Freitag, 7. Juli 2023

Begeisterung fürs Töten? - Arnold Schölzel - RotFuchs

 Entnommen: https://rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2023/RF-306-07-23.pdf


RotFuchs, Juli-August 2023


Begeisterung fürs Töten? 


Am 17. Juni meldete der „Deutschlandfunk“ in seinen 8-Uhr-Nachrichten als erstes, der Soziologe René Sternberg habe vorgeschlagen, das Gedenken an den 17. Juni durch „Demokratie-Diskurse“ aufzufrischen. Ähnlich salbungsvolle Phrasen waren an diesem 70. Jahrestag der ersten konterrevolutionären Revolte in der DDR auf allen Kanälen zu hören.


Mit Gegenrevolutionen kennen sich die in Deutschland Herrschenden aus. 1844 schrieb der junge, radikaldemokratische Karl Marx: „Ja, die deutsche Geschichte schmeichelt sich einer Bewegung, welche ihr kein Volk am historischen Himmel weder vorgemacht hat noch nachmachen wird. Wir haben nämlich die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen. Wir wurden restauriert, erstens, weil andere Völker eine Revolution wagten, und zweitens, weil andere Völker eine Konterrevolution litten, das eine Mal, weil unsere Herren Furcht hatten, und das andere Mal, weil unsere Herren keine Furcht hatten. Wir, unsre Hirten an der Spitze, befanden uns immer nur einmal in der Gesellschaft der Freiheit, am Tag ihrer Beerdigung.“


Das klingt bitter und vereinfacht auch den Geschichtsverlauf, denn das deutsche Bürgertum verfügte zu diesem Zeitpunkt schon über erhebliche wirtschaftliche Macht. Aufklärung, klassische deutsche Philosophie und Weimarer Klassik hatten eine geistige Bewegung in Gang gesetzt, die im dialektischen und historischen Materialismus ihre beste Fortsetzung fand und sich als revolutionär erweisen sollte. Der Aufstieg der deutschen Arbeiterbewegung, die Gründung und der Aufbau der DDR als deren größte Errungenschaft sind ohne diese Traditionen nicht denkbar. 1844 aber herrschte die monarchische Reaktion noch fast unumschränkt. Vier Jahre später, in der Revolution von 1848, erwies sich die deutsche Bourgeoisie als derart feige vorm Feudalismus auf der einen Seite und vor dem Proletariat auf der anderen, daß sie die Demokratisierung und nationale Einigung Deutschlands stoppte, bevor die begonnen hatten. Mit dem Übergang zum Imperialismus um 1900 stellten sich maßgebende Gruppen des deutschen Bürgertums endgültig auf die Seite der Reaktion – mit verheerenden Folgen für die deutsche Arbeiterklasse. Sie bezahlte in beiden Weltkriegen den höchsten Blutzoll und wurde entscheidend geschwächt.


Die blutige Niederschlagung der Novemberrevolution brachte Zehntausenden Proletariern den Tod, die faschistische Diktatur festigte mit Terror die Herrschaft der Krupp, I. G. Farben, Quandt und Flick. Die Tinte unter der Kapitulationsurkunde vom Mai 1945 war noch nicht trocken, da stellte Winston Churchill für die „Operation Unthinkable“ – für den Krieg gegen die Sowjetunion – mehr als 100 000 Wehrmachtssoldaten als Reserve auf. Die USA hielten aber die Atombombe für wirkungsvoller. Die Generäle, die Hitlers Feldzüge entworfen hatten, setzten nahtlos ihre Arbeit im Auftrag der Westmächte und der westdeutschen Spalter Deutschlands fort. Das war der historische Hintergrund des 17. Juni 1953: Nazis, Monopolherren, Junker und Militärs witterten Morgenluft und nutzten Schwächen des Sozialismus zum „Aufstand“.


Seit 1990 haben Marx’ Worte von 1844 neue Aktualität erhalten. Das machte auch dieser 17. Juni 2023 deutlich: An ihm fand landesweit nicht nur der an Jugendliche gerichtete „Tag der Bundeswehr“ statt, es lief auch das bisher größte, gegen Rußland gerichtete Verlegemanöver der NATO-Luftwaffen über der BRD. Noch wird gegen Rußland kein deutsches Kanonenfutter in Marsch gesetzt, aber die Vorbereitungen sind im vollen Gang. Also unterhielt sich nach den erwähnten 8-Uhr-Nachrichten eine Moderatorin des „Deutschlandfunks“ mit der Wehrbeauftragten des Bundestages, der Sozialdemokratin Eva Högl. Sie will die Musterung zum Kriegsdienst wieder einführen – für Frauen und Männer. Es gehe doch, meinte die Journalistin, dabei um Töten und Getötetwerden. Sei Werbung dafür bei Minderjährigen nicht problematisch? Das fand die SPD-Frau ganz und gar nicht: Die jungen Leute sähen doch jeden Tag im Fernsehen und im Internet die Lage in der Ukraine und begriffen, daß es um die Verteidigung „unseres Friedens und unserer Freiheit“ gehe. Dafür müsse man Menschen „begeistern“.


So erhält die Kriegsberichterstattung in deutschen Konzern- und Staatsmedien ihren Sinn: Nach der Wiedergewöhnung ans Töten will die deutsche Konterrevolution jetzt Begeisterung!

In den anschließenden Wirtschaftsnachrichten des „Deutschlandfunks“ war zu hören: Der Aktienindex DAX erreichte einen neuen Höchststand. Besonders stark stiegen die Wertpapiere der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Hensoldt. 

Arnold Schölzel


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