Gerechtigkeit, ein
marxistischer Begriff
In einem Interview, das am
29. November 2018 in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“
erschien, antwortete der Vorstandschef des Versicherungskonzerns
Allianz, Oliver Bäte (geb. 1965), auf die Frage, ob es nicht
ungerecht sei, wenn ein normaler Allianz-Angestellter sich in München
keine Wohnung mehr leisten könne: „Gerechtigkeit ist für mich ein
marxistischer Begriff. Ich weiß nicht, was das ist.“ Auf den
Einwand hin, Gerechtigkeit sei auch ein sehr christlicher Begriff und
ein Thema der Aufklärung, meinte Bäte: „Aber was einer als
gerecht oder ungerecht empfindet, ist sehr subjektiv.“ Er glaube,
es gebe viele Menschen, die sagten, der Bäte verdiene zuviel Geld
(2017 waren das fast 5 Millionen Euro), und das sei ungerecht. Was er
ansonsten in diesem Gespräch zum Besten gab, war von ähnlichem
Kaliber. Das Fazit: Einen wie Bäte interessieren Menschen nicht,
ganze Gesellschaften erst recht nicht. Er ist eine Stimme der
Barbarei, ein Typus, der gebraucht wird.
Um sich vor Augen zu
führen, welche wirtschaftliche und politische Macht dieser Mann
repräsentiert, genügen einige Blicke auf die in München sitzende
Allianz. Sie ist einer der größten Versicherungskonzerne der Welt
und rangiert auf einer Liste der weltgrößten Unternehmen überhaupt
auf Platz 22. Sie beschäf tig t welt weit 140 000 Mitarbeiter und
500 000 Vermittler, erlöste 2017 einen Umsatz von 126 Milliarden
Euro und einen Überschuß von 7,2 Milliarden Euro. Ein Konzern mit
solchen Ziffern ist zwangsläufig an jedem imperialistischen
Verbrechen beteilig t . Das war historisch so: Die Allianz
versicherte z. B. die Konzentrationslager Auschwitz und Dachau. Und
es ist heute so: Vor einigen Jahren wurde aufgedeckt, daß
Allianz-Investitionen auch an Hersteller verbotener Streubomben
flossen. Über das Geflecht mit der „legalen“ Rüstungsproduktion
wurde nichts veröffentlicht.
Die Aktien der Allianz
befinden sich zu mehr als vier Fünfteln in den Händen sogenannter
institutioneller Investoren, darunter Blackrock (fast sieben
Prozent). Blackrock verwaltet Vermögen in Höhe von 5,7 Billionen
Euro, ist damit größter Konzern auf diesem Gebiet und wird auch von
bürgerlichen Journalisten und Ökonomen als „heimliche Weltmacht“
bezeichnet. Auf die Allianz trifft das ebenso zu, wird hierzulande
aber von bürgerlichen Journalisten verschwiegen. Der CDU-Politiker
Friedrich Merz, der seine Ambitionen, Bundeskanzler zu werden, nicht
aufgegeben hat, steht an der Spitze des Aufsichtsrats von Blackrock
Deutschland.
Das „Zeit“-Interview
mit Bäte erschien eine Woche vor dem CDU-Parteitag, auf dem Merz nur
knapp bei der Wahl zum Vorsitzenden unterlag. Zuvor hatte er noch im
Stil einer Drückerkolonne verkündet, wer in jungen Jahren fünf
Euro täglich in Aktien investiere, könne im Alter davon
profitieren. Ende Dezember bekräftigte er den Unfug noch einmal. Die
Art von Bäte und Merz, über soziale Fragen oder „Gerechtigkeit“
zu reden, gehört zum Stil einer neuen Generation imperialistischen
Führungspersonals: offensichtlicher Unfug und mehr Armut fürs Volk,
mehr Reichtum für Reiche.
Denn das Erreichte reicht
ihnen nicht. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut
(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht am Ende jedes Jahres
seine Berechnungen zu Armut und Reichtum in der Bundesrepublik. Ende
2018 lautete der Befund: 2017 lebten in Ostdeutschland 17,8 Prozent
der Bevölkerung mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen
Haushaltseinkommens und damit in relativer Armut, in Westdeutschland
waren es 15,3 Prozent. Das sei, so das WSI, „der größte Anteil in
Armut lebender Personen seit Beginn der Zeitreihe.“ Den hat das
Institut auf 2005 gelegt, damals betrug die Armutsquote 14,7 Prozent.
Den Bäte und Merz geht dieser Anstieg nicht schnell genug. Die
Millionen Schicksale hinter solchen Zahlen haben Imperialisten noch
nie interessiert.
Arnold Schölzel
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