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Russische Warnungen und taube deutsche OHREN
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 14. SEPTEMBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Dagmar Henn – https://rtnewsde.com
Eigentlich nicht überraschend: Wenn Russland vor irgendetwas warnt, wird
in Deutschland geradezu aufdringlich weggehört. Das war schon Anfang
2022 so. Aber die Risiken werden von Runde zu Runde größer, wenn man
weiter Waffen schickt, statt zuzuhören.
Sechs taube deutsche Ohren: Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts),
Verteidigungsminister Boris Pistorius und Luftwaffenchef und
Krimbrückenexperte Ingo Gerhartz bei der Indienststellung eines
Waffensystem IRIS-T SLM im September 2024 in Todendorf
Irgendwann sollten auch deutsche Politiker ihre narzisstische Blase
verlassen, in der sie immer Recht haben. Im eigenen Interesse. Weil es
Augenblicke gibt, in denen man durch mangelndes Nachdenken vor allem
sich selbst schadet.
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Die gestrige Warnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin war so
ernst gemeint, wie sie klingt. Offenkundig haben aber die deutschen
Politiker jenen Moment Anfang 2022 bereits vergessen, als der russische
Vorschlag für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa von einer
ebenso klaren Warnung begleitet wurde, dass andernfalls
“militärisch-technische Maßnahmen” ergriffen würden. Inzwischen müsste
mehr als klar sein, was diese Maßnahmen sind, aber dennoch wird mit
Vergnügen weiter so getan, als sei das alles nicht ernst zu nehmen. So
beispielsweise der CDU-Politiker Norbert Röttgen:
“Die Einschüchterungspropaganda von Putin ist ebenso bekannt wie absurd.
Der Westen kann sich nur daran orientieren, was zweifelsfrei mit dem
Völkerrecht übereinstimmt und was der Wiederherstellung des Friedens in
Europa dient.”
Der zweite Satz besitzt sogar eine unfreiwillige Komik. Zumindest für
den, der die Vorgeschichte in der Ukraine kennt. Denn die Unterstützung
eines Putsches stimmt nicht mit dem Völkerrecht überein, genauso wenig,
wie die Aufrüstung einer Putschregierung, die als erste bedeutende
Handlung einen Bürgerkrieg beginnt.
Die Minsker Abkommen waren, laut Ex-Kanzlerin Angela Merkel und dem
französischen Ex-Präsidenten Francois Hollande, immer nur als Täuschung
gemeint, um die Kiewer Regierung aufrüsten zu können. Dumm nur: Auch
dieses Abkommen war Völkerrecht. Es war, so wie es geschrieben steht,
mitsamt dem darin enthaltenen Zeitplan für die einzelnen Handlungen, die
zur Befriedung des Bürgerkriegs führen sollten, vom UN-Sicherheitsrat
beschlossen worden. Aber nie hat man sich in Deutschland offiziell mit
der Frage befasst, ob daraus nicht nur ein Recht, sondern sogar eine
Verpflichtung für Russland als eine der Garantiemächte entsteht, die
Umsetzung, wenn nötig, zu erzwingen.
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Allerdings gibt es noch eine weit tiefere Ebene, in der diese Aussage
Röttgens zum Völkerrecht und zum Frieden absurd wird. Der Ursprung des
modernen Völkerrechts war die Beendigung eines Krieges, des
Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Andere wichtige Bestandteile,
wie die UN-Charta, wurden hinzugefügt mit einer zentralen Vorgabe:
menschliches Leben zu bewahren, und wenn möglich, nicht als tierisches
Vegetieren, sondern unter den für eine menschliche Entwicklung
erforderlichen Bedingungen. Was man praktisch sehen kann, ist, wie mit
dem vermeintlich völkerrechtlichen Verweis auf “territoriale Integrität”
Hunderttausende in den Tod geschickt werden. Selbst wenn man ignoriert,
dass tatsächlich geopolitische Interessen einer dritten Partei
dahinterstehen ‒ auch das Völkerrecht kennt eine Rangfolge der
Rechtsgüter, und das Leben dieser Hunderttausenden steht weit höher als
die Kategorien, die für solche wie Röttgen “zweifelsfrei mit dem
Völkerrecht übereinstimmen”.
Wobei die Veränderung des Sprachgebrauchs, die NATO-weit durchgesetzt
wurde und nach der immer die Rede von einem “gerechten” Frieden ist
statt von einem Frieden, auch ein Manöver ist, um behaupten zu können,
einen gerechten Krieg zu führen, ohne dies auszusprechen. Letztlich ist
da eben nicht die Rede von Frieden, sondern die Rede von Kriegszielen,
an denen eisern festgehalten wird ‒ mit einer Verbissenheit und
Wirklichkeitsverleugnung, die historisch bestenfalls ein Vorbild in den
Tiefen des Führerbunkers hat.
Röttgen betrachtet Putins Aussage, einen Einsatz von Präzisionsraketen
mit großer Reichweite als Kriegsbeteiligung der NATO zu werten, als
“Einschüchterungspropaganda”. Damit ist er ziemlich repräsentativ für
die Reaktionen, die bisher auf diese Feststellung erfolgten. Der
aktuelle Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte beispielsweise: “Er
[Putin] droht, wann immer es ihm beliebt, und lockt, wann immer er es
für richtig hält.” Einige Erzeugnisse der Lokalpresse haben sogar ein
neues Wort erfunden, um den möglichen Einsatz dieser Raketen zu
verniedlichen: “Weitschusserlaubnis”. Als ginge es nur darum, den
Wasserhahn ein bisschen weiter aufzudrehen.
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Was bestenfalls als russische Übertreibung wiedergegeben wird, ist die
nüchterne, technische Begründung, warum die russische Regierung den
Einsatz dieser Raketen als Kriegsbeteiligung der NATO sieht: weil
eigentlich alle entscheidenden Handlungen dabei gar nicht von
ukrainischer Seite vorgenommen werden können. Das beginnt mit den
Satellitendaten, die mögliche Ziele lokalisieren, und endet mit der
Programmierung dieser Daten in die Waffensysteme. Nachdem unübersehbar
auch die Entscheidung über den Einsatz dieser Systeme nicht in der
Ukraine fällt und die gesamte Planung für das militärische Vorgehen
längst bei EUCOM liegt und nicht in Kiew, ist damit der Anteil der NATO,
in welcher ihrer vielen Gestalten auch immer, so groß, dass ukrainische
Soldaten, die in der Nähe herumstehen, höchstens als Dekoration gelten
können.
Diese Entwicklung begann bereits mit Systemen wie der Panzerhaubitze
2000, also, sobald die reine Lieferung nicht mehr genügte, sondern
mindestens noch die Ausbildung hinzukam. Glaubt wirklich irgendjemand,
die Patriot- oder IRIS-Systeme würden von Ukrainern bedient? Oder dass
die Kiewer Truppen ohne die Versorgung mit westlichen Aufklärungsdaten
auch nur imstande wären, die Krim zu attackieren?
Wäre die Ukraine auch nur noch ansatzweise ein Staat, der fähig ist, im
eigenen Interesse zu agieren, wäre das Friedensabkommen in Istanbul
unterzeichnet worden und in Kraft getreten, und all die Opfer der
zweieinhalb Jahre danach wären noch am Leben. Hätten die
Hobbyvölkerrechtler von Außenministerin Baerbock bis Norbert Röttgen
auch nur ansatzweise begriffen, warum der Frieden im Völkerrecht einen
so hohen Stellenwert hat ‒ nämlich weil es um die Bewahrung des
menschlichen Lebens geht ‒, wären sie nicht imstande gewesen, stetig
neues Öl ins Feuer zu gießen.
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Aber es ist wichtiger, das Narrativ zu retten, das man unter so großem
Aufwand mit Strafverfahren und Zensur durchgesetzt hat, als die
Wirklichkeit wahrzunehmen. Wenn die Wirklichkeit lautet “Krieg der NATO
gegen Russland”, dann könnte das nur die Existenz kosten. Ein Bruch des
Narrativs aber kostet den Status, und wie bei allen tief narzisstisch
Gestörten ist der Status selbst wichtiger als das eigene Leben.
Nicht, dass man tatsächlich fürchten müsste, dass Russland irrational
reagiert. Das, was da erfolgt ist, war ein sehr ruhiger und gut
bedachter Hinweis, der natürlich einige Konsequenzen haben könnte.
Beispielsweise, dass die Aufklärung, die bisher für den Krieg in der
Ukraine, aber mit Mitteln der NATO erfolgt, nicht mehr ungestört
stattfinden kann. Das reicht von den Aufklärungsdrohnen, die regelmäßig
rund um die Krim fliegen, bis hin zu Satelliten. Ab dem Moment, ab dem
Russland die Entscheidung trifft, die längst schleichend eingeführte
Beteiligung der NATO auch als solche zu behandeln, sind das alles
legitime Ziele. Insbesondere, wenn sie konkret dazu beitragen, die
beabsichtigten Angriffe auf Russland zu ermöglichen. Und dann gibt es
die kreativen Möglichkeiten ‒ viele US-Gegner weltweit wären für kleine
Geschenke dankbar.
Wenn im Westen immer behauptet wird, die arme Ukraine werde daran
gehindert, sich zu wehren ‒ mit eigenen Mitteln hätte sie diesen Krieg
gar nicht führen können. Ohne dieses westliche Eingreifen hätte sie
sich, trotz des ursprünglich großen Bestandes an alten sowjetischen
Waffen, gerade ein wenig besser gestellt als ein Drittweltland, mit
Aufklärungsmöglichkeiten knapp über jenen des Zweiten Weltkriegs. Was
diese massive westliche Unterstützung bewirkt, ist ein völliger
Realitätsverlust auf Seiten der ukrainischen Führung (sofern sie nicht
ohnehin völlig in fremdem Auftrag agiert) ‒ ein Begreifen der
Bedingungen der eigenen Existenz ist immer eine nötige Voraussetzung
rationaler Politik. Aber der vermeintlich hilfreiche Westen war ja nicht
einmal imstande, selbst seine Produktionsmöglichkeiten vorher zu
überprüfen.
Es ist bisher, entgegen den in Deutschland kursierenden Behauptungen,
Russland, das sich zurückhält. Was sich auch in der Bezeichnung
“militärische Spezialoperation” zeigt. Weil es darum geht, eine
Ausweitung dieses Krieges zu vermeiden. Weil das Ziel eben nicht lautet,
den Westen militärisch niederzuringen, sondern, die Ukraine zu
demilitarisieren und zu entnazifizieren. Diese westlichen Drohnen über
dem Schwarzen Meer fliegen nicht, weil Russland sie nicht abschießen
könnte. Sie fliegen, weil Russland sie hingenommen hat, um diesen
Konflikt begrenzt zu halten. Nebenbei bemerkt, auf eigene Kosten.
Nach Brexit kommt USexit: USA werden Europa verlassen – und das wird “hässlich”
Wäre es Russland nämlich um einen Krieg gegen die NATO gegangen, wären
genau diese Mittel der Aufklärung das erste Ziel gewesen. Das Zweite die
Kommandozentralen. Um zu wissen, wo EUCOM liegt, reichen zur Not auch
noch alte sowjetische Karten. Und wer Hyperschallraketen besitzt,
braucht keine Atomwaffen, um selbst tiefe Bunker zu knacken.
Natürlich steckt auch hinter dieser Runde Unvernunft ein politisches
Spiel. Weil es nicht gelungen ist, durch den Stellvertreterkrieg in der
Ukraine eine Revolte aus dem liberalen Lager auszulösen, um “Putin zu
stürzen” (die Anführungszeichen nur als leiser Hinweis, dass es nie um
eine einzelne Person ging), wird es jetzt andersherum versucht: Die
ganzen Provokationen sollen dazu führen, dass dann eben die Hardliner
aufbegehren.
Irgendwann, und sei es Sonntagnachmittag beim Kaffeetrinken, sollten
unsere deutschen Politiker vielleicht doch einmal ihren
Wirklichkeitssinn reaktivieren und die verborgenen Überreste ihrer
Menschlichkeit ausgraben. Wahrnehmen, dass sie sich gerade auf eine
Schwelle zubewegen, die die gleiche Qualität hat wie jene Anfang 2022,
als klar angekündigt wurde, was erfolgen würde, aber die Mischung aus
Hochmut und Knechtsgeist zu mächtig war, um zuzuhören und angemessen zu
reagieren. Genau das gleiche Problem zeigt sich heute wieder. Sie sind
zu hörig und zu unterwürfig, um zu erkennen, dass die deutschen
Interessen sehr wenig mit den US-amerikanischen zu tun haben, und zu
hochmütig, um die russischen überhaupt hören zu wollen.
Minsk befürchtet baldigen militärischen Angriff der NATO
Der Respekt für das Leben der anderen, dieser erste Gedanke, diese erste
Notwendigkeit, aus der das Völkerrecht erwachsen ist, würde es
gebieten, die “Unterstützung” dieser Kiewer Regierung sofort
einzustellen, statt stetig weiter nachzufeuern. Aber die Sicht auf das
Völkerrecht, die in Deutschland vorherrscht, ist die eines
Winkeladvokaten (wenn nicht gleich einer Trampolinspringerin) ‒ man
dreht und biegt es so lange, bis es passt, und wessen Leben da in die
Quere kommen, ist gleich. Wobei man sich bizarrerweise darauf verlässt,
dass genau das Russland, das man von früh bis spät zum Ursprung aller
Übel erklärt, zurückhaltend, rational und menschlich reagiert.
Doch genau aus diesem Grund sollte man darauf verzichten, noch eine
Runde dumme Propaganda zu spinnen, und zuhören, wenn sich die Botschaft,
die mitgeteilt wird, auf fünf Buchstaben reduzieren lässt: G E N U G.
https://rtnewsde.com/meinung/219108-russische-warnungen-und-taube-deutsche/
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