Nawalny als
„Regimechanger“
Ein ungeheuerliches Betrugsmanöver
Von Wolfgang Bittner
Am 20. August 2020 erlitt
der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny während eines
Inlandfluges einen Schwächeanfall und musste nach einer Notlandung
in Omsk in einer Klinik behandelt werden. Wenig später wurde er mit
Einwilligung der russischen Regierung in die Berliner Charité
ausgeflogen, wo er mehrere Tage im Koma lag. Noch bevor Fakten
bekannt waren, geschweige denn eine erste Untersuchung des Vorfalls
stattgefunden hatte, wurde von westlichen Politikern und Journalisten
behauptet, auf den „Kreml-Kritiker“ sei auf Anordnung oder
jedenfalls mit Wissen Wladimir Putins ein Mordanschlag mit einem
russischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe verübt worden.
Es folgte eine bis zur Gegenwart andauernde Empörungswelle und
Hetzkampagne gegen Russland.
Auf deutscher Seite waren
unverzüglich bekannte US-affine Einflusspersonen zur Stelle, die mit
Unterstützung der Leitmedien im Einsatz gegen die russische
Regierung und deren Präsidenten agierten. Mit großem Bohei trat der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages,
Norbert Röttgen, auf die Bühne, assistiert von dem
Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer und anderen Agitatoren.
Und sofort kam die Forderung auf, den Bau von Nord Stream 2 aufgrund
des Anschlags auf Nawalny endgültig abzubrechen, was den jahrelangen
intensiven völkerrechtswidrigen Bemühungen der US-Regierung
entsprach.
Jetzt müsse „alles auf den Prüfstand“,
forderte Röttgen, die einzige Sprache, die Wladimir Putin verstehe,
sei „eine Sprache der Härte“. Die Vollendung der Ostseepipeline
wäre nach Röttgen die „ultimative und maximale Bestätigung für
Wladimir Putin, mit genau dieser Politik fortzufahren“; dieses
„gegen die Mehrheit der Europäer“ betriebene Projekt müsse
aufgegeben werden.(1) Bütikofer bezeichnete das Beharren der
Bundesregierung als „verbohrtes Festhalten“ an dem Projekt.(2)
Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete am 2. September 2020, es
lägen Untersuchungsergebnisse eines Bundeswehrlabors vor, nach denen
Nawalny „zweifelsfrei“ vergiftet worden sei. Man werde mit den
Partnern in der NATO und in der EU über eine „angemessene,
gemeinsame Reaktion entscheiden.“(3)
Im Spiegel hieß es
schon am 28. August 2020 zum Fall Nawalny, Putin sei „eine
destruktive Kraft der Weltpolitik“,(4) und die
Verteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer bezeichnete Anfang September 2020 das „System
Putin“ als „aggressives Regime, das seine Interessen ohne Skrupel
auch mit Mitteln der Gewalt durchzusetzen versucht und die
internationalen Verhaltensregeln immer wieder verletzt“.(5) Kurz
darauf legte der Spiegel nach und kommentierte: „Die Zeit für
Härte ist jetzt. Jetzt ist die Zeit, um dem Mann im Kreml
wehzutun.“(6) Ähnlich feindlich äußerten sich weitere führende
Politiker der CDU, der Grünen und der FDP; mäßigende Stimmen waren
kaum zu vernehmen.
In die kriegstreiberischen Spekulationen
zum Anschlag auf Nawalny, wurde auch die NATO einbezogen, und der
angeblich „vom Kreml“ Vergiftete, der sich bereits nach wenigen
Tagen erholt hatte, wurde als Lichtgestalt und potenzieller
russischer Präsident propagiert. Allerdings stand das in völligem
Widerspruch zur russischen Realität, denn Alexej Nawalny war in
Russland trotz Unterstützung aus dem Ausland verhältnismäßig
einflusslos. Zwar war er 2010 einige Monate an der Eliteuniversität
Yale/Connecticut im „Yale World Fellows Program“ auf seine Rolle
als globale Führungskraft (d. h. „Regimechanger“) vorbereitet
worden,(7) aber bei Wahlen lag seine Partei russlandweit im unteren
einstelligen Bereich.
Und wieder einmal entblößte sich das
EU-Parlament in seiner antirussischen Haltung: Diesmal wegen der
unterstellten Vergiftung Nawalnys mit einer Resolution(8), in der
härtere Sanktionen gegen Russland gefordert wurden, obwohl keinerlei
Beweise für russisches Fehlverhalten vorlagen. Den Bitten aus
Russland um Weitergabe von Untersuchungsergebnissen, war die deutsche
Regierung nicht nachgekommen. Verschwiegen wurde von den westlichen
Medien, dass der Nationalist Nawalny zweimal wegen Betrugs verurteilt
worden war.(9) Ein älteres Video zeigt zudem, wie er politische
Gegner mit Ungeziefer gleichsetzte, „das entsprechend zu
‘behandeln‘ sei“.(10)
Wie heuchlerisch die antirussische
Kampagne der Berliner Politikerkaste und ihrer Leitmedien war, zeigte
sich überdeutlich daran, dass von der jahrelangen Drangsalierung und
rechtswidrigen Inhaftierung des dadurch ernsthaft erkrankten
Journalisten Julian Assange überhaupt keine Kenntnis genommen wurde.
Auch die grausame Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi am 2.
Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul durch
„Spezialkräfte“ aus Riad geriet bald in Vergessenheit;(11)
ebenso die Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch
eine Drohne. Dass in der Ukraine ständig Regimegegner umgebracht
wurden und werden, war nie ein Thema.
Zweifel werden
ignoriert
Der Kremlsprecher Dmitri Peskow wies die
Anschuldigungen aus Deutschland entschieden zurück und erklärte:
„Wir sind bereit und daran interessiert, vollständig zu
kooperieren und die Informationen zu diesem Thema mit Deutschland
auszutauschen.“(12) Das konnte die Wogen nicht glätten, denn die
Unschuldsvermutung vor einem Urteil gilt in den Beziehungen zu
Russland schon lange nicht mehr, Zweifel werden ignoriert,
Untersuchungsergebnisse aus Deutschland werden den Behörden in
Russland verweigert.
Außenminister Sergej Lawrow beklagte mit
ernsten Worten in einem Interview am 15. September 2020: „Gäbe es
Alexej Nawalny nicht, würde man sich noch irgendetwas als Vorwand
zur Einführung zusätzlicher Sanktionen einfallen lassen… Was
diese Lage betrifft, so scheint mir, dass unsere westlichen Partner
schlicht allen Anstand und alle Grenzen des Vernünftigen hinter sich
gelassen haben. Im Kern der Sache verlangt man jetzt von uns ein
‚Geständnis‘. Man fragt uns: ‚Wie, ihr vertraut deutschen
Spezialisten nicht, von der Bundeswehr? Wie kann das sein? Ihre
Schlussfolgerungen wurden von den Franzosen und Schweden bestätigt.
Was, ihnen traut ihr auch nicht?‘“(13)
Zu konstatieren
ist: Die russische Regierung hatte zugestimmt, dass Nawalny trotz der
Corona-Grenzsperre zur Behandlung und Untersuchung mit einem
Privatjet nach Deutschland in die Charité gebracht wurde. Das hätte
sie wohl kaum gemacht, wenn sie eine Vergiftung angeordnet hätte,
noch dazu mit dem Nervengift Novitschok. In der Affäre um den
Doppelspion Skripal, der angeblich in London von russischen Agenten
mit Novitschok vergiftet wurde, weswegen die deutsche Regierung
sofort Diplomaten ausgewiesen hat, gibt es immer noch keinen
eindeutigen Beweis für einen Mordanschlag aus Russland. Diese
bedauerlichen Vorgänge werden in Szene gesetzt und dramatisiert,
aber die folgenden Untersuchungen bleiben ergebnislos, während
Diskriminierung, Hetze und Scheinbeweise Wirkung zeigen, wenn die
Unterstellungen nur oft genug wiederholt werden.
Besonders
perfide an dem Vorgehen der Bundesregierung war, dass mit einem
vermuteten Verbrechen an einem russischen Staatsbürger in Russland
die Bundeswehr und die NATO befasst wurden. Damit erhielt der Fall
Nawalny eine militärische Dimension. Aber es lag kein bewaffneter
Angriff Russlands auf Deutschland vor. Die Bundeswehr als
Verteidigungsarmee und die NATO, die entsprechend dem
Nordatlantikvertrag ein Verteidigungsbündnis ist, hätten überhaupt
nicht einbezogen werden dürfen. Was sich die Bundesregierung
geleistet hat, ist eine Ungeheuerlichkeit, und ebenso ungeheuerlich
ist, dass dies im Westen von keiner Seite thematisiert wurde. Die
Reaktionen im Deutschen Bundestag und in den Medien waren beschämend.
Erst nach Tagen regte sich allmählich Kritik an der offiziellen
Version, nachdem die sogenannten alternativen Medien sie schon lange
angezweifelt hatten.
In der Wochenzeitung Freitag wurde der
Anschlag auf Nawalny wie folgt kommentiert: „Anstandslos wird
Wladimir Putin von vielen deutschen Politikern die Verantwortung für
den ‚Fall Nawalny‘ angelastet. Ob es klare Beweise gibt,
erscheint zweitrangig. … Wo Fakten, Argumente und vor allem offene
Fragen nicht ins Weltbild passen, werden sie der Ideologie geopfert.
Beim ‚Fall Nawalny‘ geschieht das in einer krassen, geradezu
fanatischen Weise, dass einem der Atem stockt. Woher diese Melange
aus Vorurteil, Ressentiment, Kriminalisierungs- und Verdammungswahn
gegenüber der russischen Regierung? … Es liegt nicht der
geringste, schon gar kein stichhaltige Beweis dafür vor, dass
‚Putin‘ oder ‚der Kreml‘ den Anschlag auf Nawalny angeordnet
und wissentlich geduldet haben. Trotzdem wird unablässig suggeriert,
es könne gar nicht anders sein.“(14)
Aufschluss in der
Affäre Nawalny, gibt letztlich die Tatsache, dass sie umgehend mit
der Fertigstellung von Nord Stream 2 verknüpft wurde. Seit
mindestens zwei Jahren lief die US-Regierung Sturm gegen dieses
Projekt, von Monat zu Monat heftiger. Jetzt hatte sie, assistiert von
ihren deutschen Einflusspersonen, endlich den triftigen Anlass,
kategorisch das Ende des Pipelinebaus zu verlangen.
Nawalnys
Rekonvaleszenz in Deutschland
Am 22. Januar 2021 platzte
dann eine Bombe, als der Schwarzwälder Bote berichtete, dass Alexej
Nawalny während seiner „Rekonvaleszenz“ im Geheimen in den
„Blackforest Studios“ in Ibach/Schwarzwald wochenlang an einem
Propagandafilm über einen „Luxus-Palast“ Putins am Schwarzen
Meer gearbeitet hat.(15) Das geschah unter Begleitschutz unter den
Augen von Politik und Medien mit Unterstützung aus den USA und einem
professionellen Mitarbeiterstab. Wie Investigationsjournalisten
herausfanden, handelt es sich um einen ungeheuerlichen Betrug.(16)
Der angebliche Palast Putins mit kostbar eingerichteten Gemächern
ist eine noch im Rohbau befindliche Hotelanlage. In dem Film, der in
Russland millionenfach gesehen wurde und zu Massendemonstrationen
führte, wird Putin unterstellt, er habe sich mit staatlichen Geldern
ein „Zarenschloss“ errichten lassen.
Die deutsche
Regierung und die Geheimdienste haben die Filmproduktion
offensichtlich unterstützt, obwohl Nawalny nach deutschem Recht
unverzüglich hätte ausgewiesen werden müssen. Die stattdessen
erhobenen Forderungen nach seiner Freilassung aus der Haft erscheinen
vor diesem Hintergrund gewissenlos, zumal Nawalny nach seiner Rückehr
in Russland zu Recht wegen der Verletzung von Bewährungsauflagen
inhaftiert wurde und eine Bewährungsstrafe antreten musste. In
voller Absicht wurde eine Propagandakampagne gegen den russischen
Präsidenten inszeniert, die umso niederträchtiger ist, als sie
darauf angelegt ist, die Bevölkerung gegen Wladimir Putin mit dem
Ziel eines Regime Changes in Russland aufzuhetzen. Dass im Westen
über die Untersuchungsergebnisse zum sogenannten Putin-Palast bis
dato nicht berichtet wurde, ist ein weiteres Zeichen für die
Verkommenheit von Politik und Medien.
Der
Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner
veröffentlichte 2019 den Roman „Die Heimat, der Krieg und der
Goldene Westen“ sowie das Sachbuch „Der neue West-Ost-Konflikt –
Inszenierung einer Krise“. Anfang März erscheint „Deutschland –
verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“.
Quellen
und Anmerkungen
(1)
www.deutschlandfunk.de/nawalny-vergiftung-roettgen-die-einzige-sprache-die-putin.694.de.html?dram:article_id=483493
(2)
www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/mit-dem-kopf-durch-die-wand-buetikofer-ruegt-nord-stream-2-1027934486
(3)
www.tagesschau.de/ausland/nawalny-nowitschok-103.html
(4)
www.spiegel.de/politik/ausland/russland-und-der-fall-nawalny-diesem-regime-kann-man-nicht-mit-mahnungen-begegnen-a-00000000-0002-0001-0000-000172728795
(5)
www.zeit.de/news/2020-09/03/fall-nawalny-berlin-will-mit-verbuendeten-beraten
(6)
www.spiegel.de/wirtschaft/russland-anschlag-auf-alexej-nawalny-es-ist-zeit-dem-mann-im-kreml-wehzutun-a-72720825-6757-4a5d-9cbb-7974adafe53f
(7)
Eine ähnliche Unterweisung erhielten der Ukrainer Arsenij Jazenjuk,
der Georgier Micheil Saakaschwili, die Litauerin Dalia Grybauskaité,
der Venezolaner Juan Guaidó und andere US-„Hoffnungsträger“.
Auch einige deutsche Politiker wurden in den USA entsprechend
geschult.
(8) Am 18.9.2020 mit 532 Ja-Stimmen, 84 Gegenstimmen und
72 Stimmenthaltungen; vgl.
https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506424/Wegen-Nawalny-EU-Parlament-beschliesst-Resolution-fuer-haertere-Sanktionen-gegen-Russland
(9)
www.tagesschau.de/ausland/nawalny-portraet-101.html
(10)
www.nachdenkseiten.de/?p=64036
(11) Nach Angaben offizieller
türkischer Stellen ist Kashoggi, der sich kritisch über den
saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman al-Saud geäußert hatte,
gefoltert und bei lebendigem Leibe zerstückelt worden.
(12)
www.tagesschau.de/inland/nawalny-merkel-101.html
(13)
https://deutsch.rt.com/international/106671-lawrow-gabe-es-nawalny-nicht-fiele-anderer-vorwand-sanktionen-ein/
(14)
www.freitag.de/autoren/lutz-herden/wie-im-affekt
(15)
www.schwarzwaelder-bote.de/thema/Alexej_Nawalny
(16)
https://youtu.be/qalJPNmBbhE (17.2.2021) sowie
www.anti-spiegel.ru/2021/neue-details-von-navalnys-film-ueber-putins-palast-zeigen-er-ist-made-in-usa/.
Russisches Video: https://vesti7.ru/video/2264133/episode/31-01-2021/
(21.2.2021)
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