Teil
V
Über
den Klassenkampf von oben und die notwendige Gegenwehr von unten
Von Prof. Dr. Achim Dippe
Es gibt keine
Alternative zum Widerstand
Der Klassenkampf von oben
wird heute auf Feldern geführt, die über Jahrzehnte hinweg,
vornehmlich in der alten BRD, kapitalistisch geprägt, aber keine
Sphären der Profitproduktion waren. Aus Einrichtungen der
gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, des Gemeinwohls in Städten und
Gemeinden wurden Profitmaschinen. Mit den Fallpauschalen, mit der
bürgerlichen Betriebswirtschaft, mit der Privatisierung von
Krankenhäusern, Pflegeheimen, Reha-Kliniken und bei Nutzung des
finanziellen Notstandes der Kommunen hat man medizinische Fabriken
geschaffen, die über viele Jahre hinweg risikoarm hohe Profite
abwerfen können. Es ist Kapitalverwertung ohne nennenswerten
Konkurrenzdruck. Das medizinische Personal in diesen Einrichtungen
ist heute total den Regeln des Klassenkampfes von oben unterworfen.
Rendite geht vor Gesundheit.
Das große Kapital hat den
Klassenkampf von oben in bisher nicht gekannten Dimensionen und mit
großer Härte in die Wohnungswirtschaft getragen. Unter Nutzung der
bürgerlichen Gesetzgebung bzw. ihrer gezielten Aufweichung und in
Anbetracht der skandalösen Vernachlässigung des sozialen
Wohnungsbaus durch den Staat wurde die Mietwohnung als sichere
Renditequelle und lukratives Spekulationsobjekt im Ranking der
kapitalistischen Verwertungsfelder ganz oben eingestuft. Im Grunde
ist der Mieter in der BRD zwei Fraktionen des Kapitals ausgeliefert.
Am Arbeitsplatz schwebt eine jederzeit mögliche Kündigung und damit
drohende Arbeitslosigkeit wie ein Damoklesschwert über dem Menschen.
Als Mieter hat er mit der sich verstärkenden Unsicherheit und Angst
zu leben, die höheren Mietpreise nicht mehr bezahlen zu können. Mit
der Akzeptanz der höheren Miete und ihrer monatlichen Zahlung wird
versucht, sich von den aufkommenden Ängsten und Sorgen vor Wohnungs-
und Obdachlosigkeit, vor sozialem Abstieg freizukaufen.
Die Offensiven des
Kapitals für eine effektivere Verwertungsdynamik und für das
Erschließen neuer Profitfelder haben die Gegenwehr der abhängig
Beschäftigten herausgefordert. Keimzellen der Gegenwehr, des
Widerstandes waren und sind vor allem die Gewerkschaften und
Initiativgruppen der Beschäftigten selbst. Durch Demonstrationen,
Protestaktionen, Streiks und öffentliche Anprangerung in den Medien
konnten manche unzumutbaren, brutalen Angriffsspitzen des Kapitals
gebrochen werden. Eine sehr schöpferische und zugleich wirksame
Gegenwehr hat das medizinische Personal in den Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen geleistet. Es ging und geht nicht nur um höhere
Löhne, um ihre Tarifbindung, sondern in hohem Maße um die
Herstellung und Sicherung von Arbeitsbedingungen, die den Patienten
eine wirkliche Hilfe sein können und die Schwestern und Pfleger in
ihrem schweren Dienst besser motivieren. Mit ihren mutigen
Gegenwehraktionen ist das medizinische Personal aber weitgehend
allein geblieben.
Der explosionsartig
angewachsene Mietwucher hat vor allem in den großen Städten viele
Gegenwehrinitiativen und -aktionen ausgelöst. Neben dem Druck auf
die Bürgermeister und Stadtverwaltungen, sich für ein elementares
Menschenrecht wirklich kompromißlos einzusetzen, werden die
Forderungen nach Enteignung der Immobilienfonds lauter. In Berlin hat
eine linke Senatorin, getragen von einer großen Zustimmung durch die
Bevölkerung, begonnen, gegen den Widerstand des Immobilienkapitals,
der privaten Seite 16 RotFuchs / Februar 2020 Wohnungswirtschaft und
der bürgerlichen Parteien alle notwendigen Schritte einzuleiten, um
die Mieten für die nächsten fünf Jahre zu deckeln. Das hätte,
wenn damit keine Schwächung der kommunalen und genossenschaftlichen
Wohnungsbaugesellschaften eintreten würde, eine Signalwirkung für
alle großen Städte der BRD. Zugleich wird deutlich: Der Widerstand
durch das Kapital mit seinen Protagonisten selbst gegen einen schon
sehr löchrigen Mietendeckel ist enorm und zeigt allen Mietern, daß
kein Zentimeter Profitaussicht aufgegeben werden soll. Alle
juristischen Geschütze zur Annullierung des Mietendeckels sind schon
aufgefahren. Ein ähnlich fester und wirksamer Widerstand gegen die
Offensiven des Kapitals könnte das Kräfteverhältnis zwischen dem
Kapital und den abhängig Beschäftigten merklich beeinflussen.
Zur bitteren Bilanz der
Gegenwehr von unten aber zählt: Es ist nicht gelungen, die Agenda
2010 mit den Hartz-IV-Gesetzen zu stoppen und das System
Fallpauschalen in den Kliniken außer Kraft zu setzen. In beiden
Fällen zeigt sich exemplarisch: Diese beiden Klassenkampfaktionen
mit strategischer Ausrichtung wurden vom Kapital politisch,
fachkompetent und juristisch akribisch vorbereitet und mit
entsprechender medialer Betreuung kompromißlos und ohne irgendwelche
Rücksichtnahmen in die Praxis umgesetzt. Das große, mittlere und
kleine Kapital, vereint unter einer profitorientierten Zielstellung,
spricht mit einer Sprache und handelt geschlossen und kompakt. Es ist
das Dilemma der klassenkämpferischen Gegenwehr, vielfach zu spät,
regional, berufsmäßig und organisatorisch zersplittert den Kampf
mit unterschiedlicher Prioritätensetzung zu führen.
Die Linke, die
Gewerkschaften und andere engagierte Organisationen und
Initiativgruppen kamen oft nicht auf einen Nenner, fürchteten im
Mißtrauen untereinander um politische Instrumentalisierung. Der
latent vorhandene und offene Antikommunismus verfehlte nicht seine
Wirkung. Das Vorherrschende in der Gegenwehr von unten war kein
kategorisches Nein, sondern die Abmilderung, die Abstumpfung der
Klassenkampfprojekte des Kapitals. Natürlich hat der Kampf um höhere
Löhne, um ihre Tarifbindung, um bessere Arbeitsbedingungen und um
den Erhalt der Arbeitsplätze existentielle Bedeutung für die
abhängig Beschäftigten. Das schlug und schlägt politische Wellen.
Aber konsequente politische Forderungen werden nicht gestellt.
Derartiges ist – trotz anfangs aufhorchen machender Töne – auch
von der neuen Führungsspitze der SPD nicht zu erwarten. Zu sehr
beharrt sie auf ihrer Rolle als Helfershelfer bei der Umsetzung der
Kapitalstrategie. Die Linke hat es in den letzten 20 Jahren nicht
vermocht, mit aufrüttelnden, bewegenden politischen und sozialen
Forderungen größere Bewegungen, Aktionen auszulösen, denen sich
sehr viele Bürger mit Herz und Verstand hätten anschließen können.
Die begrenzten Mobilisierungsmöglichkeiten der Gewerkschaften und
der Linken sind nicht zu übersehen.
(Teil VI folgt mit „Sag
mir, wo du stehst...“)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen