„Narretei
des Krieges“ – „Oase der Ehrlichkeit“ – Münchner
Sicherheitskonferenz gegen Russland, China und für mehr
Militäreinsätze
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 21. FEBRUAR 2021
von
Jürgen Wagner – http://www.imi-online.de/
Die Pandemie und ihre Auswirkungen war, wie nicht anders zu
erwarten, ein prägendes Thema der diesjährigen – umständehalber
online und in abgespeckter Form abgehaltenen – Münchner
Sicherheitskonferenz (MSC). Auf dem wohl wichtigsten Treffen der
westlichen „sicherheitspolitischen Gemeinschaft“ wurde, wie nicht
unüblich bei dieser Veranstaltung, auch diesmal kräftig die
transatlantische Einigkeit beschworen – in diesem Jahr, nach der
Abwahl Donald Trumps und dem Auftritt des neuen US-Präsidenten
Joseph Biden, geschah dies allerdings mit besonderer Inbrunst.
Gleichzeitig wurde noch einmal deutlicher als in den Jahren zuvor die
„Systemkonkurrenz“ zwischen USA und EU auf der einen und China
sowie Russland auf der anderen Seite hervorgehoben, für die es sich
zu rüsten gelte. Bekräftigt wurden zu allem Überfluss auch noch
die kurz zuvor beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister
getroffenen Entscheidungen, den eigentlich für April vorgesehenen
Truppenabzug aus Afghanistan bis auf Weiteres auf Eis zu legen und
die Zahl der NATO-SoldatInnen im Irak massiv zu erhöhen. Als neuer
Vorschlag kam dann auch noch Angela Merkels Idee daher, einen
„robusten“ UN-Einsatz in der Sahelzone auf den Weg zu
bringen.
Wenn auch häufig etwas verklausuliert, bestätigten
die meisten RednerInnen damit den von CSU-Chef Markus Söder in
seiner Begrüßung beschriebenen Markenkern der Veranstaltung, sie
sei eine „Oase der Ehrlichkeit“, indem dort den einmal mehr
couragiert vorgetragenen Forderungen von UN-Generalsekretär António
Guterres, der „Narretei des Krieges“ abzuschwören, eine klare
Absage erteilt wurde.
Rufer im Walde
Den Auftakt
der MSC bestritt UN-Generalsekretär António Guterres, der allen,
die es hören wollten, einmal mehr eine Menge sinnvoller Vorschläge
mit auf den Weg gab. Vehement mahnte er einen solidarischen Umgang
bei der Bewältigung der Pandemie an, was interessanterweise auch in
relativ vernünftiger Weise im MSC-Begleitbericht „Polypandemie“
gefordert wurde. Darin wurde wenige Tage vor Beginn der
Sicherheitskonferenz geschrieben: „Die gesamte Finanzierungslücke
für die Pandemiebekämpfung in Afrika wird für jedes der nächsten
drei Jahre auf 100 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Debatte unter
den wohlhabenden Ländern, wie diese Lücke zu schließen ist, sollte
zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnen – und europäische
Regierungen sollten diese Diskussion vorantreiben. In der
Zwischenzeit muss Europa sicherstellen, dass
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe nicht dem Rotstift
zum Opfer fallen – auch und vor allem angesichts des wachsenden
Drucks auf die Staatshaushalte.“
Auch diverse RednerInnen
griffen dieses Thema auf der MSC auf – allerdings auch gerne
garniert mit dem Seitenhieb, wenn der Westen hier nicht aktiv werde,
eröffne dies nur China und Russland weitere Möglichkeiten sich
unbotmäßig in westlichen Einflusssphären breit zu machen. Was
außerdem vermieden wurde war die Frage, woher die Gelder für die
Pandemiebekämpfung stammen sollen. Wenn man den Reden auf der
Sicherheitskonferenz lauschte, konnte man jedenfalls über eines
sicher sein: nicht aus den Verteidigungsbudgets.
Stattdessen
stellte sich US-Präsident Joseph Biden hin und forderte in voller
Kontinuität zu seinem Vorgänger größere Rüstungsanstrengungen
von den Verbündeten und Kanzlerin Angela Merkel freute sich in
Richtung Übersee vermelden zu können, dass Deutschland in Sachen
Erhöhung des Militärhaushaltes voll auf Kurs sei: „Ich kann heute
sagen, dass wir in diesem Jahr bei 1,5 Prozent angekommen sind,
nachdem wir 2014 1,1 Prozent Verteidigungsausgaben hatten. Wir fühlen
uns dem 2-Prozent-Ziel natürlich weiterhin verpflichtet und werden
auch weiter daran arbeiten.“
In Zahlen referierte Merkel
damit die Entwicklung des deutschen Militärbudgets, das in den
letzten Jahren nach NATO-Kriterien von 35 Mrd. Euro (2015) auf 53
Mrd. Euro (2021) kometenhaft angestiegen ist. Gleiches gilt für die
NATO als Ganzes, deren Mitglieder 2015 „nur“ 895 Mrd. Dollar für
ihr Militär ausgaben, während es 2020 schon 1092 Mrd. Dollar waren.
Die Frage, woher die Gelder für die Pandemiebekämpfung (und andere
sinnvolle Dinge) kommen sollten, wäre somit recht einfach zu
beantworten gewesen – doch darüber verlor auf der
Sicherheitskonferenz niemand ein Wort.
Auch andere Impulse von
Guterres wurden geflissentlich ignoriert: Schon im März letzten
Jahres ergriff er die Initiative, um alle Länder gerade im Zeichen
der Pandemie zu einem „Globalen Waffenstillstand“ aufzufordern.
In seiner damaligen Rede „Die Raserei des Virus offenbart die
Narretei des Krieges“ forderte er einen „unverzüglichen,
globalen Waffenstillstand in allen Ecken der Welt“. Dabei
appellierte er an sämtliche Konfliktparteien: „Ziehen sie sich von
allen Kampfhandlungen zurück. Verabschieden sie sich von Misstrauen
und Feindseligkeiten. Bringen sie die Gewehre zum Schweigen, Stoppen
sie die Artillerie, beenden sie die Luftschläge“.
Diesen
Appel wiederholte Guterres auch auf der Münchner
Sicherheitskonferenz, den die NATO-Verteidigungsminister aber bereits
kurz zuvor auf ihrer Tagung mit Entscheidungen zur Ausweitung bzw.
Beibehaltung der Einsätze im Irak und Afghanistan in den Wind
schlugen. Und leider genauso wenig Resonanz erfuhren Guterres‘
Warnungen in seiner MSC-Rede vor einem wachsenden „militärischen
und geostrategischen Riss“ wie auch sein Plädoyer „geopolitische
Spannungen abzubauen“.
Der Neue Kalte Krieg
Der
mit großem Brimborium angekündigte erste große Auslandsauftritt
des neuen US-Präsidenten Joseph Biden hatte viel von einem Déjà-vu.
Wie schon Barack Obama als Nachfolger des in Europa zumeist nicht
eben beliebten George W. Bush trat auch Biden als derjenige auf, der
nach den dunklen Jahren der transatlantischen Zerwürfnisse unter
Donald Trump nun wieder zum freundschaftlichen Schulterschluss bereit
sei.
Und tatsächlich, dass Biden ankündigte, die USA würden
versuchen, das Atomabkommen mit dem Iran wiederzubeleben, ist sicher
ebenso zu begrüßen wie der – öffentlichkeitswirksam am selben
Tag wie die MSC selbst offiziell vollzogene – Wiederbeitritt der
USA zum Pariser Klimaabkommen. Abseits dessen sieht es aus
friedenspolitischer Sicht aber eher düster aus, sowohl was Bidens
Positionierung als Hardliner in Sachen China und Russland anbelangt
als auch mit Blick auf die ersten Entscheidungen bezüglich diverser
Militäreinätze und Stationierungen.
Wie bereits angedeutet,
hatte sich Biden schon seit einiger Zeit als Hardliner in Sachen
China und Russland positioniert. Und auch auf der
Sicherheitskonferenz blieb der neue US-Präsident diesem Ruf treu.
Man sei an einem „Scheidepunkt“ und befinde sich in einem
„langfristigen Wettbewerb mit China“, der „intensiv werden“
könne. Aber: „ich glaube an das globale System, das die USA und
ihre Bündnispartner aufgebaut haben.“
Gleich im Anschluss
griff Kanzlerin Merkel diesen Ball in ihrer Rede bereitwillig auf,
China sei ein „systemischer Wettbewerber“, der an „globaler
Schlagkraft“ gewinne. Dies bedürfe eines transatlantischen
Schulterschlusses, da hier die größten Übereinstimmungen seien,
das zu schützen, was seit einigen Jahren gerne als „Regelbasierte
Ordnung“ bezeichnet wird: „Aber vom Grundansatz, von der
Wertebasis, von der Überzeugung, von der Demokratie und ihrer
Handlungsfähigkeit her haben wir ein breites, gutes, gemeinsames
Fundament. Wir müssen zeigen, dass wir Länder nicht in
Abhängigkeiten bringen wollen, sondern dass wir Länder von unserer
Art zu leben und von unserer Art Politik zu machen überzeugen
wollen.“
Die Sache mit den Regeln
Anknüpfend
an die Reden Bidens und Merkels wusste dann auch noch
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seiner Rede zu verkünden,
der Westen müsse die „Regelbasierte Ordnung verteidigen“, da
„China und Russland versuchen, die Regeln neu und umzuschreiben, um
ihren Interessen zu dienen.“ Nun ist es wirklich nicht zwingend
erforderlich, China und Russland jeglicher
militärisch-machtpolitischer Ambitionen freizusprechen. Dass aber
der Westen – freundlich formuliert – maßgeblich zu dem
beigetragen hat, was heute als militärisch aufgeladene neue
Großmachtkonkurrenz bezeichnet wird, steht ebenso außer Frage.
Stattdessen wird aber nur allzu gerne ohne einen Hauch der
Selbstkritik auf die „Systemrivalen“ verwiesen, die einen
regelrecht zwingen würden, trotz allem Widerwillen aufrüsten zu
müssen. Der Versuch, sich in die Sichtweise des „Gegners“ zu
versetzen, spielt leider inzwischen überhaupt keine Rolle mehr. Ein
„schönes“ Beispiel hierfür ist das „Positionspapier: Gedanken
zur Bundeswehr der Zukunft“, das Verteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn am
9. Februar 2021 veröffentlichten: „Wir selbst denken nicht in den
Kategorien von Machtpolitik und Dominanz, doch andere tun es und
handeln danach. […] China ist von einer aufstrebenden
Volkswirtschaft zu einem machtvollen und immer häufiger sichtbar
ausgreifenden Akteur geworden. […] Russland definiert sich als
Gegenmacht zum Westen. Immer deutlicher hat Moskau seine
militärischen und politischen Drohungen in jüngster Zeit verschärft
und internationale 2 Verträge wissentlich verletzt. Russland wendete
in den vergangenen Jahren in seiner Nachbarschaft militärische
Gewalt an und rüstet massiv konventionell und nuklear auf. […] Wir
setzen uns konsequent für die regelbasierte internationale Ordnung
ein, in NATO und EU und Kooperation mit unseren Verbündeten und
Wertepartnern weltweit.“
Wenn die Münchner
Sicherheitskonferenz vor diesem Hintergrund überhaupt je irgendeinen
Nutzen hatte, dann bestand er darin, dass in früheren Jahren
stets auch die ein oder andere vereinzelte Stimme aus Russland oder
China zu Wort kam, um deren Sichtweise wenigstens in Ansätzen Gehör
zu verschaffen. Über diese Einladungen wurde vormals wenigstens eine
gewisse Dialogbereitschaft signalisiert – nicht so aber bei der
diesjährigen Veranstaltung.
Hätte man zum Beispiel jemanden
wie Sergey Karaganov, der als einer der engsten Berater des
russischen Präsidenten gilt, zu Wort kommen lassen, hätte man eine
gänzlich andere Sichtweise über die vielbejubelte Regelbasierte
Ordnung erhalten können: „Die Krise von 2008 hatte neben anderen
Dingen gezeigt, dass das westliche Wirtschaftsmodell nicht in der
Lage ist, mit fairer Konkurrenz umzugehen, wenn es nicht durch
militärische Vorherrschaft abgesichert ist. Von der liberalen
Handels- und Wirtschaftsordnung profitierten vornehmlich diejenigen,
die ihre Regeln auf Grundlage ihrer militärischen und maritimen
Überlegenheit entworfen haben, zuerst das Vereinigte Königreich,
dann die Vereinigten Staaten. Ihre überlegenen Waffen und
Kriegsschiffe machten es neben einer effizienten militärischen
Organisation möglich, Kolonien auszuplündern und Handelsregeln zu
diktieren. Das plastischste Beispiel hierfür ist die Reihe von
Kriegen im 19. Jahrhundert, die China zwangen, sich am Opiumhandel
mit Britisch Indien zu beteiligen, der sich für Großbritannien als
überaus erfolgreich erwies, aber große Teile der chinesischen
Gesellschaft vergiftete und ihren Ruin beschleunigte.“
Flucht
nach vorne: Ausbau der Kriegseinsätze
Auch wenn der
transatlantische Schulterschluss gegen China und Russland bei der
Münchner Sicherheitskonferenz dominierte, wurden auch einige kurz
zuvor gefällte Beschlüsse bestätigt. Dazu gehört einmal den
eigentlich für April 2021 beschlossenen Truppenabzug aus Afghanistan
auf Eis zu legen. Als Grund dient der Verweis auf die schwierige
Sicherheitslage, woran die westliche Truppenpräsenz allerdings nicht
ganz
unschuldig sein dürfte – dass Deutschland im
Übrigen trotz dieses Befundes weiter Menschen nach Afghanistan
abschiebt, ist ein Skandal, von dem leider kaum Notiz genommen wird.
Außerdem wurde beschlossen, das NATO-Kontingent im Irak von derzeit
500 SoldatInnen auf bis zu 4.000 deutlich vergrößert, was auf der
MSC ebenfalls die ungeteilte Zustimmung der westlichen Staats- und
Regierungschefs fand, während US-Präsident Joseph Biden
gleichzeitig ankündigte, den geplanten US-Truppenabzug aus
Deutschland wieder einzukassieren.
Und schließlich brachte
Kanzlerin Angela Merkel noch einen „robusten“ UN-Einsatz in der
Sahel-Zone ins Spiel, wo die letzten Wochen, Monate und Jahre
eigentlich einmal mehr hätten zeigen sollen, dass das Militär hier
kein Teil der Lösung, sondern des Problems ist: „Wir unterstützen
auch die G5-Sahel-Initiative, und ich würde mich dafür einsetzen,
mit den Vereinigten Staaten von Amerika jetzt noch einmal darüber zu
sprechen, ob wir diesen Ländern im Kampf gegen den Terrorismus nicht
dadurch helfen sollten, dass wir gemeinsam ein Kapitel-VII-Mandat der
Vereinten Nationen beschließen; denn das würde diesen Ländern noch
einmal sehr viel mehr Unterstützung und Hilfe im Zusammenhang mit
ihrem wirklich schwierigen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus
geben.“
„Narretei des Krieges“ – „Oase der
Ehrlichkeit“
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