SOLDATEN
FÜR DEN FRIEDEN (Teil sechs)
Leseprobe
aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ im 70.
Jahr der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949
Der
Autor wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf,
arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der
NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er
ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.
Geologen-Zeit
September
des Jahres 1954. Schwerin. Schmalbrüstige Straßen. Herbstluft.
Neuer Arbeitsort für Henry: Ein zweistöckiges kleines Gebäude in
der Schlossstraße. Ein schmales Arbeitszimmer für Henry. Seine
Aufgabe: Erste physikalische Bodenuntersuchungen vorzunehmen. Die
Bodenproben haben Mitarbeiter herbeigeschafft und in kleinen Kartons
verstaut. Daraus entnimmt Henry die Steine oder Erdklumpen. Er
tröpfelt verdünnte Salzsäure darauf. Wenn es schäumt, ist Kalk
drin. Er untersucht, registriert, füllt in Reagenzgläser ab und
beschriftet sie.
Viel auf Reisen. In einem kleinen Heftchen – seine ersten Tagebucheintragungen - hält er folgendes fest: Von der Geologischen Kommission bekommen - Rucksack, Kartentasche, Regenmantel, Gummianzug, Gummistiefel, hohe Lederschuhe. Notwendige Ausrüstung für den kartierenden Geologen (ohne Zeltübernachtung): Derbe Kleidung (Gummistiefel, Reithosen, Skihosen), Kartentasche, Geologenrucksack, Bleistift, Zeichenblock, Notizbuch, Messtischblatt, Geologenhammer, gute Lupe, Erdbohrer, Nähzeug usw. Kartentasche habe ich schon, Gummistiefel noch nicht und vieles andere.
Wohne in der Buchholzallee, einem Einfamilien-Reihenhaus, sein Zimmer befindet sich gleich im Parterre links. Seine Vermieter sind ältere und fortschrittliche Leute, er aber säuft. Henrys Sparplan: 209 DM monatliche Einnahmen. Davon 40 DM für Kost, 25 DM für Miete (1 Zimmer), 17 für Mittagessen, 10 für Beiträge, 50 für Mama, Rest eventuell zum Sparen. Küchenrezepte für Ledige mit Einzelzimmer: 1. Bratkartoffeln mit Ei usw. 2. Pellkartoffeln mit Fisch und Gurkensalat. 3. Fleischsalat und Brot. 4. Käse. 5. Eierkuchen. 6. Obstsuppe. 7. Büchsenfleisch. 8. Wurst - Butter - Brot. Auf der Lebensmittel-Zusatzkarte D bekommt er 1950 Gramm Fleisch und 1300 Gramm Fett. Er rechnet sich aus, wie viel er alle zwei Tage verbrauchen darf. Und ist trotzdem sehr zufrieden.
Der tägliche Weg durch den bunten herbstlichen Park und am Schloss vorbei, in dem ein Pädagogisches Institut (Mädchen vor allem) untergebracht ist, der Duft nach Laub, seine vielen Spaziergänge am Wochenende, seine kleine Freiheit. Am Schloss hat er eine Zeichnung angefertigt. Aber alleine sein und ausgehen ist großer Mist, findet er. Wenn er in einem Tanzlokal sitzt, ist er verklemmt, mimt, mit einem Skizzenblock bewaffnet, den französischen Maler Henri de Toulouse-Lautrec, denn er fühlt sich so blöd, einfach so nach den Mädchen zu gieren ... Am 27.9. will er sich in der Volkshochschule anmelden - Fach Geologie.
Der Kollektor bekommt Post. Seine Mama schreibt ihm: „Deine 50,- DM haben wir bekommen, ich habe nur Angst, das du selbst zu wenig Geld hast, um so essen zu können, wie es in Deinem Alter unbedingt sein muss. Schreibe mir, wo du Dein Mittag bekommst ... muss ich denn immer bei Dir betteln, dass Du mir etwas mehr schreibst? Über alles,- nicht nur über Schönheiten der Natur ...“ Im gleichen Brief einige Zeilen auch von Schwester Sophia: „Im Übrigen solltest Du Dich nicht so viel mit Mädchen abgeben, denn ich bin auch noch da u. mit mir Ingrid, weißt Du, die uns gegenüber im Hinterhaus wohnt. Sie hat sich in Dich bis über beide Ohren verliebt ... Ich habe in Mathematik mündlich schon eine Eins bekommen. Das wären 0,50 DM, stimmt’s? Die brauchst Du mir aber nicht zu schicken. Es ist bloß zu Deiner Information.“
Henry notiert weiter: Am 23. September in der Frühe 04 Uhr mit dem BMW der Außenstelle nach Richtenberg gefahren und weiter nach Binz auf Rügen. Dort „Aufnahme“ gut geglückt. Das heißt, wir haben ein Stück des Hochufers mit weißen „Binden“ verklebt, von der Wand abgenommen, eingerollt, im Auto verpackt und mit nach Schwerin genommen zur weiteren geologischen Untersuchung. Gutes Wetter, herrliche Gegend. In Göhren übernachtet. Am ersten Abend tanzen gewesen. Am 25. zum Wildland bei Groß Zicker. Ödland. Kein Mensch. Nur Gesträuch, Bäume, Gräser, Steilküste und viele Fossilien. Wildland war mal bewohnt. Es wurden drei Steinbeile gefunden. An der Küste wieder eine kleine Bleistiftzeichnung angefertigt.
Henry ist glücklich. Er hat eine tolle Arbeit, und er würde auch gerne studieren. Das ist kein Traum. Er bewirbt sich in Freiberg im Erzgebirge. Bald kommt eine positive Antwort. Es ist Anfang Oktober. Er soll zur Aufnahmeprüfung: Lagerstättenkunde, Mineralogie, historische, regionale und angewandte Geologie, Aufbau des Meeres, Tektonik. Das Studium der Geologie kann im nächsten Jahr beginnen. Bis dahin: Arbeiten und büffeln – büffeln und arbeiten. Henry ist ganz bei der Sache.
Nach der Rückkehr nach Schwerin jedoch ein „Überfall“. Zwei unbekannte Männer wollen mit ihm sprechen. Sie sitzen vor ihm in „seinem“ Labor. Sie kommen vom Wehrkreiskommando (hieß damals wohl anders). Sie lächeln, sind ausgesucht nett. Er, Henry, könne bei der Kasernierten Volkspolizei Militärgeologie studieren, dazu müsse er nach Erfurt und drei Jahre die Offiziersschule besuchen. (Sehr viele Jahre später wird er in einem geschichtlichen Abriß nachlesen: In den ersten drei Monaten des Jahres 1954 wurden nur 27 Prozent der Jahresaufgabenstellung für die Auffüllung der KVP erreicht ...)
Das Angebot der beiden Männer klingt verlockend. Geologe sein und Offizier noch dazu! Henry fühlt sich sehr persönlich angesprochen: „Ausgerechnet mich will man haben, mich, den ruhigen Typ?“ Fühlt er sich geehrt? Sieht er noch eine größere Chance als die bisherige in Aussicht genommene Laufbahn? Zum Beispiel so richtig eingebunden zu sein in einer großen festgefügten Gemeinschaft? Sucht er Halt? Braucht er den? Er will Bedenkzeit. Und so geht dem noch Siebzehnjährigen die Frage durch den Kopf, ob er nach der Offiziersschule zum Studium nach Freiberg überwechseln könne? Wenn nicht, so seine naive Vorstellung, will er erst zum Geologiestudium. Seine Bedingung außerdem: Zu Weihnachten will er zu Hause sein in Leipzig bei seiner Mutter und seinen Geschwistern Sophia und Axel. „Aber selbstverständlich,“ antworten Tage später die Werber.
Ein älterer Mitarbeiter der Außenstelle betritt darauf das kleine Arbeitszimmer des Henry und gibt dem sehr viel jüngeren Mitarbeiter zu bedenken, nach spätestens zwei Jahren hätte er das Militär gründlich satt. Henry hat seine eigene Meinung. Er denkt: „Will der mich abhalten?“ Das geht ihm irgendwie gegen den Strich. Soviel weiß er schon, nicht alle Leute sind für „unseren Staat“. Von Papa erhält Henry einen Brief. Er schreibt, Angehöriger unserer KVP zu sein sei „eine große Ehre und Verpflichtung“. Natürlich könne man als Geologe seiner Gesellschaft „auch sehr viel geben“. Also klar: Er muss schon selber wissen, was er will. Gegen die Gesellschaft hat er nichts. Im Gegenteil: Menschliches ist hier gewiss gut aufgehoben. Das entspricht seinem inneren Gefühl, seinem Bild von einem vernünftigen Leben. Er sagt zu. Mitte November soll es losgehen. Und in seinem Notizheft hält er fest: „Voll Hoffnung und mit frohem Glauben, Geh aufs Ganze, verzage nicht, Vorwärts ...“, so schreibt A.S. Puschkin in ‚Ruslan und Ludmilla‘.
Siebenter Oktober - Tag der Gründung der Republik. Feiertag, arbeitsfrei. In der Schlossstraße spricht man von „Wachsamkeit“ gegenüber Provokationen. Es wird Vorsorge getroffen, dass niemand die Außenstelle irgendwie „stört“. Man teilt auch den jungen Mitarbeiter zur Wache ein, von 20 bis 22 Uhr. Was er zu tun hat, wenn jemand „was will“, weiß er nicht, aber er fühlt sich gut, weil man ihm vertraut. Später erst wird er in einer Beurteilung lesen, dass dies sozusagen sein erster Einsatz in der Kampfgruppe war, den er auch gut bestanden hätte. Noch bevor er sich in den Zug setzt, der ihn nach Erfurt führen soll, schreibt seine Mutter ihm u.a. die folgenden Zeilen: „Nun, mein guter, bester Junge, was macht KVP, - schon da gewesen? Frau Gerda Müller war bei mir gestern, die war in Westen vier Wochen, die sagt das Wehrpflicht in Westen ist beschlossene Sache. Diese Scheißdreck fehlt uns noch zum vollen Glück. Man weiß nicht, was nun zu tun ist ...“
Viel auf Reisen. In einem kleinen Heftchen – seine ersten Tagebucheintragungen - hält er folgendes fest: Von der Geologischen Kommission bekommen - Rucksack, Kartentasche, Regenmantel, Gummianzug, Gummistiefel, hohe Lederschuhe. Notwendige Ausrüstung für den kartierenden Geologen (ohne Zeltübernachtung): Derbe Kleidung (Gummistiefel, Reithosen, Skihosen), Kartentasche, Geologenrucksack, Bleistift, Zeichenblock, Notizbuch, Messtischblatt, Geologenhammer, gute Lupe, Erdbohrer, Nähzeug usw. Kartentasche habe ich schon, Gummistiefel noch nicht und vieles andere.
Wohne in der Buchholzallee, einem Einfamilien-Reihenhaus, sein Zimmer befindet sich gleich im Parterre links. Seine Vermieter sind ältere und fortschrittliche Leute, er aber säuft. Henrys Sparplan: 209 DM monatliche Einnahmen. Davon 40 DM für Kost, 25 DM für Miete (1 Zimmer), 17 für Mittagessen, 10 für Beiträge, 50 für Mama, Rest eventuell zum Sparen. Küchenrezepte für Ledige mit Einzelzimmer: 1. Bratkartoffeln mit Ei usw. 2. Pellkartoffeln mit Fisch und Gurkensalat. 3. Fleischsalat und Brot. 4. Käse. 5. Eierkuchen. 6. Obstsuppe. 7. Büchsenfleisch. 8. Wurst - Butter - Brot. Auf der Lebensmittel-Zusatzkarte D bekommt er 1950 Gramm Fleisch und 1300 Gramm Fett. Er rechnet sich aus, wie viel er alle zwei Tage verbrauchen darf. Und ist trotzdem sehr zufrieden.
Der tägliche Weg durch den bunten herbstlichen Park und am Schloss vorbei, in dem ein Pädagogisches Institut (Mädchen vor allem) untergebracht ist, der Duft nach Laub, seine vielen Spaziergänge am Wochenende, seine kleine Freiheit. Am Schloss hat er eine Zeichnung angefertigt. Aber alleine sein und ausgehen ist großer Mist, findet er. Wenn er in einem Tanzlokal sitzt, ist er verklemmt, mimt, mit einem Skizzenblock bewaffnet, den französischen Maler Henri de Toulouse-Lautrec, denn er fühlt sich so blöd, einfach so nach den Mädchen zu gieren ... Am 27.9. will er sich in der Volkshochschule anmelden - Fach Geologie.
Der Kollektor bekommt Post. Seine Mama schreibt ihm: „Deine 50,- DM haben wir bekommen, ich habe nur Angst, das du selbst zu wenig Geld hast, um so essen zu können, wie es in Deinem Alter unbedingt sein muss. Schreibe mir, wo du Dein Mittag bekommst ... muss ich denn immer bei Dir betteln, dass Du mir etwas mehr schreibst? Über alles,- nicht nur über Schönheiten der Natur ...“ Im gleichen Brief einige Zeilen auch von Schwester Sophia: „Im Übrigen solltest Du Dich nicht so viel mit Mädchen abgeben, denn ich bin auch noch da u. mit mir Ingrid, weißt Du, die uns gegenüber im Hinterhaus wohnt. Sie hat sich in Dich bis über beide Ohren verliebt ... Ich habe in Mathematik mündlich schon eine Eins bekommen. Das wären 0,50 DM, stimmt’s? Die brauchst Du mir aber nicht zu schicken. Es ist bloß zu Deiner Information.“
Henry notiert weiter: Am 23. September in der Frühe 04 Uhr mit dem BMW der Außenstelle nach Richtenberg gefahren und weiter nach Binz auf Rügen. Dort „Aufnahme“ gut geglückt. Das heißt, wir haben ein Stück des Hochufers mit weißen „Binden“ verklebt, von der Wand abgenommen, eingerollt, im Auto verpackt und mit nach Schwerin genommen zur weiteren geologischen Untersuchung. Gutes Wetter, herrliche Gegend. In Göhren übernachtet. Am ersten Abend tanzen gewesen. Am 25. zum Wildland bei Groß Zicker. Ödland. Kein Mensch. Nur Gesträuch, Bäume, Gräser, Steilküste und viele Fossilien. Wildland war mal bewohnt. Es wurden drei Steinbeile gefunden. An der Küste wieder eine kleine Bleistiftzeichnung angefertigt.
Henry ist glücklich. Er hat eine tolle Arbeit, und er würde auch gerne studieren. Das ist kein Traum. Er bewirbt sich in Freiberg im Erzgebirge. Bald kommt eine positive Antwort. Es ist Anfang Oktober. Er soll zur Aufnahmeprüfung: Lagerstättenkunde, Mineralogie, historische, regionale und angewandte Geologie, Aufbau des Meeres, Tektonik. Das Studium der Geologie kann im nächsten Jahr beginnen. Bis dahin: Arbeiten und büffeln – büffeln und arbeiten. Henry ist ganz bei der Sache.
Nach der Rückkehr nach Schwerin jedoch ein „Überfall“. Zwei unbekannte Männer wollen mit ihm sprechen. Sie sitzen vor ihm in „seinem“ Labor. Sie kommen vom Wehrkreiskommando (hieß damals wohl anders). Sie lächeln, sind ausgesucht nett. Er, Henry, könne bei der Kasernierten Volkspolizei Militärgeologie studieren, dazu müsse er nach Erfurt und drei Jahre die Offiziersschule besuchen. (Sehr viele Jahre später wird er in einem geschichtlichen Abriß nachlesen: In den ersten drei Monaten des Jahres 1954 wurden nur 27 Prozent der Jahresaufgabenstellung für die Auffüllung der KVP erreicht ...)
Das Angebot der beiden Männer klingt verlockend. Geologe sein und Offizier noch dazu! Henry fühlt sich sehr persönlich angesprochen: „Ausgerechnet mich will man haben, mich, den ruhigen Typ?“ Fühlt er sich geehrt? Sieht er noch eine größere Chance als die bisherige in Aussicht genommene Laufbahn? Zum Beispiel so richtig eingebunden zu sein in einer großen festgefügten Gemeinschaft? Sucht er Halt? Braucht er den? Er will Bedenkzeit. Und so geht dem noch Siebzehnjährigen die Frage durch den Kopf, ob er nach der Offiziersschule zum Studium nach Freiberg überwechseln könne? Wenn nicht, so seine naive Vorstellung, will er erst zum Geologiestudium. Seine Bedingung außerdem: Zu Weihnachten will er zu Hause sein in Leipzig bei seiner Mutter und seinen Geschwistern Sophia und Axel. „Aber selbstverständlich,“ antworten Tage später die Werber.
Ein älterer Mitarbeiter der Außenstelle betritt darauf das kleine Arbeitszimmer des Henry und gibt dem sehr viel jüngeren Mitarbeiter zu bedenken, nach spätestens zwei Jahren hätte er das Militär gründlich satt. Henry hat seine eigene Meinung. Er denkt: „Will der mich abhalten?“ Das geht ihm irgendwie gegen den Strich. Soviel weiß er schon, nicht alle Leute sind für „unseren Staat“. Von Papa erhält Henry einen Brief. Er schreibt, Angehöriger unserer KVP zu sein sei „eine große Ehre und Verpflichtung“. Natürlich könne man als Geologe seiner Gesellschaft „auch sehr viel geben“. Also klar: Er muss schon selber wissen, was er will. Gegen die Gesellschaft hat er nichts. Im Gegenteil: Menschliches ist hier gewiss gut aufgehoben. Das entspricht seinem inneren Gefühl, seinem Bild von einem vernünftigen Leben. Er sagt zu. Mitte November soll es losgehen. Und in seinem Notizheft hält er fest: „Voll Hoffnung und mit frohem Glauben, Geh aufs Ganze, verzage nicht, Vorwärts ...“, so schreibt A.S. Puschkin in ‚Ruslan und Ludmilla‘.
Siebenter Oktober - Tag der Gründung der Republik. Feiertag, arbeitsfrei. In der Schlossstraße spricht man von „Wachsamkeit“ gegenüber Provokationen. Es wird Vorsorge getroffen, dass niemand die Außenstelle irgendwie „stört“. Man teilt auch den jungen Mitarbeiter zur Wache ein, von 20 bis 22 Uhr. Was er zu tun hat, wenn jemand „was will“, weiß er nicht, aber er fühlt sich gut, weil man ihm vertraut. Später erst wird er in einer Beurteilung lesen, dass dies sozusagen sein erster Einsatz in der Kampfgruppe war, den er auch gut bestanden hätte. Noch bevor er sich in den Zug setzt, der ihn nach Erfurt führen soll, schreibt seine Mutter ihm u.a. die folgenden Zeilen: „Nun, mein guter, bester Junge, was macht KVP, - schon da gewesen? Frau Gerda Müller war bei mir gestern, die war in Westen vier Wochen, die sagt das Wehrpflicht in Westen ist beschlossene Sache. Diese Scheißdreck fehlt uns noch zum vollen Glück. Man weiß nicht, was nun zu tun ist ...“
- Zum Inhalt
Ausgangssituation
ist Schweden und das Haus, in dem die Ziebells wohnen. Der Leser
erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus
Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von
der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin
(Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben
in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen
Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit
wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit
Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem
Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er
seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein
junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken
und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten
Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn
mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr,
für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als
einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch
Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des
Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz.
Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren
Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als
Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen
ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines
Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken.
Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der
Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere
Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“
macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen
Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven
Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR
nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989
seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie
mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen,
sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr
wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts
der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr
relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis
stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an
der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die
erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der
Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria
und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu
wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach
Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen,
so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin,
machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“
nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und
politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten
aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien,
politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen
Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!
Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in
Umbruchzeiten. Taschenbuch: 500 Seiten, Verlag: epubli; Auflage 1 (18.
Februar 2019), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3748512988, ISBN-13: ISBN:
9783748512981, Preis: 26,99 Euro
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