Freitag, 8. März 2019

Venezuela im Visier



Venezuela im Visier der internationalen Reaktion

Deutschland erkennt den venezolanischen Umstürzler Juan Guaidó als „Übergangspräsidenten“ an und erklärt damit den gewählten Präsidenten Venezuelas, Nicolás Maduro, für entmachtet. Mit dem am 4. Februar offiziell verkündeten Schritt folgt die Bundesregierung der US-Administration sowie diversen rechtsgerichteten Regierungen Lateinamerikas, darunter die vom Militär kontrollierte Regierung Brasiliens. Darüber hinaus haben inzwischen weitere EU-Staaten Guaidó anerkannt, darunter Großbritannien, Frankreich und Spanien. Das Europaparlament hatte den Schritt schon eine Woche zuvor vollzogen.

Die Unterstützung für den Schritt ist im Westen breit, aber nicht ungeteilt; so haben Italien und Neuseeland ausdrücklich bekräftigt, nicht zur offenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes bereit zu sein. Weltweit handelt es sich bei den Staaten, die Guaidó anerkennen, um eine Minderheit, die freilich über außergewöhnliche militärische sowie ökonomische Machtmittel verfügt und in der Vergangenheit mehrfach bewiesen hat, daß sie bereit ist, diese gewalttätig einzusetzen. Die freihändige Anerkennung von Umstürzlern in fremden Staaten ist in der Geschichte auch Deutschlands nicht beispiellos. So hatten etwa vor rund fünf Jahren deutsche Stellen den Umsturz in der Ukraine nicht nur gefördert, sondern sofort nach seinem rechtswidrigen Vollzug die Protagonisten zur „legitimen“ Regierung der Ukraine erklärt.

Neu ist freilich, daß ein Umstürzler schon in aller Form anerkannt wird, während der gewählte Präsident noch im Amt ist. Mit ihrer Anmaßung, Regierungen fremder Staaten frei nach Gutdünken ab- und einzusetzen, kehren die Länder Europas faktisch zu Herrschaftspraktiken ihrer Kolonial-Ära zurück. Zu ihnen zählen außer der EU-Hegemonialmacht Deutschland die ehemalige Kolonialmacht über Venezuela, Spanien, sowie weitere Staaten, die sich bis heute Kolonien in der Region leisten: Frankreich unterhält mit Französisch-Guayana ein „Überseedepartement“ nicht weit im Osten Venezuelas; Großbritannien beherrscht mit Bermuda, den Cayman und den Virgin Islands und einigen weiteren Inseln gleich mehrere „Überseegebiete“ in der Karibik direkt nördlich von Venezuela; auch das Königreich der Niederlande beansprucht dort noch diverse Inseln mit unterschiedlichem Rechtsstatus für sich.

Durch die Anerkennung von Guaidó rauben sie nun auch Venezuela seine Souveränität und erniedrigen es faktisch auf seinen früheren Status einer Kolonie. Der Hintergrund des kolonialen Auftretens der europäischen Mächte läßt sich Berichten in US-Medien entnehmen. Demnach ist die jüngste Welle von Umsturzversuchen in Venezuela durch die Drohung von US-Präsident Donald Trump im August 2017 ausgelöst worden, die Vereinigten Staaten behielten sich einen militärischen Überfall auf das Land vor. Bereits im Herbst 2017 seien einige venezolanische Offiziere, von der Kriegsdrohung ermutigt, auf dem Umweg über eine US-Botschaft in Europa an die Trump-Administration herangetreten, hätten Putschpläne dargelegt und um technische Unterstützung gebeten, hieß es vor fünf Monaten in der „New York Times“. Demnach hat Washington zwar materielle Hilfe verweigert, die putschwilligen Militärs jedoch befeuert. So äußerte der damalige Außenminister Rex Tillerson am 1. Februar 2018, es sei denkbar, daß „die militärische Führung einen friedlichen Übergang organisiert“. Der republikanische Senator Marco Rubio behauptete auf Twitter, „die Welt“ werde „die Streitkräfte in Venezuela beim Sturz ihres Oberbefehlshabers unterstützen“.

Der Putschversuch ist im Frühjahr 2018 allerdings rechtzeitig aufgedeckt worden. Laut Darstellung der „New York Times“ sind von den ungefähr 300 bis 400 Militärs, die in ihn involviert waren, rund die Hälfte festgenommen worden. Auf die zweite Hälfte, die unerkannt blieb, zielen offenbar die aktuellen Appelle von Juan Guaidó an oppositionelle Offiziere, jetzt rasch aus der Deckung zu kommen und den Putsch erneut zu wagen. Die Aufdeckung des Putschversuchs hat die Umsturzbemühungen allerdings nicht beendet. Wie es in einem Bericht des „Wall Street Journal“ heißt, hat ein Teil der politischen Opposition, die sich vor allem aus den weißen, wohlhabenden Eliten des Landes rekrutiert, weiterhin nach Möglichkeiten gesucht, Präsident Maduro aus dem Amt zu jagen. Ende Dezember hätten sich dann, schreibt das US-Blatt, Mitarbeiter der Trump-Administration an die umsturzwilligen venezolanischen Politiker gewandt, die der Auffassung waren, sie benötigten in Ermangelung hinreichender eigener Stärke „die Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft“, um die für den angestrebten Umsturz erforderliche „politische Dynamik in Venezuela“ zu erzeugen. Die gewünschte Rückendeckung erhielten sie umgehend aus Washington, wo insbesondere Senator Rubio, Außenminister Mike Pompeo sowie der Nationale Sicherheitsberater John Bolton mit den Planungen für die eigenmächtige Anerkennung von Juan Guaidó als „Präsident“ und für begleitende weitere Schritte wie etwa die inzwischen in Kraft gesetzten Erdölsanktionen begannen. Das Wall Street Journal zitiert eine Notiz des US-Außenministeriums vom 12. Januar: „Es ist Zeit, den geordneten Übergang zu einer neuen Regierung zu starten.“

In den folgenden Tagen ging Guaidó bei seiner Selbstproklamation sowie bei allen weiteren Schritten in engstem Schulterschluß mit Washington vor. Unklar ist noch, inwieweit deutsche Stellen in die Operationen eingebunden oder zumindest über sie informiert waren. Zuvor hatte Berlin immer wieder eng mit venezolanischen Umstürzlern kooperiert. Am Bestreben, durch auswärtige Unterstützung die notwendige „politische Dynamik“ für den Umsturz zu erzeugen, beteiligen sich mit ihrer Anerkennung des Umstürzlers Guaidó nun auch in vollem Umfang Deutschland sowie weitere europäische Staaten. Dabei geht es nicht nur darum, eine mißliebige Regierung auszutauschen. Wie ebenfalls das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf interne Regierungsquellen berichtet, soll der ersehnte Sturz der Regierung in Caracas nur der erste von drei Enthauptungsschlägen sein, deren folgende den Regierungen Kubas und Nikaraguas gelten werden. Hintergrund sei, berichtet die US-Zeitung, daß alle drei Staaten engere Beziehungen zu Rußland und zu China aufgebaut hätten.

Diese Beziehungen sollten nun mit allen Mitteln unterbunden werden. In der Tat stellt der wachsende Einfluß nicht nur Moskaus, sondern auch Beijings zunehmend die globale Vorherrschaft der alten Kolonialmächte Europas und Nordamerikas in Frage. Als dies zum ersten Mal in den Jahren des kalten Kriegs geschah – damals begehrten sozialistische Bewegungen in vielen Ländern Lateinamerikas gegen die neokoloniale Herrschaft der transatlantischen Mächte auf –, da stützten sich die USA und die Staaten der EU, um ihre Hegemonie zu sichern, häufig auf blutige Militärregime. Aktuell setzen sie, um Rußland und China zurückzudrängen, auf Umsturz – und treten beim Bestreben, ihre alte, in der Kolonialzeit am deutlichsten ausgeprägte Weltherrschaft zu zementieren, erneut mit ihrem alten kolonialen Herrschaftsanspruch über die einstigen Kolonien auf. Gestützt auf german-foreign-policy.com

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