Venezuela
im Visier der internationalen Reaktion
Deutschland erkennt den
venezolanischen Umstürzler Juan Guaidó als „Übergangspräsidenten“
an und erklärt damit den gewählten Präsidenten Venezuelas, Nicolás
Maduro, für entmachtet. Mit dem am 4. Februar offiziell verkündeten
Schritt folgt die Bundesregierung der US-Administration sowie
diversen rechtsgerichteten Regierungen Lateinamerikas, darunter die
vom Militär kontrollierte Regierung Brasiliens. Darüber hinaus
haben inzwischen weitere EU-Staaten Guaidó anerkannt, darunter
Großbritannien, Frankreich und Spanien. Das Europaparlament hatte
den Schritt schon eine Woche zuvor vollzogen.
Die Unterstützung für
den Schritt ist im Westen breit, aber nicht ungeteilt; so haben
Italien und Neuseeland ausdrücklich bekräftigt, nicht zur offenen
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes
bereit zu sein. Weltweit handelt es sich bei den Staaten, die Guaidó
anerkennen, um eine Minderheit, die freilich über außergewöhnliche
militärische sowie ökonomische Machtmittel verfügt und in der
Vergangenheit mehrfach bewiesen hat, daß sie bereit ist, diese
gewalttätig einzusetzen. Die freihändige Anerkennung von
Umstürzlern in fremden Staaten ist in der Geschichte auch
Deutschlands nicht beispiellos. So hatten etwa vor rund fünf Jahren
deutsche Stellen den Umsturz in der Ukraine nicht nur gefördert,
sondern sofort nach seinem rechtswidrigen Vollzug die Protagonisten
zur „legitimen“ Regierung der Ukraine erklärt.
Neu ist freilich, daß ein
Umstürzler schon in aller Form anerkannt wird, während der gewählte
Präsident noch im Amt ist. Mit ihrer Anmaßung, Regierungen fremder
Staaten frei nach Gutdünken ab- und einzusetzen, kehren die Länder
Europas faktisch zu Herrschaftspraktiken ihrer Kolonial-Ära zurück.
Zu ihnen zählen außer der EU-Hegemonialmacht Deutschland die
ehemalige Kolonialmacht über Venezuela, Spanien, sowie weitere
Staaten, die sich bis heute Kolonien in der Region leisten:
Frankreich unterhält mit Französisch-Guayana ein
„Überseedepartement“ nicht weit im Osten Venezuelas;
Großbritannien beherrscht mit Bermuda, den Cayman und den Virgin
Islands und einigen weiteren Inseln gleich mehrere „Überseegebiete“
in der Karibik direkt nördlich von Venezuela; auch das Königreich
der Niederlande beansprucht dort noch diverse Inseln mit
unterschiedlichem Rechtsstatus für sich.
Durch die Anerkennung von
Guaidó rauben sie nun auch Venezuela seine Souveränität und
erniedrigen es faktisch auf seinen früheren Status einer Kolonie.
Der Hintergrund des kolonialen Auftretens der europäischen Mächte
läßt sich Berichten in US-Medien entnehmen. Demnach ist die jüngste
Welle von Umsturzversuchen in Venezuela durch die Drohung von
US-Präsident Donald Trump im August 2017 ausgelöst worden, die
Vereinigten Staaten behielten sich einen militärischen Überfall auf
das Land vor. Bereits im Herbst 2017 seien einige venezolanische
Offiziere, von der Kriegsdrohung ermutigt, auf dem Umweg über eine
US-Botschaft in Europa an die Trump-Administration herangetreten,
hätten Putschpläne dargelegt und um technische Unterstützung
gebeten, hieß es vor fünf Monaten in der „New York Times“.
Demnach hat Washington zwar materielle Hilfe verweigert, die
putschwilligen Militärs jedoch befeuert. So äußerte der damalige
Außenminister Rex Tillerson am 1. Februar 2018, es sei denkbar, daß
„die militärische Führung einen friedlichen Übergang
organisiert“. Der republikanische Senator Marco Rubio behauptete
auf Twitter, „die Welt“ werde „die Streitkräfte in Venezuela
beim Sturz ihres Oberbefehlshabers unterstützen“.
Der Putschversuch ist im
Frühjahr 2018 allerdings rechtzeitig aufgedeckt worden. Laut
Darstellung der „New York Times“ sind von den ungefähr 300 bis
400 Militärs, die in ihn involviert waren, rund die Hälfte
festgenommen worden. Auf die zweite Hälfte, die unerkannt blieb,
zielen offenbar die aktuellen Appelle von Juan Guaidó an
oppositionelle Offiziere, jetzt rasch aus der Deckung zu kommen und
den Putsch erneut zu wagen. Die Aufdeckung des Putschversuchs hat die
Umsturzbemühungen allerdings nicht beendet. Wie es in einem Bericht
des „Wall Street Journal“ heißt, hat ein Teil der politischen
Opposition, die sich vor allem aus den weißen, wohlhabenden Eliten
des Landes rekrutiert, weiterhin nach Möglichkeiten gesucht,
Präsident Maduro aus dem Amt zu jagen. Ende Dezember hätten sich
dann, schreibt das US-Blatt, Mitarbeiter der Trump-Administration an
die umsturzwilligen venezolanischen Politiker gewandt, die der
Auffassung waren, sie benötigten in Ermangelung hinreichender
eigener Stärke „die Rückendeckung der internationalen
Gemeinschaft“, um die für den angestrebten Umsturz erforderliche
„politische Dynamik in Venezuela“ zu erzeugen. Die gewünschte
Rückendeckung erhielten sie umgehend aus Washington, wo insbesondere
Senator Rubio, Außenminister Mike Pompeo sowie der Nationale
Sicherheitsberater John Bolton mit den Planungen für die
eigenmächtige Anerkennung von Juan Guaidó als „Präsident“ und
für begleitende weitere Schritte wie etwa die inzwischen in Kraft
gesetzten Erdölsanktionen begannen. Das Wall Street Journal zitiert
eine Notiz des US-Außenministeriums vom 12. Januar: „Es ist Zeit,
den geordneten Übergang zu einer neuen Regierung zu starten.“
In den folgenden Tagen
ging Guaidó bei seiner Selbstproklamation sowie bei allen weiteren
Schritten in engstem Schulterschluß mit Washington vor. Unklar ist
noch, inwieweit deutsche Stellen in die Operationen eingebunden oder
zumindest über sie informiert waren. Zuvor hatte Berlin immer wieder
eng mit venezolanischen Umstürzlern kooperiert. Am Bestreben, durch
auswärtige Unterstützung die notwendige „politische Dynamik“
für den Umsturz zu erzeugen, beteiligen sich mit ihrer Anerkennung
des Umstürzlers Guaidó nun auch in vollem Umfang Deutschland sowie
weitere europäische Staaten. Dabei geht es nicht nur darum, eine
mißliebige Regierung auszutauschen. Wie ebenfalls das „Wall Street
Journal“ unter Berufung auf interne Regierungsquellen berichtet,
soll der ersehnte Sturz der Regierung in Caracas nur der erste von
drei Enthauptungsschlägen sein, deren folgende den Regierungen Kubas
und Nikaraguas gelten werden. Hintergrund sei, berichtet die
US-Zeitung, daß alle drei Staaten engere Beziehungen zu Rußland und
zu China aufgebaut hätten.
Diese Beziehungen sollten
nun mit allen Mitteln unterbunden werden. In der Tat stellt der
wachsende Einfluß nicht nur Moskaus, sondern auch Beijings zunehmend
die globale Vorherrschaft der alten Kolonialmächte Europas und
Nordamerikas in Frage. Als dies zum ersten Mal in den Jahren des
kalten Kriegs geschah – damals begehrten sozialistische Bewegungen
in vielen Ländern Lateinamerikas gegen die neokoloniale Herrschaft
der transatlantischen Mächte auf –, da stützten sich die USA und
die Staaten der EU, um ihre Hegemonie zu sichern, häufig auf blutige
Militärregime. Aktuell setzen sie, um Rußland und China
zurückzudrängen, auf Umsturz – und treten beim Bestreben, ihre
alte, in der Kolonialzeit am deutlichsten ausgeprägte Weltherrschaft
zu zementieren, erneut mit ihrem alten kolonialen Herrschaftsanspruch
über die einstigen Kolonien auf. Gestützt auf
german-foreign-policy.com
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