Methode und Tradition
NSU-Prozess und bundesdeutsche Justizgeschichte
Von Arnold Schölzel
Der Feind steht links. Der erste NSU-Prozess – Revisionen sind angekündigt – belegt das indirekt. Das Urteil vom Mittwoch kam zustande, weil der Ermittlungseifer in höheren Polizei-, Geheimdienst- und Justizkreisen nahezu erlischt, wenn es um neofaschistischen Terror geht. Es galt die Maxime, die der Anwalt der Nebenklage Mehmet Daimagüler in einem RBB-Interview am Mittwoch so formulierte: »Wenn man dem Staat gefährlich nahekam, hörte die Aufklärung auf.« Deutschlandfunk-Korrespondent Michael Watzke hatte nur noch Hohn übrig: »Dass ein V-Mann-Führer wie Andreas Temme, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel anwesend war, ›sachlich, nachvollziehbar und plausibel seine Wahrnehmungen am Tatort geschildert‹ habe – diese Erkenntnis hat das OLG München ziemlich exklusiv.«
Zudem: Kümmert sich irgendeine »Sicherheits«behörde um die seit 1990 von Neonazis Ermordeten und Totgeschlagenen, wahrscheinlich etwa 200? Ja, man vertuscht und verschleppt intensiv.
Wo die Dinge so liegen, bedeutet das zugleich: Je wilder sich Politiker nach dem Zusammenstöße auslösenden Polizeieinsatz beim G-20-Gipfel vor einem Jahr in Hamburg äußerten, desto drastischer die Urteile gegen tatsächliche oder vermeintliche Linke, desto zärtlicher der Umgang mit den von V-Leuten gepäppelten Neonazis.
Das hat Methode und Tradition: Das KPD-Verbot war 1956 auch nötig, damit ein Hans Globke, der die faschistischen »Rasse«gesetze entworfen hatte, weiter im Bundeskanzleramt der höchste Beamte der BRD bleiben konnte. Leute wie Globke waren Anlass für die Aussage des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, er betrete feindliches Ausland, wenn er sein Dienstzimmer verlasse. Ausschließlich diesem Justizaußenseiter ist zu verdanken, dass 1963 der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main beginnen konnte. Die Strafen fielen mild aus. In dem Land, in dem kein Richter des »Volksgerichtshofes« vor Gericht gestellt wurde, galt folgerichtig in den 1970ern als Staatsfeind, wer als »Sympathisant« der RAF auf eine schwarze Liste gesetzt wurde. Sympathie mit Sozialismus führte mindestens zum Berufsverbot. Jeder Stein wurde in den RAF-Prozessen umgedreht, um das »Umfeld« aufzuklären. Seit 1990 herrscht Verfolgungswut gegen engagierte DDR-Bürger, die mit Hilfe der Strafjustiz und mit Terrorurteilen in Sozial- und Arbeitsrechtsverfahren niedergehalten wurden. Wer die DDR-Staatsführung der Strafjustiz zuführt, will Neonazis, die auf Rechnung des Verfassungsschutzes arbeiten und deren Ideologie nun im Bundestag angekommen ist, nicht ernsthaft verfolgen – Sündenböcke ausgenommen.
Einen Fritz Bauer gibt es heute nicht. »Erhalt der Nation«, ein NSU-Programmpunkt, wird gesellschaftlicher Konsens. Der bürgerliche Reichskanzler Joseph Wirth erklärte nach dem Faschistenmord an Außenminister Walter Rathenau 1922, der Feind stehe rechts. Das gilt in der Bundesrepublik nach dem NSU-Prozess weniger denn je.
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