Dienstag, 5. Februar 2019

GERECHTIGKEIT - Arnold Schölzel



Gerechtigkeit, ein marxistischer Begriff

In einem Interview, das am 29. November 2018 in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ erschien, antwortete der Vorstandschef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte (geb. 1965), auf die Frage, ob es nicht ungerecht sei, wenn ein normaler Allianz-Angestellter sich in München keine Wohnung mehr leisten könne: „Gerechtigkeit ist für mich ein marxistischer Begriff. Ich weiß nicht, was das ist.“ Auf den Einwand hin, Gerechtigkeit sei auch ein sehr christlicher Begriff und ein Thema der Aufklärung, meinte Bäte: „Aber was einer als gerecht oder ungerecht empfindet, ist sehr subjektiv.“ Er glaube, es gebe viele Menschen, die sagten, der Bäte verdiene zuviel Geld (2017 waren das fast 5 Millionen Euro), und das sei ungerecht. Was er ansonsten in diesem Gespräch zum Besten gab, war von ähnlichem Kaliber. Das Fazit: Einen wie Bäte interessieren Menschen nicht, ganze Gesellschaften erst recht nicht. Er ist eine Stimme der Barbarei, ein Typus, der gebraucht wird.

Um sich vor Augen zu führen, welche wirtschaftliche und politische Macht dieser Mann repräsentiert, genügen einige Blicke auf die in München sitzende Allianz. Sie ist einer der größten Versicherungskonzerne der Welt und rangiert auf einer Liste der weltgrößten Unternehmen überhaupt auf Platz 22. Sie beschäf tig t welt weit 140 000 Mitarbeiter und 500 000 Vermittler, erlöste 2017 einen Umsatz von 126 Milliarden Euro und einen Überschuß von 7,2 Milliarden Euro. Ein Konzern mit solchen Ziffern ist zwangsläufig an jedem imperialistischen Verbrechen beteilig t . Das war historisch so: Die Allianz versicherte z. B. die Konzentrationslager Auschwitz und Dachau. Und es ist heute so: Vor einigen Jahren wurde aufgedeckt, daß Allianz-Investitionen auch an Hersteller verbotener Streubomben flossen. Über das Geflecht mit der „legalen“ Rüstungsproduktion wurde nichts veröffentlicht.

Die Aktien der Allianz befinden sich zu mehr als vier Fünfteln in den Händen sogenannter institutioneller Investoren, darunter Blackrock (fast sieben Prozent). Blackrock verwaltet Vermögen in Höhe von 5,7 Billionen Euro, ist damit größter Konzern auf diesem Gebiet und wird auch von bürgerlichen Journalisten und Ökonomen als „heimliche Weltmacht“ bezeichnet. Auf die Allianz trifft das ebenso zu, wird hierzulande aber von bürgerlichen Journalisten verschwiegen. Der CDU-Politiker Friedrich Merz, der seine Ambitionen, Bundeskanzler zu werden, nicht aufgegeben hat, steht an der Spitze des Aufsichtsrats von Blackrock Deutschland.

Das „Zeit“-Interview mit Bäte erschien eine Woche vor dem CDU-Parteitag, auf dem Merz nur knapp bei der Wahl zum Vorsitzenden unterlag. Zuvor hatte er noch im Stil einer Drückerkolonne verkündet, wer in jungen Jahren fünf Euro täglich in Aktien investiere, könne im Alter davon profitieren. Ende Dezember bekräftigte er den Unfug noch einmal. Die Art von Bäte und Merz, über soziale Fragen oder „Gerechtigkeit“ zu reden, gehört zum Stil einer neuen Generation imperialistischen Führungspersonals: offensichtlicher Unfug und mehr Armut fürs Volk, mehr Reichtum für Reiche.

Denn das Erreichte reicht ihnen nicht. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht am Ende jedes Jahres seine Berechnungen zu Armut und Reichtum in der Bundesrepublik. Ende 2018 lautete der Befund: 2017 lebten in Ostdeutschland 17,8 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens und damit in relativer Armut, in Westdeutschland waren es 15,3 Prozent. Das sei, so das WSI, „der größte Anteil in Armut lebender Personen seit Beginn der Zeitreihe.“ Den hat das Institut auf 2005 gelegt, damals betrug die Armutsquote 14,7 Prozent. Den Bäte und Merz geht dieser Anstieg nicht schnell genug. Die Millionen Schicksale hinter solchen Zahlen haben Imperialisten noch nie interessiert.
Arnold Schölzel

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen