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Missbrauchter Antifaschismus
28. Januar 2024
Zu den Protesten gegen die AfD unter dem Jubel der Ampel-Parteien
Kommentar von Manfred Sohn
Erstveröffentlichung in der UZ vom 26.01.2024
Jubel von allen Seiten: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte
sich begeistert von den Hunderttausenden, die in den vergangenen Tagen
gegen Fremdenfeindlichkeit und die AfD auf die Straße gegangen sind. Er
fügte hinzu: „Wir brauchen jetzt ein Bündnis aller Demokratinnen und
Demokraten.“ Teil dieses „Wir“ waren neben Mitgliedern der
Regierungsparteien auch solche aus dem christlichen Parteienlager. Für
sie rief der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aus:
„Vielen Dank für dieses klare Signal! Wenn Demokraten zusammenhalten,
haben Extremisten keine Chance.“ Auch für manche, die in den vergangenen
Tagen mitgelaufen sind, hatte der Massenauflauf vielleicht den
Anschein, hier sei endlich die antifaschistische Einheitsfront
entstanden, die in den 1930er Jahren gefehlt hätte. Das könnte sich als
blutiger Irrtum erweisen.
Bis tief in die Sozialdemokratie war die heute sorgfältig vergrabene
Einsicht von Georgi Dimitroff nicht nur bekannt, sondern wurde geteilt.
Er definierte den Faschismus an der Macht als „terroristische Diktatur
der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen
Elemente des Finanzkapitals“. Dieses Finanzkapital aber ist in den USA,
Japan und Westeuropa nicht besiegt. In diesen Kreisen wird heute von
ihren reaktionärsten und am meisten militaristischen Elementen an einem
dritten Weltkrieg gegen das sozialistische China und das mit ihm
verbündete Russland gearbeitet.
Faschismus ist in seinem Kern eine Herrschaftsform des Kapitals und
lässt sich nicht auf Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit reduzieren.
Beraubt man den Antifaschismus dieser Einsicht, kann er sowohl als
Instrument der Regierungsabsicherung in Stellung gebracht werden als
auch zur Vorbereitung eines neuen Angriffskrieges. Ebenso zur
Vorbereitung von notwendigen neuen Repressionswellen gegen alles
Antikapitalistische. Das ist das, was in den letzten Tagen passiert ist
und was so großen Jubel vom Palais Schaumburg über die Hardthöhe und das
Außenministerium bis hin zum Kanzlerbunker ausgelöst hat.
Dieser Missbrauch des Antifaschismus ist möglich geworden, weil es den
Herrschenden gelungen ist, den Antifaschismus seit dem Sieg über die DDR
in den Köpfen von Millionen Deutschen fast restlos zu entkernen. Der
Faschismus wurde nahezu völlig auf die Vernichtung von Juden reduziert.
Im christlichen Lager spiegelte Martin Niemöller die 1945 noch
unbestritten verbreitete Einsicht in die innere Systematik der
Unterdrückung im Faschismus wider, indem er seine heute kaum mehr
zitierten Sätze über die Verfolgungswellen mit den Worten begann: „Als
die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein
Kommunist …“
Ein Antifaschismus, der sich der millionenfachen Opfer des großen
Völkerschlachtens des letzten Jahrhunderts als würdig erweist, wird den
Kern des Faschismus als einer Herrschaftsform des Kapitals wieder
freilegen müssen. Sonst droht die Gefahr, sich zum dritten Mal in die
Blutmühle treiben zu lassen – mit einer verlogenen Fahne des
Antifaschismus in der Hand.
Es sollte diejenigen, die mit ehrlicher Inbrunst gegen jede Art von
Ausländerfeindlichkeit demonstrieren, stutzig machen, wenn zeitgleich
CDU/CSU, FDP und auch Kriegsertüchtigungsminister Boris Pistorius (SPD)
Überlegungen begrüßten, die deutsche Armee auch für Menschen ohne
deutschen Pass zu öffnen. Der vermeintliche Antifaschismus wird damit
zum Türöffner für die weltweite Anwerbung von Kanonenfutter für einen
neuen deutschen Krieg gegen Russland. Er wendet sich so direkt gegen
die, die Deutschland 1945 vom Faschismus befreiten.
Dr. Manfred Sohn ist Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung
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