Bundestagswahl
2021: Ergebnis zeigt Bankrott aller etablierten Parteien
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅
27. SEPTEMBER 2021
von Johannes Stern –
http://www.wsws.org
Das
Ergebnis der Bundestagswahl vom 26. September widerspiegelt die tiefe
Entfremdung zwischen allen Bundestagsparteien und der Bevölkerung
und leitet eine Periode politischer Instabilität und scharfer
Klassenauseinandersetzungen ein.
Die Kanzlerpartei CDU und ihr
Kandidat Armin Laschet erlebten ein historisches Debakel. Nach 16
Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel erhielt die Union mit 24,1
Prozent weniger als ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Gegenüber
ihrem bislang schlechtesten Abschneiden bei den letzten Wahlen 2017
(32,9 Prozent) verlor sie noch einmal mehr als acht Prozentpunkte.
2013 hatte sie noch 41,5 Prozent auf sich vereinen können.
Auch
die SPD, die zweite sogenannte „Volkspartei“, erhielt mit 25,7
Prozent nur etwa ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Die
Sozialdemokraten und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz konnten ihren
Stimmenanteil im Vergleich zu ihrem historisch schlechtesten Ergebnis
vor vier Jahren (20,5 Prozent) zwar verbessern, aber kaum neue
Wählerschichten gewinnen, geschweige denn begeistern. Der weitaus
größte Zuwachs kam mit 1,36 Millionen Stimmen von der CDU.
Ihr
„Wahlsieg“ hat nichts daran geändert, dass die SPD unter
Arbeitern und Jugendlichen verhasst ist. Mit den Hartz-Gesetzen, den
Steuergeschenken für Superreiche und der Rente mit 67 trägt sie die
Hauptverantwortung für die enorme soziale Ungleichheit im Land.
Scholz ist als amtierender Finanzminister der Architekt der
Milliardengeschenke an die Großkonzerne und Banken und der massiven
Aufrüstung der letzten Jahre.
Noch bankrotter ist nur die
Linkspartei. Sie erzielte ihr historisch schlechtestes Ergebnis und
verlor im Vergleich zu 2017 fast die Hälfte ihrer Stimmen (-4,3
Prozent). Mit 4,9 Prozent verfehlte sie am Ende sogar die
5-Prozenthürde. Sie wird im nächsten Bundestag nur deshalb noch in
Fraktionsstärke vertreten sein, weil sie insgesamt drei
Direktmandate gewann.
Der Grund für das Debakel ist klar.
Unter Bedingungen der Pandemie, schreiender sozialer Ungleichheit und
wachsender Kriegsgefahr waren die gewendeten Stalinisten,
abgehalfterten Sozialdemokraten und Pseudolinken weder Willens noch
fähig, an die enorme soziale und politische Opposition in der
Bevölkerung zu appellieren.
Überall wo Die Linke bereits auf
Landesebene mit den Kriegs- und Hartz-IV-Parteien regiert, kürzt sie
Sozialausgaben, schiebt brutal ab und verfolgt in der Pandemie die
mörderische Durchseuchungspolitik. Im Bundestagswahlkampf warben
ihren Spitzenkandidaten bei jeder Gelegenheit für ein rot-rot-grünes
Regierungsbündnis und signalisierten der herrschenden Klasse ihre
Unterstützung für die Nato und den deutschen Imperialismus.
Wie
verhasst die rechte Politik der gesamten herrschenden Klasse ist,
unterstreicht auch das Wahlergebnis der AfD (10,3 Prozent). Obwohl
die Rechtsextremen in den Medien ständig hofiert werden und die
etablierten Parteien sie systematisch ins politische System
integrieren und ihre Agenda übernehmen, hat die AfD Stimmen
verloren. Im Bund über zwei Prozent und bei den parallel
stattfindenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
sogar vier bzw. sechs Prozent.
Die rechte Gefahr ist damit
allerdings nicht gebannt. Im Gegenteil. Die herrschende Klasse
reagiert auf die tiefe Krise des Kapitalismus, die eskalierenden
Spannungen zwischen den Großmächten und das weltweite Anwachsen des
Klassenkampfs, indem sie immer offener das Programm der extremen
Rechten übernimmt.
Besonders deutlich zeigt sich das aktuell
in der Pandemie. Bezeichnenderweise verlor auch am Wahlabend kein
einziger Spitzenpolitiker ein Wort über die Corona-Pandemie, die
allein in Deutschland fast 100.000 Menschenleben gekostet hat. Alle
Parteien von CDU/CSU bis Linkspartei unterstützen die mörderische
Öffnungspolitik, die Profite vor Leben stellt, und im Kern die
Handschrift der AfD trägt.
Dieser politische Kurs, gepaart
mit heftigen sozialen Angriffen und massiver Aufrüstung nach außen
und innen, soll nun fortgesetzt und intensiviert werden. Noch am
Wahlabend formulierten Scholz und Laschet den Anspruch, die nächste
Bundesregierung zu führen und zügig Sondierungs- und
Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen einzuleiten. Dazu stehen
beide Parteien bereit.
Die Grünen, die fast 6 Prozent
zulegten und mit 14,6 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei
Bundestagswahlen erzielten, stellten klar, dass sie zu einer
Koalition bereit sind. „Wir wollen regieren,“ erklärte der
Co-Vorsitzende der Grünen Robert Habeck. Es gebe „die SPD-Nähe“,
aber ein Bündnis mit der FDP sei auch unter Führung der Union
möglich.
Christian Lindner, der Spitzenkandidat und
Vorsitzende der FDP, die 11,5 Prozent (+0,8 Prozent) erzielte, sagte
gegenüber dem ZDF, er sähe die größten inhaltlichen
Übereinstimmungen bei einer sogenannten Jamaika-Koalition aus
CDU/CSU, FDP und Grünen. Aber auch Lindner schloss Gespräche mit
der SPD nicht aus. Bereits zuvor hatte er in der „Berliner Runde“
angekündigt, dass „Grüne und FDP zuerst miteinander reden“.
Alle
Parteien stimmen in den grundlegenden politischen Fragen überein und
unterscheiden sich lediglich in Nuancen. Trotzdem könnte sich die
Regierungsbildung ähnlich wie vor vier Jahren monatelang hinziehen.
Rechnerisch wäre auch eine Fortsetzung der Großen Koalition
möglich, aber vieles deutet darauf hin, dass Deutschland zum ersten
Mal seit den 1950er Jahren von einem Dreierbündnis regiert
wird.
Mit Blick auf die Regierungsbildung mahnte Scholz in der
„Berliner Runde“, nun müsse alles dafür getan werden, „dass
wir vor Weihnachten fertig sind“. Ein „bisschen vorher wäre auch
noch gut“.
Laschet verwies darauf, dass Deutschland 2022 die
G7-Präsidentschaft innehaben werde. Auch deshalb müsse „die neue
Regierung sehr zeitnah ins Amt kommen“ und es einen Abschluss der
Koalitionsverhandlungen „auf jeden Fall vor Weihnachten
geben“.
Die herrschende Klasse treiben vor allem zwei
Entwicklungen. Zum einen fürchtet sie, dass eine längere Phase der
politischen Instabilität den Widerstand in der Arbeiterklasse
eskalieren könnte. Bereits der Wahlkampf war von Streiks und
Protesten für höhere Löhne und sichere und gute Arbeitsbedingungen
geprägt. Die Streiks der Lokführer, Lieferbeschäftigten und
Pflegerinnen und Pfleger sind Bestandteil eines internationalen
Aufschwungs des Klassenkampfs.
Zum anderen duldet der Kampf
für geostrategische und wirtschaftliche Interessen keine Pause. In
seiner Rede bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York
am Freitag machte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD)
deutlich, was eine der zentralen Aufgaben der nächsten
Bundesregierung sein wird. Ganz gleich welcher Couleur wird sie die
Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und
Großmachtpolitik beschleunigen und eskalieren.
Steinmeier
verschütte einige Krokodilstränen über das imperialistische
Debakel in Afghanistan. Nur um dann zu erklären, dass die Politik
der militärischen Interventionen, die ganze Länder zerstört und
Millionen getötet und zu Flüchtlingen gemacht hat, weitergehen
müsse. Er sei „überzeugt: Resignation wäre die falsche Lehre.
Sondern in meinen Augen bedeutet dieser Moment der geopolitischen
Ernüchterung dreierlei für unsere Außenpolitik: Wir müssen
ehrlicher, klüger, aber auch stärker werden!“
Damit meint
Steinmeier vor allem die außenpolitische und militärische Stärkung
Europas. „Deutsche und europäische Außenpolitik“ dürfe „sich
nicht aufs Rechthaben und Verurteilen beschränken. Sondern wir
müssen unseren Instrumentenkasten erweitern – diplomatisch,
militärisch, zivil, humanitär“, erklärte er. „Wir müssen
stärker werden in unseren Möglichkeiten.“ Deshalb investiere auch
Deutschland „in diesen instabilen Zeiten mehr in seine
Verteidigungsfähigkeit.“
Die Arbeiterklasse darf den
Intrigen und Manövern, die jetzt hinter den Kulissen laufen, um die
nächste Regierung des deutschen Imperialismus und Finanzkapitals zu
installieren, nicht tatenlos zusehen. Sie muss unabhängig ins
politische Geschehen eingreifen und den reaktionären Plänen der
herrschenden Klasse ihr eigenes Programm entgegensetzen.
Darin
besteht die Bedeutung des Wahlkampfs der SGP. Wir haben an den Wahlen
teilgenommen, um der Opposition gegen Rechtsruck, Durchseuchung und
Ungleichheit eine Stimme und eine sozialistische Perspektive zu
geben. Dafür haben wir für unsere Landeslisten in NRW und Berlin
1348 Zweitstimmen erhalten und damit etwas mehr als bei der letzten
Bundestagswahl.
Diese Offensive gilt es nun fortzusetzen. In
unserer Erklärung am Vorabend der Wahl schrieben wir: „Der Kampf
für diese sozialistische Perspektive endet nicht am 26. September.
Wir kämpfen um jede Stimme, weil ein starkes Ergebnis für die SGP
ein wichtiges Zeichen gegen Durchseuchung, Ungleichheit und Krieg
ist. Aber die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Arbeiter auf
die bevorstehenden Klassenkämpfe vorzubereiten und die SGP und die
Vierte Internationale als neue sozialistische Führung in der
Arbeiterklasse
aufzubauen.“
https://www.wsws.org/de/articles/2021/09/27/bund-s27.html
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Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/411701.nach-dem-wahltag-zeit-der-zerrei%C3%9Fproben.html
Die junge welt schrieb, hier ein Textauszug:
Zeit
der Zerreißproben
Das
politische Kräftefeld hat sich erneut nach rechts verschoben. Die
Partei, die sich Die Linke nennt, hat ihren Anteil daran.
Von Arnold Schölzel
Die
drei Kanzlerkandidaten führten einen FDP-, also einen »Kapitalismus
ist gut«-Wahlkampf. Gemeinsame Devise war: Armut, Niedriglohn und
Niedrigrenten, Mietkatastrophe oder Pflegenotstand nicht erwähnen,
schon gar nicht vom Afghanistan-Krieg, von Mali oder einem der
anderen 12 Auslandseinsätze der Bundeswehr sprechen – und keinem
Porschefahrer zu nahe treten. Nun entscheidet folgerichtig
Porschefahrer Christian Lindner über den nächsten Kanzler. Das
stand in den sechs Wochen fest, in denen die Wahl stattfand: Wenn
mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten per Brief abstimmen, kann
von einem »Wahltag« keine Rede mehr sein.
Die
Kanzlerbenennung hängt von der FDP ab. Das bedeutet Schlimmes für
alle, die in diesem Land heute schon kaum über die Runden kommen. Es
bedeutet Hoffnung für die Exportquote, das heißt fürs größere
Interesse am Handel und weniger Drang zum Wandel durch Rüstung und
Krieg, für den vor allem Die Grünen stehen. Der FDP-Chef hatte
schon vor Wochen im Bundestag, als die SPD in Umfragen deutlich vor
CDU und CSU lag, im Bewusstsein seiner Macht gesagt: Wer am 26.
September vorn liegt, stellt nicht unbedingt den Kanzler. Seine
Präferenzen für CDU/CSU und Grüne hat er öffentlich benannt,
etwas anderes als sein Votum für »Freund« Armin Laschet wäre eine
Überraschung.
Das aufgeräumte CDU/CSU/FDP-Motto von 1990,
»Eure Armut kotzt mich an«, prägte dennoch nicht den Sonntag
abend. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik bedarf es einer
Vierparteienkoalition, um eine dem Kapital genehme Regierung zu
stellen. Das dämpft die Euphorie. Es signalisiert Verschleiß des
politischen Personals und gegensätzliche Konzepte zum Erhalt der
deutschen Vormachtstellung auf dem Weltmarkt und innerhalb der EU.
Der deutsche Kapitalismus hat enorme Probleme, dort seine Hegemonie
zu behaupten. Die absehbaren Auseinandersetzungen darum werden die
nächste Bundesregierung auf Dauer beschäftigen, ihr Ende vor dem
Abschluss der kommenden Legislaturperiode wäre keine Überraschung.
Von der wachsenden Unzufriedenheit ganz abgesehen.
(...)
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