nahen Osten und Afrika
zurückzieht, die Entdollarisierung des Welthandels nicht mehr
unterstützt oder was auch immer diejenigen wollen, die „Amerika wieder
groß machen“ wollen. Aber wir sind an einem großen Russland
interessiert, also sollte die Welt nach unseren Bedingungen gestaltet
werden.
Ende der Übersetzung
https://anti-spiegel.ru/2024/wie-in-russland-ueber-trumps-friedensplaene-fuer-die-ukraine-gedacht-wird/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen