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Ökonomie und
Übergangsgesellschaft
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 24. AUGUST 2020 ⋅ 2
KOMMENTARE
von Hanns Graaf
– https://aufruhrgebiet.de
Marx ging bezüglich des
Übergangs zum Kommunismus von mehreren Prämissen aus: 1. meinte er,
dass die Voraussetzung jeder tiefgreifenden gesellschaftlichen
Umgestaltung im Interesse des Proletariats und der werktätigen
Massen die Enteignung der großen Privatkapitale und die Zerschlagung
des bürgerlichen Staatsapparates seien, die mit der Ergreifung der
administrativen (Staats)macht im Zuge der proletarischen Revolution
erfolgen. 2. würde nach der Revolution kein Kommunismus oder
Sozialismus entstehen, sondern zunächst eine Übergangsgesellschaft
(Diktatur des Proletariats, Arbeiterstaat), die – obwohl sie
historisch der kommunistischen Gesellschaftsformation angehört –
dem „eigentlichen“ Kommunismus vorgelagert ist. Diese
Übergangsgesellschaft weist sowohl Elemente der kapitalistischen und
sogar vorkapitalistischen Gesellschaft auf, als auch solche, die
schon auf den Kommunismus verweisen. In den „Randglossen zum
Gothaer Programm“ schreibt Marx dazu: „Zwischen der
kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die
Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der
entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts
andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des
Proletariats“.
3. gingen Marx und Engels davon aus, dass der
Staat im Kommunismus abgestorben sein wird, d.h. also, dass dieser
Prozess schon vorher begonnen haben muss. 4. wird betont, dass es
nicht nur darum ginge, eine gerechtere Gesellschaft zu errichten, die
einen höheren Wohlstand garantiert – eine Art „perfekter
Sozialstaat“ -, sondern darum, nach und nach eine völlig andere
Produktionsweise zu etablieren, in der nicht „fremde Mächte“ –
sei es „der Markt“, der Privateigentümer oder der Staat –
bestimmen, die den Menschen zum Anhängsel, zum untergeordneten,
unterdrückten und ausgebeuteten Faktor degradieren und ihn somit an
der Entfaltung seiner Persönlichkeit, seiner Fähigkeiten und
Bedürfnisse hindern. Marx fasste diese Stellung des Menschen im
Kapitalismus mit dem Begriff der „Entfremdung“. Die Idee der
Aufhebung dieser Entfremdung zieht sich wie ein roter Faden durch
sein gesamtes Schaffen.
Eine andere, nach-kapitalistische
Ökonomie kann aber nicht eine reine Utopie, ein ökonomischer Garten
Eden sein; sie kann nur davon ausgehen und von den Elementen bestimmt
sein und zugleich über sie hinausgehen, die bereits im Kapitalismus
entwickelt oder in Keimform vorhanden sind. In den „Randglossen“
sagt Marx: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische
Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage
entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der
kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung,
ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen
der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.“
Das
bedeutet, dass in der Übergangsgesellschaft auch in der Wirtschaft,
v.a. am Beginn, verschiedene Eigentumsformen, Planprinzipien neben
Marktmechanismen usw. koexistieren. Allerdings ist diese Koexistenz
keine Harmonieveranstaltung, weil diese verschiedenen Elemente
gegensätzliche Klasseninteressen und wirtschaftliche Mechanismen
repräsentieren; vielmehr handelt es sich um einen Kampf zwischen
ihnen. Es ist eine Einheit von Widersprüchen.
Wie erfolgreich
sich ein Arbeiterstaat entwickelt, hängt also davon ab, inwieweit es
dem Proletariat gelingt, diese widersprüchliche Struktur zu managen
und dabei die kommunistischen Elemente gegenüber den alten
Strukturen immer weiter durchzusetzen, was auch internationale
Ausweitung der Revolution bedeutet. Es handelt sich hier um einen
unerhört tiefgreifenden, umfangreichen Reformprozess und nicht um
einen einmaligen abrupten Akt. Der einzig revolutionäre Akt ist die
Machtergreifung des Proletariats und die Zerschlagung des
bürgerlichen Staatsapparats und dessen Ersetzung durch ein
Rätesystem, alle anderen Maßnahmen sind Reformen.
Ein Grund
dafür, warum die Umgestaltung der Ökonomie wie der Gesellschaft
insgesamt nur als Prozess und nicht als einmaliger Kraftakt erfolgen
kann, liegt darin, dass es zwar leicht ist, eine ökonomische
Struktur zu zerstören, jedoch viel schwerer, eine neue zu
etablieren. Denn eine neue Produktionsweise wird keineswegs nur durch
die Eigentumsfrage geprägt, sondern durch eine Vielzahl
interagierender Produktionsverhältnisse und durch das Niveau der
Produktivkräfte – der wissenschaftlich-technischen wie des
Proletariats. Der entscheidende Faktor dabei, die Arbeiterklasse als
Hauptproduzentin und Hauptkonsumentin, muss sich zudem auch erst
viele jener Fähigkeiten aneignen, die sie benötigt, um eine
alternativ-kommunistische Wirtschaft zu beherrschen.
Egal, wie
schnell es gelingt, den Arbeiterstaat oder ein System von
Arbeiterstaaten auszuweiten und die Weltrevolution voran zu treiben –
immer sind es zunächst nur Inseln in einem Meer von Kapitalismus;
sie werden sich daher für eine eher längere als kürzere Zeit mit
dem Kapitalismus messen und sich gegen ihn behaupten müssen. Damit
dies gelingt, müssen neben den langfristig angelegten Veränderungen
im sozialen Gefüge v.a. auch Sofortmaßnahmen getroffen werden, um
sich ökonomisch behaupten und eine neue Entwicklungsdynamik in Gang
setzen zu können. Dazu gehört z.B. der Abbau unproduktiver
Strukturen, der sofort zu einem Anstieg der gesamtgesellschaftlichen
Arbeitsproduktivität führt.
Marx´
Programm
Schon im „Kommunistischen
Manifest“ von 1848 skizziert Marx, wie dieser wirtschaftliche
Reformprozess aussehen könnte: „Das Proletariat wird seine
politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach
alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den
Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten
Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte
möglichst rasch zu vermehren. Es kann dies natürlich zunächst nur
geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht
und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln
also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber
im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel
zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.
Diese
Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern
verschieden sein. Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch
die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:
1.
Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu
Staatsausgaben.
2. Starke Progressivsteuer.
3. Abschaffung des
Erbrechts.
4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und
Rebellen.
5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats
durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem
Monopol.
6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des
Staats.
7. Vermehrung der Nationalfabriken,
Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller
Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.
8. Gleicher
Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders
für den Ackerbau.
9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und
Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des
Unterschieds von Stadt und Land.
10. Öffentliche und
unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit
der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der
materiellen Produktion usw.
Sind im Laufe der Entwicklung die
Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den
Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die
öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt
im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur
Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die
Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution
sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse
gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit
diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des
Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene
Herrschaft als Klasse auf.“
Bemerkenswert ist hier einmal,
dass nirgends davon gesprochen wird, dass das Privateigentum sofort
in Gänze enteignet werden soll. Marx erwähnt hier nur die
Enteignung von “Emigranten und Rebellen“, des Grundeigentums
sowie jener Bereiche, die als gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen
entscheidend sind: Verkehr, Steuern, Kredit, Erbrecht. Heute kämen
sicher noch Großbanken, Großkonzerne, das Kommunikationswesen, die
Forschung und der Energiesektor hinzu. Bemerkenswert ist weiter, dass
nirgends von einer Staatswirtschaft die Rede ist. Marx spricht vom
Staat als dem “als herrschende Klasse organisierten Proletariat“.
Die Produktion soll „in den Händen der assoziierten Individuen
konzentriert“ sein. Hätte er einen „separaten“ Staatsapparat,
eine Staatswirtschaft oder ein Staatseigentum gemeint, hätte er das
auch gesagt. Selbst beim Transportwesen, das „in den Händen des
Staats“ liegen soll, ist zu bedenken, dass es sich hier nicht um
einen Bereich der materiellen Produktion handelt, sondern um ein
Service-Unternehmen, das – schon aufgrund seiner technischen
Spezifik – eine Zentralisierung erfordert.
Die Frage, wie
oder wie schnell das Kapital enteignet werden kann oder soll, ist nur
scheinbar eine rhetorische oder formale. Dahinter verbirgt sich
vielmehr das Problem, dass der bürgerliche wirtschaftliche
Mechanismus nur insoweit zerstört, ersetzt, verändert oder
überwunden werden kann, wie das Proletariat in der Lage ist, einen
anderen Mechanismen an dessen Stelle zu etablieren.
In
„Grundsätze des Kommunismus“ schrieb Friedrich Engels dazu: Die
„Revolution des Proletariats wird also nur allmählich die jetzige
Gesellschaft umgestalten und erst dann das Privateigentum abschaffen
können, wenn die dazu nötige Masse von Produktionsmitteln
geschaffen ist.“ Und weiter: „Alle diese Maßregeln (der
ökonomischen Umgestaltung, d.A.) können natürlich nicht mit einem
Male durchgeführt werden.“
Wie wir sehen, gingen Marx und
Engels keineswegs davon aus, dass das Privateigentum schnell, quasi
auf einen Schlag enteignet werden müsse. Vielmehr betonten sie den
prozesshaften Charakter der Entwicklung und betrachteten die
Eigentumsfrage im Zusammenhang mit anderen Produktionsverhältnissen
und der gesamten Produktionsweise.
Russische
Erfahrungen
Die Bolschewiki verfolgten ab 1917 eine Politik, die
stark dadurch gekennzeichnet war, schnell und radikal alles zu
zerstören, was „bürgerlich“ war oder schien und an dessen
Stelle staatliche Strukturen zu installieren. So wurden z.B. die
traditionellen privaten Handelsstrukturen zerstört, doch es gelang
nicht, neue Strukturen, die auch nur annähernd funktionierten, zu
schaffen. Ähnlich sah es beim Steuerwesen aus. Die Folge waren
einerseits die Verschlimmerung des wirtschaftlichen Chaos´ sowie
massiver Widerstand etwa von den Bauern. Gerade die Agrarpolitik –
erst der Bolschewiki, dann unter Stalin – mit ihrem permanenten
Kampf gegen die Mittelbauern untergruben (nachdem schon die Großgüter
des Adels enteignet worden waren) die landwirtschaftliche
Produktivität und den Output dramatisch. Es zeigte sich, dass für
einen schnellen Aufbau eines modernen Agrarsektors sowohl die
materiellen Grundlagen als auch die subjektive Reife und Bereitschaft
der Bauernschaft fehlten. Immerhin reagierte Lenin ab 1921 auf diese
Misere mit der NÖP und der Erweiterung des privatwirtschaftlichen
Spielraums v.a. im Agrarbereich richtig, während Stalins späterer
Hasardkurs der Zwangskollektivierung so unnötig wie katastrophal
war.
Was auf die Eigentumsfrage zutrifft, gilt auch für die
Beziehungen und Regularien zwischen den Wirtschaftssubjekten, den
Betrieben. Regieren im Kapitalismus das Privatinteresse, der Mark und
die Konkurrenz, bestimmt in der proletarischen Ökonomie eine
demokratische Planung, welche die Interessen der assoziierten
ProduzentInnen und KonsumentInnen formuliert. Es wäre jedoch fatal
zu glauben, man könne auf einen Schlag die Marktbeziehungen
abschaffen und stattdessen einen Gesamtplan installieren. Genauso ist
es beim Geld und der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Auch hier
können Veränderungen nur schrittweise erfolgen. Der Stalinismus,
der in dieser Hinsicht aus dem Bolschewismus unter Lenin hervorging
und dessen Strukturen und viele Verfahrensweisen übernahm, ist ein
Beispiel dafür, wie eine von der Realität abgehobene Bürokratie
und Politikaster-Clique die Wirtschaft bestimmte und mit ihrer
voluntaristischen Politik oft mehr Schaden als Nutzen anrichtete.
Hier wird deutlich, wozu es führt, wenn die Relation zwischen dem
Notwendigen und dem Möglichen bei der Umgestaltung nicht beachtet
wird und diese entlang willkürlicher ideologischer und politischer
Prämissen „zurechtgebogen“ wird.
Das
Proletariat
Der entscheidende subjektive Faktor in allen sozialen
Prozessen in der Übergangsgesellschaft ist natürlich das
Proletariat. Die Etablierung dieser oder jener ökonomischen Struktur
ist von vielen Bedingungen abhängig, jedoch ist nur das Proletariat
jene soziale Kraft, die imstande und bereit ist, die Gesellschaft
grundsätzlich umzuwälzen. Gerade Marx wies auf diese besondere
Qualität der Arbeiterklasse hin. Insofern geht es in der
Übergangsphase v.a. darum, die Arbeiterklasse einerseits dafür zu
qualifizieren, ihre neue Subjektrolle in der Gesellschaft wahrnehmen
zu können und ihr auch die Möglichkeiten zu geben, diese in der
Praxis umzusetzen. Wird diese Subjektwerdung gestört oder behindert,
indem anstelle der direkten Verfügung des Proletariats über
Wirtschaft und Gesellschaft eine „äußere Gewalt“ an dessen
Stelle tritt oder sich dazwischen schiebt, wird die proletarische
Umgestaltung be- oder verhindert bzw. sie gerät auf ein Gleis, dass
nicht vorwärts zum Kommunismus, sondern zurück zum Kapitalismus –
zunächst in der Form des Staatskapitalismus – führt. Ob diese
„äußere Gewalt“ nun ein Privatkapitalist, eine
Aktiengesellschaft oder eine Bürokratie ist, ist dabei zweitrangig.
Deren Herrschaft bedeutet in jedem Fall, dass die ProduzentInnen
enteignet, entmachtet, untergeordnet, unterprivilegiert sind.
Um
ihre Aufgaben in der Übergangphase lösen zu können, muss die
Arbeiterklasse deshalb möglichst schon im Kapitalismus Strukturen
proletarischer Ökonomie (Genossenschaften, Selbstverwaltung,
Kontrollorgane) schaffen, jedoch sind diese Ansätze quantitativ und
qualitativ beschränkt und in eine kapitalistische Gesamtstruktur
eingebunden. Jede proletarische Revolution ist davon geprägt, dass
die Massen sich ihre Räte-Strukturen schaffen und beginnen, die
Geschicke der Gesellschaft in die eigenen Hände zu nehmen. Sobald
aber bürokratische Apparate entstehen oder die Partei sich von einer
Helferin, Führerin, Initiatorin in einen Oberaufseher verwandelt,
kann die Arbeiterklasse ihre Potenzen nicht ausspielen. Genau das ist
in Sowjetrussland passiert.
Die Frage
der Produktionsweise
Die Bourgeoisie konnte schon in der
Feudalgesellschaft Elemente ihrer kapitalistischen Produktion
etablieren. Doch auch sie konnte nicht umfänglich eine ihr
angemessene Produktionsweise schaffen, diese konnte erst mit der
bürgerlichen Revolution durchgesetzt werden. Da die proletarische
Produktionsweise noch viel weniger als die bürgerliche sich
„automatisch“ und „hinter dem Rücken der Akteure“
durchsetzen kann, sondern nur als bewusster Akt der Arbeiterklasse
und ihrer räte-demokratischen Organe möglich ist, kommt der Frage
des Entwicklungsniveaus der Klasse und ihrer Vorhut besondere, ja
überragende Bedeutung zu. In dieser Hinsicht wirkte sich verheerend
aus, dass die II. Internationale wie auch Lenin, der in
wirtschaftspolitischer Hinsicht an deren Vorstellungen anknüpfte,
über keine bzw. eine falsche Konzeption und nur wenig
Problembewusstsein verfügten und das Proletariat und seine Vorhut
daher konzeptionell unbewaffnet oder sogar mit fehlerhaften Ideen
ausgerüstet war. So musste es dazu kommen, dass in Sowjetrussland
(und danach im Stalinismus) ein Wirtschaftssystem installiert wurde,
das sich nicht nur langfristig dem westlichen Kapitalismus unterlegen
erwies, sondern auch völlig ungeeignet war, um sich in Richtung
Kommunismus zu entwickeln. Da schon die Bolschewiki und umso mehr
dann Stalin die Selbstorganisation der Arbeiterklasse und die
Demokratie unterschätzten bzw. einschränkten, gab es auch kaum
demokratische Möglichkeiten für die Massen, zu diskutieren, Fehler
zu erkennen und zu korrigieren.
In Sowjetrussland zeigte sich
auch, dass das Proletariat mitunter damit überfordert war, Ökonomie
und Gesellschaft zu organisieren, weil ihm im Zarismus nahezu jede
Möglichkeit verwehrt war, an der Gestaltung sozialer Prozesse
teilzuhaben. Den Massen fehlten daher oft entsprechende Erfahrungen
und Fähigkeiten. Sie hätten daher auf die bürgerlichen
Mittelschichten, auf die Techniker und Spezialisten zurückgreifen
müssen. Oft taten sie das auch, oft aber war auch das Gegenteil der
Fall. Immerhin wurde das von den Bolschewiki aber zu Lenins Zeit noch
diskutiert. Doch es ging nicht nur um das Verhältnis zu bestimmten
sozialen Milieus, sondern v.a. um das Verhältnis zu bestimmten
Strukturen. Und dort zeigte sich ein starke Tendenz der Bolschewiki
zur „Maschinenstürmerei“, zur bloßen Zerstörung von
Strukturen, anstatt um deren Veränderung und Einbindung in einen
neuen Mechanismus, der selbst erst nach und nach geschaffen werden
kann.
Vollends desaströs war der bolschewistische – und
später von Stalin noch weiter zugespitzte – Hang zur Etablierung
eines bürokratischen, immer weniger von rätedemokratischen
Prinzipien geprägten und mit der Basis verbundenen Staatsapparats,
der die Privatstrukturen, aber eben auch die Selbstverwaltungs- und
Kollektivstrukturen der ArbeiterInnen ersetzte. Diese Entmachtung und
Enteignung des Proletariats und der Massen beraubte die Gesellschaft
des Subjekts der Wirtschaft. An deren Stelle herrschte schließlich
die Bürokratie, die sich bis Ende der 1920er Jahre zu einer neuen
herrschenden Klasse mauserte und eine neue spezifische
Produktionsweise befehligte: den Staatskapitalismus. Das war genau
das Wirtschafts-Modell, für das auch Lenin immer wieder plädiert
hatte – allerdings wollte Lenin einen Staat, in dem die
Arbeiterklasse das Sagen hatte und nicht eine abgehobene Bürokratie.
Doch führte gerade Lenins Modell der Staatswirtschaft dazu, dass der
Einfluss der ProduzentInnen zugunsten der Bürokratie zurückging und
zurückgehen musste und jene Strukturen entstanden bzw. sich
ausweiteten, in denen sich die Bürokratie breit machte.
Im
„Kapital“ betont Marx: „Die Freiheit (…) kann nur darin
bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten
Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell
regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm
als von einer blinden Macht beherrscht zu werden“. (MEW 23,
S.92)
Es mutet daher fast prophetisch an, wenn Marx immer
wieder betonte, dass die Durchsetzung der Demokratie – einer
Räte-Demokratie vom Typ der Commune, wie er später konkretisierte
-, das erste und grundlegende Ergebnis der revolutionären
Machtergreifung sein muss.
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