SOLDATEN
FÜR DEN FRIEDEN (Teil fünf)
Leseprobe
aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ im 70.
Jahr der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949
Der
Autor wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf,
arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der
NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er
ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.
Steinkohlen-Zeit
Zwickau,
Seminarstraße 1. Ein großes graues Gebäude - die
Bergbauberufsschule. Glück für Henry. Die Lehrzeit beginnt erst
Mitte September, also noch über zehn Tage Zeit. Er meldet sich
jedenfalls an und wohnt ab 15.9.1954 im Lehrlingswohnheim. Das
Bergwerk der Steinkohle heißt „Karl Marx“. Es gibt noch ein
zweites Bergwerk - „Martin Hoop“. In den Schaufenstern der Stadt
sieht er die ersten Fernsehapparate mit den kleinen Bildschirmen.
Aber so etwas Technisches macht ihn nicht an. Zuerst paukt er nur
Theoretisches. Über die Geschichte des Bergbaus, über die
Untertagearbeiten, wie die Technik heißt, die die jungen Leute da
unten erwartet, und daß die Steinkohlenflöze noch Vorräte für
weitere siebzig Jahre im Berg festhalten. Also ganz schöne
Aussichten.
Im Sommer beginnt die praktische Arbeit unter Tage. Zuvor
Kleider wechseln in einer großen Halle. Von der Decke herab baumeln
an langen eisernen Ketten wie geräucherte Ware die dunklen
Arbeitsklamotten. Der Lehrling öffnet das Sicherheitsschloß, läßt
die Kette herunter. Sein sauberes Zeug kommt an den Haken, alles
hochziehen, fertig. Grubenlampe empfangen. Rein in die Fahrt, so
nennt sich der „Fahrstuhl“, und ab in die Tiefe. Kribbeln im
Bauch, denn die Mannschaftsfahrt hat eine Sinkgeschwindigkeit von
sechs Metern pro Sekunde. (Die Produktenfahrt ist doppelt so
schnell.) 900 Meter Tiefe (Teufe).
Eine unheimliche Stille empfängt
die jungen Bergleute. Irgendwo kreischt ein „Hunt“ in den
Weichen, so heißen die kleinen Wägelchen für den Kohletransport.
Langsam tasten die Lehrlinge sich vorwärts, die elektrisch
betriebenen Grubenlampen in ihren Händen werfen nur ein spärliches
Licht auf den dunklen Stollenboden. Manchmal blitzt eine kleine
Wasserpfütze auf. Dann und wann müssen die Männer eine „Schleuse“
passieren, ein Wetter, durch die der Grubenwind geregelt wird.
Endlich am Ziel, man sagt „vor Ort“. Aus einer Kiste holt Henry
sein Gezähe (Werkzeug), lockert mit dem Picker das Schwarz aus der
Grubenwand, haut Stempel (Stützbalken) zurecht, hilft mit, den neu
entstehenden Stollen abzusichern, übt sich im Handversatz, verletzt
sich an der Schüttelrutsche, trinkt schwarzen Kaffee aus der großen
Blechkanne, wartet sehnsüchtig auf das Ende der Schicht, auf den
hellen Himmel über der Stadt ...
Nach der Ausfahrt unter die Dusche.
Er lernt, sich richtig zu waschen. Beim zweitenmal glaubt er, jetzt
geht‘s. Ein Blick in den Spiegel überzeugt ihn vom Gegenteil: Die
Augenbrauen, der Haaransatz am Kopf, die Ohrmuscheln – alles ist
noch pechrabenschwarz. Zum Teufel noch mal! Das ganze noch einmal.
Bald bekommen die Lehrlinge ihr erstes eigenes Lehrlingsgeld: 20 M
Abschlag. Das ist ein Gefühl! Überhaupt, Henry fühlt sich wohl, er
versteht sich mit den anderen Lehrlingen gut, seine erste Erkenntnis:
Manche, die ihm fürs erste nicht so nahe sind, erweisen sich dann
doch als prima Kumpel. Und dann noch das: Für gutes Lernen
überreicht man ihm drei Bände Goethe und sechs Bände Heine. Er
meldet sich in einer neu gegründeten Volkstanzgruppe an, und da er
nicht ungeschickt ist, nimmt man bei ihm Maß für eine entsprechende
Tracht. Eigentlich wollte er gar nicht so sehr tanzen, ihm liegt
vielmehr daran, bei dieser „Gelegenheit“ ein Mädchen
kennenzulernen. Aber manchmal muß er daran denken, wie schön es
sein müßte, über Tage arbeiten zu können, unter dem blauen
Himmel, an frischer Luft.
Dann bekommen einige Lehrlinge einen ersten FDGB-Ferienscheck: Für die Ostsee, für ein Heim der Steinkohle in Heringsdorf. Henry ist dabei. Auf der Rücktour besucht Henry seinen Papa in Berlin-Eichwalde. Der freut sich, kauft seinem ältesten Sohn einen Anzug für 300 DM, damals sehr viel Geld. Henry bedankt sich. In dessen Position beim Minister für Maschinenbau bezieht er ein gutes Gehalt. Als Erich Ziebell hört, daß sein Sohn später gerne Geologie studieren würde, empfiehlt er ihm, seine Lehrstelle in Zwickau aufzugeben. Durch seine guten Beziehungen vermittelt er ihm im Handumdrehen an die „Staatliche Geologische Kommission“, Außenstelle Schwerin. „Ja, das ist es,“ denkt Henry und freut sich riesig. Also löst er in Zwickau seinen Ausbildungsvertrag - sogar ohne Schwierigkeiten. Ist es ein Kapitulieren vor der harten Arbeit im Schacht? Nein! Ihn erwartet eine für ihn bessere Variante für die Zukunft.
Ausgangssituation
ist Schweden und das Haus, in dem die Popows wohnen. Der Leser
erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus
Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von
der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin
(Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben
in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen
Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit
wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit
Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem
Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er
seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein
junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken
und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten
Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn
mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr,
für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als
einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch
Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des
Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz.
Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren
Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als
Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen
ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines
Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken.
Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der
Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere
Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“
macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen
Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven
Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR
nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989
seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie
mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen,
sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr
wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts
der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr
relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis
stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an
der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die
erwarteten Schlußfolgerungen zieht.
Nach der
Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria
und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu
wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach
Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen,
so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin,
machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“
nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und
politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten
aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien,
politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen
Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!
Harry
Popow:
AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten.
Taschenbuch: 500 Seiten, Verlag: epubli; Auflage 1 (18. Februar 2019), Sprache: Deutsch, ISBN-10:
3748512988, ISBN-13: ISBN: 9783748512981, Preis: 26,99 Euro
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