SOLDATEN
FÜR DEN FRIEDEN (Teil drei)
Leseprobe aus „AUSBRUCH
AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ anlässlich des 63.
Jahrestages der Gründung der Nationalen Volksarmee am 1. März 1956
und des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949
Der
Autor wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf,
arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der
NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er
ist seit 1961 glücklich verheiratet.
Träumender Trommler
Tamara
arbeitet inzwischen als Personalchefin beim 2. Gleisbau, eine
wichtige Strecke für die WISMUT von Johanngeorgenstadt nach Aue im
Erzgebirge. Henry und seine Geschwister werden von Tante Lotte
versorgt. Mit ihr fahren sie im Sommer 1949 nach Rathen im
Elbsandsteingebirge. Sie wohnen in der romantischen Burgruine Rathen,
direkt über der Elbe. In der Burg ist ein Hotel untergebracht.
Früher gehörte sie einem Schweizer Bankier, so ist zu erfahren.
Später wird sich eine Sparkasse aus Berlin die „Ruine“ als
Ferienheim einrichten. In Erinnerung bleiben die Wanderungen zum
Amselsee und zur Bastei, in der Felsenbühne Rathen begeistert sie
die Operette „Schwarzwaldmädel“. Die Burgkost ist schmal,
deshalb holen sie beim Fleischer für fünfzig Pfennige heiße
Knochenbrühe, denn der Hunger ist noch ein ständiger Begleiter.
Henry zeichnet eine Skizze von der Burg. Außerdem will er
„wissenschaftlich“ arbeiten, so beobachtet er mit seinem
einrohrigen Fernglas, das er von seinem Papa hat, die täglichen
Wolkenbewegungen und notiert`s in einem Heftchen. Er fühlt sich
wohl. Schliesslich ist eine Karte an Mama fällig: Ich
schreibe Dir den ersten Gruß aus Kurort Rathen. Sei bitte nicht
traurig, daß ich solange nicht geschrieben habe. Eben kommen wir von
einem Spaziergang zurück. Es geht uns hier sehr gut. Ich freue mich
sehr über die herrliche Gegend. Gestern waren wir trotz schlechtem
Wetter mit Eberhardt zum Felsen ‚Talwächter‘. Mama, ich bin
wirklich schreibfaul. Herzliche Küsse von Deinem Henry.
Zurück nach
Berlin-Friedrichshagen. In der Bölschestraße, der Hauptstraße,
wird ein Jugendklub gegründet. Der gehört der neuen
Pionierorganisation. Dort trifft man sich und bekommt auch blaue
Halstücher. Henry will auch mitmachen. Er geht einfach hin. Der
soeben gegründete Fanfarenzug zieht ihn an, vor allem das Trommeln.
Man übt oft. Erst im Keller des Klubs, dann auf der Straße, wo
viele interessiert zusehen. Das gefällt Henry. Und dann heißt es:
„Wir bereiten uns auf eine große Sache vor ...“
Nach der
Schule wird tüchtig geprobt. Fast jeden Abend. Dann ist es soweit.
Ein neuer Staat wurde am 7. Oktober 1949 gegründet – die DDR! Der
Fanfarenzug trifft sich am 11. Oktober mit Tausenden anderen im
Lustgarten. Fackeln, Fanfaren, Menschen über Menschen. Und alle
fröhlich und voller Erwartung. Extra für diesen Anlass wurden viele
kleine Bäumchen am Rande des Platzes gepflanzt. Dieser historische
Abend war ein unauslöschliches Erlebnis. Wenige Tage danach bekommt
auch Henry sein blaues Halstuch. In der Pioniergruppe geht es
lebendiger zu als in der Schule. Da gibt es Bücherabende, man übt
sich im Laienspiel, man lernt Lieder wie „Du hast ja ein Ziel vor
den Augen“, „Dem Morgenrot entgegen“ und „Dunja unser
Blümelein ...“ Er fühlt sich wohl, ist mittenmang. „Disziplin
Pioniere!“, ermahnt oft der Gruppenleiter. Neue Worte für die
Schüler. Langsam nisten sie sich ein in den Köpfen. Im Kino von
Karlshorst besuchen die „Jungen Pioniere“ eine Veranstaltung mit
Erich Weinert. Wer das ist? Der Gruppenleiter erklärt, es ist ein
Schriftsteller, der in die Sowjetunion emigrieren musste und dort im
Nationalkomitee Freies Deutschland gegen die Faschisten gekämpft
hat. Dieser Mann beeindruckte Henry ungemein.
Henry ist seit der Scheidung der Eltern mit seinen Geschwistern oft
alleine. Mama arbeitet im Erzgebirge, zum Vater gibt es keine Kontakte
und die Haushälterin Tante Lotte hat andere Sorgen, als die vielen
Fragen zu beantworten, besonders die von Henry. Es interessiert ihn,
warum wird denn soviel aufgebaut, wenn doch wieder Krieg kommen könnte,
wie man im Radio immer hört ... Aber er bleibt alleine mit seinen Fragen
… Viel später wird er erkennen, mit den Fragen fängt das Denken an.
Inhalt
Ausgangssituation
ist Schweden und das Haus, in dem die Popows wohnen. Der Leser
erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus
Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von
der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin
(Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben
in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen
Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit
wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit
Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem
Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er
seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein
junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken
und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten
Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn
mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr,
für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als
einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch
Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des
Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz.
Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren
Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als
Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen
ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines
Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken.
Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der
Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere
Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“
macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen
Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven
Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR
nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989
seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie
mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen,
sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr
wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts
der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr
relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis
stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an
der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die
erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der
Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria
und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu
wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach
Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen,
so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin,
machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“
nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und
politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten
aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien,
politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen
Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!
Harry
Popow:
AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service
der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN:
9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro
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