Entnommen: https://linkezeitung.de/2023/04/15/der-krieg-in-der-ukraine-begann-heute-vor-neun-jahren/
Der Krieg in der Ukraine begann heute vor neun Jahren
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 15. APRIL 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Dagmar Henn – https://meinungsfreiheit.rtde.life
Es hätte alles anders kommen können. Das kann man nicht oft genug
betonen. Denn nichts an der Entwicklung in der Ukraine vom Putsch im
Februar 2014 bis zum Bürgerkrieg war zwangsläufig. Aber die Menschen in
der Ukraine waren den westlichen Planern gleichgültig.
Es ist tatsächlich schon neun Jahre her, dass der “Übergangspräsident”
der Kiewer Putschregierung die “Antiterroristische Operation” (ATO),
also den Einsatz von Militär gegen den Aufstand im Donbass und damit den
Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs befahl.
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Anfang April 2014 war es in Charkow, in Donezk und Lugansk zu
Besetzungen von Verwaltungsgebäuden gekommen; darin gipfelten die
wochenlangen Proteste, die sich als Anti-Maidan gegen die Machtübernahme
durch ukrainische Nationalisten in Kiew richteten. Im Grunde keine
sensationellen Handlungen, denn genau solche Besetzungen, einschließlich
der Erstürmung des einen oder anderen Waffenlagers, hatten als Teil der
Maidan-Proteste in den Wochen davor in der Westukraine zu Dutzenden
stattgefunden. Diese Besetzungen wurden allerdings in den westlichen
Medien, in denen die Erzählung vom “friedlichen Protest” gepflegt wurde,
nie berichtet.
Eine der ersten Handlungen der Putschregierung in Kiew bestand darin,
sowohl die Partei der Regionen, der der gewählte ukrainische Präsident
Janukowitsch angehörte, als auch die Kommunistische Partei der Ukraine
zu verbieten. Damit wurden genau die zwei Parteien attackiert, die im
russischsprachigen Osten der Ukraine die meisten Stimmen bekamen. Und
bereits am Tag der Verkündigung der ATO fand der erste Angriff auf die
Städte Slawjansk und Kramatorsk durch Spezialeinheiten der ukrainischen
Armee statt. Berichte von damals belegen, dass schon an diesen Angriffen
westliche Vertreter beteiligt waren; “die ukrainischen Spezialeinheiten
würden dabei von Kollegen aus den USA beraten,” schrieb damals die
Deutsche Welle, die wie alle anderen deutschen Medien kein Problem damit
hatte, dass die angeblich so friedlichen Maidan-Vertreter selbst, kaum
an die Macht gelangt, politische Auseinandersetzungen mit Waffengewalt
führen wollten.
Turtschinow wurde damals vom Deutschlandfunk mit der Aussage zitiert:
“Wir lassen nicht zu, dass Russland das Krim-Szenario in den östlichen
Regionen der Ukraine wiederholt.” Die Proteste im Donbass wurden
gewissermaßen von der Rhetorik zur Krim verschlungen; in keinem der
beiden Fälle waren die westlichen Medien und Politiker bereit, auch nur
zur Kenntnis zu nehmen, dass hier die Bevölkerung ihrem Unwillen
Ausdruck verlieh. Dabei war es nicht zu übersehen – in den ersten
Nächten nach den Besetzungen am 6. April hatten sowohl in Donezk als
auch in Lugansk jeweils Tausende über Nacht ausgeharrt, um die besetzten
Gebäude zu bewachen, und tagsüber verwandelten sich die Vorplätze in
eine Mischung aus politischer Demonstration und Volksfest.
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Wäre es im Frühjahr 2014, beim Maidan-Putsch, tatsächlich um Demokratie
gegangen, es hätte Verhandlungsbereitschaft geben müssen und keine
“Anti-Terror-Operation.” Eine Macht, die selbst eine ausgesprochen
schwache Legitimität besitzt, kann es sich eigentlich nicht leisten, ihr
politisch anders orientiertes Gegenbild zu Terroristen zu erklären. Die
Regierung Turtschinow konnte das aus einem einzigen Grund – weil der
gesamte Westen fraglos hinter ihr stand, und die mindestens ebenso
legitimen politischen Proteste im Südosten der Ukraine sofort mit dem
Etikett “russischer Einflussnahme” versehen wurden.
Im Grunde nahm die westliche Reaktion bereits die Haltung vorweg, die
sich heute in Bezug auf die Ukraine findet. Denn was mit dieser
Unterstützung für die ATO stattfand, war die Übernahme eines Begriffs
der Ukraine, der die innere Vielfalt des Landes ignorierte und die
Bandera-Ideologie zur einzigen ukrainischen Wahrheit erklärte. Die
russischsprachigen Ukrainer wurden behandelt, als seien sie keine
originären Bürger dieses Staates. Es ist dieser Schwenk hin zu den
Anhängern der Nazi-Kollaborateure, der damals bereits sehr eigenartig
war, weil er von vorneherein erkennen ließ, dass es gar nicht um die
Ukraine ging, sondern einzig um die Möglichkeit, eine Front gegen
Russland zu eröffnen.
Dabei war die Behauptung, Russland stecke hinter dem Aufstand im
Donbass, tatsächlich an den Haaren herbeigezogen. Die allerersten
Schritte in Richtung der Besetzungen im April fanden zwar Anfang März in
Moskau statt, aber nur deshalb, weil die beteiligten ukrainischen
Organisationen sich in der Ukraine bereits nicht mehr sicher fühlten;
der Ort des Treffens war ein Internet-Sender namens Krasnoje TV, weit
abseits russischer Regierungsstrukturen. Tatsächlich war die Reaktion
auch in russischen Medien auf die Besetzungen erst einmal überrascht und
ein wenig ratlos.
Aber davon wollte man im Westen nichts wissen; vielmehr musste die
gewünschte Erzählung mit allen Mitteln aufrechterhalten werden. Auch
wenn die Ergebnisse sämtlicher Parlamentswahlen der Ukraine seit 1992
die zwei unterschiedlichen kulturellen Lager so deutlich kennzeichneten,
dass jeder Außenstehende sie erkennen konnte.
Es ist der Westen selbst, der Russland zur Befreiung Noworossijas zwingt
Wären die Proteste im Donbass im Jahr 2014 vom Westen als legitime
Meinungsäußerungen aufgegriffen worden, es hätte keine ATO gegeben, und
in der Folge keinen Bürgerkrieg. Die russische Regierung protestierte
gegen die Gewaltanwendung, nicht anders, als die westeuropäischen
Regierungen während des Maidan von Janukowitsch forderten, nicht mit
Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen, und Russlands Außenminister
Sergei Lawrow erklärte, es sei nun am Westen, einen Bürgerkrieg zu
vermeiden; eine Reaktion, die nicht überrascht und völlig normal und
nachvollziehbar ist, wenn im Nachbarland gerade politische Spannungen
eskalieren. Nein, der Westen wollte den Bürgerkrieg. Und es gab nicht
das mindeste Erschrecken oder auch nur Innehalten. Dabei hätte es Gründe
genug dafür gegeben. Am zweiten Mai 2014 beispielsweise. Oder am
neunten.
Die Liste der Augenblicke, an denen eine Umkehr möglich gewesen wäre,
ist endlos. Damals, als die ATO begonnen wurde, hätte mit Sicherheit
eine einzige Kritik aus westlichen Ländern genügt, um die Spirale der
Gewalt aufzuhalten. Hätte man eine lebendige ukrainische Demokratie
gewollt, das Abgleiten in den Krieg hätte verhindert werden müssen. Es
gab keine einzige Stimme aus dem Westen, die eine angemessene politische
Vertretung des Südostens einforderte oder davor warnte, den Konflikt zu
eskalieren. Stattdessen wurde die Kiewer Position fraglos übernommen.
Und der damalige US-Vizepräsident Joe Biden reiste am 22. April in die
Ukraine und erklärte noch vor der Abreise, dort “seien prorussische
Kräfte am Werk, die mit Hilfe aus Moskau in einer koordinierten Kampagne
die Ukraine sabotierten und destabilisierten.” Und auch die EU legte
sich auf diese Lesart fest. Damit war deutlich genug signalisiert, dass
auf die Menschen dort keinerlei Rücksicht genommen werden müsse.
Es war diese Festlegung, die für das Massaker am 2. Mai 2014 in Odessa
den Weg bahnte. Bei jedem einzelnen Schritt, mit dem in der Ukraine der
Handlungsrahmen eines demokratischen Staates verlassen wurde, gab es den
Segen des Westens. Dass Organisationen wie der Rechte Sektor vor den
Wahlen Ende Mai einen Terror ausübten, der ohne weiteres mit dem der SA
1933 vergleichbar war, hinderte weder die EU noch die Vereinigten
Staaten daran, das Ergebnis dieser Wahlen anzuerkennen, und als der
frischgewählte Präsident Petro Poroschenko erklärte, für jeden
gefallenen ukrainischen Soldaten müssten hunderte Separatisten mit dem
Leben bezahlen, wurde das höflich in deutschen Medien zitiert, als wäre
das ein ganz normaler Satz, den ganz normale Politiker sagen, und nicht
eine Wiederkehr des Partisanenbefehls der Wehrmacht.
Ukraine: Chronologie eines Krieges
Mit hundert kleinen Billigungen, Verleugnungen und Verniedlichungen hat
der Westen, eingeschlossen die deutsche Bundesregierung, die Strecke hin
zu dem Krieg bereitet, der bis heute dort tobt. Es gab nie eine
politische oder moralische Rechtfertigung, die Bevölkerung des Staates
Ukraine in einen Teil mit und einen Teil ohne Rechte zu spalten, die
Proteste des einen Teils in den Himmel zu heben und die des anderen zu
verdammen. Der 14. April 2014 ist einer der unzähligen Tage, an denen
das Verhängnis hätte aufgehalten werden können. Man sollte all diese
kleinen Schritte im Gedächtnis behalten; denn nur, wenn man sich an sie
erinnert, kann man das wahre Ausmaß der westlichen Arroganz erkennen,
mit der heute Russland Vorhaltungen für einen Konflikt gemacht werden,
an dem so eifrig mitgestrickt wurde.
https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/167755-krieg-in-ukraine-begann-heute/
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