Sonntag, 28. Februar 2021

Die NVA und ihr Ende - RotFuchs, Februar 2021

 

Entnommen: RotFuchs, Februar 2021


Die Nationale Volksarmee und ihr Ende


Die Abwicklung der DDR-Armee im Jahr 1990


Am 18. Januar 1956 verabschiedete die Volkskammer der DDR das Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee (NVA). Dieser Beschluß erfolgte in Wahrnehmung des souveränen Rechts der DDR zum Schutz der Bürger und ihrer Errungenschaften vor Angriffen von außen. Am 1. März 1956 wurden die ersten Führungsorgane und Truppenteile der NVA aufgestellt und vereidigt. Er gilt als ihr Gründungstag. Seit dieser Zeit bis zu ihrer Auflösung dienten und arbeiteten etwa drei Millionen Bürgerinnen und Bürger als Armeeangehörige und Zivilbeschäftigte in der Nationalen Volksarmee und trugen dazu bei, daß sie ein zuverlässiger und geachteter Partner der Streitkräfte der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages wurde und den Auftrag zur Sicherung des Friedens erfüllte.


Anfang der 80er Jahre hatte die NVA den Höhepunkt ihrer Gefechtsbereitschaft erreicht und galt nach der Sowjetarmee als die bestausgerüstete Streitmacht des Warschauer Paktes. Von der Mitte des Jahrzehnts an trübte sich aber die Lage ein: Einerseits herrschte ein mit 85 Prozent sehr hohe Bereitschaftsgrad, andererseits mußte die NVA seit 1985 mit mehreren tausend Soldaten gleichzeitig überall dort in der DDR-Industrie einspringen, wo Personalmangel herrschte. Nachdem am 11. September 1989 Ungarn seine Grenzen geöffnet hatte, verließen täglich viele DDR-Bürger das Land zudem über die Botschaften der Bundesrepublik in Warschau und Prag. Zugleich wurde die Zahl der Menschen, die für sogenannte Freiheit- und Demokratie auf die Straße gingen, immer größer. Am 18. Oktober traten Generalsekretär Erich Honecker und am 7. und 8. November nacheinander Regierung und Politbüro zurück. Neuer Regierungschef wurde Hans Modrow und Verteidigungsminister Admiral Theodor Hoffmann.


Am 18. März 1990 fanden Wahlen zur Volkskammer der DDR statt. Das Ergebnis kam für viele in der NVA überraschend: Statt der SPD gewann die „Allianz für Deutschland“, gebildet aus CDU, CSU und dem „Demokratischen Aufbruch“. Die neue große Koalition vereinbarte, schnellstmöglich die „deutsche Einheit“ nach Artikel 23 des Grundgesetzes zu verwirklichen. Neuer Minister, jetzt für Abrüstung und Verteidigung, wurde der Pfarrer Rainer Eppelmann.


Nach den Wahlen herrschte in der NVA große Verunsicherung. Diese überspielte man, indem man den Soldaten versicherte, daß die NVA auch nach der „Vereinigung“ weiter bestehen würde. Sie bekamen immer wieder gesagt, daß ihnen allein ihr Anteil an der „friedlichen Revolution“ in der DDR weiterhin eine Existenzberechtigung geben würde. Im Glauben daran ließ sich die Armee personell reduzieren und materiell abrüsten. Dachte man anfangs im Offiziers- und Unteroffizierskorps noch, man könnte quasi als „Territorialheer Ost“ fortbestehen – zum Ende der DDR hatte die NVA eine Truppenstärke von knapp etwa 155 000 Mann – wurde in den Wochen und Monaten nach dem Frühjahr 1990 schnell klar, daß von der NVA nichts mehr übrigbleiben würde. Lediglich ein paar tausend Offizieren und Unteroffizieren – in der Regel mit niedrigerem Rang – wurde der Dienst in der Bundeswehr angeboten. Nicht wenige, die in der NVA ihrem sozialistischen Vaterland voller Überzeugung gedient hatten, konnten sich nicht vorstellen, die Uniform des Klassenfeindes zu tragen.


Was in der Truppe folgte, waren Töne im dumpfen Moll, als am 2. Oktober 1990 die Fahne der DDR an den Standorten der Nationalen Volksarmee eingeholt wurde. Mit dem Tag, mit dem die fünf ostdeutschen Bundesländer dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor 30 Jahren „beitraten“, war das Ende des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden besiegelt und war auch die NVA nur noch eine Episode. Eine Schlüsselfigur war dabei der Politiker Werner E. Ablaß, der in der DDR erst in der Opposition eine Rolle spielte und später Staatssekretär für Abrüstung und Verteidigung war. Daß ausgerechnet er die NVA abwickeln sollte, war Jahre zuvor nicht denkbar. Dieser Mann gründete den „Demokratischen Aufbruch“ in Mecklenburg und schloß sich damit einer Bewegung an, die von den Pfarrern Rainer Eppelmann und Friedrich Schorlemmer in der DDR gegründet worden war: Bevor am 3. Oktober 1990 die NVA von der Bildfläche verschwand, war Werner E. Ablaß auch daran beteiligt, daß die NVA aus dem Verteidigungsbündnis des Warschauer Vertrages ausschied.


Die Mehrzahl der Berufssoldaten fürchtete ebenfalls, entlassen und ins soziale Abseits gestellt zu werden. Eppelmann hatte ihnen im Mai 1990 auf der ersten Kommandeurstagung seiner Amtszeit versichert, er könne für ihre berufliche Perspektive im Zuge der Verhandlungen des „Einigungsvertrages“ etwas erreichen. Im September antwortete er nur ausweichend: „Was soll ich Ihnen sagen. Ich weiß ja auch nicht, was aus mir wird.“ Damit erntete er Hohn und Spott und wurde ausgelacht.


Daß schlußendlich auch keine Generale in das Bundeswehrkommando Ost übernommen werden sollten, erfuhr Ablaß am 28. September. Dann mußte es schnell gehen. Entlassungsdokumente für 24 Generale und Admirale der NVA wurden geschrieben. Der letzte Chef der NVA, Generalmajor Lothar Engelhard, rief sie zu 14 Uhr im Haus 20 des Ministeriums in Strausberg zusammen. Sie, die vom Staatsoberhaupt der DDR in den Generalsrang ernannt worden waren, wurden nun von einem Staatssekretär nach Hause geschickt.


Als am 2. Oktober 1990 im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung in Strausberg praktisch die Nationale Volksarmee symbolisch zu ihrem letzten Appell antrat, zum letzten Mal die Truppenfahne hißte, trat nicht Pfarrer Eppelmann, sondern der frühere Leiter des Altenheims im mecklenburgischen Camin, Werner Ablaß, ans Rednerpult. Er sei sich dessen bewußt, erklärte er, daß er ohne die politische Loyalität der vertriebenen Generale seine 178 Tage in der politischen Führung dieser Armee nicht bewältigt hätte. Es hätte auch zu katastrophalen Ereignissen und eskalierenden Konf likten kommen können, wenn die militärische Führung der NVA nicht verantwortungsbewußt und sachlich ihre Aufgaben bis zum Schluß wahrgenommen hätte.


Dessen ungeachtet überbrachte er den Tagesbefehl, in dem es hieß: „Hiermit entlasse ich sie als Angehörige oder Zivilbeschäftigte der Nationalen Volksarmee aus Ihren Verpflichtungen, die Sie gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik zu erfüllen hatten.“ Ein Befehl, der die Angehörigen der NVA diskriminierte und ihre Geschichte verfälschte. Führende Kader wurde gerichtlich verfolgt, Offiziere und Soldaten verhöhnt. Werner E. Ablaß hingegen, der die Auflösung der NVA mitverhandelt und besiegelt hatte, wurde nach dem Ende der DDR Leiter der Außenstelle des Bundesministeriums der Verteidigung in Strausberg. Heinz Pocher




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