Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/384743.eigene-hand.html
Kommentar
Eigene Hand
Belarus und deutsche Außenpolitik
Von Arnold Schölzel
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am
Mittwoch: Mehr als 50 Millionen Euro für die Nichteinmischung in
Belarus
So sieht es also aus, wenn »wir unser Schicksal wirklich
in die eigene Hand nehmen müssen« (Angela Merkel 2017). Das heißt
ja: Washington lässt »uns« etwas von der Leine. Entsprechend sieht
es dort, wo die eigene Hand waltet, aus: Krieg, Chaos, Instabilität,
Nationalisten und Faschisten auf dem Vormarsch und wirtschaftlich ein
einziger Reibach fürs Kapital. Man nennt das
Imperialismus.
Ergebnisse: Die Balten sind zumindest fast
wieder »unser«, nachdem sie schon dabei waren, US-Exklave zu
werden. Litauen und Polen erfüllen ihre Pflicht, »westliche Werte«
in Belarus einzuführen, wobei von Wahlen geredet wird, nicht von
Privatisierungen. Die sind aber der Opposition dort und Banken hier
besonders wichtig.
Auch außerhalb des eigenen Hinterhofs sind
»wir« wieder wer, schaut auf den Außenminister: Macht in Moskau
auf dicke Hose und droht mit neuen »Reaktionen«. Das mörderische
Regime im Libanon hat sich selbst weggesprengt, »wir« besorgen,
dass sich nichts ändert. Außerdem ist der Regime-Change im
Nachbarland Syrien noch nicht vollzogen, obwohl die Bundesluftwaffe
seit Jahren dort illegal fliegt. Und fegt in Mali ein Volksaufstand
eine Marionette Macrons und Merkels weg, dann sind »wir« nicht
amüsiert. Mit echten Aufständen konnten »wir« noch nie etwas
anfangen. Die Malier sind einfach zu weit gegangen.
Da ist
Belarus anders. Dort wurden »wir« gefragt und sagen daher: Die
Wahlen sind ungültig. Und: Das ist keine Einmischung in innere
Angelegenheiten. Die einmischende Nichteinmischung finanziert Frau
von der Leyen gleich noch mit mehr als 50 Millionen Euro.
Die Herrschaften haben also Appetit bekommen, zögern
aber, weil sie sich an Belarus die Finger verbrennen können. Doch,
das wiegt schwerer, der Osten lohnt sich einfach – zum Enteignen.
Das fing 1990 mit dem Verschlucken der DDR gut an. Es brachte den
größten und schnellsten Wohlstandsschub für Westdeutschland seit
1945. Und auch sonst ist es ein guter Schnitt. Der polnische
Ministerpräsident rechnete gelegentlich der EU-Budget-Beratungen im
Februar in der Welt vor: »Jeder Euro, der für Kohäsionspolitik in
den Ländern der Visegrad-Gruppe, also in Polen, Ungarn, Tschechien
und der Slowakei, ausgegeben wurde, brachte Österreich 3,31 Euro,
Deutschland 1,50 Euro und den Niederlanden 1,45 Euro.« Deutscher
Wohlstand kommt nicht von allein, da müssen Hunderte Milliarden Euro
Jahr für Jahr abgesogen werden. Die Ukraine wurde so in sechs Jahren
zu einer Industriewüste, dasselbe droht nun Belarus. Mit NATO-Waffen
ist die Region bereits vollgestopft, deutsche Soldaten sind vor Ort –
es ist fast wie in »unseren« Kolonien Afghanistan, Kosovo oder
Mali. Könnte ja sein, auch in Osteuropa bricht ein echter Aufstand
aus. Diese Krise findet jedenfalls an einem Pulverfass, das die NATO
gefüllt hat, statt. Es ist eine Vorkriegskrise.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen