»Wir wissen, was da alles kaputtgeschlagen wurde«
30 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD erinnert ein Verein an verlorene Errungenschaften. Ein Gespräch mit Ringo Ehlert
Interview: Kristian Stemmle
Bereits vor sechs Jahren haben Sie mit einem Großtransparent für Schlagzeilen gesorgt.
Ja, das war
der Anfang. Wir waren damals ein spontaner Zusammenschluss von Leuten
aus verschiedensten Zusammenhängen – Gewerkschaft, linke Gruppen
bis zur Linkspartei. Am 25. Jahrestag der Grenzöffnung haben wir
2014 Widerspruch gegen die staatlichen Jubelfeiern, dieses
Riesentheater der Bourgeoisie mit Bratwurst und Ballons, erhoben –
mit einem Riesentransparent auf dem Alex. Damals stand dort: »Diese
Grenze wurde aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg
ziehen.« Es war 50 Meter lang und 1,70 Meter hoch. Wir haben dort
eine Mahnwache abgehalten, 24 Stunden am Tag da gestanden, auch die
kalten Nächte, und sind mit den Menschen ins Gespräch über die DDR
gekommen. Wir haben damals unheimlich viel Zuspruch bekommen. Viele
haben uns gedankt, dass endlich einmal auch jemand eine andere
Sichtweise auf die Straße bringt.
Wie ging es weiter?
Wir
gründeten einen gemeinnützigen Verein und benannten ihn nach dem,
was uns zusammenführte: die DDR, das unentdeckte Land. Uns geht es
darum, das Wissen um die DDR als antifaschistisches Korrektiv ans
Licht zu bringen, das tief unter dem Müll bundesdeutscher
»Aufarbeitung« begraben liegt.
Wie man am hiesigen
Fernsehspielfilmangebot dieser Tage wieder sehen kann, besteht die
Geschichte der DDR für viele vor allem aus fiesen Stasi-Offizieren,
Schikanen im Alltag und Fluchtversuchen mit dem Fesselballon.
Das
ist doch Mumpitz aus der antikommunistischen Mottenkiste. Es werden
immer dieselben Klischees und Lügen vorgetragen, von der
zahlungsunfähigen DDR, von einem Volk, das nur aus Stasi-Tätern und
Stasi-Opfern bestand. Da ist die Wissenschaft in der BRD schon viel
weiter, wie man mit einem Blick in Nachschlagewerke feststellen kann.
Im Zuge der Vorbereitung dieser Ausstellung haben wir einen Berg von
Büchern durchgearbeitet. Und jetzt haben wir das Wissen, um sagen zu
können, was da alles kaputtgeschlagen wurde.
Was war die
DDR für Sie?
Ich komme aus den Reihen der FDJ. Nach der
sogenannten Wende habe ich den Kriegsdienst mit der Begründung
verweigert, für die NVA hätte ich gedient, für die Bundeswehr aber
nicht. Für mich ist die größte Errungenschaft der DDR die
demokratische Umwälzung und die Entnazifizierung. Die Volkskammer
war der erste Ort in der deutschen Geschichte, an dem – unter
Ausschluss von Nazis und Kriegstreibern – auch Gewerkschafter,
Leute vom Land, Frauen und Jugendliche organisiert mitwirken konnten.
Die Existenz der DDR garantierte, dass so etwas wie im Zweiten
Weltkrieg, so etwas wie der Holocaust nie wieder geschehen
konnte.
Natürlich war nicht alles Gold. Deshalb sagen wir ja:
Die DDR war nicht besser, sie war anders. Für Menschen, denen ein
toller großer Fernseher das Wichtigste ist, war die DDR vielleicht
nicht das Richtige – wem das Wohl der Kinder wichtiger war, dass
der Frieden gesichert war und es keine Nazis auf den Straßen gab,
für den schon. In der DDR gab es zum Beispiel eine einheitliche
Sozialversicherung unter Verwaltung der Gewerkschaft. Davon hatte die
Arbeiterbewegung mehr als hundert Jahren geträumt.
Für
Sie ist dieser Sonnabend demnach kein Feiertag?
Nein. Seit
der sogenannten Wiedervereinigung sind ein paar hundert Leute von
Faschisten ermordet worden, das Land führt wieder Krieg, Nazis
sitzen im Bundestag, und es gibt soziale Not an allen Ecken und
Enden. Da gibt es nichts zu feiern.
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