Freitag, 9. Oktober 2020

71. Jahrestag - DDR in der deutschen Geschichte - sascha313

 

Entnommen: https://sascha313.wordpress.com/2016/02/17/die-ddr-in-der-deutschen-geschichte/

Zu Ehren des 71. Jahrestages der DDR: Karl Eduard von Schnitzler

Karl Eduard von Schnitzler und Marta Rafael: Ein Rückblick – Die DDR in der deutschen Geschichte.

Veröffentlicht am 17. Februar 2016 von sascha313


Wenn man zurückblickt auf die deutsche Geschichte, so wird später vor allem ein Abschnitt unauslöschlich in Erinnerung bleiben – und zwar in äußerst positiver Hinsicht: die Geschichte der DDR! Wer könnte besser darüber referieren als der langjährige, brillante und scharfzüngige Fernsehkommentator der DDR, der Kommunist Karl-Eduard von Schnitzler. In diesem, einem seiner letzten Beiträge umreißt er vierzig unvergängliche und unvergessene Jahre deutscher Geschichte. Was für viele Spätergeborene unverständlich sein mag, nämlich daß man dieses vielgescholtene und vielgeschmähte Land lieben konnte, und daß dies auch noch ein Adliger tat, zeugt von seiner besonderen Bedeutung. Die DDR, so schrieb Schnitzler, war „das Beste, was in der Geschichte den Deutschen, den Völkern Europas und der Welt aus Deutschland widerfahren ist!“


Die DDR in der deutschen Geschichte

von Marta Rafael und Karl-Eduard von Schnitzler


Wir waren kürzlich aufgefordert, zwei Jubiläen zu begehen: Die Gründung der BRD und die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Jubiläum kommt von „jubilieren“ – oder umgekehrt. Worüber sollen wir jubilieren? Daß die DDR zugrunde ging? Darüber später. Die DDR ist so wenig „ehemalig“ wie das Kaiserreich oder die Weimarer Republik. Für sie gilt merkwürdigerweise kein „ehemalig“. Aber wir werden sehen. Sollten wir darüber jubeln, daß in der Adenauer-Regierung des ersten deutschen Nachkriegsstaates mehr Nazis saßen als in der ersten Hitler-Regierung vom Januar 1933? Daß die Konzerne, Monopole und Banken, die Hitler die Regierungsgewalt – nicht etwa die Macht! – in den Schoß gelegt hatten, weiterbestehen (offen oder getarnt) und neue Macht besitzen und ausüben – gleichgültig, ob die Kanzler Kohl oder Schröder heißen?

Die Deutsche und die Dresdner Bank, die Commerz- und Privatbank oder/und Krupp, Flick, Thyssen, AEG, Wintershall, Bosch, Portland, IG Farben, Norddeutscher Lloyd, Rheinmetall – sie alle und noch viele mehr und ihre Nachkommen haben Hitlers Krieg betrieben und an ihm verdient, haben die Hochrüstung in Gang gesetzt (schon vor Hitler!), den Krieg geführt, andere Völker ausgeplündert, Konzentrationslager installiert und an ihnen verdient wie am Holocoust – und nun haben sie ganze 5 Milliarden Mark im Angebot, die sie auch noch von der Steuer absetzen können, den Rest zur Summe von 10 Mrd. gibt der Staat, die Allgemeinheit, dazu – zu dem, was sie „Wiedergutmachung“ nennen. Sie sind wieder der Staat im Staate.

Über all das jubilieren?? Oder über die Staatsoberhäupter? Heuss, der im März 1933 im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zustimmte – alle Gewalt für den Faschismus und gegen das Volk! Oder Heinrich Lübke, der für Himmler KZs baute! Oder Carstens, einst Verbindungsmann zwischen Ribbentrops Außenministerium und Goebbels Reichspropagandaministerium! Oder Weizsäcker, der in Hamburg das Gift Agent Orange entwickeln ließ, mit dem dann die amerikanischen Übermenschen in Vietnam Wälder und Kinder, Frauen, Männer, Alte und Junge, ja auch eigene Soldaten vergiften ließen! Alles Oberhäupter des Staates, den es nun zu bejubeln galt!? Oder 2.300 Namen von Bonner Staatsfunktionären – von Globke, Adenauers Schreibtischmörder an Juden, bis zu Kiesinger, v. Eckardt, Oberländer, Grebe und Fränkel oder 1.118 Namen von hohen Justizbeamten, Staatsanwälten und Blutrichtern, bei denen heutige Nachkommen gelernt haben, was „Recht“ ist (Völkerrecht und Strafrecht).

Bis zu den 520 Diplomaten, Botschaftern und Konsuln – eins im Dienste des Hitlerschen, nun des heutigen Auswärtigen Amts (warum sollten sie auch den Namen dieser Repressionsbehörde ändern)! 300 hohe und höchste Polizeischergen der Faschisten in der Bonner Polizei und im Amt für Verfassungsschutz (nun natürlich nach Berlin, ihrem alten Standort, zurückgekehrt)! 180 Admirale und Generale die Hitlers verbrecherischen Krieg führten, in die Bundeswehr überwechselten und dann ihren Nachwuchs ausbildeten! Allesamt mitverantwortlich für Hitler und Himmler, für Faschismus über Europa, für Kriege und Vernichtungslager. Kein Wunder, daß sie bei Antifaschismus ROT sehen und all ihren Haß aussondern. Über die jubilieren? Das ist ja wohl nicht das Deutschland geworden, das Bertolt Brecht sich gewünscht hat – 1947 mit seiner Kinderhymne…

Armut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.


Ein solches Deutschland ist nur auf einem Drittel deutschen Bodens etwas geworden – zwischen Oder und Elbe. Und dessen Ziel und Inhalt hat Johannes R. Becher 1949 besungen, und wir erhoben es vor 50 Jahren nach der Melodie von Hanns Eisler zur Nationalhymne.

Alte Not gilt es zu zwingen,
und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,
daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland!
Alle Welt sehnt sich nach Frieden!
Reicht den Völkern Eure Hand!

Wenn wir brüderlich uns einen
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint!


Dieses Motto – zur Staatsdoktrin erhoben – wird unsterblich sein in der deutschen Geschichte – unauslöschlich – wie jene unbesiegliche Inschrift, die Bertolt Brecht in seinen Svendborger Gedichten zu jener Parabel erhob:

Zur Zeit des Weltkriegs in einer Zelle des italienischen Gefängnisses San Carlo, voll von verhafteten Soldaten, Betrunkenen und Dieben, kratzte ein sozialistischer Soldat mit Kopierstift in die Wand:

HOCH LENIN! Ganz oben, in der halbdunklen Zelle, kaum sichtbar, aber mit ungeheuren Buchstaben geschrieben. Als die Wärter es sahen, schickten sie einen Maler mit einem Eimer Kalk, und mit einem langstieligen Pinsel übertünchte er die drohende Inschrift. Da er aber mit seinem Kalk nur die Schriftzüge nach fuhr, stand oben in der Zelle nun in Kalk: HOCH LENIN!

Erst ein zweiter Maler überstrich das Ganze mit breitem Pinsel, so daß es für Stunden weg war, aber gegen Morgen, als der Kalk trocknete, trat darunter die Inschrift wieder hervor: HOCH LENIN!

Da schickten die Wärter einen Maurer mit einem Messer gegen die Inschrift vor. Und er kratzte Buchstabe für Buchstabe aus, eine Stunde lang, und als er fertig war, stand oben in der Zelle, jetzt farblos, aber tief in die Mauer geritzt, die unbesiegliche Inschrift: HOCH LENIN!

Jetzt entfernt die Mauer! sagte der Soldat.


Mit der „Entfernung“ der Mauer ist es nicht getan – weder im italienischen San Carlo, noch in Berlin. Nicht nur der Name LENIN ist nicht aus der Geschichte zu entfernen, noch der Name des ersten deutschen Friedensstaates „DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK“. Wir wollten immer ein einheitliches antifaschistisches demokratisches Deutschland – wie Bertolt Brecht es beschrieben hat: Vor dem „die Völker nicht erbleichen“ und „nicht über und nicht unter anderen Völkern“, weil wir es „verbessern“ wollten. Das ist uns nicht gelungen. Heute steht das alte GROSSDEUTSCHLAND wieder, dem immer wieder der Schreckensschrei in Europa vorausging: die Deutschen kommen! Und es reicht wieder von Polen bis an die Grenzen Dänemarks, Hollands, Belgiens, Frankreichs, Österreichs und der Schweiz. Und da sind weder „Anmut“ noch „Verstand“ am Werk. Ist es nicht so: Erst mußte die Mauer weg – dann, zweitens – die Deutsche Demokratische Republik, damit – drittens – wieder eine deutsche Regierung Soldaten ins Ausland schicken und – zunächst in Jugoslawien – Krieg führen konnte? Alles unter tatkräftiger Hilfe deutscher Außenminister wie Genscher und Fischer, deutscher Innen- und Kriegsminister wie Kinkel und Scharping?

Denn wir hatten – mit sowjetischer Hilfe – einen Staat geschaffen, der das Potsdamer Abkommen verwirklichte und aus den Ruinen des Hitlerreiches und der Banken und Monopole und deren Krieg einen Staat, der allen Völkern die Hand reichte und dafür angetreten war, daß nie mehr eine Mutter ihren Sohn beweint! Den ersten Staat auf deutschem Boden, der FRIEDEN zum Regierungsprogramm erhoben hat! Solange er existierte, durfte keine deutsche Regierung es wagen, das Wort KRIEG auch nur in den Mund zu nehmen – oder gar im Fernsehen! So lange es die Deutsche Demokratische Republik gab, gab es keinen Krieg von deutschem Boden aus! Das alles weist dieser Deutschen Demokratischen Republik einen hervorragenden, nicht auszulöschenden Platz in der deutschen Geschichte zu!

„Die Deutsche Demokratische Republik war das Beste, was in der Geschichte den Deutschen, den Völkern Europas und der Welt aus Deutschland widerfahren ist!“ Mit diesem Satz begann ich 1993 mein Buch „Provokation“. Und man ließ sich provozieren! Von A bis Z, von ARD über BILD; SPIEGEL und STERN bis ZDF heulten sie auf, weil ich in Erinnerung zu rufen gewagt hatte, daß der erste Staatspräsident dieses verruchten Staates, Wilhelm Pieck, den Satz geprägt hatte, den Walter Ulbricht aufgriff und Erich Honecker zur innen- und außenpolitischen Maxime erhoben hatte: VON DEUTSCHEM BODEN DARF NIE WIEDER KRIEG AUSGEHEN! Eine „Aufarbeitung der Geschichte“ – wenn es denn offiziell so etwas gäbe – bräuchte die DDR nicht zu scheuen. Aber sie war nur ein deutscher Teilstaat.

Was Europa, Afrika und Vorderasien im Ablauf der Geschichte immer wieder zu fürchten hatten, ihnen Zerstörung, Leichenfelder und Unterdrückung gebracht hatte – es war in der Neuzeit stets von einem einheitlichen Deutschland ausgegangen, von einem REICH: Dem Kaiserreich und dem Großdeutschen Reich. Deshalb könnte eine „Aufarbeitung der Geschichte“ nicht auf die Deutsche Demokratische Republik beschränkt bleiben und nicht auf die Zeit von 1949 bis 1989 (und schon gar nicht auf „Mauer“ und „Stasi“): Sie muß im Spiegelsaal von Versailles beginnen und bei Bismarck.

Ein „Erstes Reich“, das Hitler wieder heraufbeschwören wollte, hatte tausend Jahre gewährt. Es war in Wahrheit ein Flickenteppich gewesen. Duodezfürsten, Herzöge und vorgeblich blaublütige Landadelige: Jeder hatte sein Ländle, seine Residenz, seine Hofräte und Minister, seine Bankiers und Soldaten, die er den Kaisern und Königen verkaufte – gegen Geld, als Söldner für deren Raubzüge. Sie alle machten das „Reich“ arm, lebten von Leibeigenschaft und Fron und wollten mit Grenzen und Zöllen die deutsche Kleinstaaterei verewigen.

Die Bildung des deutschen Nationalstaates, des „Zweiten Reiches“, war historisch längst herangereift. Und die Schaffung nationaler Einheit sei dem „eisernen Kanzler aus dem Sachsenwald“ als Verdienst unbenommen. Unfreiwillig diente Bismarck dem gesellschaftlichen Fortschritt. Aber er schuf die deutsche Einheit mit Blut und Eisen. Um Preußens Vorherrschaft in Deutschland zu sichern, boxte er zunächst Österreich aus dem deutschen Nationalverband hinaus (heute sind es – vorerst – nur unverbesserliche Neonazis, die von Wien, München und anderen Städten aus öffentlich die „Vollendung der deutschen Einheit“ durch Beitritt Österreichs zur Bundesrepublik fordern – Haider und Stoiber marschieren im Geiste mit). Dann mußte Fürst Bismarck noch Bayerns König bestechen, damit dieser dem Hohenzollern-Kaiser Wilhelm I. zustimmte. Dänemark und Frankreich mußten besiegt werden. Und mit seinen „Sozialistengesetzen“ bescherte Bismarck Zehntausenden von Sozialdemokraten gesellschaftlichen Verruf („Landesverräter“), Berufsverbote, sozialen Abstieg, Polizeiverfolgung, Justizwillkür und Haft. Mit besonderem Haß wurden Arbeiterführer wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht verfolgt.

Die Herren der Ruhr entfesselten mit ihren Ludendorffs, Hindenburgs und Hohenzollerns ihren ersten Anlauf zur Teilhabe an der Weltherrschaft. Denn sie waren zu spät gekommen, andere hatten längst ihren Nationalstaat, die Welt war aufgeteilt. Woher also nehmen, wenn nicht stehlen? Stehlen aber bedeutete Krieg. Die sozialdemokratischen Führer stimmten den Kriegskrediten zu (damals hießen sie noch nicht Schröder, Scharping oder Verheugen, sondern Ebert, Scheidemann und Noske). Einzig Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg stimmten dagegen. Sie wurden ins Gefängnis geworfen. Und als die Deutsche Revolution den Krieg beendet und Ludendorff und den Kaiser ins Exil getrieben hatte, wurden Karl und Rosa von führenden Sozialdemokraten dem reaktionären Freicorps zur Abschlachtung freigegeben. Wer hat da wohl Geschichte aufzuarbeiten?

Die Weimarer Republik – fernab von Berlin und dem Ruhrgebiet, weit weg von störenden Arbeitern – in Weimar gegründet (analog zur „alten“ BRD im Universitätsstädtchen Bonn) – die Weimarer Republik diente von 1919 bis 1933 der ideologischen, ökonomischen und militärischen Restauration des gerade geschlagenen deutschen Militarismus und war im Grund nichts anderes als der Übergang vom Kaiserreich zu Hitlers Großdeutschland, dem „Dritten Reich“. Sie war arbeiterfeindlich im allgemeinen, kommunistenfeindlich im besonderen. Die Arbeiterklasse, ihre Parteien und linke Intellektuelle verschenkten ihre wachsende Stärke, indem sie sich gegenseitig zerfleischten – nicht ohne Einfluß der Totalitarismus-Doktrin, Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen auf allen Seiten: Sozialdemokraten gleich „Sozialfaschisten“, Kommunisten gleich „rotlackierte Nazis“ (schon damals gab es diese Schumacher-Formulierung), „rot gleich braun“ etc.

Trotz starker linker Parlamentsfraktionen blieben Reichstagsmehrheit, Staatsapparat mit Justiz, Polizei, Reichswehr, Bildungswesen und Medienmehrheit allem „Linken“ gegenüber feindselig. Die private Aneignung der Produktionsmittel wurde nicht angetastet, Eigentums- und Machtverhältnisse nicht in Frage gestellt: eine funktionierende bürgerliche „Demokratie“. Als das dann nicht mehr so recht funktionierte, wurde ein Hitler gesucht, in München gefunden, in Düsseldorf aufgebaut (hätte kein Hitler zur Verfügung gestanden, hätte man einen anderen gesucht und gefunden). Viele enttäuschte, suchende, irregeführte Deutsche wurden mit der Macht der Wirtschafts- und Medienpolitik gegen ihr eigenes Interesse manipuliert. Hitler legte man die Regierungsgewalt in den Schoß.

Das „Dritte Reich“ begann mit der Köpenicker Blutwoche und der Reichstagsbrandstiftung. Dann brannten – nicht ohne politische, diplomatische und finanzielle Beihilfe westlicher „Demokratien“ zur Stützung des antikommunistischen, antisowjetischen Hitlerregimes – Bücher, Häuser, Dörfer, Städte, Menschen in West- und Osteuropa. „Blitzkriege“ und „Blitzsiege“ zunächst. Aber man setzte auf das Kriegsziel, das Hitler schon 1924 seinem Sekretär Rudolf Heß diktiert und in seinem einzigen Buch festgeschrieben hatte, sein Ziel, das er 1931 und 1932 im Düsseldorfer Industrieclub den Herren Deutschlands, auf seinem Obersalzberg, in Bad Godesberg, auf dem Petersberg und dann in München den wohlgesonnenen Herren der westlichen Welt vorgetragen hatte: die verhaßte Sowjetunion auszulöschen – aus Angst, das böse Beispiel könne Schule machen.

Vor Leningrad und Moskau, schließlich endgültig an der Wolga, wurde Hitlers Europa-Armee zum Stehen gebracht. Die Schlacht im Kursker Bogen leitete ihre Vernichtung ein. Auf den Seelower Höhen ging der zweite Anlauf deutscher Imperialisten zur Weltherrschaft im europäischen, vor allem sowjetischen und deutschen Blutmeer unter – in Rauch, Schutt und Schande. Die Sowjetunion vor allem hat den Krieg gewonnen. Den Kalten Krieg und den Frieden hat sie verloren. Was hat mit diesem Geschichtsablauf die Deutsche Demokratische Republik zu tun?

Die aus Ruinen auferstandene Alternative verendete. Aber ihre Wurzeln reichen – einmal abgesehen von Spartakus-Aufstand und Bauernkriegen, von der Revolution 1848 und der Pariser Commune – tiefer als bis Karlshorst, wo die Wehrmacht des deutschen Imperialismus kapitulieren mußte, tiefer auch als bis nach Nürnberg, wo Kriegsverbrecher aller Funktionen in mehreren Prozessen vor Gericht gestellt werden mußten und zum kleineren Teil freigesprochen wurden (etwa Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, Finanzier Hitlers und des Krieges; oder Fritsche, Goebbels Sprachrohr und Endsieg-Einpeitscher), während man einige Prokuristen der Nazipartei Politiker und Militärs hinrichtete oder zu Freiheitsstrafen verurteilte, die nach Druck aus Washington, London und auch aus Bonn (Adenauer verwandte sich persönlich für die Verbrecher) nach kurzer Zeit freigelassen wurden, so mein Vetter Baron Kurt von Schröder, Bankier in Köln, der schon in den zwanziger Jahren Gelder der Ruhrindustrie sammelte und Hitler finanzierte und in dessen Wohnung in Köln-Lindental am 4. Januar 1933 die Begegnung Hitler – v.Papen inszeniert wurde, aus der die erste Nazi-Regierung am 30. Januar 1933 hervorging; oder mein Vetter Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied des IG-Farben-Konzerns, er war in Nürnberg angeklagt wegen seiner Mitschuld an der Produktion von Zyklon B und seiner profaschistischen Funktion als Verkaufsdirektor des Konzerns; beide zu Kavaliersstrafen verurteilt, beide nach kurzer Zeit entlassen – in allen Ehren und als mehrfache Millionäre verstorben.

Bevor in Schröders Kölner Villa die Modalitäten der Machtübernahme an Hitler ausgehandelt wurden, hatte der Kölner Bankier – wie er unter Eid im Nürnberger Prozeß aussagte – sich „mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft“ besprochen: „Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde… Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus… Ein weiteres gemeinsames Interesse war der Wunsch, Hitlers wirtschaftliches Programm in die Tat umzusetzen.“

Natürlich konnte ein Reichskanzler Hitler keinen Schritt außerhalb des Rahmens der staatsmonopolistischen „Ordnung“ tun. Die Gesamtheit seiner anachronistischen Ideologie, Politik und Militärdoktrin entsprach dem Imperialismus in seiner abenteuerlichsten, aggressivsten und brutalsten Erscheinungsform: dem Faschismus. Es hat immer zwei Deutschland gegeben. Das Deutschland der Fürsten und Feudalherren, und das Deutschland Thomas Münzers, der Bauern und Leibeigenen – und nichts von einer „Einheit der Nation“, sondern Knechtschaft und Mord. Das Deutschland der Kapitalisten und ihrer Bismarcks und Hohenzollern – und das Deutschland der Arbeiter, der Sozialdemokraten, der Marx und Engels, Wilhelm Liebknechts und August Bebels – und nichts von „nationaler Gemeinsamkeit“, sondern Polizisten und Richter, Sozialistengesetze und Verleumdung als „vaterlandslose Gesellen“.

Das Deutschland der Krupps und ihrer Hindenburgs und Ludendorffs – und das Deutschland des Spartakus und Karl Liebknechts, Rosa Luxemburgs und Clara Zetkins, und nichts von „nationaler Einheit“, sondern Staatsterror und Konterrevolution, Fememord und blutige Reaktion. Das Deutschland schließlich des Monopolkapitals und seines Hitler – und das Deutschland Ernst Thälmanns und Thomas Manns, der deutschen Kommunisten und Humanisten, und statt „Einheit der Nation“ Verfolgung, Gefängnis, Nächte klirrender Scheiben und langer Messer, Konzentrationslager, Illegalität, Emigration, Krieg nach innen und außen. Erst in der Deutschen Demokratischen Republik sollte diese ewige Spaltung der Nation überwunden, sollte die Einheit hergestellt werden zwischen Volk und Macht, Geist und Macht. Das ist uns nur zu Beginn und nie zur Gänze gelungen.

Das bedauern heute auch manche, die vor 10 Jahren die DDR mit ihren Anfängen und Erfolgen abschaffen wollten – mit Kerzen und Gebeten, im Schutz der Kirche und vermittels Montags-Demonstrationen. „Das haben wir nicht gewollt!“, meinen 10 Jahre später manche. Nun ist die Blockade des öffentlichen Bewußtseins ein wenig gelockert, schlimme Erfahrungen werden zum Alltagserlebnis, böse kapitalistische Beispiele beginnen zu schrecken, und gute sozialistische Erfahrungen kehren langsam ins noch etwas gelähmte Gedächtnis zurück, Verklemmungen lockern sich und die Denkfähigkeit beginnt sich – trotz des Medienimperialismus – allmählich wieder zu regen: Das haben wir nicht gewollt!

Man hätte es wissen können. Aber Warner waren „Sudeler“, die Führung verharrte in Bewegungslosigkeit und der Medienimperialismus verpestete die Luft und Atmosphäre. Man wollte an nichts mehr glauben, und da waren Denk-Hindernisse: West-Bananen, West-Milch, West-Kartoffeln, West Autos, West-Mark und West-Reisen-„Traumreisen“. Und alles mußte teuer bezahlt werden, ZU teuer!

Es sind nicht „die Mühen der Ebene“, von denen Bürgerrechtler ein- und überholt, gläubige CDU-Wähler getäuscht, Genossen „überrascht“ und in Zweifel gestürzt und nicht wenige – NICHT ALLE! – zu Korkenzieher-Drehungen ihrer Hälse verleitet wurden.

Luxusrestaurationen von Innenstädten, häßlichste „Sky Lines“ der „Citys“, bunte Schaufenster, neue Kirchendächer, Golfplätze, trinkgelderwartende Hände für simpelste Dienstleistungen, Opel-Wimpel statt roter Fahnen oder Hammer und Zirkel, sattes Warenangebot und leere Portemonnais, keine Arbeit, aber BILD-Zeitung, Super-Illu, Kurier und ähnliches (mit zu hartem Papier für angemessenen Gebrauch), eine Inflation von Nachrichten, aber keine ernsthaften Informationen (jede langweilige Aktuelle Kamera hatte mehr Informationswert), Einheitsfernsehen auf niedrigstem Niveau, statt einer vorgeblichen „Vielfalt“ die Einfalt, Talkshow-Gelaber mit immer denselben „Experten“, die Moderatoren wechseln – im Gegensatz zu den Themen, Fragen und „Experten“, dazu Preis-Quiz für Klippschüler mit Preisen für Nicht-Wissen, Reisen, Gardinen, Rasierapparaten und Toaströstern. Dazu Verrohung, Brutalisierung, Anleitung zum Diebstahl und Kinderschändung, Vergewaltigung und Mord. Und dazu Arbeitslosenhilfe und Obdachlosenheime. Krankheit kann man sich nicht leisten – so wenig wie die für die Gesundheit notwendige Medikamente. Familien werden zerstört, Alter wird zur Bürde, zur untragbaren Last. Die Frau wird um ihre Würde gebracht und um ihr Selbstbestimmungsrecht, Jugend um ihre Zukunft, Kinder um Krippen, Hort und Garten. Dafür Bürokratismus wie noch nie, Ämter, Beamte, Banker, Versicherungs- und Miethaie. Zwischenmenschliche Beziehungen, Wärme im Umgang mit Mitmenschen – alles weg, denn alles muß sich rechnen!

Schon 1871 – nach der Gründung des Zweiten Reiches, hatte Georg Herwegh geschrieben:

„Ein Amboß unter einem Hammer
geeinigt wird Altdeutschland stehen
Dem Rausche folgt eine Katzenjammer
daß Euch die Augen übergehen.“

Es ist nackter, brutaler, hundsgemeiner Kapitalismus, der die „Ossis“ ausnimmt, wo es nur geht, sie zu unerwünschten Personen in Deutschland macht, zu Deutschen zweiter und dritter Klasse. „Das haben wir nicht gewollt“!?

Wir Kommunisten schon gar nicht. Aber wir haben wohl den Kapitalismus, den Feind!, zu leicht genommen – und uns für zu stark gehalten. Vor lauter kapitalistischen Fehlleistungen, Mißwirtschaft und Systemgebrechen des Feindes, der sich 40 und mehr Jahre als solcher verhielt, übersahen wir eigene Versäumnisse, Fehler und Fehlentwicklungen, ließen uns zu Überreaktionen verleiten und mißachteten das Kräfteverhältnis – zu Lande, zu Wasser und im Äther. Eigentlich hätten wir an die Spitze der Bürgerrechtsbewegungen gehört – wenigstens anfangs, solange viele ihrer Mitläufer eine attraktivere DDR wollten – also ehe sie vom Verfassungsschutz und Langzeitagenten mit Bundesfahnen geschmückt als DDR-Volk abdankten und ein Volk mit dieser BRD sein wollten.

Angekommenen, aber enttäuschte Bürgerrechtler tragen nun gebündelten Weltschmerz, und der führt – trotz gewaltiger, von Gefühlen überlasteter Rhetorik – rückwärts und mündet im fassungslosen „Das haben wir nicht gewollt“ (oder auch im blinden, gedächtnislosen Haß).

Aber mich erfüllen auch einige Haltungen in den eigenen Reihen gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik mit Sorge. Gregor Gysis Aufruf zum 7. Oktober: „Nun müssen AUCH ANDERE MAUERN FALLEN“. Oder Lothar Biskys „Kurzformel“, man wolle sich „am 7. Oktober freundlich-kritisch erinnern“. Nur „freundlich“, aber „kritisch“? Und nur „erinnern“?

Die ewige Fragestellung WAS HABEN WIR FALSCH GEMACHT? stellt Proportionen auf den Kopf und verleitet zum Verzicht auf die unverzichtbare Differenzierung. WAS HABEN WIR RICHTIG GEMACHT? – so wird ein Schuh draus! War etwa die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik falsch – kein „Wendepunkt in der Geschichte Europas“? NIE WIEDER KRIEG VON DEUTSCHEM BODEN!: Das war ja wohl etwas Neues, Erstmaliges in der deutschen und europäischen Geschichte! Von Wilhelm Pieck über Walter Ulbricht bis zu Erich Honecker war es unsere STAATSDOKTRIN! Erich Honeckers Verurteilung der Atomwaffen als TEUFELSZEUG entsprach ja wohl dem Menschheitstraum des ewigen Friedens. Was war – bitteschön – erst: Die endgültige Beseitigung der Grenzprobleme mit Polen, der Schlußstrich unter eine Jahrhunderte alte, verhängnisvolle Fehlentwicklung mit unseren Verträgen mit Polen und den Namen Otto Grotewohl und Joszef Cyrankiewicz – und mit der Tschechoslowakei – oder Herrn Brandts später, heuchlerischer Kniefall in Warschau – wenn auch fernsehwirksam?

War die Demokratische Bodenreform – seit den Bauernkriegen und der Revolution von 1848 Forderung deutscher Demokraten und sogar eines Papstes – ein Fehler? Sie war ein revolutionärer Akt, ihre Beseitigung demnach konterrevolutionär. Nahmen wir mit der Bodenreform nicht zugleich übelsten deutschen Kriegsherren ihre Macht? Und gaben Landarbeitern, Knechten und Umsiedlern Land und Boden? Die revolutionäre Bildungsreform ohne Rücksicht auf die Herkunft und Geldbeutel der Eltern: Ein Fehler? Die Gesundheitsreform – kostenlos und mit Polikliniken – ist das heute vielleicht kein schöner Traum? Wir haben durch Volksentscheide und freie Wahlen Naziaktivisten und Monopolherren ihre zusammengeraubten Betriebe auf revolutionäre Weise genommen und dem Volk und seinem Staat zugeführt: Wer will das falsch nennen – außer natürlich den Betroffenen und ihren Nachkommen, die heute Konterrevolution betreiben und Volkseigentum als ihr „Eigentum“ zurückfordern und das DDR-Volk bestehlen?

Daß wir Nazilehrer und -professoren von Schulen und Universitäten entfernten und einer nützlichen Friedensarbeit im Uranbergbau zuführten – war das vielleicht falsch? Vornehmlich Arbeiter zu Neulehrern und Juristen auszubilden (und manche mögen zunächst Blume mit „h“ geschrieben oder nur eine Handvoll Paragraphen gekannt haben: aber sie sprachen Recht und lehrten Richtiges, fürs Leben Unverzichtbares – und wahre Geschichte!) Kein einziger Blutrichter an unseren Gerichten und kein Staatsanwalt à la Freisler. Wie richtig und unverzichtbar das war, sehen wir heute: Am Beispiel Irmgard Jendretzky und an den Rachefeldzügen der Bundes-Justiz an Repräsentanten und Hoheitsträgern des sozialistischen Staates, der Mitglied der UNO war und von 130 Staaten unserer Erde als souveräner Rechtsstaat anerkannt. Da waren die Reformen der Länder, Städte und Gemeinden – mit ihrer Übersichtlichkeit (übrigens nach dem Beispiel der französischen Revolution). Oder die Herstellung der vollen Gleichberechtigung der Frauen und Mädchen, die Festschreibung der „Rechte der jungen Generation“ alles Fehler?

Wir haben die Einheit der Arbeiterklasse geschaffen! Mit Zwang? Jawohl! Es war der Zwang der Geschichte, aus dem größten Versäumnis dieses Jahrhunderts Konsequenzen zu ziehen und den Schwur von Buchenwald zu erfüllen: Aus der Spaltung der Arbeiterklasse deren Einheit! Die Einheitsgewerkschaft hatte im Parlament eine eigene Fraktion, Sitz und Stimme – wie es sich für eine VOLKSKAMMER geziemt. Wir haben auf der Grundlage von Volksentscheiden den Demokratischen Block der Parteien geschaffen und durch freie Wahlen eine Verfassung, die fortschrittlicher war als jede andere Verfassung in Europa – angelehnt an die Weimarer Verfassung (weil wir doch immer ein einheitliches, antifaschistisches, demokratisches Deutschland wollten). Und wir haben antifaschistische Traditionen geschaffen und gepflegt und in ihrem Sinne unsere Jugend erzogen; wir haben sie vertieft, vermittelt und gegen Geschichtsfälscher geschützt! Wir haben antifaschistische Helden geehrt und als Vorbilder gepflegt. Wir hatten keine Arbeitslosen und keine Wohnungslosen. Welches Menschenrecht, das grundsätzliche – haben wir nicht verwirklicht?

Bis heute gibt es auf der Welt keinen wissenschaftlich, staatlich und ökonomisch entwickelten Sozialismus, aber wir haben die richtige Richtung eingeschlagen und die Grundlagen des Sozialismus gelegt. Wissenschaft ohne Meinungsstreit, ohne Experimente, Niederlagen und Fortschritte gibt es nicht. Marx und Engels waren Marxisten, weil sie ihr Wissen und die Ergebnisse ihrer Forschungen zeitlebens zu bessern und politisch umzusetzen suchten und in diesem Prozeß Neues fanden. Bei uns in der DDR wurde gestritten: Im Betrieb (wo heute keiner mehr den Mund aufzureißen wagt), in der Schule (wo die Lehrer oft einen schweren Stand hatten), in der Redaktion (wo es oft lange dauerte, bis dieser oder jener Kommentar zustande kam – jedenfalls bis Achim Herrmann Sekretär wurde), in den Ausschüssen der Volkskammer (bis man sich geeinigt, oft zusammengerauft hatte und dann das Erreichte gemeinsam im Plenum vertrat – da war kein Bundestags-Showkampf), am Stammtisch wurde gestritten und gemeckert (wo war da die „ständige Stasi-Überwachung“? Ich erinnere an den Ost-Witz: Die DDR hatte 32 Millionen Einwohner, 16 Millionen Täter und 16 Millionen Opfer…), kämpferisch gestritten wurde im Politbüro wenigstens zu Ulbrichts Zeiten, unter Honecker wurde dann allerdings meist abgenickt, gestritten wurde bei BFC Dynamo (wo nicht Erich Mielke das letzte Wort zum Sonnabend hatte, sondern der Trainer).

Wir hatten in den Betrieben gewählte Konfliktkommissionen, die viele Delikte, die vor ein Gericht gehört hätten, innerbetrieblich lösten. Das „Gesetzbuch der Arbeit“ (heute für die Werktätigen wie ein Märchenbuch zu lesen) wurde vom 9. FDGB-Kongreß beraten und beschlossen, ehe der Entwurf der Volkskammer zur Beschlußfassung zugeleitet wurde, es gab natürlich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, „immer saß“, so der DGB-Vorsitzende Otto Brenner, „bei Tarifverhandlungen der westlichen Tarif„partner“ als unsichtbarer Dritter die Deutsche Demokratische Republik mit am Tisch, es gab den gewählten, sehr gewichtigen Elternbeirat. Es gab – nun haben wir längst nicht alles, aber genug gehört zum „Demokratie-Defizit der DDR“ – es gab die Diktatur des Proletariats: Sie bedeutete die höchstentwickelte Demokratie für die Werktätigen und – schlag‘ nach bei Marx – ein „unumgängliches Stadium beim Übergang von der kapitalistischen ‚Demokratie‘ zur sozialistischen Gesellschaft.“

In der DDR ging es – wenn wir an die COMECON-Liste denken, die NATO-Staaten vorschrieb, was alles nicht in die DDR geliefert werden durfte, wenn wir an den Kalten Krieg denken und die nachlassenden und verteuerten Öllieferungen aus der Sowjetunion – in der DDR ging es bescheiden, aber gerecht zu. Eine klaffende Schere zwischen Arm und Reich gab es nicht. Es gab auch keine unberechtigten Privilegien.

Was hat der Medienimperialismus aus diesem sozialen Rechtsstaat gemacht, der der formalen bürgerlichen ‚Demokratie‘ eine zeitgeschichtliche Epoche voraus war: Den UNRECHTS-STAAT! Diese vierzigjährige permanente Verleumdung spukt sogar in den Köpfen einiger Genossen bei uns herum, und sie glauben, sich beim Klassenfeind „entschuldigen“ zu müssen. Aber auch in die Reihen westdeutscher Genossen ist sie eingedrungen. Ich habe es selbst in Betriebsratsversammlungen in Hamburg, bei Diskussionen an Universitäten wie Münster, Trier und Göttingen und, bis zu meiner Erkrankung, in Dutzenden Versammlungen der PDS, der DKP und von linken Buchhandlungen organisiert, erlebt, wie Genossen – Opfer ihrer Medien und aus Unkenntnis – die DDR und die SED beschuldigten, sie „verraten“ zu haben, den „Zusammenbruch des Sozialismus verschuldet“ zu haben; und nun wolle man nichts mehr wissen von den „geschulten Genossen aus Berlin und Leipzig, Rostock und Karl-Marx-Stadt“.

Natürlich haben Arbeiter, haben Werktätige im Westen andere Erfahrungen im Klassenkampf als wir. Im Westen haben sie den Klassenkampf empfindlich am eigenen Leibe zu spüren bekommen: Im Betrieb, mit der Polizei, dem Verfassungsschutz, der Bonner Gesetzgebung, der Justiz, der Desinformation durch die Medien (da können wir allerdings ein Lied mitsingen, und ich konnte mit meinem „Kanal“ nur sehr begrenzt hilfreich sein; auch gab es gewisse Gebote der Nichteinmischung unseres staatlichen Fernsehens – das rechne ich übrigens zu den schweren Fehlern). Dazu kam die Hetze gewisser SPD- und DGB-Funktionäre.

Wir – Grenze an Grenze mit dem aggressiven Klassenfeind und einer Frontstadt Westberlin mittendrin – mußten den Kampf mit staatlichen Mitteln führen (und haben dabei gewiß oft überreagiert). Wir spürten den Kampf kaum am eigenen Leibe (außer unsere Grenzer und die Genossen der Staatssicherheit). Unsere Antwort war: Produktionsleistungen – Wehrbereitschaft – Solidarität. Und immer im Feuer überlegener hemmungsloser Feindpropaganda (die von manchen unterschätzt wurde), einer psychologischen Kriegführung, die mit ständiger Einmischung, ständigen Lügen und Verleumdungen jede Schwäche der DDR ausnutzte, jeden Fehler (und wer macht auf Neuland keine Fehler?), jede notwendige Maßnahme, die wir oft genug genügend begründeten.

Der Philosoph Hans Mayer, den wir törichterweise aus Leipzig weggeekelt haben, schreibt in einem Buch: „Man darf kein Ding, auch keinen Staat, von seinem Ende her beurteilen und bewerten, sondern zu nächst einmal von seinem Anfang.“

Wenn wir so an die Deutsche Demokratische Republik herangehen, dann bleiben von einem Meter des Zollstocks 95 Zentimeter Erfolge, Leistungen, Fortschritte von historischem Ausmaß. Und ganze fünf Zentimeter, was wir hätten anders machen sollen oder falsch gemacht haben (und da sind noch nicht einmal die jeweiligen Umstände dabei, die uns dieses oder jenes erlaubt oder nicht erlaubt haben). Deshalb bin ich bei der Fehlersuche für die Beachtung der Proportionen. Und dann muß noch das Differenzieren hinzukommen, die Beachtung historischer und aktueller Zwänge. Unsere Verbündeten waren keine reichen Amerikaner, sondern kriegsgebeutelte Russen, die mitten in ihrem Aufbruch vom Bastschuh zum Lederstiefel überfallen worden waren. Und was hatten sie Anfang der zwanziger Jahre in Angriff genommen: Ein Armenhaus mußte alphabetisiert werden, elektrifiziert und industrialisiert, die Landwirtschaft kollektiviert, das schier endlos weite Land zum Staat geeint, zur einzigen sicheren Bastion ausgebaut werden gegen den Weltimperialismus und seinen deutschen Faschismus. Und das alles nach Bürgerkrieg, Interventionskriegen, Konterrevolution, Aggression im fernen Osten, Hitlerkrieg!

Mit ihren Schwächen und Fehlern müssen sich unsere Genossen im Osten selbst auseinandersetzen. Und sie haben ja damit begonnen. Uns verbietet enge Freundschaft, Befreiung, die Millionen das Leben kostete, Witwen und Waisen, trotzdem freundschaftliche Hilfe – uns verbietet die unauslöschliche deutsch-sowjetische Freundschaft jede Kritik an der Sowjetunion Lenins und Stalins.

Aber ist die DDR an ihren Fehlern und Schwächen zugrunde gegangen?

Würde sie – die Frage muß erlaubt sein – in einem untadeligen, chemisch reinen sozialistischen Zustand heute noch existieren? Hat die Konterrevolution nicht erst in Polen, Ungarn, Budapest und dann erst in Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei und ganz zuletzt erst in der DDR gesiegt? Diese Frage erfordert ein erheblich ehrlicheres, gründlicheres wissenschaftliches Herangehen an das Problem, als es die heutigen „Historiker“, „Experten“, „Wissenschaftler“, Klugscheißer bis hinunter zu den Weisen aus dem Abendland der Journalistik sich erfrechen.

Nicht weil wir Schwächen gehabt und Fehler gemacht haben, wurden wir in den weltweiten Klassenkampf einbezogen (und haben ihn zunächst einmal mitverloren), sondern weil wir das Schlimmste verkörperten, was sich der deutsche Imperialismus vorstellen kann: Auf deutschem Boden ein sozialistischer Staat, die Deutsche Demokratische Republik! Daß wir da waren, daß wir existierten – das war zuviel! Sie mußte weg! Mit allen Mitteln der Politik, der Außenpolitik, des Wirtschaftskrieges, des verdeckten Krieges, des Medienterrors und – anders als in der CSSR, in Polen, in der Sowjetunion und den anderen – mit derselben Sprache und breitgefächerten Verwandtschaften, mit Beziehungen hinüber und herüber.

Trotzdem gibt es keine „ehemalige DDR“. Trotz alledem! (Man sagt ja auch nicht „ehemalige Weimarer Republik“ und nicht „ehemaliges Kaiserreich“ oder gar „ehemaliges Großdeutschland“.) Das hätten sie gern!

Als wir schon verlassen und verraten waren, kamen sie über uns: Bundestagsabgeordnete aller Parteien fielen über die „Brüder und Schwestern“ her. Sie wußten nicht, wo Riebnitz oder Reichenbach lagen, aber sie kamen mit Mercedes und BMW, mit Apfelsinen und Bananen (die sie uns jahrzehntelang vorenthalten hatten – und die unsere Kinder nicht gekannt hätten, wenn es nicht Alexander Schalck-Golodkowski gegeben hätte), sie kamen mit Westmark und dem Versprechen blühender Landschaften und daß es keinem schlechter gehen werde. Und so inszenierten sie – die Herren aus Bonn – in der immer noch souveränen DDR ihre „ersten freien Wahlen“ und fanden eine willige Volkskammer und gefügige Runde Tische. Und musterten Häuser, die sie besetzten und Bauten, die sie abrissen, um Banken, Versicherungen, Einkaufscenter – und Arbeitsämter zu bauen. Und brachten Bürger der Deutschen Demokratischen Republik – was sage ich: Bürger des „Beitrittsgebietes“ um ihr Eigentum, viele um wohlverdiente und erarbeitete Rente, um ihre Würde und ihren Stolz auf das, was sie in 40 schweren Jahren erarbeitet hatten – trotz alledem! Und das sollte gefeiert werden, das sollte ein „Tag der Einheit“ sein? Das soll man „freundlich und kritisch betrachten“? Wohlgemerkt: Ich wünsche mir nicht die Deutsche Demokratische Republik zurück.

Die Geschichte ist weitergegangen. Und sie wird weitergehen. Wir haben dafür zu sorgen, daß sie nicht so weitergeht, wie sie zur Zeit in Bewegung ist. Brutaler, räuberischer, unmenschlicher Kapitalismus kann nicht die letzte Antwort der Geschichte sein! Die Antwort kann nur SOZIALISMUS lauten. Der fällt nicht vom Himmel. Er will erkämpft sein, und das ist ein langer Prozeß. Aber wann wollen wir damit anfangen – wenn nicht jetzt!

Verzagen?

„Man muß sich möglichst nüchtern, klar und anschaulich Rechenschaft darüber ablegen, was wir eigentlich ‚zu Ende geführt‘ haben und was wir nicht zu Ende geführt haben. Der Kopf wird dann frisch bleiben, es wird weder Übelkeit noch Illusionen noch Verzagtheit geben.“ Der das im Februar 1922 geschrieben hat, hieß Wladimir Iljitsch Lenin. Und erfuhr in seinem Brief fort: „Als rettungslos verloren müßte man diejenigen Kommunisten bezeichnen, die sich einbilden wollen, daß man ohne Fehler, ohne Rückzüge, ohne vielmaliges Neubeginnen des nicht zu Ende Geführten und des falsch Gemachten solch ein weltgeschichtliches ‚Unternehmen‘ wie die Vollendung des Fundaments der sozialistischen Wirtschaft zu Ende führen könnte. Diejenigen Kommunisten aber, die weder in Illusionen noch in Verzagtheit verfallen, die sich die Kraft und die Geschmeidigkeit des Organismus bewahren, um beim Herangehen an die überaus schwierige Aufgabe ‚von Anfang zu beginnen‘, sind nicht verloren!“

Auf DDR-Deutsch: Auf deutschem Boden wird der siegreiche Sozialismus unauslöschbare, unbesiegliche Züge der Deutschen Demokratischen Republik tragen – trotz alledem! (Starker, lang anhaltender Beifall)

Marta Rafael, Karl-Eduard von Schnitzler,
Eichwalde


aus: Offensiv (Hrsg.): Auferstanden aus Ruinen, Über das revolutionäre Erbe der DDR, Hannover Januar 2000. http://www.offen-siv.net/Lesenswertes/auferst.pdf


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