Sonntag, 10. März 2024

Militarisierung auch ohne Faschismus - Arnold Schölzel - RotFuchs

 Entnommen: https://rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2024/RF-313-03-24.pdf


Militarisierung auch ohne Faschismus

Es dauerte nach 1945 zehn Jahre, dann wurde in der BRD nicht nur erneut eine deutsche Armee gegen die Sowjetunion aufgestellt, sondern die Westalliierten gestatteten auch wieder deutschen Waffenexport. Zunächst mehr oder weniger stillschweigend – den Bevölkerungen der Staaten, die im Zweiten Weltkrieg gegen den deutschen Faschismus gekämpft hatten, war die Tatsache noch nicht zumutbar. Der Anschluß der DDR und der Zerfall der Sowjetunion brachten der Rüstungsindustrie nicht das Ende, sondern einen neuen Anfang. Mit der Expansion der NATO gegen Rußland seit den 90er Jahren und der Aufrüstung insbesondere der Ukraine seit 2014 erlebten die deutschen Waffenschmieden einen stetigen Aufschwung. Seit 2004 belegt die Bundesrepublik unter den größten Rüstungsexportstaaten nach den Erkenntnissen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI stets einen der vorderen Plätze. Alle Koalitionsverträge seit 1998 enthielten einen Passus, wonach die staatliche Waffenschieberei reduziert oder – wie zum Beispiel 2018 – für die Staaten, die seit 2015 Krieg im Jemen (nach UN-Schätzungen 233 000 zivile Tote) führten, gestoppt werden sollte. Das Gegenteil war der Fall: Saudi-Arabien wurde von der Merkel-Regierung zwar nicht mehr beliefert, dafür die Verbündeten des Königreichs. Jetzt im Winter 2024 greift eine deutsche Fregatte direkt in Krieg ein. Was sich an deutscher Aufrüstung seit 2022 abspielt, gab es in der Wirtschaftsgeschichte bisher nur in den 30er Jahren. Vergleiche der Bundesrepublik mit der faschistischen Diktatur gelten zu Recht als falsch, weil sie den Faschismus an der Macht verharmlosen. Dennoch sind statistische Daten interessant: Nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages beliefen sich die Ausgaben des Deutschen Reiches für das Militär ab 1925 jährlich auf jeweils ein Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung und stiegen erst 1932 auf 1,5 Prozent – wie ungefähr in der BRD vor 2022. Nach der Machtübertragung an den deutschen Faschismus kletterten sie 1933 auf 3,2 Prozent, 1935 auf 5,5, 1936 auf 7,6, 1938 auf 9,6 und 1939 auf 18,1 Prozent. Der Angriff konnte beginnen. Am 14. Februar 2024 verkündete die Bundesregierung stolz, sie werde erstmals seit 1992 2,01 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben. Das klingt nach geringer Steigerung, aber: Diese Prozentzahl entspricht mehr als 73 Milliarden US-Dollar, das ist fast das Doppelte der Militärausgaben von 2015, und es sind 18 Milliarden Dollar mehr als 2022. Zum „Signal“ für eine „Führungsrolle“ (Boris Pistorius) hatte die Bundesregierung die passenden Bilder geliefert. Zwei Tage zuvor ließ sich nämlich Bundeskanzler Olaf Scholz im größten Produktionsstandort des Rüstungskonzerns Rheinmetall in Unterlüß in Niedersachsen (50 Quadratkilometer Fläche seit 1899, heute 2500 Beschäftigte) ablichten, als er symbolisch den ersten Spatenstich für den Bau einer neuen Munitionsfabrik vollzog. Laut einem Internetlexikon wurden im Werk Unterlüß am Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 5000 ausländische Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene von britischen Truppen befreit. Zwischen 1944 und 1945 übernahm Rheinmetall-Borsig die Trägerschaft der dortigen Ausländerkinderpflegestätte, die ein Entbindungsheim für Zwangsarbeiterinnen war und eine Tötungsstätte für deren Kinder. Ab August 1944 waren von Rheinmetall auch ungarische Jüdinnen aus dem Außenlager „Tannenberg“ des Konzentrationslagers Bergen-Belsen eingesetzt. Das Heute hat mit diesem Gestern nichts zu tun? Scholz und die ihn begleitende dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, eine sozialdemokratische Rußlandhasserin ersten Grades, verloren kein Wort über die Geschichte des Ortes – schließlich ist der Feind derselbe wie damals. Fredriksen regierte übrigens von 2015 bis 2019 mit der Dänischen Volkspartei, einer Partei, die damals noch weiter rechts war als die AfD – also auch mit Neonazis. Wie das ins Bild der deutschen Massendemonstrationen gegen rechts und die AfD paßt, ist keine offene Frage: Die deutsche Medienmafia informiert nicht über solche Details. Unkenntnis schützt allerdings weder juristisch noch historisch vor Schuld. Die vergangenen zwei Jahre haben jedenfalls nach den 50ern erneut gelehrt: Für einen Krieg gegen Rußland bedarf es keines Faschismus an der Macht, um in Deutschland enorme Rüstungssteigerungen und Profite der Kriegsindustrie durchzusetzen. Zusammen mit der IG Metall haben Rüstungskonzerne und das SPDWirtschaftsforum allerdings bereits am 9. Februar mitgeteilt, daß das alles zu wenig sei. Die führenden Medien sehen das genauso. Arnold Schölzel 

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