Donnerstag, 13. Februar 2020

V - WIDERSTAND



Teil V
Über den Klassenkampf von oben und die notwendige Gegenwehr von unten

Von Prof. Dr. Achim Dippe

Es gibt keine Alternative zum Widerstand

Der Klassenkampf von oben wird heute auf Feldern geführt, die über Jahrzehnte hinweg, vornehmlich in der alten BRD, kapitalistisch geprägt, aber keine Sphären der Profitproduktion waren. Aus Einrichtungen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, des Gemeinwohls in Städten und Gemeinden wurden Profitmaschinen. Mit den Fallpauschalen, mit der bürgerlichen Betriebswirtschaft, mit der Privatisierung von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Reha-Kliniken und bei Nutzung des finanziellen Notstandes der Kommunen hat man medizinische Fabriken geschaffen, die über viele Jahre hinweg risikoarm hohe Profite abwerfen können. Es ist Kapitalverwertung ohne nennenswerten Konkurrenzdruck. Das medizinische Personal in diesen Einrichtungen ist heute total den Regeln des Klassenkampfes von oben unterworfen. Rendite geht vor Gesundheit.

Das große Kapital hat den Klassenkampf von oben in bisher nicht gekannten Dimensionen und mit großer Härte in die Wohnungswirtschaft getragen. Unter Nutzung der bürgerlichen Gesetzgebung bzw. ihrer gezielten Aufweichung und in Anbetracht der skandalösen Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus durch den Staat wurde die Mietwohnung als sichere Renditequelle und lukratives Spekulationsobjekt im Ranking der kapitalistischen Verwertungsfelder ganz oben eingestuft. Im Grunde ist der Mieter in der BRD zwei Fraktionen des Kapitals ausgeliefert. Am Arbeitsplatz schwebt eine jederzeit mögliche Kündigung und damit drohende Arbeitslosigkeit wie ein Damoklesschwert über dem Menschen. Als Mieter hat er mit der sich verstärkenden Unsicherheit und Angst zu leben, die höheren Mietpreise nicht mehr bezahlen zu können. Mit der Akzeptanz der höheren Miete und ihrer monatlichen Zahlung wird versucht, sich von den aufkommenden Ängsten und Sorgen vor Wohnungs- und Obdachlosigkeit, vor sozialem Abstieg freizukaufen.

Die Offensiven des Kapitals für eine effektivere Verwertungsdynamik und für das Erschließen neuer Profitfelder haben die Gegenwehr der abhängig Beschäftigten herausgefordert. Keimzellen der Gegenwehr, des Widerstandes waren und sind vor allem die Gewerkschaften und Initiativgruppen der Beschäftigten selbst. Durch Demonstrationen, Protestaktionen, Streiks und öffentliche Anprangerung in den Medien konnten manche unzumutbaren, brutalen Angriffsspitzen des Kapitals gebrochen werden. Eine sehr schöpferische und zugleich wirksame Gegenwehr hat das medizinische Personal in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geleistet. Es ging und geht nicht nur um höhere Löhne, um ihre Tarifbindung, sondern in hohem Maße um die Herstellung und Sicherung von Arbeitsbedingungen, die den Patienten eine wirkliche Hilfe sein können und die Schwestern und Pfleger in ihrem schweren Dienst besser motivieren. Mit ihren mutigen Gegenwehraktionen ist das medizinische Personal aber weitgehend allein geblieben.

Der explosionsartig angewachsene Mietwucher hat vor allem in den großen Städten viele Gegenwehrinitiativen und -aktionen ausgelöst. Neben dem Druck auf die Bürgermeister und Stadtverwaltungen, sich für ein elementares Menschenrecht wirklich kompromißlos einzusetzen, werden die Forderungen nach Enteignung der Immobilienfonds lauter. In Berlin hat eine linke Senatorin, getragen von einer großen Zustimmung durch die Bevölkerung, begonnen, gegen den Widerstand des Immobilienkapitals, der privaten Seite 16 RotFuchs / Februar 2020 Wohnungswirtschaft und der bürgerlichen Parteien alle notwendigen Schritte einzuleiten, um die Mieten für die nächsten fünf Jahre zu deckeln. Das hätte, wenn damit keine Schwächung der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften eintreten würde, eine Signalwirkung für alle großen Städte der BRD. Zugleich wird deutlich: Der Widerstand durch das Kapital mit seinen Protagonisten selbst gegen einen schon sehr löchrigen Mietendeckel ist enorm und zeigt allen Mietern, daß kein Zentimeter Profitaussicht aufgegeben werden soll. Alle juristischen Geschütze zur Annullierung des Mietendeckels sind schon aufgefahren. Ein ähnlich fester und wirksamer Widerstand gegen die Offensiven des Kapitals könnte das Kräfteverhältnis zwischen dem Kapital und den abhängig Beschäftigten merklich beeinflussen.

Zur bitteren Bilanz der Gegenwehr von unten aber zählt: Es ist nicht gelungen, die Agenda 2010 mit den Hartz-IV-Gesetzen zu stoppen und das System Fallpauschalen in den Kliniken außer Kraft zu setzen. In beiden Fällen zeigt sich exemplarisch: Diese beiden Klassenkampfaktionen mit strategischer Ausrichtung wurden vom Kapital politisch, fachkompetent und juristisch akribisch vorbereitet und mit entsprechender medialer Betreuung kompromißlos und ohne irgendwelche Rücksichtnahmen in die Praxis umgesetzt. Das große, mittlere und kleine Kapital, vereint unter einer profitorientierten Zielstellung, spricht mit einer Sprache und handelt geschlossen und kompakt. Es ist das Dilemma der klassenkämpferischen Gegenwehr, vielfach zu spät, regional, berufsmäßig und organisatorisch zersplittert den Kampf mit unterschiedlicher Prioritätensetzung zu führen. 

Die Linke, die Gewerkschaften und andere engagierte Organisationen und Initiativgruppen kamen oft nicht auf einen Nenner, fürchteten im Mißtrauen untereinander um politische Instrumentalisierung. Der latent vorhandene und offene Antikommunismus verfehlte nicht seine Wirkung. Das Vorherrschende in der Gegenwehr von unten war kein kategorisches Nein, sondern die Abmilderung, die Abstumpfung der Klassenkampfprojekte des Kapitals. Natürlich hat der Kampf um höhere Löhne, um ihre Tarifbindung, um bessere Arbeitsbedingungen und um den Erhalt der Arbeitsplätze existentielle Bedeutung für die abhängig Beschäftigten. Das schlug und schlägt politische Wellen. Aber konsequente politische Forderungen werden nicht gestellt. Derartiges ist – trotz anfangs aufhorchen machender Töne – auch von der neuen Führungsspitze der SPD nicht zu erwarten. Zu sehr beharrt sie auf ihrer Rolle als Helfershelfer bei der Umsetzung der Kapitalstrategie. Die Linke hat es in den letzten 20 Jahren nicht vermocht, mit aufrüttelnden, bewegenden politischen und sozialen Forderungen größere Bewegungen, Aktionen auszulösen, denen sich sehr viele Bürger mit Herz und Verstand hätten anschließen können. Die begrenzten Mobilisierungsmöglichkeiten der Gewerkschaften und der Linken sind nicht zu übersehen.

(Teil VI folgt mit „Sag mir, wo du stehst...“)

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