Karl Marx und Friedrich Engels wurden 1818 bzw. 1820 in eine Zeit hineingeboren, die unmittelbar durch die Große Franzö-
sische Revolution von 1789 und deren Folgen geprägt war. Engels
hatte diese 1880 in seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ so zusammengefaßt: „ Der verheißne ewige Friede war umgeschlagen in einen endlosen Eroberungskrieg.“ Fast ein Vierteljahrhundert lang litten die Volksmassen Europas zwischen Lissabon und Moskau bis 1815 unter d e r K r i e g s f u r i e. Zugleich aber kam es immer wieder zu Unruhen, rebellischen Erhebungen und bewaffnetem Widerstand, darunter erstmals in der Geschichte zu einem landesweiten Partisanenkrieg wie in Spanien, zur „Guerilla“. Deutschland sah die größten Massenbewegungen seit der Zeit des Bauernkrieges fast 300 Jahre zuvor. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgten die Zeitgenossen die Revolution in der damals reichsten französischen Kolonie Saint Domingue, dem heutigen Haiti, die sich auf die in Frankreich proklamierten Menschenrechte berief. Dieser wahrscheinlich einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Weltgeschichte nahm eine Entwicklung vorweg, die sich erst nach der nächsten großen Revolution, der in Rußland im Oktober/November 1917, in den Befreiungskriegen der kolonial und national unterdrückten Völker entfalten konnte.
Die Periode zwischen 1789 und 1815 endete mit dem politischen Sieg der Feudaldynastien und einer Restauration, vergleichbar der nach 1989 in Europa: Friedhofsruhe im Innern durch brutale Unterdrückung fortschrittlicher Bewegungen. Denn das gesellschaftliche Bewußtsein vieler Menschen war durch die aktive Teilnahme an Erhebungen vor 1815 geschärft. Die Revolutionen von 1830 und von 1848 bildeten ein Wetterleuchten, in dem die Arbeiterklasse zum Entsetzen von Feudaladel und Bourgeoisie zum ersten Mal ihre Stärke zeigte. Und: Krieg, zunächst vor allem in Kolonien, blieb ein fester Bestandteil der Weltordnung. Die französische Invasion in Algerien ab 1830, vor allem aber der erste britische Opiumkrieg von 1839 bis 1842, der Chinas Führungsrolle in Asien und als weltweiter Exportnation für 150 Jahre beendete und das Kaiserreich zu einer Halbkolonie werden ließ, waren oft Gegenstand in den Schriften der Begründer des dialektischen und historischen Materialismus. Die konterrevolutionären Kriege des zaristischen Rußlands, die Schandtaten Großbritanniens in Indien und Irland, die „Blut und Eisen“-Politik Preußens bestätigten die Theorie von Marx und Engels: Kapital und Krieg sind zwei Seiten einer Medaille. 1853 formulierte Marx: „Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen.“ (MEW, Bd. 9, S. 223) Als hätte er die NATO und die EU von 2018 vor Augen, schrieb Marx wenige Jahre später, 1859, über die „große Lüge“ „Sivis pacem, para bellum“ (Willst du Frieden, rüste zum Krieg.) Mit dieser Formel beginne in Europa stets „einer jener Zivilisationskriege, deren frivole Barbarei der besten Zeit des Raubrittertums, deren raffinierte Perfidie jedoch ausschließlich der modernen Periode des imperialistischen Bürgertums angehört“. (MEW, Bd. 13, S. 144)
Die „Perfidie des imperialistischen Bürgertums“ sprengt in diesen Wochen wieder einmal alle Maßstäbe, erhöht das Risiko eines Atomkrieges. Dringlicher denn je steht die Forderung, die Marx am Schluß des zitierten Artikels über den Kolonialismus in Indien aufstellte: „Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte, gemeistert und sie der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.“ (a. a. O.) Eine andere Chance hat die Welt auch 2018 nicht.
Arnold Schölzel
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