Donnerstag, 11. März 2021

Symbolisch für Umgang mit DDR-Biographien - junge Welt

 

Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/398163.debatte-um-namen-f%C3%BCr-planetarium-symbolisch-f%C3%BCr-den-umgang-mit-ddr-biographien.html


»Symbolisch für den Umgang mit DDR-Biographien«


Ablehnung des Namens Sigmund Jähn Symptom für Abwertung von Menschen und Errungenschaften. Ein Gespräch mit Katja Müller


Interview: Kristian Stemmler

Katja Müller ist Vorsitzende des Stadtrates von Halle (Saale) und stellvertretende ­Vorsitzende der Fraktion Die Linke

Im Stadtrat von Halle hatte der Antrag Ihrer Fraktion, das neue, noch nicht fertiggestellte Planetarium wie das alte auf der Peißnitzinsel nach dem Kosmonauten Sigmund Jähn zu benennen, keinen Erfolg. CDU, Grüne und AfD stimmten für den Namen »Planetarium Halle«. Sind Sie enttäuscht?

Zumindest bedauere ich die Entscheidung, wenngleich sie als Mehrheitsbeschluss zu akzeptieren ist. Ich denke, es ist ein sehr mutloser Kompromiss und eine verpasste Chance, das Planetarium Halle einfach nur »Planetarium Halle« zu nennen. Eine verpasste Chance ist es vor allem dahingehend, dass man zumindest ein Zeichen hätte setzen können, dass Lebensleistungen, die in der DDR erbracht wurden, in eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur Eingang finden – mehr und differenzierter als in den vergangenen 30 Jahren.

Die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen waren ursprünglich für Ihren Antrag. Wie kam es, dass sie abgesprungen sind?

Das müssen CDU und Grüne in erster Linie selbst beantworten. Eine Rolle spielte sicherlich der Debattenbeitrag der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, der sich für meinen Geschmack sehr reflexhaft gegen den Namen »Sigmund Jähn« für das neue Planetarium aussprach. Reflexhaft in dem Sinne, dass das Etikett »DDR« ausreicht, um Menschen, Leistungen oder Errungenschaften für nicht erinnerungswürdig zu erklären. Grünen und CDU fehlten nach meinem Empfinden der Wille und der Mut, sich für eine differenziertere Betrachtung von DDR-Biographien zu positionieren.

In der öffentlichen Debatte wurde Jähn vorgeworfen, er habe mit der DDR einen »Unrechtsstaat« repräsentiert und sich auch nach 1989 nicht distanziert. Auch sei er inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen, wie sehen Sie Jähn?

Ja, Sigmund Jähn repräsentierte auch einen Staat, in dem auch Unrecht geschehen ist. Dass er sich nach 1989 nicht von einem Staat distanziert hat, der ihm den Flug ins All ermöglicht hat, ist nachvollziehbar und unterscheidet ihn zumindest von Menschen, die nach 1989 ganz schnell die Kurve kriegten und ihr eigenes Leben und Wirken in der DDR verleugneten. Fakt ist auch, dass er die DDR nach 1989 nicht verherrlicht hat.

Die »Stasi«-Vorwürfe grenzten für meine Begriffe an Diffamierung und lassen sich auch nicht belegen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Sigmund Jähn durch sein eigenes Tun und Handeln Menschen geschadet hat. Das ist genau der Punkt. Es darf nicht nur darum gehen, in welchem System oder Staat man gewirkt und gelebt hat. Es muss auch darum gehen, wie man sich innerhalb dieses Systems konkret als Mensch verhalten hat. Dass Sigmund Jähn menschlich sehr integer war, bestreitet niemand.

Sie haben im Stadtrat auf die Kränkungen der in der DDR aufgewachsenen Menschen durch solche Diskussionen und Beschlüsse hingewiesen. Können Sie das konkretisieren?

Die Ablehnung des Namens »Sigmund Jähn« für das Planetarium Halle steht symbolisch für den Umgang mit DDR-Biographien bzw. Leistungen und Errungenschaften, die in der DDR erbracht wurden. Sie steht auch symbolisch für den Umgang mit der Identität und der Erinnerung von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und ihr Leben gelebt haben. Seit 30 Jahren wird vielen Menschen in den neuen Bundesländern das Gefühl vermittelt, dass ihre Erinnerungen, Vorbilder, »Alltagshelden«, unterm Strich ihr Leben, nichts oder nur die Hälfte wert waren. In einer gesamtdeutschen Erinnerungskultur spielen Leistungen, Menschen und Errungenschaften der DDR kaum eine Rolle und wurden in den vergangenen 30 Jahren an den Rand gedrängt und zum Teil auch bewusst getilgt. Auf dem Weg zu einer wirklichen Wiedervereinigung finde ich das kreuzgefährlich.

Welche Möglichkeiten gibt es, Sigmund Jähn im Zusammenhang mit dem Planetarium oder anderen Einrichtungen jetzt noch zu ehren?

Es ist im Moment noch zu früh, um das bereits konkret benennen zu können. Diese Möglichkeiten werden wir aber im Auge behalten und prüfen und ich denke, dass das auch der Wunsch vieler Menschen in Halle und darüber hinaus ist


1 Kommentar:

  1. Die Aussagen der ' Linken ' , dieser Abgeordneten zeigen doch das ganze Dilemma auf. Ein Wischi-Waschi- Bedauern der Entscheidung , ich bitte sie ! Ganz klare 'Siegermentalität' , falsch und verlogen, wie das ganze System. Und wer noch meint, daß eine AfD sich besonders um "Ost"deutsche kümmert, der hat hier den Gegenbeweis... Was für eine Koalition hat sich da in Halle zusammengefunden - cdu/afd/grüne und das vom Stasibeauftragten noch orchestriert !

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