Sonntag, 9. August 2020

Schurkenstadt Sassnitz - Reinhard Lauterbach, jW



US-IMPERIALISMUS


Schurkenstadt Sassnitz


Pipelineprojekt »Nord Stream 2«: US-Senatoren drohen Betreiber von Ostseehafen mit Sanktionen. Verhaltene Reaktion aus Berlin


Von Reinhard Lauterbach


Drei US-Senatoren haben der Betreibergesellschaft des Hafens von Sassnitz mit »vernichtenden Sanktionen« gedroht. In einem Schreiben, aus dem die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Freitag zitierte, erklären die Senatoren Edward Cruz, Thomas Cotton und Ronald Johnson, die Tatsache, dass von Sassnitz aus Vorbereitungen für die Fertigstellung der Ostseepipeline »Nord Stream 2« getroffen würden, mache den Hafen zum potentiellen Ziel von US-Maßnahmen. »Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführern, Aktionären und Mitarbeitern« drohten dann Einreiseverbote in die USA und das Einfrieren von Bankkonten und anderem Eigentum in den Vereinigten Staaten. Außerdem würde dann US-Staatsbürgern verboten, »mit dem Hafen Sassnitz zusammenzuarbeiten«. Die Fährhafen Sassnitz GmbH als Betreiber gehört zu 90 Prozent der Stadt Sassnitz und zu zehn Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern.

Derzeit liegen im Hafen von Sassnitz zwei russische Verlegeschiffe für Unterwasserrohre: die »Akademik Tscherski« und die »Fortuna«, außerdem ein Wohnschiff für geschätzt 140 Personen. Im zu Sassnitz gehörenden Fährhafen Mukran – in den 1980er Jahren angelegt, um eine direkte Verbindung zwischen der DDR und der Sowjetunion unter Umgehung Polens zu ermöglichen – liegen die mit Beton ummantelten Röhren, die für »Nord Stream 2« vorgesehen sind. In dem Schreiben der US-Senatoren heißt es, Auslöser für mögliche Sanktionen wäre der Moment, wenn »das erste Rohr ins Wasser taucht«.

In Deutschland löste der neuerliche US-Vorstoß scharfe Kritik aus – allerdings nur von Politikern aus der zweiten Reihe. So schickte Außenminister Heiko Maas (SPD) seinen Stellvertreter Niels Annen vor, der die Initiative im Handelsblatt als »völlig unangebracht« kritisierte. Maas selbst äußerte sich nicht. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), nannte die Drohungen von Cruz und Co. gegenüber dem Tagesspiegel »absolut inakzeptabel«. Deutschland könne selbst entscheiden, woher und auf welchem Weg es seine Energie beziehe. Sie erwarte von der Bundesregierung, »dass sie diesen Erpressungsversuchen entschieden entgegentritt«, so Schwesig. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, Klaus Ernst (Die Linke), nannte den Drohbrief der Senatoren »an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten«. Er warf der Bundesregierung vor, es bisher bei verbalen Protesten belassen zu haben. Nun sei der Moment gekommen, zum Beispiel Strafzölle auf US-Flüssiggas zu verhängen.

Mit ähnlichen Drohungen, wie er sie jetzt gegenüber der Hafengesellschaft von Sassnitz geäußert hat, hatte Cruz Ende 2019 das niederländisch-schweizerische Rohrverlegungsunternehmen »All Seas« genötigt, sich aus der Arbeit an der Pipeline zurückzuziehen. Allerdings zeigt die jetzige Situation auch den entscheidenden Unterschied auf: Eine deutsche Stadt und ein deutsches Bundesland betreiben keine internationalen Geschäfte. Sie sind nicht darauf angewiesen, Büromaterial oder Mobiltelefone aus den USA zu beziehen, geschweige denn, Konten bei US-Banken zu unterhalten. Sollten als Antwort etwa die Microsoft-Lizenzen für die PCs in Schweriner Ministerien gekündigt werden, würden sich die USA ins eigene Fleisch schneiden. Insofern spricht einiges dafür, dass die Drohungen der drei Senatoren in Wahrheit ziemlich leer sind und die Autoren versuchen, dies mit demonstrativer Großmäuligkeit zu überspielen



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