Macrons Überlegungen zu Europas “strategischer Autonomie”… Viel Lärm um nichts, aber die Unsicherheit der USA ist greifbar
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 13. APRIL 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Finian Cunningham – https://strategic-culture.org
Übersetzung LZ
Trotz seiner geopolitischen Ohnmacht und seines verlässlichen
Vasallentums ist die amerikanische Wut über Macrons Kommentare
aufschlussreich.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Amerikaner mit seinen
Äußerungen in Aufruhr versetzt, in denen er sich für eine größere
strategische Autonomie Europas aussprach und dafür, dass der alte
Kontinent nicht in eine Konfrontation zwischen den USA und China über
Taiwan verwickelt werden sollte.
Macron äußerte sich auf seiner Rückreise aus China, wo er offenbar von
Präsident Xi Jinping gut empfangen wurde. Berichten zufolge brachte die
Reise mehrere lukrative Handelsabkommen für französische Unternehmen mit
sich – und das zu einer Zeit, in der der Élysée-Palast von landesweiten
öffentlichen Protesten und Streiks wegen wirtschaftlicher Probleme
heimgesucht wird.
Die amerikanische Verärgerung über Macrons Überlegungen zu europäischer
strategischer Autonomie ist in mindestens zweierlei Hinsicht
aufschlussreich.
Die New York Times warf Macron verächtlich vor, die “gaullistische
Karte” zu spielen, während das Wall Street Journal den französischen
Staatschef für seine “Fehltritte in Bezug auf Taiwan” rügte und
hinzufügte: “Er schwächt die Abschreckung gegen die chinesische
Aggression und untergräbt die Unterstützung der USA für Europa”.
Der republikanische Senator Marco Rubio war sichtlich verärgert und
verlangte, Macron solle “schnell” klarstellen, ob er für Europa als
Ganzes oder nur für Frankreich spreche. In seiner Verärgerung sagte
Rubio: “Ihr [die europäischen Staats- und Regierungschefs] kümmert euch
um die Ukraine”, denn die USA würden sich fortan auf die “Bedrohungen
durch China” konzentrieren.
Man muss über das fehlgeleitete Gefühl amerikanischer Ritterlichkeit
lachen. Es handelt sich um die übliche amerikanische Masche, zu glauben,
dass sie Europa wieder einmal vor einem Konflikt retten, wie im Ersten
und Zweiten Weltkrieg. Onkel Sam, so deutet Rubio an, wird Europa seinem
blutigen Gezänk überlassen, während er sich um die angebliche
“chinesische Aggression” kümmern will.
Die Realität ist diametral entgegengesetzt. Europa ist in den
schlimmsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg verwickelt, und zwar genau
deshalb, weil seine willenlosen Führer sklavisch der Agenda Washingtons
folgen, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen und den
strategischen russisch-europäischen Energiehandel zu zerstören. Die
jahrzehntelange Expansion der NATO unter Führung der USA – unter dem
Deckmantel des “Schutzes Europas” – hat zu dieser gefährlichen Situation
geführt. Der Krieg in der Ukraine wird von dem Bedürfnis Washingtons
angetrieben, seine schwerfälligen hegemonialen Ambitionen zu
untermauern. Die Konfrontation mit Russland und China ist ein integraler
Bestandteil von Washingtons imperialem Spiel, ebenso wie das
amerikanische Bedürfnis, Europa als Kolonie von Vasallen unterzuordnen.
Es ist eine dreiste Affektiertheit amerikanischer Politiker und Medien,
so zu tun, als würden sie Europa wegen der Ukraine eine Art edlen
Gefallen tun und die europäischen Jungfrauen vor den “barbarischen
Russen” retten. Das ist so abgedroschen und falsch, aber dank der
Gehirnwäsche durch die westlichen Medien funktioniert die alte Masche
immer noch.
Die Aufregung über Macrons Äußerungen zeigt, wie sehr die europäischen
Staats- und Regierungschefs unter dem Daumen der Amerikaner (oder besser
gesagt unter dem Absatz) sitzen. Wenn ein europäischer Präsident
erklärt, dass sein Land und andere Mitglieder der Europäischen Union
ihre Interessen bei der Verfolgung unabhängiger Beziehungen zu China und
insbesondere bei der Vermeidung eines Konflikts um Taiwan in den
Vordergrund stellen sollten, dann sollte man meinen, dass dies eine
ziemlich banale Angelegenheit des gesunden Menschenverstands, der
Vernunft und des normalen Vorrechts ist. Dass die amerikanische
politische Klasse so wütend reagiert hat, zeigt ironischerweise, wie
unterwürfig die Europäer wirklich sind. Macron äußert sich in einem
seltenen Moment der Klarheit, und die Amerikaner reagieren reflexartig
und böse… denn wie können es diese europäischen Vasallen wagen, aus der
Reihe zu tanzen!
Noch wichtiger ist, dass die amerikanische Wut zwar anmaßend und
überheblich ist, aber dennoch zeigt, wie fragil das Gefühl der
Unsicherheit in Washington ist.
Das amerikanische Establishment spürt zunehmend, dass die globale Macht
der USA in einer chronischen Systemkrise steckt. Die vermeintlich
unipolare amerikanische Ordnung schwindet, und eine multipolare Welt ist
unausweichlich im Entstehen begriffen. Der einst so mächtige US-Dollar
bietet nicht mehr die Sicherheit, die er einst bot. China, Russland und
der globale Süden drängen immer stärker auf eine multipolare Ordnung,
die den amerikanischen Dollar und seine einzigartigen, willkürlichen
Privilegien überflüssig machen wird. Wenn das geschieht, werden die
verschuldete kapitalistische US-Wirtschaft und ihre einstige globale
Vorherrschaft zusammenbrechen wie so viele Imperien vor ihr.
Deshalb ist Washington so entrüstet über Macrons “unverschämten”
Ausbruch. Die amerikanische Macht beruht auf der Unterwerfung und der
Befolgung ihres Diktats. Die Äußerungen der Vasallen der Unabhängigkeit
müssen rücksichtslos unterdrückt werden, damit die Idee nicht die Runde
macht oder vielleicht sogar übernommen wird.
Emmanuel Macron ist allerdings kein Charles De Gaulle. De Gaulle hat in
den ersten Jahrzehnten des Kalten Krieges echte französische
Unabhängigkeit gezeigt, indem er Frankreich vorübergehend aus dem
NATO-Militärbündnis herausnahm. De Gaulles Unabhängigkeit hatte
Attentate zur Folge, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Attentat
auf John F. Kennedy hatten, der ebenfalls den militärisch-industriellen
Komplex der USA und den imperialen Staat in Frage gestellt hatte.
Vor fast vier Jahren bezeichnete Macron den NATO-Block als “hirntot”.
Seine Äußerungen lösten damals eine ähnliche Kontroverse aus wie jetzt
seine Forderung nach unabhängigen Beziehungen Europas zu China.
Trotz seiner Verunglimpfung der NATO als “hirntot” hat Macron absolut
nichts unternommen, um die europäische Unabhängigkeit zu stärken. Wie
die anderen so genannten Staats- und Regierungschefs der EU ist Macron
auf erbärmliche Weise dem Kriegspfad Washingtons gegen Russland in der
Ukraine gefolgt. Macron hat diesen Krieg mit französischen Waffen
angeheizt, in völliger Gehorsamkeit gegenüber Washingtons geopolitischen
Bedürfnissen.
Die ganze Aufregung um Macrons jüngste Bestrebungen zur strategischen
Autonomie ist also viel Lärm um nichts. Macron ist eine
Marionettenfigur, die gerne tobt, aber ein blasses Imitat von De Gaulle
ist. Er wird nichts Substanzielles tun, um die hegemonialen Ambitionen
der USA zu untergraben. Auf dem Rückflug aus China überkam ihn
vielleicht ein Gefühl der (vergeblichen) Sehnsucht nach Größe angesichts
der chinesischen Staatspracht.
Trotz seiner geopolitischen Ohnmacht und seiner verlässlichen
Vasallentreue ist die amerikanische Wut über Macrons Äußerungen jedoch
aufschlussreich. Das ist die wahre Geschichte. Der bloße Hauch von
Dissens reicht aus, um Washington fast in Panik zu versetzen, weil es
weiß, wie fragil seine imperiale Macht geworden ist.
Macron ist irrelevant, aber die heftige amerikanische Reaktion ist bemerkenswert.
Macron’s Musings on Europe’s ‘Strategic Autonomy’… Much Ado About Nothing, But U.S. Insecurity Is Palpable
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