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Pflugschare zu Schwertern
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 23. JULI 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Rüdiger Rauls – https://ruedigerraulsblog.wordpress.com
Die Zeitenwende offenbart den Verfall des westlichen Denkens und seiner
Werte. Selbst Teile der Friedensbewegung sind deren Umdeutung zum Opfer
gefallen. Ihre Parole „Schwerter zu Pflugscharen“ hat ausgedient.
Nirgendwo wird dieser Verfall deutlicher als bei den Grünen. Was hat zu
diesem Wandel im politischen Denken geführt?
Werte, Werte über alles
Grüne wie Alternative und so manche, die sich als Linke verstehen, haben
ihre Wurzeln in der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Das Wettrüsten
zu beenden, um einen atomar ausgetragenen Dritten Weltkrieg zu
verhindern, war das Anliegen dieser damaligen Massenbewegung. Ein
Umdenken innerhalb der Völker des Westens gegenüber den Russen hatte zu
dieser Entwicklung geführt. Trotz aller Angst, die nach dem Zweiten
Weltkrieg geschürt worden war, hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt,
dass die Volker der Sowjetunion wie die im Westen auch nichts anderes
als ein friedliches Leben wollen und eine freundliche Zukunft für ihre
Kinder.
Nach der Niederlage der USA im Vietnamkrieg war ab dem Ende der 1970er
Jahre der Kampf für die Menschenrechte die neue Strategie des Westens
gegenüber der Sowjetunion. Die Niederlagen im Osten Asiens hatten
deutlich gemacht, dass der Sozialismus militärisch nicht zu besiegen
war. Für dieses Ziel hatte sich die Menschenrechts-Strategie als
erfolgreicher erwiesen. Mit dem Untergang der Sowjetunion und der
Vernichtung Jugoslawiens schien auch der Sozialismus besiegt. Die
westliche Demokratie schien sich als überlegene Gesellschaftsform
herausgestellt zu haben.
Die Friedensbewegung hatte die Aufstellung neuer Raketen in Europa nicht
verhindern können. Sie zerfiel nach dieser Niederlage und konnte keine
neue Perspektive entwickeln. In der Folge durchdrang die siegreiche
Werteorientierung immer mehr die westlichen Gesellschaften und bestimmt
seitdem das Denken ihrer Eliten besonders in Bildung, Kultur, Medien und
Politik. Werteorientierung ist Teil der westlichen DNA geworden.
In Schulen und Universitäten waren immer größere Teile der Gesellschaft
mit dieser Nährlösung aufgezogen worden. Das Denken der nachfolgenden
Generationen wurde durch sie geprägt, denn mit dem Untergang des
Sozialismus gab es kein anderes Weltbild mehr. Allgegenwärtig in den
westlichen Gesellschaften, blieb der Einfluss des Wertedenkens auch
nicht ohne Auswirkungen selbst auf jene Kräfte, die Kapitalismus, NATO
und dem westlichen Imperialismus ablehnend gegenüberstanden.
Diese Kräfte, zu denen besonders die Grünen sowie weite Teile der
Linken, Alternativen und Intellektuellen gehören, lehnten diese Werte
nicht ab. Im Gegenteil: Sie sahen sich aufgrund ihrer Vergangenheit im
Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit als die wahren
Verteidiger der Werte. Je mehr aber die Kriegsgefahr nach dem Ende der
Blockkonfrontation in den Hintergrund getreten war, umso mehr trat bei
den Werteorientierten das Engagement besonders für all jene in den
Vordergrund, die als schutzbedürftig und benachteiligt angesehen wurden.
So setzten sich Grüne, Linke und Alternative immer stärker ein für
Themen wie den Schutz von Umwelt und Tieren, die Identitätsrechte von
Minderheiten und gegen jegliche Form von Diskriminierung. Das politische
Bewusstsein, das die frühe Friedensbewegung noch sehr stark geprägt
hatte, war mehr und mehr einer emotionalen, moralischen und eigentlich
unpolitischen Haltung gewichen. Harmoniestreben ersetzte zunehmend das
Benennen der Interessengegensätze. Ganz aus dem politischen Denken
verschwunden war das Wissen um die verschiedenen gesellschaftlichen
Klassen mit ihren entsprechenden Interessen.
Missbrauch der Werte
Wertegeleitetes Denken und Handeln bestimmt mittlerweile Medien, Kultur
und Politik. Hier wird die öffentliche Meinung gebildet. Dieses Denken
erreicht seinen Höhepunkt bei Gruppen wie Fridays for Future (FfF) und
all jenen, die sich dem Kampf gegen jede Art vermeintlicher
Diskriminierung verschrieben haben. Das Gendern ist das öffentliche
Zurschaustellen des eigenen diskriminierungsfreien Verhaltens, worin
aber gleichzeitig auch Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft
mitschwingt.
Denn diese orientiert sich mehr an Interessen als an Werten und fühlt
sich durch das pädagogische Auftreten der Wertemissionare von oben herab
behandelt. Sie sieht darin das Bestreben, Andersdenkende belehren und
erziehen zu wollen. Mit ihrem demonstrativ gutmenschlichen und
diskriminierungsfreien Gebaren rufen die Wertegeleiteten Unmut und Groll
im Rest der Gesellschaft hervor. Soweit sie diesen Konflikt überhaupt
spüren, lösen sie ihn für sich auf, indem sie bei der Mehrheit
Gleichgültigkeit oder mangelndes Bewusstsein sehen.
Denn die Wertevertreter halten sich nicht nur für moralisch überlegen
sondern aufgrund ihrer meist höheren formalen Bildungsabschlüsse für
besser informiert und damit auch intellektuell auf einem höheren Stand.
Solch elitäres Denken gipfelt in einer feministischen Außenpolitik, die
anderen Staaten und Völkern glaubt, Vorschriften machen zu dürfen, wie
sie ihre Gesellschaften zu gestalten haben.
So hat sich schleichend in der Gesellschaft aus einer ehemals breiten
Massenbewegung für den Frieden besonders im intellektuellen Milieu eine
elitäre Denkweise entwickelt. Die Grundlage dieses Denkens ist die
Vorstellung eigener Überlegenheit. Die Eliten des Kaiserreichs glaubten
sich überlegen durch die deutschen Tugenden, an denen die Welt genesen
sollte, der Faschismus durch die angebliche rassische Überlegenheit des
arischen Herrenmenschen. Heute soll die Welt an den westlichen Werten
genesen. Das westliche Überlegenheitsdenken ist geblieben, nur hat es
andere Formen angenommen und neue Träger gefunden.
Unantastbar
Dieses Gefühl der Überlegenheit macht die Werteorientierten unerreichbar
für Zweifel und andere Sichtweisen und damit auch unbelehrbar. All
diese zur Schau getragene moralische und intellektuelle Überlegenheit
ist aber nur vordergründig, hat wenig Festigkeit, wenig Tiefe.
Die Werteorientierten leben nicht von der Überzeugungskraft ihrer Werte
sondern von deren Unantastbarkeit. Sie profitierten von der Scheu im
Rest der Gesellschaft, dem Wertegesäusel auf den Zahn zu fühlen. Sie
nähren sich aus dem Tabu, dass die westlichen Werte und ihre Inhalte
nicht hinterfragt werden dürfen, ohne sich dem Vorwurf der
Rückständigkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit oder gar Rechtslastigkeit
auszusetzen.
Diese Eiferer setzen auf die Lautstärke ihrer Empörung und moralischen
Entrüstung. Aber sie können nur unzureichend argumentieren, kaum
überzeugen. Was ihnen fehlt, ist die Klarheit eines Weltbildes, das nur
entsteht aus der vorurteilsfreien Betrachtung der Welt und aus dem
Ringen um das Erkennen der Wirklichkeit. Das aber entsteht allein aus
einem Meinungsaustausch im Interesse an Erkenntnis.
Darin liegt gerade die Schwäche der Werteorientierung. Es fehlt an
politischem Bewusstsein, es fehlen die klaren Standpunkte, die ihre
Festigkeit erworben haben im Austausch mit anderen Ansichten, Meinungen
und Argumenten. Die Werteorientierten erhalten ihren Standpunkt gerade
aus dem Vermeiden des Meinungsaustauschs. Sie schotten sich ab von den
Widersprüchen, indem sie sich hinter ihren Werten verbarrikadieren. Vor
allem aber fehlt es ihnen an Klarheit über die Grundlagen von
Entwicklung, wie sie der Materialismus anbietet.
Dass sie sich mit politischen Themen beschäftigen, bedeutet nicht, dass
sie über politisches Bewusstsein verfügen. Dazu fehlt ihnen das Erkennen
politischer Zusammenhänge. Sie begnügen sich mit dem Gefühl, aufgrund
der Werte, die sie vertreten, und aufgrund der Bildung, die sie zu haben
glauben, die Vorgänge in der Welt zu durchschauen. Und da beides von
der Gesellschaft nicht infrage gestellt wird, bekommt dieses Selbstbild
auch kaum Risse.
Ihr politisches Bewusstsein geht über Appelle, Forderungen und platte
Parolen kaum hinaus. In dieser Form tragen sie ihr Weltbild vor sich her
zur Schau wie die Katholiken die Monstranz an Fronleichnam. Beiden ist
gemeinsam, dass die wenigsten von ihnen ihr Handeln begründen, die
Hintergründe verständlich machen und Zusammenhänge darstellen können.
Werteorientierung ergeht sich in oberflächlichen Aussagen, die meist nur
das Offensichtliche feststellen.
Zeitenwenden
Dieser Verfall von politischem Bewusstsein hatte erstmals schwerwiegende
Folgen beim Krieg gegen Jugoslawien. Der grünen Führungsriege genügte
die amerikanische Behauptung, dass in Jugoslawien ein Völkermord drohe.
Man müsse diesen Krieg führen, um ein zweites Auschwitz zu verhindern.
Dazu wurde die Formel der Antikriegsbewegung „Nie wieder Krieg“
geschickt umgewandelt in den Appell „Nie wieder Völkermord“, „denn es
gibt noch Wichtigeres als „Nie wieder Krieg!“(1).
Mit dieser Manipulation wurde Verwirrung geschaffen und der Angriff auf
Jugoslawien möglich. Denn wer hätte sich schon dem Vorwurf aussetzen
lassen, Völkermord nicht verhindern zu wollen? Besoffen von Wertedenken
und gebauchpinselt in der Rolle, endlich mitentscheiden zu dürfen,
liefen die Grünen den Amerikanern hinterher.
Dass es sich dabei um dieselben Amerikaner handelte, gegen deren
Vietnamkrieg noch Jahre zuvor die Fischer, Cohn-Bendit und viele grüne
Friedenstauben demonstriert hatten, spielte keine Rolle mehr. Über Nacht
schien alles vergessen: die Fragwürdigkeit amerikanischer Aussagen und
Zusicherungen. Die Erfahrungen mit der Rücksichtslosigkeit der
US-Politik in Südostasien, in Chile, Kuba und Südamerika.
Vergessen die Invasion in der Schweinebucht und all die anderen Putsche,
Putschversuche und Förderung von Putschen in Südamerika und überall
sonst in der Welt. Vergessen die weltweit von der CIA geförderte
Umstürze und die Errichtung und Unterstützung von Folterregimen unter
dem Schah, unter Pinochet und all den vielen anderen.
Vergessen die Unterstützung regierungsfeindlicher Gruppen. Vergessen all
die niedergeschlagenen Proteste der Völker der Welt für ein besseres
Leben. Vergessen Hiroshima und Nagasaki. Vergessen die lange Geschichte
der amerikanische Verletzungen der Menschenrechte, auch all die Lügen,
mit denen diese Verbrechen gerechtfertigt worden waren. Alles gelöscht
aus dem politischen Bewusstsein und grünen Gedächtnis.
Die Grünen waren auf einmal wichtig. Endlich sahen sie sich anerkannt in
ihrer Rolle, von der sie glaubten, dass sie ihnen zukam aufgrund ihres
moralischen und intellektuellen Niveaus. Nun konnten sie beweisen, dass
sie Politik nicht nur gut machen konnten, sondern sogar besser als die
anderen. Die Macht, an der man endlich teilhaben durfte, wollte man
nutzen und sich ihrer würdig erweisen. Da standen alle moralischen
Zweifel und politischen Bedenken zurück, da wurden die letzten Reste
politischen Bewusstseins im Suff der Macht ertränkt.
Nicht zu unrecht sagt der Volksmund: „Wem Gott ein Amt gibt, dem nimmt
er den Verstand.“ Es ist vielleicht kein Zufall, dass Zeitenwenden immer
mit der Regierung der Grünen zusammengefallen sind. Ihr Denken
unterscheidet sich kaum von dem der etablierten Parteien, die bisher die
Macht unter sich aufgeteilt hatten, bis auf einen entscheidenden
Unterschied: Die Grünen glauben, es sogar noch besser machen zu können
aufgrund ihrer intellektuellen Überlegenheit.
Das wollen sie mit größerer Entschlossenheit, aber auch mit weniger
moralischen Vorbehalten unter Beweis stellen. Das gilt nicht nur für die
Grünen sondern auch für viele andere linke und alternative Kräfte, die
ebenso in den Vorstellungen moralischer und intellektueller
Überlegenheit denken. Mit einer guten Begründung im Ärmel können dann
aus Pflugscharen auch wieder Schwerter geschmiedet werden. Es muss aber
etwas mit Werten zu tun haben.
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28022023 „Nie wieder Völkermord“
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