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Aufbruch in eine Welt ohne Dollar
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 18. APRIL 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Dagmar Henn – https://meinungsfreiheit.rtde.life
Über die wichtigsten Entwicklungen wird im Westen nicht gesprochen.
Dabei wäre das Ende der US-Hegemonie nur für einen winzigen Teil der
Bevölkerungen ein Nachteil; die überwiegende Mehrheit würde an
Lebensqualität gewinnen.
Man kann den Aufbruch sehen. Wenn man beispielsweise den Empfang
betrachtet, der dem brasilianischen Präsidenten Lula in den Vereinigten
Arabischen Emiraten zuteilwurde. Nichts wurde ausgelassen, was einem
Staatsgast zeigen kann, wie willkommen er ist. Kampfflugzeuge, die den
Himmel in den Farben der Landesflagge färben, Böllerschüsse aus Kanonen,
Ehrenformation – dieser Empfang wurde zelebriert, wie ein solcher
Empfang nur zelebriert werden kann. Und kein westlicher Staatsgast kann
noch auf eine derart euphorische Begrüßung hoffen; nicht nur
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wird mit dem Minimum des
diplomatisch Gebotenen abgespeist.
Präsident “Lula” stellt Dollar-Dominanz bei BRICS-Zeremonie infrage – Naht das Ende des Hegemons?
Diese Veränderung hat in ganz nüchternen, ökonomischen Vorgängen ihre
Grundlage; in dem sich entwickelnden Projekt, den US-Dollar als
Weltreservewährung durch ein neues System abzulösen. Und zwar nicht eine
Währung durch eine andere, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg geschah,
als das britische Pfund durch den Dollar abgelöst wurde, sondern durch
ein Bündel von Währungen und eine neue Struktur des internationalen
Handels, die sicherstellen soll, dass kein einzelnes Land mehr Dominanz
über andere erringen kann.
Wenn man wissen will, wie sich das jetzige, das untergehende System für
die Länder des Südens angefühlt hat, kann man sich in Erinnerung rufen,
was Deutschland während der Eurokrise mit Griechenland, Spanien, Italien
angestellt hat. Der Euro war als Währung unter der Kontrolle der
stärksten Wirtschaft des Euroraums, und als die südlichen Euroländer
durch die Bankenrettung überschuldet waren, schickte ihnen die
Bundesregierung nette Briefe, in denen vorgegeben wurde, um wie viel die
Renten zu kürzen seien, wie viele Krankenhäuser zu schließen hätten und
um wie viel die Gehälter der Lehrer gesenkt werden müssten. In
Griechenland war der Einschnitt ins Leben der Mehrheit derart
katastrophal, dass im ersten Winter der Troika-Diktate ein Kochbuch aus
dem Zweiten Weltkrieg zum Bestseller wurde.
Das, was damals innerhalb der Eurozone passierte, war eine europäische
Re-Inszenierung dessen, was der Internationale Währungsfonds und die
Weltbank über Jahrzehnte hinweg auf dem gesamten Planeten trieben.
Staaten wurden gezielt in den Bankrott gestürzt, um ihnen dann Auflagen
zu erteilen, die sicherstellten, dass der Reichtum des Landes in den
Westen abfloss. Der zentrale Trick dabei war immer, dass internationale
Kredite nie in den Landeswährungen aufgenommen werden konnten, sondern
in US-Dollar fixiert waren. Damit hatten die Kreditnehmer keinerlei
Einfluss auf die Entwicklung, die die Höhe dieser Kredite umgerechnet in
die eigene Währung nahm, und waren daher vom Wohlwollen der Besitzer
dieser Währung abhängig. Was natürlich in voller Entfaltung erst nach
dem Ende der Sowjetunion galt – diese hatte mit ihrem Außenhandel immer
einen Wirtschaftsraum gebildet, der sich dem Dollar entzog, und ihren
Handel vielfach ganz ohne Währungsbeteiligung durch Gütertausch
abgewickelt.
De-Dollarisierung schreitet voran: Brasiliens Präsident Lula in China zu Besuch
Wenn man die Handelsbilanz der USA betrachtet, kann man sehen, dass ihre
Stabilität völlig von der Aufrechterhaltung des Dollar-Systems abhängt.
Sie importieren weit mehr als sie exportieren, sie wenden einen extrem
hohen Teil ihres Staatshaushalts für unproduktive Ausgaben, wie den
weltgrößten Rüstungshaushalt, auf, und ein großer Teil der Gewinne von
US-Konzernen beruht auf immateriellem Eigentum, wie Patenten und Marken.
Das ist eine Ökonomie, die ohne ständige Zuflüsse von außen kollabiert.
Und der Kern des Petrodollars, jenes Abkommens zwischen Saudi-Arabien
und den USA, das zu Beginn der 1970er geschlossen wurde (und das jetzt
beendet ist), war letztlich, dass die Saudis mehr Geld für ihr Öl
verlangen durften, wenn sie das eingenommene Geld anschließend brav in
die USA tragen und es dort investieren.
In den letzten Monaten erfolgte nun die große Herausforderung.
Saudi-Arabien und China vereinbarten, ihren Handel in heimischen
Währungen abzuwickeln. Brasilien und China ebenso. Der brasilianische
Präsident Lula hinterfragte bei der Amtseinführung von Dilma Rousseff
als Chefin der BRICS-Entwicklungsbank: “Wer hat eigentlich beschlossen,
dass der Dollar die Währung ist?”. Unbeabsichtigt haben die Länder des
Westens mit den Sanktionen gegen Russland, insbesondere dem Ausschluss
von SWIFT, einen Impuls gegeben, der die Bewegung weg vom US-Dollar
deutlich beschleunigt hat.
Welche Bedeutung diese Entwicklung für die Länder des globalen Südens
hat, zeigt sich in Momenten wie der Begrüßung Lulas in den Arabischen
Emiraten. Es zeigt sich auch im plötzlichen Ausbruch unerwarteten
Friedens, wie im Jemen. Für die überwiegenden Teile der Welt wäre ein
Ende des Dollar-Regimes endlich eine Chance zu eigenständiger
Entwicklung, ohne beständig durch Eingriffe seitens des IWF oder gar
Regimewechsel immer wieder zurück auf Los gesetzt zu werden.
Der Westen, so die indische Politikwissenschaftlerin Radhika Desai
jüngst im Gespräch mit Michael Hudson, hat ein Problem: “Alles, was der
Westen anzubieten hat, sind Stöcke [Das englische Gegenstück zum
deutschen ‘Zuckerbrot und Peitsche’ lautet ‘carrots and sticks’,
‘Karotten und Stöcke’]. Und China kommt beladen mit allen Karotten, die
man sich vorstellen kann. Mit den saftigsten Karotten, die man sich
denken kann.”
Indiens neue Außenhandelspolitik forciert Zerschlagung der Vorherrschaft des Dollars
Ein afrikanischer Staatschef formulierte das vor einigen Tagen so: “Die
Chinesen kommen und bringen einen Flughafen. Der Westen bringt
Belehrungen.” Augenblicklich sind das vor allem Belehrungen, sich nicht
auf Geschäfte mit China oder Russland einzulassen.
Die Auseinandersetzungen, die derzeit zwischen dem IWF und China
stattfinden, sind, so Desai, ein Teil dieses Kampfes. Der IWF verlangt,
dass China seinen Schuldnern gegenüber auf Teile der Kredite verzichtet,
während er selbst und kommerzielle westliche Kreditgeber ihre Kredite
garantiert bekommen. Klar, an chinesischen Krediten hat der IWF kein
Interesse, seine Aufgabe ist es ja, die Länder beim Westen verschuldet
und damit unter Kontrolle zu halten. Aber China lässt sich auf das Spiel
nicht ein und fordert, alle müssten gleichermaßen ihre Kredite
abschreiben.
“Und das”, sagt Desai, “ist ein Teil des Untergrabens. Das ist eine der
größten Veränderungen seit dem Ersten Weltkrieg. Und ein Teil dieser
Veränderungen ist, dass die Welt, die die imperialistischen Mächte am
Ende des Zweiten Weltkriegs schufen, die immer noch sehr mächtig sind,
jetzt zunehmend verschwindet.”
Aber es geht nicht nur darum, dass die Dominanz des Westens endet. Es
geht auch um ein Ende der neoliberalen Wirtschaftsordnung, die sich seit
den 1970ern im Westen durchgesetzt hat und deren Kern die Betonung
einer auf Verschuldung beruhenden Finanzwirtschaft ist. Michael Hudson:
“Offensichtlich ist die eine Sache, die die neue globale Weltmehrheit
kennzeichnet, eine gemischte Wirtschaft, in der andere Länder das tun,
was China getan hat. Sie werden Geld und Land, genauer, Wohnung und
Beschäftigung, zu öffentlichen Rechten, öffentlichen Dienstleistungen
machen, statt sie in Waren zu verwandeln, zu privatisieren und zu
finanzialisieren, wie das im Westen geschehen ist. (…) Das wird nicht
die Frage sein, ob der chinesische Yuan und der russische Rubel und
andere Währungen den Dollar ersetzen. Das ist ein völlig anderes
Wirtschaftssystem.”
Dritter Weltkrieg? Was Washington von Russland wirklich will
Eine Währungsordnung, die es unmöglich macht, dass ein Land andere
unterordnet, war bereits nach dem Zweiten Weltkrieg im Gespräch. Es war
ein Vorschlag des britischen Ökonomen Maynard Keynes namens “Bancor”.
Dabei sollte über Kapitalkontrollen und ein System des
Zahlungsausgleichs sichergestellt werden, dass weder Defizite noch
Überschüsse unbegrenzt wachsen können, und auf diese Weise
wirtschaftliche Ungleichgewichte begrenzt werden (für die die
gegenwärtige US-Handelsbilanz ein Extrembeispiel ist). Ähnliche
Überlegungen gab es auch noch auf der Wirtschaftskonferenz in Moskau
1952. Aber den Vereinigten Staaten gelang es, das System von Bretton
Woods durchzusetzen, das den Dollar im Westen in die Stellung brachte,
die zuvor das britische Pfund eingenommen hatte.
An diesem Punkt ist sich Desai mit Hudson einig – das neoliberale
Wirtschaftsmodell wird abgelöst; nicht aus ideologischen Gründen,
sondern schlicht aus Notwendigkeit. “Ich denke, die meisten Länder
werden herausfinden, dass sie, wenn sie irgendeine Art Entwicklung
schaffen wollen, eine anti-neoliberale Entwicklungspolitik annehmen
müssen. Auf diese Weise gibt es zwar Wirkungen von Überresten des
Neoliberalismus, aber die Umstände stellen sicher, dass der
Neoliberalismus im Kern erledigt ist, denn jeder erfolgreiche Versuch,
Entwicklung zu schaffen, wird die Art von Staatseingriffen beinhalten,
die gerade ‘ein Stückchen’ vom Sozialismus entfernt sind.”
“Man stelle sich einmal vor”, so Hudson, “die Vereinigten Staaten hätten
das 1945 getan und die Pläne von Keynes akzeptiert. Man stelle sich
einmal vor, wie anders die Entwicklung der Welt in den letzten 75 Jahren
gewesen wäre.”
Eine Welt ohne Austeritätsprogramme, ohne Farbrevolutionen und Putsche,
ohne Kolonialkriege und ohne ständige Lohndrückerei? Selbst für die
Bevölkerungen des Westens, die in den letzten vierzig Jahren gewaltig an
Lebensstandard eingebüßt haben, wäre das eine gewaltige Verbesserung.
Genau darum ist es so wichtig, den Krieg in der Ukraine am Laufen zu
halten. Es könnte sonst noch jemand dort bemerken, dass gerade wirkliche
Freiheit im Angebot ist.
https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/167916-aufbruch-in-welt-ohne-dollar/
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