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„Russland ist zu einer Offensive an allen Fronten bereit“
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 9. MAI 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Thomas Röper – https://anti-spiegel.ru
Die offizielle Amtszeit des ukrainischen Präsidenten Selensky läuft am
20. Mai ab, weil er Neuwahlen abgesagt hat. Es gibt Gerüchte, die USA
würden einen Nachfolger suchen, weil Selenskys Legitimität nach dem 20.
Mai international angezweifelt werden könnte.
Die Lage im Ukraine-Krieg zwischen dem Westen und Russland wird immer
komplizierter. Der Westen lehnt Verhandlungen mit Russland ab, während
die russische Armee vorrückt und auch neue westliche Waffenlieferungen
der ukrainischen Armee, die unter massivem Personalmangel leidet, kaum
helfen werden. Hinzu kommt die Frage der Legitimität von Präsident
Selensky, dessen Amtszeit am 20. Mai endet.
Ein russischer Analyst hat die komplexe Lage in einem Artikel für die
russische Nachrichtenagentur TASS analysiert und ich habe seine Analyse
übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Nicht nur an der Kontaktlinie: Russland ist zu einer Offensive an allen Fronten bereit
Andrei Nizamutdinov über die Situation des Kiewer Regimes und eindeutige Signale
In den Berichten des russischen Verteidigungsministeriums werden in
letzter Zeit fast täglich die Namen neuer Siedlungen genannt, die von
unseren Truppen im Rahmen der Militäroperation befreit wurden. Die
Kontaktlinie verlagert sich allmählich nach Westen, in Richtung Dnjepr.
Aber es beschränkt sich nicht nur auf militärische Operationen: Die von
Moskau unternommenen Schritte und die Erklärungen der offiziellen
Stellen zeigen, dass Russland bereit ist, an allen Fronten zu reagieren
und anzugreifen, auch auf politischer, diplomatischer und juristischer
Ebene.
Ein unmissverständliches Signal
An der Front läuft es für das Kiewer Regime nicht gut, um es vorsichtig
auszudrücken: Die ukrainischen Streitkräfte erleiden eine Niederlage
nach der anderen und müssen schwere Verluste an Personal und Ausrüstung
hinnehmen. Selbst die treuesten Unterstützer Kiews, wie der
EU-Chefdiplomat Josep Borrell erkennen an, dass das Land ohne westliche
Waffenlieferungen „innerhalb von zwei Wochen kapitulieren muss“. Major
Maxim Taran von der ukrainischen Nationalgarde äußerte in einem
Interview mit dem Guardian eine noch pessimistischere Einschätzung: Die
Ukraine würde „100 Jahre“ brauchen, um Russland „allein“ ohne westliche
Hilfe zu besiegen.
Natürlich sind sich die westlichen Länder der Dringlichkeit der Lage
bewusst und versuchen, Kiew zu unterstützen, wenn auch nicht mit Taten,
wie es Washington nach langen Verzögerungen bei der Genehmigung des
neuen milliardenschweren Hilfspakets getan hat, so doch zumindest mit
Worten. So hat der französische Präsident Emmanuel Macron erneut
erklärt, er schließe die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine
nicht aus, allerdings mit der Präzisierung: wenn die Ukraine darum
bittet. Der britische Außenminister David Cameron widersprach Macron und
stellte fest, dass die Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine „eine
gefährliche Eskalation“ wäre. Der britische Diplomat wies jedoch darauf
hin, dass die Ukraine jedes Recht habe, von London gelieferte
Langstreckenraketen einzusetzen, um Ziele auf russischem Gebiet zu
treffen.
Natürlich blieben diese Äußerungen in Moskau nicht unbemerkt. Anfang
dieser Woche meldete das russische Verteidigungsministerium, der
Generalstab habe mit den Vorbereitungen für Übungen der Raketenverbände
des südlichen Militärbezirks unter Beteiligung von Luft- und
Seestreitkräften begonnen. Im Rahmen der Übungen, die „in naher Zukunft“
stattfinden sollen, wird eine „Reihe von Maßnahmen zur praktischen
Erarbeitung von Fragen der Vorbereitung und dem Einsatz
nicht-strategischer Kernwaffen“ durchgeführt. Wie das
Verteidigungsministerium mitteilte, werden die Übungen „als Reaktion auf
provokative Äußerungen und Drohungen gewisser westlicher Offizieller“
gegen Russland abgehalten.
Es ist bemerkenswert, dass das von Moskau ausgesandte Signal im Westen
sofort entschlüsselt wurde. Der französische Le Figaro und Le Monde, die
britische Financial Times und The Telegraph, die amerikanische New York
Times und Bloomberg sowie viele andere westliche Medien vermerkten
einstimmig: Die Warnung richtet sich in erster Linie an Paris und
London, soll aber auch die Hitzköpfigkeit anderer westlicher Politiker
abkühlen, die davon träumen, Russland eine strategische Niederlage
zuzufügen.
Für diejenigen, die das überhaupt nicht verstehen, erklärte Dmitri
Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten: „Wir alle waren
kürzlich Zeuge einer neuen, noch nie dagewesenen Runde von Spannungen,
die vom französischen Präsidenten und dem britischen Außenministerium
ausgelöst wurden. Das war alles eine sehr gefährliche Rhetorik“. Dem
Kreml-Sprecher zufolge erforderten die „bisher beispiellosen und noch
nie dagewesenen Äußerungen“ eine „sehr verantwortungsvolle, rasche und
wirksame Reaktion“ der russischen Seite. Die Ankündigung der
Vorbereitungen für die Übungen war genau diese Reaktion.
An diplomatischen Demarchen hat es nicht gemangelt. Der französische
Botschafter Pierre Levy, der ins russische Außenministerium einbestellt
wurde, musste sich „prinzipielle Beurteilungen der destruktiven und
provokativen Linie von Paris“ anhören, „die zu einer weiteren Eskalation
des Konflikts in der Ukraine führt“. Und der britische Botschafter
Nigel Casey wurde im Außenministerium gewarnt, dass alle militärischen
Einrichtungen und Ausrüstungen des Königreichs nicht nur in der Ukraine,
sondern auch jenseits ihrer Grenzen als Antwort auf ukrainische
Angriffe mit britischen Waffen auf russischem Gebiet genutzt werden
könnten.
Übrigens ist auf der Website des ukrainischen Präsidenten eine Petition
aufgetaucht, in der an Frankreich appelliert wird, Truppen zu entsenden.
Natürlich ist so eine „Bürgerinitiative“ nicht gleichbedeutend mit
einem offiziellen Appell der Regierung in Kiew. Ihr Auftauchen bestätigt
jedoch einmal mehr die Aktualität der militär-politischen und
diplomatischen Demarchen, die Moskau als Reaktion auf die provokativen
Erklärungen von Paris unternimmt.
Verhandlungen? Mit niemandem und über nichts
Die scharfe Rüge Moskaus war für Paris und London wie ein Eimer kaltes
Wasser. Großbritannien zog es vor, zu schweigen und sich nicht in
weitere Diskussionen verwickeln zu lassen, während der französische
Staatschef sich beeilte zu erklären, dass Frankreich sich „nicht im
Krieg mit Russland oder dem russischen Volk“ befinde und schon gar nicht
„einen Regimechange in Russland anstrebt“. Unmittelbar danach erklärte
Macron jedoch – ganz im Sinne seines Konzepts der „strategischen
Ambiguität“ – seine Bereitschaft, „die Ukraine so lange wie nötig zu
unterstützen“.
Diese Erklärungen wurden während des Staatsbesuchs des chinesischen
Präsidenten Xi Jinping in Frankreich abgegeben. Obwohl der Besuch
offiziell mit dem 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zwischen den beiden Ländern zusammenfiel, standen der Ukraine-Konflikt
und die Beziehungen zu Russland im Mittelpunkt der Treffen und
Verhandlungen. Das ging sogar so weit, dass beschlossen wurde, in den
Pyrenäen den „russischen Kuchen“ von der Speisekarte des informellen
Abendessens der beiden Staatsoberhäupter zu streichen – laut La Depeche
trafen die Organisatoren diese Entscheidung aufgrund des „geopolitischen
Kontextes“.
Medienberichten zufolge gab sich Macron große Mühe, den chinesischen
Gast, der im Ukraine-Konflikt eine betont neutrale Position einnimmt,
für sich zu gewinnen. Eine der wichtigsten Aufgaben des französischen
Präsidenten war es, Peking zur Teilnahme an der Konferenz über die
Ukraine zu bewegen, die Mitte Juni auf dem Schweizer Bürgenstock
stattfinden soll. Hauptthema der Veranstaltung wird die Erörterung des
vom ukrainischen Präsidenten Wladimir Selensky vorgelegten
„Friedensplans“ sein. Die westlichen Organisatoren und Ideologen der
Veranstaltung hoffen, möglichst viele Länder des globalen Südens in die
Schweiz zu locken, darunter auch Russlands BRICS-Partner, um den
Eindruck zu erwecken, dass die Mehrheit der Weltgemeinschaft diesen Plan
unterstützt, der in Wirklichkeit ein an Russland gerichtetes Ultimatum
ist.
Macron ist das jedoch nicht gelungen. Xi Jinping sagte auf einer
Pressekonferenz im Elysee-Palast wörtlich: „Wir unterstützen die
Abhaltung einer internationalen Friedenskonferenz zu einem geeigneten
Zeitpunkt und mit der Zustimmung beider Seiten, Russlands und der
Ukraine, unter gleichberechtigter Teilnahme aller Parteien für eine
faire Diskussion aller Friedensinitiativen.“ Diplomatisch ausgedrückt
bedeutet das, dass Peking die Konferenz auf dem Bürgenstock nicht
unterstützt, die ohne die Zustimmung und Beteiligung Russlands
abgehalten wird und bei der keine anderen Vorschläge als der
„Selensky-Plan“ diskutiert werden.
Fast zeitgleich mit dem chinesischen Staatschef formulierte der
russische Außenminister Sergej Lawrow seine Haltung zur bevorstehenden
Konferenz in der Schweiz äußerst klar und unmissverständlich. „Wir
werden nicht an Veranstaltungen teilnehmen, die auf die eine oder andere
Weise die „Friedensformel“ von Wladimir Selensky fördern. Das ist allen
seit langem bekannt. Wir sind ernsthaft offen für Verhandlungen auf der
Grundlage der Realitäten. Das weiß auch jeder, und zwar auf der
Grundlage von Fakten“, sagte er in einem Interview mit dem bosnischen
Fernsehsender ATV.
Das Problem, so Lawrow, sei, dass es „bisher niemanden gibt, mit dem man
reden kann“. Weder in der Ukraine selbst noch im Westen sei „jemand zu
einem ernsthaften Gespräch bereit“, man spiele nur „eine Parodie von
Verhandlungen in Form des Treffens in der Schweiz“. „Selensky und sein
Stab sagten, dass es auf keinen Fall unmöglich sei, Russland zu dieser
Konferenz einzuladen. Schließlich muss man erst die Länder des globalen
Südens in seinen Kreis führen und sie auf eine gemeinsame Plattform
ziehen, die Russland als Ultimatum gestellt wird“, erklärte der
Minister.
Zur Fahndung ausgeschrieben
Der von Lawrow formulierte politische Ansatz der Unmöglichkeit von
Verhandlungen mit dem derzeitigen ukrainischen Präsidenten (der, wie wir
wissen, zuvor selbst per Dekret jegliche Verhandlungen mit Russland
untersagt hatte) hat vor kurzem eine juristische Rechtfertigung
erhalten: Das russische Innenministerium hat Selensky aufgrund eines
Paragrafen des Strafgesetzbuches zur Fahndung ausgeschrieben. Das
bedeutet meines Erachtens, dass Selensky von Moskau nicht mehr als
legitimer Führer des ukrainischen Staates betrachtet wird. Das bedeutet,
dass jegliche Verhandlungen mit ihm nicht nur sinnlos, sondern auch
illegal sind.
Übrigens wurde neben Selensky auch sein Vorgänger Petro Poroschenko auf
die Fahndungsliste gesetzt, ebenso wie eine Reihe anderer ehemaliger und
aktueller ukrainischer Minister, Behördenleiter, Geheimdienst-Chefs und
Kommandeure der Streitkräfte. „Unsere zuständigen Behörden tun, was sie
tun müssen. Es gibt eine Vielzahl von Informationen, die unsere
Ermittler über die Verbrechen des Kiewer Regimes sammeln, wie wir
wiederholt erklärt haben. Die Arbeit findet in diesem Rahmen statt“,
kommentierte der Sprecher des russischen Präsidenten die
Fahndungsbeschlüsse.
Laut Rodion Miroschnik, dem Beauftragten des russischen
Außenministeriums für die Verbrechen des Kiewer Regimes, beginnt das
russische Innenministerium damit, „eine Angeklagebank zu bilden“. „Wir
bewegen uns systematisch und zielgerichtet darauf zu, ein Tribunal über
die politische Führung der Ukraine, über diese Marionettenbrigade hier,
abzuhalten“, betonte der Diplomat.
Während Selenskys Legitimität für Moskau nun gestrichen ist, zweifeln
viele in der Ukraine und im Westen an ihr, denn formal läuft sein Mandat
als Präsident am 20. Mai aus. Es ist kein Zufall, dass die Amerikaner
nach Angaben des russischen Geheimdienstes SVR „ihre Bemühungen um eine
Alternative zum derzeitigen ukrainischen Präsidenten intensiviert haben“
und mit dem ehemaligen Staatschef Petro Poroschenko, dem Kiewer
Bürgermeister Witaly Klitschko, dem Leiter des ukrainischen
Präsidialamtes Andrej Jermak, dem ehemaligen Oberbefehlshaber der
ukrainischen Streitkräfte Walery Saluzhny und dem ehemaligen Sprecher
der Werchowna Rada Dmyitri Rasumkow in Kontakt stehen.
Laut Peskow hält es der Kreml für „verfrüht“, über einen bevorzugten
ukrainischen Führer zu spekulieren, mit dem ein Dialog möglich sein
könnte. Das Wichtigste sei es jetzt, die Aufgaben zu lösen und die Ziele
zu erreichen, die zu Beginn der Militäroperation formuliert wurden.
Ende der Übersetzung
https://anti-spiegel.ru/2024/russland-ist-zu-einer-offensive-an-allem-fronten-bereit/
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