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30 Jahre „Wiedervereinigung“ mit bitterem Geschmack
30 Jahre nach der
Einvernahme der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland scheinen die
Gräben tiefer und nicht flacher zu werden. Diesen Eindruck
vermitteln zumindest jüngste Veröffentlichungen und Erklärungen
von Ostdeutschen und über Ostdeutsche.
von Rainer
Rupp
Erstveröffentlichung am 03.10.2020 auf RT
Deutsch
Heute, am 3. Oktober, feiert das offizielle Berlin 30
Jahre Wiedervereinigung mit vielen Jubiläums-Veranstaltungen,
Ausstellungen, Aktionen und anderen sogenannten Highlights zum Tag
der Deutschen Einheit, die viele Menschen im Osten immer noch als
westdeutsche Besatzung oder Annexion der DDR empfinden.
Dank
Corona werden uns dieses Jahr wenigstens Großveranstaltungen erspart
bleiben, nicht jedoch kitschige Präsentationen – wie das große
schwarz-rot-goldene Herz, das in Potsdam während des Eröffnungstages
der Einheits-Expo in der Ausstellung „Weg zur Einheit“ im
Mittelpunkt von schwarzen, roten und gelben Stoffbahnen die Herzen
der Besucher dazu bringen soll, freudig schneller zu
schlagen.
Allerdings werden auch dieses Jahr wieder Rundfunk
und Fernsehen voll sein mit Versatzstücken aus den pathetischen
Reden unseren Politiker, die das bekannte Süßholz raspeln über
unsere tolle Merkel-Demokratur, über unsere angebliche Freiheit und
die Würde des Menschen, die es angeblich in der DDR nicht gab. Von
den Millionen armer Kinder, die nachweislich derzeit in der
Bundesrepublik Deutschland leben und von denen viele morgens sogar
hungrig zur Schule kommen, weil zu Hause das Geld fehlt, wird keiner
der Heuchler reden.
In der DDR gab es keine armen und erst
recht keine hungrigen Kinder, denn in dem ersten sozialistischen
Staat auf deutschem Boden konnten sie in Würde aufwachsen und in
einem hervorragenden Bildungssystem geistig und körperlich gedeihen.
Das ist nur einer der vielen positiven Aspekte dieser am Ende
verkauften und von Westdeutschen verramschten Republik, die seitdem
von den professionellen Jubiläumsrednern am liebsten permanent im
großen Gedächtnisloch entsorgt würden. Aber die Erinnerungen der
gelernten DDR-Bürger lassen sich nicht so einfach in die Irre
führen. Das zeigte interessanterweise auch ein Beitrag des ZDF vom
28. September 2020 – fünf Tage vor dem Tag der „deutschen
Einheit“ – unter dem Titel „Wir Ostdeutschen“.
Offensichtlich
war es dem Kamerateam nicht gelungen, genug Ostdeutsche zu finden,
die mit der Art und Weise der Einheit – oder des Anschlusses –
zufrieden waren. So kam es, dass vor laufender Kamera fast alle
befragten Ostbürger die Arroganz der personifizierten Westimporte,
die sich im Osten gerne als neue Machthaber aufspielen, verurteilten.
Zugleich erregten sie sich über die bis dahin in der DDR unbekannten
Phänomene, die heute jedoch in der Bundesrepublik zum täglichen
Leben gehören, wie etwa hohe Arbeitslosigkeit, unbezahlbare Mieten,
Ignorieren der Kraft und der Talente der Bürger, Verdrängung von
Ostdeutschen – vor allem der Frauen – aus Führungspositionen,
Nichtanerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen und Abzocke als
nicht strafbares BRD-Geschäftsmodell.
Des Weiteren empörten
sich viele „Ossis“ über die Diskriminierung und Vorverurteilung
von Personen, die der DDR-Staatsmacht „nahestanden“, vor allem
aus den Sicherheitskräften und der NVA. Andererseits erinnerten sie
sich mit einer gewissen Wehmut an die – nunmehr in der
Bundesrepublik – verlorengegangene Menschlichkeit, an die
Solidarität, Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt im täglichen
Leben der Bürger in der DDR.
Aufsehen erregte auch das
Interview, das Peter-Michael Diestel anlässlich dieses 30sten
Jahrestages der Berliner Zeitung am Mittwoch dieser Woche, am 30.
September gab. Diestel, erklärter Gegner der DDR, hatte im Jahre
1990 als letzter Innenminister der DDR die Staatssicherheit samt all
ihrer Organe aufgelöst und für die Umbildung der Volkspolizei und
die friedliche Entwaffnung der gesamten militärischen und sonstigen
halbmilitärischen Strukturen wie Grenztruppen, Kampfgruppen der
Arbeiter, Zivilverteidigung gesorgt. Zum Erstaunen seiner Interviewer
hält Diestel vor allem die HVA, den Auslandsnachrichtendienst der
DDR-Staatssicherheit, auch heute noch für den „fähigsten
Geheimdienst“ seiner Zeit. Der sei „der Champions-League-Sieger“
gewesen, „die bundesdeutschen Geheimdienste waren im Verhältnis
dazu vielleicht so Kreisklasse“. Deshalb sei im Westen „auch der
Hass auf die Stasi so groß“ gewesen, so Diestel.
Heute
arbeitet Diestel als Anwalt. Er nennt die Ausgrenzung seiner
Landsleute in der bundesrepublikanischen Gesellschaft als
„verfassungswidrig“ und verteidigt seine einstigen DDR-Mitbürger
gegen die vielen oft existenzbedrohenden Ungerechtigkeiten, welche
die Okkupation durch den Westen – so bezeichnet er die Vereinigung
– für viele Ostbürger mit sich gebracht hat.
Nachdem 1990
das Volk „die Mauer eingetreten“ habe, sei „dieses schöne,
friedliche Ereignis von Dummköpfen“ aus dem Westen übernommen und
„den Ostdeutschen damit das Selbstbewusstsein genommen worden. Wir
erleben seitdem die Ausgrenzung einer großen Menschengruppe.“ Das
sei „absolut verfassungswidrig“, sagt Diestel und erkläre auch,
warum:
Es gibt unter den 200 deutschen Botschaftern und den
500 Generälen nicht einen einzigen Ostdeutschen. Von 84
Universitäten und Hochschulen in Deutschland wird nicht eine von
Ostdeutschen geleitet. In den ostdeutschen Landeshauptstädten kommen
90 Prozent aller Staatssekretäre, Abteilungsleiter,
Hauptabteilungsleiter aus dem Westen, fast 100 Prozent sind es in
Brandenburg. Nicht ein einziger Ostdeutscher ist in den
Alt-Bundesländern Staatssekretär, Hauptabteilungsleiter, Minister.
Wir haben fünf Oberlandesgerichte, die mit Altbundesdeutschen
besetzt sind. Das ist verfassungswidrig.
Sogar die Nazis,
die sich bei uns im Osten breitmachen, kommen aus dem Westen. Gauland
in Potsdam, Höcke in Thüringen. Alles Leute, die im Westen nichts
geworden sind.
Auch das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden
(OKV) hat sich zum Jahrestag mit einer vernichtenden Stellungnahme
über die traurige Realität in Ostdeutschland 30 Jahre nach dem
Anschluss der DDR an die Bundesrepublik zu Wort gemeldet. Das
Kuratorium fungiert als Zusammenschluss von Vereinigungen und
Organisationen mit dem Tätigkeitsfeld spezifisch ostdeutscher und
anschlussbedingter Thematiken und Arbeitsfelder. Im Juni 1994 wurde
das Kuratorium als Verein eingetragen, der als Hauptziel die
Herstellung der inneren Einheit des deutschen Volkes nennt. Erster
Vorsitzender war damals Peter-Michael Diestel.
In der
aktuellen Erklärung „Für eine bessere Zukunft“ des Kuratoriums
heißt es einleitend:
Vor 30 Jahren trat die DDR der BRD
bei. Viele DDR-Bürger hatten die Illusion, im nunmehr vereinten
Deutschland ein friedliches, freies, gleichberechtigtes und
wohlhabendes Leben führen zu können. Diese Illusion hat sich für
die meisten Bürger nicht erfüllt. Sie sind gestrandet in einem
Gesellschaftssystem der Raffgier und des Geldes. Sie leben in einem
Staat, der Kriege führt, beim Waffenexport führend ist, die EU im
Interesse des Kapitals dominiert, weltweit durch Ausbeutung von
Mensch und Natur Armut erzeugt, Migrationsströme fördert,
Flüchtlinge ertrinken lässt oder in menschenunwürdigen Lagern
ihrem Schicksal überlässt.
Aber als „besonders
schockierend“ empfindet das Kuratorium, dass „wir nun in einem
Staat leben, in dem die Herrschenden Russland und seine führenden
Repräsentanten auf das Übelste verleumden und politisch,
militärisch und wirtschaftlich erpressen.“
Laut Erklärung
will „die Mehrzahl der Bürger der DDR, die sich für eine bessere
Zukunft engagiert hatten, einen solchen Staat nicht. Sie wollen, dass
Frieden, Freiheit und Menschenwürde keine leeren Floskeln bleiben.
Sie werden niemals vergessen, dass die Sowjetunion Deutschland vom
Faschismus befreit und dafür viele Millionen Menschenopfer erbracht
hat. Freundschaft und friedliche Beziehungen mit Russland sind ihnen
ein Herzensbedürfnis. Ebenso freundschaftliche Zusammenarbeit mit
der Volksrepublik China.“ Deshalb fordert das Kuratorium „die
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und
die Aufhebung aller Sanktionen.“
Zugleich habe „die
Virus-Pandemie die Unfähigkeit dieses kapitalistischen
Gesellschaftssystems zur Lösung der wichtigsten Probleme der
Menschheit offengelegt.“ Statt eines Umdenkens soll „mit
ungeheuren ungedeckten Geldsummen erreicht werden, dass die alten,
das Leben auf unserem Planeten bedrohenden zerstörerischen Zustände
wiederhergestellt werden.“
Daher sei eine „grundlegende
Änderung der Lebensweise zwingend notwendig“, eine Lebensweise,
die Schluss mache „mit einer außer Rand und Band geratenen Konsum-
und Vergnügungsgesellschaft, die nutzlose Produkte offeriert und
Massen zur Verdummung durch teuerste „Kultur“- und Sport-Events
auf Straßen, in Hallen und Stadien treibt.“ Stattdessen sein eine
Besinnung auf „eine vernünftige menschenwürdige Lebensführung“
nötig. Dazu gehöre auch, Schluss zu machen „mit der Herrschaft
des Finanzkapitals und seiner Spekulanten, Schluss mit der Schöpfung
von Geld und Reichtum ohne Arbeit; Schluss mit der Ansammlung von
gigantischem Reichtum bei Wenigen und gigantischer Armut bei den
Meisten, weltweit, Schluss mit der Herstellung billigster
Lebensmittel und Konsumwaren und der Ausbeutung von Rohstoffen und
Energien in den ärmsten Ländern unter menschenunwürdigen Arbeits-
und Lebensbedingungen; Schluss mit der Zersplitterung der Produktion
rund um den Erdball, Schluss mit dem sinnlosen Transport von Waren
und Menschen rund um den Globus zu Lande, zu Wasser und in der Luft“
und stattdessen eine Besinnung auf die eigenen Ressourcen und
Möglichkeiten.
Schluss gemacht werden müsste auch mit der
privaten Profitmaximierung durch die „Privatisierung von
Gesundheitseinrichtungen, des Wohnungswesens, von sozialen Diensten,
des öffentlichen Verkehrs, der Energieversorgung, von Bildung,
Kultur und Sport.“ Die Rückführung in staatliches und kommunales
Eigentum, um die Daseinsfürsorge der Bevölkerung zu decken, müsse
das Ziel sein.
Vor allem aber müsse Schluss sein „mit
kriegerischen Abenteuern, der Herstellung und des Exports immer neuer
Rüstungsgüter rund um den Erdball“ durch die
Bundesrepublik.
Zudem betrachtet das Kuratorium mit großer
Sorge, dass die Corona-Pandemie von den Herrschenden dazu
„missbraucht wird, um ein gescheitertes Gesellschaftssystem nicht
nur zu restaurieren, sondern expansiv und gewaltsam rund um den
Erdball zu installieren“. Zugleich sei zu befürchten, „dass die
Bekämpfung der Pandemie zum Vorwand wird, um durch Sparorgien neue
Lasten auf die Bevölkerung abzuwälzen und demokratische Grundrechte
weiter abzubauen.“ Daher ruft das Kuratorium alle Bürgerinnen und
Bürger auf, „sich derartigen Bestrebungen öffentlich zu
widersetzen.“
Die Erklärung und die Liste der
Erstunterzeichner kann am sogenannten „Tag der Einheit“, dem 3.
Oktober, auf der Webseite des OKV (www.OKV-ev.de) eingesehen werden.
[siehe auch Download-Link unten]
Rainer Rupp ist Mitglied
des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
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